Wo spielt die Musik?

Was bringt uns näher zu unserem Selbst? Ist es die Stille? Oder der persönliche Ausdruck? Vielleicht liegt es in Wirklichkeit zwischen beidem?

Was brauchen wir wirklich?
Bei meinem letzten Umzug waren das Schwerste nicht die Yoga-Bücher, sondern die Kisten mit den CDs. Vielleicht hätte es gereicht, die Musik auf mp3 zu digitalisieren. Minimalistischer gewesen wäre es sicher, praktischer auf jeden Fall. Aber „yogischer“? Und abgesehen vom Gewicht der Tonträger: Welche Musik ist einem Yogi überhaupt angemessen? Zu dieser Frage gibt es eine schöne Geschichte über den Götterboten Narada und die Entstehung der Musik.

Vermittler zwischen den Welten
Narada war von Göttervater Brahma gebeten worden herauszufinden, warum in der Schöpfung so viel Unzufriedenheit war. Warum gab es Leid und Streit? Er durchzog die sieben Welten und sah allerorts: Die Wesen hatten den Kontakt zur ihnen innewohnenden Göttlichen Natur verloren. Auch mir fällt sehr häufig auf, dass Menschen sich ihrer eigenen Schönheit nicht bewusst sind. Was war nun das Zaubermittel, das Brahma Narada gab, damit sich alle Wesen wieder an ihr wahres Selbst erinnern können?

Die Menschen hatten keine Lieder. Brahma gab Narada darum das Heilige Wissen um die Kraft der Töne. Dieser trug es weiter zu den Gandharvas, den Halbgöttern der Heilkunde, die es ihrerseits wieder in allen Welten verbreiteten. Aspekte der Gandharva-Musik sollen auch heute noch in der Musik aller Kulturen zu hören sein. Wenn ich modernen spirituellen Lehrern zuhöre, scheint es heute jedoch Musik zu geben, die nicht so göttlich ist.

„The Good, the Bad and the Ugly“
Im Yoga werden Lebensmittel und –haltungen gerne in die Kategorien von Sattva, Rajas und Tamas eingeordnet. Auf dem ersten Blick kann man so auch Musik in Schubladen einteilen. Bach ist das Reine, die Beatles das Aufrührerische, und Justin Bieber… Entscheiden Sie selbst! Aber machen wir es uns damit nicht zu einfach?

Gott bei den Grammys
Der Rolling Stone-Journalist Neil Strauss durchforstete seine Interviews mit Rockstars der letzten Jahrzehnte und stellte fest: Sämtliche Künstler, die er interviewt hatte, und deren Stern in der Glamour-Welt mehr als ein Jahr glänzte, sagten, dass sie in der einen oder anderen Form an Gott oder an eine höhere Kraft glaubten. Nicht nur in Dankesreden bei Preisverleihungen gingen sie davon aus, dass sie von dieser Kraft unterstützt wurden, dass sie ihre Gaben dieser Kraft verdanken und sie zum Wohle aller einsetzen sollten. Viele sahen sich und ihren Erfolg sogar innerhalb eines göttlichen Plans. „God makes everything happen“, sagt beispielsweise Snoop Dogg über seine Karriere.

„The Creator has a Masterplan“
Brahma gab Narada das Wissen um die Kraft der Töne. „Heiliges Wissen“ heißt es sogar in den Schriften. Wie kann es einen Gott geben, der Slayers „Angel of Death“ zulässt? Angeblich soll deren Musik Wasserkristalle hässlich und Blumen krank machen. Ich glaube das nicht unbedingt, denn ich habe eine Pflanze, die wächst und gedeiht, egal ob ich „Hallelujah“ oder „Dancing in the Dark“ auflege. Wie finden wir den Zugang zur Essenz, die in aller Musik ist – und damit auch in uns?

„The Rhythm of your Heart“
Ob es Wagners Ouvertüre zum „Parsifal“ oder AC/DCs „Hells Bells“ ist: Musik kann unser Herz in jeder Geschwindigkeit öffnen. Es kommt darauf an, ob sie uns – jedem einzelnen Menschen – Freude macht. Und manchmal auch an unseren Schmerz erinnert. Dann kann sowohl das stille Schwelgen in Wagners Raum als auch das verzückte Kopfschütteln zu Angus Youngs Gitarre eine Form von Bhakti Yoga sein (aus Sicht des Hatha Yoga ist Headbanging natürlich abzulehnen). „Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten“ hat Gustav Mahler gesagt. Es ist, was wir selbst in deren Zusammenspiel empfinden. Wenn wir mit dem Herzen hören. Dann ist es egal, ob es still oder laut ist. Denn dann lösen sich durch die Kraft der Töne die Gegensätze auf.

„Musik ist magisch. Musik bringt die Uhr zum Stillstand. Für einen kurzen Moment wird man zum Herrscher über Raum und Zeit“, sagt Bruce Springsteen. Das klingt wie aus dem dritten Kapitel von Patanjalis Yoga Sutras. Ich würde gerne sagen, dass ich die euphorischste Erfahrung meines Lebens in Tibet oder während einer Meditation hatte. Ich neige allerdings dazu, den Moment, als Springsteen im Stadion von Göteborg meine Hand schüttelte, als mein persönliches Nirvikalpa Samadhi zu bezeichnen. Die Gelehrten mögen mir verzeihen. Die Gandharvas heilen uns weiter, mit der Kraft der Töne: Egal ob es Mantras sind oder Rock’n’Roll. In beidem steckt die Liebe und ihre strahlende Schönheit, die uns zur Stille führt.

Ralf Sturm, Yoga- und Meditationslehrer, lebt in Berlin.

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