Wer kennt sie nicht? Verspannungen und Schmerzen im Nacken sind für viele Alltag. Die häufigsten Ursachen: einseitige Körperhaltung, muskuläres Ungleichgewicht und Stress. Doch das muss nicht sein: Dr. Ronald Steiner zeigt dir Yogatherapie für den Nacken. Was hilft, Spannungen abzubauen, den Nacken zu entlasten und in ein angenehmes Gleichgewicht zu finden?
Die Nackenmuskeln (Musculus Trapezius und Levator Scapulae) haben eine doppelte Aufgabe: Zum einen bestimmen sie mit ihrem oberen Ansatz die Haltung des Kopfes. Zum anderen sind sie mit ihrem unteren Ansatz an der Bewegung der Schulterblätter beteiligt. Die Kopfhaltung wird von einer beweglichen Basis aus gesteuert, nämlich von den Schulterblättern her. Dafür müssen die Schulterblätter selbst sicher und stabil auf dem Brustkorb geführt werden. Spannen die Schultern sich an, bildet die Basis kein verlässliches Fundament mehr. Die Folge: Die Nackenmuskeln ziehen die Schulterblätter mit nach oben, wenn sie eigentlich nur den Kopf aufrecht halten sollen. Dadurch arbeiten sie nicht mit ihrer natürlichen Länge, sondern verkürzt. Letztendlich führt das zu einer übermäßigen Anspannung der Nackenmuskeln und einer noch stärkeren Verschiebung der Schulterblätter.
Wirke dieser unguten Entwicklung selbst aktiv entgegen, indem du gezielt die Muskulatur des Schulterblattes kräftigst. So bekommen die Schulterblätter einen besseren Halt und die Nackenmuskulatur arbeitet wieder aus ihrer natürlichen Länge heraus.
Nicht den Kopf einziehen
Dazu kommt: Während der Evolution hat der Mensch gelernt, bei Gefahr den Kopf einzuziehen. Ein sinnvoller Reflex, denn er schützt den fragilen Hals. Obwohl moderne Arten von Stress keine unmittelbare Lebensgefahr darstellen, folgen die Nackenmuskeln diesem Muster weiterhin. Reizüberflutung, Leistungsdruck, die alltäglichen vielfältigen Anforderungen… Das ist der Grund dafür, dass fast alle Menschen heute mehr oder weniger unter Verspannungen im Nacken leiden. Wir sollten alle im gesamten Rücken entspannter werden.
Wie kann man das erreichen? Durch umfassende psychische und physische Entspannung. Schon die Anwesenheit im Yogaraum hat einen Effekt. Es müssen nicht einmal Atemübungen sein. Einige tiefe Atemzüge und eine Auszeit von der Reizüberflutung reichen oftmals aus, um den Nacken spürbar weicher werden zu lassen. Gezielte Entspannungsübungen im Verlauf oder am Ende der Yogastunde helfen, die Nackenmuskeln noch weiter zu entlasten und zu entspannen.
Finde die Balance
Die Nackenmuskeln halten den Kopf in einem sehr komplexen Gleichgewicht. Wenn man mit gezielten Übungen in die bestehende Muskelspannung eingreift, ändert sich das gesamte Gleichgewicht. Das kann mitunter zunächst schmerzhafte Folgen haben: Wenn sich beispielsweise ein verkrampfter Nackenmuskel löst, kann sich das nach dem Üben in Kopfschmerzen äußern. Hier gilt es, das Schmerzsignal richtig zu deuten. In diesem Fall sollte man also nicht wieder komplett aufzuhören, sondern mit Achtsamkeit weiterüben, bis sich ein entspanntes Gleichgewicht einstellt.
Die folgende Übungsstrecke hat das Ziel, den Nacken zurück in die Entspannung zu führen. Doch die Übungen haben noch weitere positive Nebeneffekte:
- Die Schulterblätter erhalten ihr natürliches Bewegungspotenzial zurück. So können sie sich frei mit dem Arm mit bewegen.
- Die Muskulatur, die die Schulterblätter am Rumpf führt, wird effektiv gekräftigt. So wird Anbindung des Schultergürtels an den Brustkorb bei Belastung stabiler. Spielend und ohne dich gezielt darauf zu konzentrieren bekommst du die beste Basis für armgestützte Haltungen.
Yogaübungen um Spannungen im Nacken abzubauen
1. Faszien zum Wohlfühlen
A: Beginne direkt unterhalb des Hinterkopfes am Nacken. Streiche mit spitzen Fingern nach unten in Richtung Schulterblatt. Du spürst schnell, dass deine Finger beinahe automatisch dem Verlauf der Faszienzüge folgen. An der oberen Spitze des Schulterblatts angelangt geht es entlang der Oberkante des Schulterblatts in Richtung Schulterdach und weiter bis etwa zur Mitte der Oberarm-Außenseite. Wiederhole dieses Ausstreichen einige Male. Durch kleine Variationen beim oberen Startpunkt kommst du bei jeder Wiederholung auf einen anderen Faszienzug.
B: Anschließend greifst du mit Daumen und Fingern die oberste Hautschicht, möglichst in der Nähe des Hinterkopfs. Versuche, die Hautfalte mit krabbelnden Fingern an den Faszienzügen entlang wandern zu lassen.
Effekt: Diese Übung führt zu faszialer Freiheit. Beim Ausstreichen bekommen verklebte Faszienzüge (Längsfriktionen) eine Ausrichtung und können so die Kraft harmonischer übertragen. Das anschließende Anheben der oberen Schicht zieht durch den leichten Unterdruck Gewebeflüssigkeit zwischen den Faszienschichten hindurch. So werden Verklebungen gelöst und Entzündungsstoffe schneller abtransportiert.
2. Schulterkreisen – 0 Grad
Stell dich aufrecht hin. Deine Oberarme hängen dicht beim Rumpf und der Kopf ist möglichst gut aufgerichtet. Ziehe nun ausatmend die Schultern nach vorne und anschließend hoch zu den Ohren. Mit der Einatmung schiebst du die Schultern nach hinten und wieder nach unten. Deinem Atemrhythmus folgend führst du möglichst langsame, große Kreisen mit den Schulterblättern aus. Anfangs kann das rumpeln und springen – ein Zeichen, dass sich Verklebungen lösen und verkrampfte Muskeln weich werden. Genieße, wie im Verlauf der Bewegungen das Schulterblatt immer weicher auf dem Brustkorb schwimmt. Wenn du dich locker fühlst, kannst du direkt mit der nächsten Übung fortfahren.
Effekt: Die Schulterblätter werden durch unsere sitzende Lebensweise in einer Position gehalten. Das führt zum Verkümmern und Verhärten der führenden und stabilisierenden Muskulatur. Mit dieser Übung kommt Bewegung ins System.
3. Schulterkreisen – 90 Grad
Hebe nun deine gestreckten Arme waagerecht vor den Körper, ohne dabei das Kreisen der Schulterblätter zu unterbrechen. Ausatmend schiebst du deine Arme von unten nach vorne in die Länge und einatmend über oben zurück. Dabei bleiben die Arme ausgestreckt und die Handflächen zeigen zueinander. Wenn du dich spürbar locker fühlst, mach direkt mit der nächsten Übung weiter.
Besonderheit: Es ist kein Zufall, dass die Richtung des Kreisens bei allen Übungen in eine Richtung geht: Durch die vorgestellte Bewegungsrichtung wird die das Schulterblatt-Muskulatur am effektivsten angesprochen.
Hinweis: Wenn du keine Beschwerden hast, beugst mit diesen Übungen Erkrankungen vor und schaffst Voraussetzungen für deine Yogapraxis. Bei bestehenden Schmerzen kann die Sequenz therapeutisch wirken. Du solltest mit deinem Arzt abklären, welche Übungen für dich geeignet sind und welche nicht.
4. Schulterkreisen – 180 Grad
Hebe nun, ohne das Kreisen zu unterbrechen, deine Arme senkrecht nach oben. Auch hier beginnt das Langschieben der Arme wieder mit der Einatmung, das Zurückziehen mit der Ausatmung. Die Richtung des Kreisens bleibt gleich. Die Arme sind die ganze Zeit zur Decke gerichtet.
Besonderheit: Sollte diese Übung zu Schmerzen führen, lass diese Variante aus. Denn Schmerz zeigt an, dass das Schulterblatt für diese Übung noch nicht ausreichend mobil ist und der Oberarm zu nah ans Schulterdach kommt. Wenn du mit den anderen beiden Übungen arbeitest, wird auch diese Übung möglich werden.
5. Gelangweilter Gorilla
Nimm einen lockeren Ausfallschritt ein. Stelle das linke Bein nach vorne und stütze den linken Arm entspannt oberhalb des Knies auf dem Oberschenkel ab. Der rechte Arm baumelt locker aus dem Schulterblatt heraus. Versuche dabei, Spannungen in Schulter- und Nackenbereich vollständig zu lösen. Nachdem sich im Arm Entspannung einstellt, wiederhole die Übung auf der rechten Seite.
Effekt: Nach der Aktivität von Übung 2 bis 4 ist das bewusste Entspannen der Schulter- und Nackenmuskulatur noch effektiver als aus dem Ruhemodus heraus.
6, 7 und 8. Schulterkreisen gegen Widerstand
Wenn du mit den vorherigen Übungen vertraut bist und dein Schultergürtel bereits ein wenig Lockerheit entwickelt hat, gehst du zum nächsten Schritt über. Die folgenden Übungen entwickeln die Kraft der schulterblattführenden Muskulatur.
6. Kreise wie in Übung 2 beschrieben die Schultern mit am Körper angelegten Armen gegen einen Widerstand. Am besten funktioniert das aus der Stabhaltung mit auf Klötzen aufgestützten Armen.
7. Das Kreisen der Schulterblätter in der 90-Grad-Position gegen Widerstand ist am besten im Vierfüßlerstand.
8. Die dritte Variante mit den Armen in 180-Grad-Position kannst du gegen Widerstand am besten im herabschauenden Hund ausführen. Hierbei bleibt die Richtung der Kreise stets die gleiche.
Effekt: Für wirklich langfristige Entspannung im Nacken ist die Kräftigung der Schulter- und Nackenmuskulatur unerlässlich. Die vorgestellten Übungen aktivieren und kräftigen genau diese Muskeln – effektiv, aber dennoch weich und sanft.
Dr. Ronald Steiner ist Arzt für Sportmedizin und zählt zu den bekanntesten Praktikern des Ashtanga Yoga. Die von ihm begründete AYInnovation®-Methode baut eine Brücke zwischen der Tradition und progressiver Wissenschaft, zwischen präziser Technik und praktischer Erfahrung. www.AshtangaYoga.info
Wo gibt es denn die Übungsreihe? Ich habe versucht sie zu finden, aber war bisher erfolglos. Danke vorab!
Hallo Alex,
bitte entschuldige, du hast natürlich Recht, da fehlte ein weiterführender Link. Der Link ist jetzt am Ende des Artikels zu finden und auch hier noch einmal für dich:
https://yogaworld.de/yoga-therapie1/