“Meine Botschaft ist Einigkeit” – Interview mit Sam Garrett

Er trommelt, surft, fährt Skateboard, praktiziert Yoga und spricht viel über Spiritualität. Fast könnte man vergessen, wie erfolgreich Sam Garrett als Singer-Songwriter ist. Dass er sich bewusst allen Schubladen entzieht, wurde auch beim Interview nach seinem Tour-Stop in Berlin schnell klar. Dabei erzählte er von seinem spirituellen Lehrer Mooji, der Bedeutung der Rastafari-Kultur – und seiner Liebe zu einem ganz bestimmten Hörbuch.

Text: Lea Dlugosch / Fotos: Aiste Amari Jucyte-Urvake / Healingfestival CZ

Du bist aktuell auf Tour. Trotzdem strahlst du eine große Ruhe aus. Was erdet dich?

Es gibt da keinen wirklichen Trick. Oftmals denken wir, wenn wir etwas Bestimmtes tun, erhalten wir als Nebenprodukt innere Ruhe: zum Beispiel mit Yoga oder Meditation. Aber innerer Frieden ist tatsächlich unsere Natur. Gute Gewohnheiten sind schön, aber es geht darum, wer wir sind: Es ist unser natürlicher Zustand, glücklich und entspannt zu sein, wenn uns der eigene Geist nicht in die Quere kommt. 

Es geht also um die richtige Geisteshaltung?

Es ist weniger die Geisteshaltung: die kann negativ oder positiv sein. Es geht darüber hinaus. Es geht um den Seinszustand. Der Seinszustand kommt immer vor den Gedanken. Das Sein kommt vor dem Denken. Gedanken können sehr laut sein.

Das klingt sehr nach Yoga …

Ich liebe Yoga genauso wie Skateboarding, Surfen oder Trommeln und Singen. Es gibt so viele Dinge, die ich liebend gerne praktiziere, aber keines davon ist essentiell wichtig für diesen inneren Zustand. Ob gerade viel los ist im Leben oder ob innere Ruhe herrscht, ist irrelevant. Je länger ich auf dieser Reise namens Leben unterwegs bin, desto mehr erkenne ich das.

Wie empfindest du es, Musik zu machen, die Menschen auf dem Yogaweg ganz besonders zu erreichen scheint? 

Meine Musik reflektiert meine Wahrheit. Ich kann kein Lied singen, das nicht mein wahres Selbst oder meine Situation reflektiert. Ich mache Musik daher nicht für eine besondere Gruppe, auch nicht nur für spirituelle Menschen, sondern für alle. Spirituell zu sein, ist ein Stempel, der häufig mit der passenden Kleidung, den richtigen Freunden und einem bestimmten Lifestyle definiert wird. Es geht aber um etwas, das tiefer reicht als diese Definition von Identität.

Sam Garrett Interview

Das bedeutet in deinem Fall auch, Genre-Grenzen zu überschreiten. Du hast unter anderem früher in einer Punk-Rock Band gespielt, richtig?

Ich hatte nie das Gefühl, dass meine Musik einer Richtung entspricht. Ich bin von so vielen verschiedenen Genres beeinflusst. Vieles, was in der Welt passiert, inspiriert mich. Meine Botschaft ist vor allem “Unity” (Einigkeit). Wir müssen lernen, unsere Unterschiede zu respektieren. 

Du bist schon sehr früh in einen Ashram gegangen, hast dich schon als Teenager mit Achtsamkeit beschäftigt. Wie kam das?

Als ich sieben oder acht war, hatte ich einen wiederkehrenden Traum: Jede Nacht beim Einschlafen wurde mir meine Grenzenlosigkeit bewusst: Ich löste mich von meinem Körper und meinem Geist und spürte meine eigene Unendlichkeit. Ich identifizierte mich nicht mehr mit meiner körperlichen Anwesenheit, sondern erlebte pure Freiheit, Glückseligkeit und inneren Frieden. Dann kam ich plötzlich wieder zurück in meinen Körper und mein Zimmer und alles war wie vorher. Natürlich haben mich, wie jeden Teenager, auch Videospiele interessiert und ich habe Alkohol und andere Dinge ausprobiert. Aber diese nächtliche Erfahrung ist geblieben und hat mich immer wieder angestupst – als ob da noch mehr wäre.

Was passierte dann?

Als ich etwa 16 war, hatte mein Vater ein spirituelles Erwachen, was auch auf mich großen Einfluss nahm. Davor war er ein anderer Typ Mensch, aber als er Eckhart Tolles Buch “Die Kraft der Gegenwart” entdeckte, passierte ein Wandel. Ich habe es mir dann als Hörbuch mit Kopfhörern angehört, während ich durch die Natur geradelt bin. Das hat etwas in mir verändert. Mein Vater und ich sind uns dadurch sehr nahe gekommen. Wir begannen Yoga und Meditation zu praktizieren und uns bewusster zu ernähren. Es hat meine ganze Familie beeinflusst.

Du bist später nach London gezogen und hast dort Mooji kennengelernt, deinen spirituellen Lehrer bis heute. Wie kam es dazu?

Eigentlich sah ich Mooji zum ersten Mal nach einem Nahtoderlebnis auf einer Indienreise. Er erklärte in einem Youtube-Video: “Du hast keinen Anfang und kein Ende, du bist reines Bewusstsein. Du bist unendlich, deine Natur ist Frieden, Liebe und Harmonie.” Ich kannte das aus meiner Erfahrung als Kind, aber ich spürte es nicht mehr, sobald ich zurück in meinen Körper gekommen war. 

Ich glaube nicht an Zufälle. Menschen kommen aus einem bestimmten Grund zu einer bestimmten Zeit in dein Leben. Als ich Babaji, wie ich Mooji nenne, kennenlernte, war es so, als ob ich ihn schon immer gekannt hätte. Ich verstand das nicht in meinem Kopf, aber ich fühlte etwas in meinem Herzen. Es gab eine tiefe Verbindung zwischen uns beiden, aber auch viel, das noch vor uns lag.

Ihr seid stetig in Kontakt?

Babaji zu treffen war für mich eine erneute Erinnerung daran, warum ich hier bin und wer ich wirklich bin. Ich lebe jetzt in seiner Nähe. Je länger ich mit ihm auf dieser Reise bin, desto mehr kommt eine innere Weisheit dazu, die schwer in Worte zu fassen ist. 

Versuch es doch mal …

Man kann manche Dinge hören, sich sogar in Anwesenheit eines Meisters befinden oder eines Erleuchteten, aber ihr Geist ist noch zu stark. Viele bleiben an der Oberfläche, sie können nicht tiefer eintauchen. Aber wenn der Apfel reif ist, fällt er einfach vom Baum. Und so ist es auch zwischen uns gewesen. 

Sam Garrett im Interview
Foto: Aiste Amari Jucyte-Urvake / Healingfestival CZ

In deinem neuen Album “Forward to Zion” klingen Reggae-Töne an. Du widmest dich auch textlich der Rastafari-Kultur.  Hat sich dein Interesse in diese Richtung verlagert?

Nicht unbedingt. Egal, welche Kultur und Tradition wir uns ansehen, wir finden die gleiche Wahrheit, weil es nur eine Wahrheit gibt. Sie hat viele Namen und kann von vielen Menschen auf verschiedene Weisen ausgedrückt werden. Es ist leicht, sich mit dem jeweiligen äußeren Ausdruck zu identifizieren und das Darunterliegende zu übersehen. Aber eigentlich sind wir alle vereint und leben unter derselben Sonne, demselben Mond und denselben Sternen, egal in welcher Kultur. 

Wie bist du zu Rastafari gekommen?

Rastafari kam für mich zu einer Zeit, als ich sehr verloren und verwirrt war: Der Lockdown machte es unmöglich, sich frei zu bewegen. Ich habe damals eine Wahrheit, eine Richtung gesucht. Rastafari bedeutet Freiheit und Frieden. Damit gehen wir weder nach links noch rechts sondern direkt geradeaus. Auf der Suche nach Klarheit bin ich auf Haile Selassie gestoßen, der für Rastafari steht (siehe unten).

Was bedeutet Rastafari für dich persönlich?

Rastafari ist wichtig, weil wir in einer Zeit von Täuschung, Korruption, Lügen und Irreführung leben, die die Menschen verwirrt und verloren zurücklässt. Wir leben im babylonischen, kapitalistischen System, das einigen wenigen nützt, während der Rest Mühe hat, die Familie zu ernähren. Rastafari ist eine Rebellion gegen das koloniale System, das versklavt, verwirrt und eine Art Gefängnis erschafft, in dem wir leben. Das ist jetzt gerade unheimlich wichtig. 

Wie würdest du diese Rebellion beschreiben?

Es ist eine gewaltlose Revolution. Es ist mir wichtig, nicht wegzusehen. In der spirituellen Welt geht es häufig darum, sich zu ergeben und den Dingen ihren Lauf zu lassen. Wir brauchen dieses innere Loslassen auch, sich einer höheren Macht, einem Gott zu ergeben. Das bedeutet aber nicht, dass ich angesichts von Korruption und dem Hunger der Welt einfach wegsehen kann. Ich kann nicht meinen Kopf in den Sand stecken und so tun, als existiere das alles nicht. Wir müssen als Brüder und Schwestern zusammenkommen und unsere Macht nicht an die Politiker abgeben, sondern erkennen, dass wir die Macht in uns selbst tragen.

Sam Garrett

Der Singer-Songwriter Sam Garrett ist Engländer, aber seine Musik ist auf der ganzen Welt zuhause. Sein 2023 in Hawaii produziertes neues Album “Forward to Zion” entstand unter dem Eindruck von Pandemie und Lockdown und in der Begegnung mit der Rastafari-Kultur und deren vielleicht dessen Figur, Haile Selassie (1892-1975), der zugleich der letzte Kaiser von Äthiopien war. Besonders ein Zitat von Selassie ist Sam wichtig: 

“Wir müssen (…) unsere kleinlichen Vorurteile und Urteile übereinander begraben um einander unsere Zugehörigkeit, unsere Hingabe, unsere Loyalität und letztendlich unsere Liebe zu schulden, nicht den Nationen, Konzernen oder Regierungen, die versuchen uns auseinandertreiben und zu erobern, sondern unseren Brüdern und Schwestern innerhalb der menschlichen Familie und Gemeinschaft.


Lea Dlugosh

Lea Dlugosch arbeitet als Kulturjournalistin in Berlin und unterrichtet dort in ihrem Studio Loni Yoga. Ihr besonderes Steckenpferd ist dabei Integrative Yogatherapie.


Lies auch unser Interview mit Mantra-Musikerin Simrit Kaur:

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