Rishikesh: Auf der Suche nach Yoga

Rishikesh gilt als die “Yogahauptstadt der Welt”. Tatsächlich erschlägt einen auf den ersten Blick der Kommerz. Dann findet man sein Yoga – und wieder zu Hause möchte man eigentlich am liebsten sofort zurück.

Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese Bitte von einer Reiseteilnehmerin höre: „Kannst du bei der Agentur anrufen und einen früheren Rückflug für mich organisieren? Ich habe mir Rishikesh ganz anders vorgestellt“. Da wir erst vor zwei Tagen angekommen sind, versichere ich Simone, mich um die Umbuchung zu kümmern, bitte sie jedoch, noch bis zum Ende der Woche mit ihrer endgültigen Entscheidung zu warten. Selten sind die Erwartungen bei einer Indienreise so hoch wie vor der Ankunft in Rishikesh. Der Name der Stadt am Rande des Himalaya wird unter Yogis auf der ganzen Welt voller Andacht ausgesprochen. Es sei die Yogahauptstadt der Welt, heißt es.

Spirituell oder kommerziell?
Auf der spirituellen Landkarte erschien der Ort spätestens 1968, als die Beatles einige Wochen im Ashram von Maharishi Mahesh Yogi verbrachten, um Meditation zu erlernen. Die meisten Stücke des „White Album“ wurden dort geschrieben. Lennon distanzierte sich allerdings schnell wieder von Maharishi, als dieser plötzlich ziemlich weltliche Interessen an den Tag legte. Heute ist der Ashram verlassen. Gegen eine kleine „Spende“ für den Wachmann kann man die überwucherten Meditationshütten aber noch immer besichtigen. Geld oder Lust kommen hier (wie überall) so manchem Yogalehrer in die Quere. Das Schild im „Welcome Café“ in der Nähe der Ram-Jhula-Brücke ist eindeutig: „Please don’t marry our yoga teachers. They are in short supply”. Bitte heiraten Sie nicht unsere Yogalehrer – der Vorrat ist begrenzt. Beim ersten Spaziergang am Ufer des Ganges mag man das kaum glauben.

Die Anzahl der nebeneinander aufgereihten Yogaschulen ist größer als die der Schuhgeschäfte in der Leipziger Innenstadt. So zieht es sich durch den ganzen Ort: Überall sieht man Plakate und Werbung für „Yoga & Meditation Class“, „Chakra Therapy“ und „30 Day Yoga Teacher Course“. Es scheint nur wenige Leute zu geben, die nicht an diesem Boom mitverdienen wollen. Dabei ist es nicht einfach, einen Yogalehrer zu finden, der älter als 35 Jahre ist und schon länger als fünf Jahre unterrichtet.

Yogische Schatzsuche
Rishikeshs wirkliche Perlen liegen versteckt und suchen nicht nach Aufmerksamkeit – sie lassen sich finden. So wie das Mastram Baba Ashram. Die Höhle am Ganges, in deren Innerem ein einfacher Yogi aus den Bergen meditierte, kann nur tagsüber besucht werden. Ebenso die kleine Hütte, in der der Meister, dessen wirklichen Name niemand kannte, Satsang gab. Es ist plötzlich sehr still, wenn man in diesem kleinen Raum sitzt – was auch deshalb kaum verwunderlich ist, da der Yogi selbst zu Lebzeiten nicht viel sprach. Diese Stille nimmt man mit, wenn man weiter am Ufer entlangwandert. Einige hundert Meter weiter erblickt man auf der linken Seite wieder ein kleines Häuschen, an dessen Mauer ein freundliches Schild den Passanten auffordert: „Be good, do good“. Wir sind am Tapasya Kutir angekommen, der „Hütte des inneren Feuers“, in der Swami Sivananda in den 1920er-Jahren zur Meditation saß. Auch hier wird jede Minute, die man in dem kleinen Raum verbringt, mit einer Berührung der inneren Stille belohnt. 1936 gründete Sivananda die „Divine Life Society“ und seine Arbeit zur Verbreitung des Yoga machte Rishikesh erstmalig zu einem weltweit bekannten spirituellen Zentrum. Seine Botschaft war einfach: „Sei gut, tu’ Gutes.“ Die Divine Life Society versteht sich selbst als Kloster. Auch hier wird nicht mit Plakaten oder Flyern geworben. Gäste müssen sich lange im Voraus anmelden und können in der Regel nur für kurze Zeit bleiben. Ein Besuch der Morgenmeditation um fünf oder der anschließenden Puja um sechs Uhr früh bringt einen dem Zauber wieder etwas näher, der entlang des Ganges jeden Tag etwas stärker wird. Je mehr man in Rishikesh ankommt, desto mehr kommt man auch bei sich selbst an.

Große Meister
Neben Krishnamacharya und seinen Schülern war Sivananda im letzten Jahrhundert einer der bedeutendsten Vertreter des Hatha-Yoga. In der Divine Life Society wird für Männer und Frauen getrennt unterrichtet und von wechselnden Lehrern. Aber wer sind die heutigen „Stars“ des Hatha-Yoga in Rishikesh? Ich höre mich unter Ladenbesitzern und Einheimischen um und schließlich fällt ein Name: Rudra Dev. Er sei ein perfekter Meister, sagt Sri Karthikeyan von der Divine Life Society über ihn. Um Rudra zu finden, muss man sich bewegen. Sein „Yoga Study Center“ liegt klein und versteckt weit außerhalb der Stadt. Mit 20 Jahren war er Mönch in der Divine Life Society. Zu dieser Zeit begegnete er B. K. S. Iyengar und wurde einer seiner engsten Schüler. Er übernahm den Hatha-Yoga-Unterricht im Ashram. Allerdings wurde er schließlich darum gebeten, sich für den hauseigenen Stil zu entscheiden oder zu gehen. In der Halle, in der Rudra heute unterrichtet – er lebt noch immer als Mönch und das Center gehört ihm nicht selbst – hängen Bilder von Sivananda neben denen von Iyengar: Rudra kombiniert die Exaktheit der Asanas mit einer tiefen Liebe zu den spirituellen Lehren. Bis etwa zu seinem 50. Geburtstag war er in Rishikesh „gefürchtet“ für seine Strenge und seinen sehr fordernden Unterricht. Mit der Zeit wurde er mitfühlender und sanfter. Mittlerweile ist er 60 Jahre alt, was man ihm nicht ansieht. Im Anschluss an seinen morgendlichen Unterricht praktiziert er täglich mindestens drei Stunden selbst – und er ist immer noch begeistert davon, dass er jeden Tag Neues in den Asanas entdeckt.

Irgendwann ist man also auch im Überangebot von Rishikesh tatsächlich beim Yoga angekommen. In einem der vielen Center, der Ashrams oder bei einem der Menschen im Ort. Sie alle scheinen hier etwas ruhiger zu sein, als das sonst in Nordindien der Fall ist. Je länger man bleibt, desto berührender empfindet man die Natur rings um die Stadt, die Ausläufer des Himalaya und die ewig ruhige „Ganga“. Jeden Tag fasst man etwas mehr Vertrauen zu ihr, bis man schließlich selbst zum Baden hineinspringt. Simone, die umbuchen wollte, zieht ihren
Entschluss nach drei Tagen wieder zurück. Und es war vermutlich nicht das letzte Mal, dass sie die „Yogahauptstadt“ besucht hat.

Vivekananda: Kämpferisch, charismatisch und klug

Vivekananda brachte Yoga in den Westen. Am 12. Januar 2013 feiern wir den 150. Geburtstag dieses Swamis, der wie kein anderer vor ihm kämpferisch, charismatisch und klug für die spirituelle Kultur und Tradition Indiens warb. Als bedeutendster Schüler und Nachfolger von Ramakrishna (1835–1886) trug er nicht nur dessen geistiges Erbe in die Welt hinaus, er verband es auch mit einer klaren Mission: Einheit und Gleichwertigkeit aller Religionen.

Vivekananda war seiner Zeit weit voraus, als er am 11. September 1893 in Chicago mit seinem Auftritt vor dem ersten „Parlament der Weltreligionen“ sein Publikum überwältigte. Entgegen der bisherigen Konflikte und Konfrontationen forderte er eine Harmonie der Religionen von Ost und West und verkündete, dass alle Religionen zu Gott führen. Als Vertreter des Hinduismus trat er mit mächtigem Turban, prachtvoller roter Mönchsrobe und majestätischem Gesichtsausdruck in der „Hall of Columbus“ vor 4000 Anwesende. Nichts an seiner beeindruckenden Erscheinung verriet, dass er die Nacht zuvor wie ein Obdachloser in einem leeren Zugwaggon auf dem Bahnhof verbracht hatte, weil man ihm als Farbigem einen Schlafplatz verweigert hatte. „Schwestern und Brüder von Amerika“, hob er in seiner Eröffnungsrede an, „ich danke Ihnen im Namen des ältesten Mönchsordens der Welt; ich danke Ihnen im Namen der Mutter aller Religionen; und ich danke Ihnen im Namen von Abermillionen Hindus aller Klassen und Glaubensgemeinschaften. (…) Ich bin stolz, einer Religion anzugehören, die die Welt sowohl Toleranz als auch universale Wertschätzung gelehrt hat. Wir glauben nicht nur an universale Toleranz, wir erkennen alle Religionen als wahr an.“ Diese Botschaft saß. Damit beanspruchte er für den Hinduismus nicht nur, die älteste aller Religionen zu sein, sondern auch die toleranteste. Die Delegierten waren begeistert. Innerhalb weniger Tage wurde Vivekananda von einem herablassend behandelten Inder zum Shooting Star auf der Bühne geistiger Führer. Mit mehreren Reden während der Kongresstage vom 11. bis 27. September erzeugte der charismatische Swami, dem seine Zeitgenossen berserkerhafte Energie nachsagten, einen Donnerhall, der nicht nur bis in den letzten Winkel der westlichen Welt gehört wurde, sondern auch in seiner fernen Heimat Indien.

Wer war dieser Mann und woher kam er?
Narendranath Datta, so der bürgerliche Name des späteren großen Meisters, wird am 12. Januar 1863 in eine wohlhabende Familie Kalkuttas hineingeboren. Die Hauptstadt der britischen Kolonialmacht in Indien ist zu jener Zeit von einer kosmopolitischen Atmosphäre geprägt und offen für kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen. Sein Vater ist ein erfolgreicher Rechtsanwalt, seine Mutter eine fromme Hindu-Frau. Diese beiden Pole beeinflussen Narendranaths Wesen. Durch sein Jura- und Philosophie-Studium bewegt sich
sein Geist zwischen rationaler Schärfe und religiösmystischem Denken, basierend auf den Veden als den heiligsten Schriften der Hindus. Es ist dieser Geist des Vedanta, auf den sich Narendranath Datta später als Svami Vivekananda berufen wird. Neben den Veden beeinflusste auch der indische Gelehrte Shankara, der um 800 nach Christus lebte, Vivekanandas Denken: Shankaras Erkenntnis, dass es in Wirklichkeit keine Spaltung, keinen Dualismus zwischen individueller (Atman) und kosmischer Seele (Brahman) gibt, findet ihre Entsprechung in der Philosophie der Nicht-Dualität, des Advaita-Vedanta. Alles ist eins und was wir als Trennung wahrnehmen, ist nichts anderes als Maya: Illusion, Täuschung. Brahman ist die universelle Kraft, das, was die Welt im Innersten zusammenhält – die Urenergie nicht nur in jedem einzelnen Atom, sondern der innere Kern im Selbst eines jeden Menschen. Wir sind eins mit Gott, wir sind eins mit jedem Menschen und wir verwirklichen dieses göttliche Prinzip, indem wir uns selbst verwirklichen. Um diese Botschaft in die Welt hinauszutragen, brauchte es nur noch einen Funken. Dieser springt über in der alles entscheidenden Begegnung mit dem Mystiker Ramakrishna, der von einer tiefen Sehnsucht, Gott zu schauen, erfüllt war. „Ach! Du kommst so spät!“, klagte Ramakrishna, als er 1881 den 18-jährigen Narendranath Datta trifft. In einer Vision hatte er ihn vorausgesehen. „Wie konntest du nur so grausam sein und mich so lange warten lassen! Meine Ohren sind fast verbrannt vom Gerede der weltlichen Besucher. Oh, ich sehne mich so sehr danach, mich zu erleichtern bei einem, der meine tiefsten Erfahrungen würdigen kann… Mein Herr, ich weiß, ihr seid jener alte Weise Nara, die Inkarnation von Narayana, und seid zur Erde gekommen, um die Not der Menschen zu überwinden.“

Mönch, Mystiker, Philosoph und geistiges Vorbild
Die meisten jungen Männer, die Ramakrishna um sich gesammelt hatte, kamen aus dem städtischen Mittelstand, sie sollten heiraten, ihnen stand eine Karriere im kolonialen Kalkutta bevor. Man muss sich vorstellen, wie radikal der Bruch zu ihrem früheren Leben war, als sie sich diesem Weisheitslehrer anschlossen, der heute als indischer Heiliger verehrt wird. Narendranath wurde zum natürlichen Anführer unter Ramakrishnas Schülern, die zum mönchischen Leben auserwählt waren und er blieb es bis zu seinem Tod. Die Botschaft, die Ramakrishna an seine Schüler weitergab, lautete: Es gibt viele Wege zu dem einen Göttlichen. „Wer aus tiefster Seele sucht, kann innerhalb aller Religionen Gott erreichen.“ Diesen Gedanken zu verkünden, sollte die Mission Vivekanandas werden. Sein Sendungsbewusstsein entwickelt er in seiner Zeit als Bettelmönch. Von seinem 27. bis zu seinem 30. Lebensjahr durchmisst er Indien zu Fuß und lernt, das Los der armen Menschen mitzuempfinden. Er erlebt das Massenelend in den Dörfern, er erlebt, wie tief Aberglaube und Vorurteile verwurzelt sind, er sieht die rücksichtslose Ausbeutung und den Feudalismus der Großgrundbesitzer und erlebt die Machtgier der Priester. Anstatt nur seine eigene Seligkeit zu suchen, will er fortan etwas für sein Volk tun. Es sind diese Jahre, in denen aus Narendranath Datta der Mönch Vivekananda wird. Wörtlich übersetzt bedeutet das Sanskritwort Vivekananda „Die Freude an der Unterscheidung“. Im Kali-Tempel in Dakshineshwar hatte er zu Lebzeiten seines Meisters gefleht: „Mutter, gib mir Unterscheidungsvermögen! Gib mir Entsagung! Gib mir Wissen und Hingabe! Gewähre mir, dass ich dich ununterbrochen schauen darf.“ Was lernt er zu unterscheiden? Es genügt nicht, ein Aussteiger zu sein, ein Mönch auf der Suche nach Selbsterkenntnis. Er begreift, dass er über das Individuelle hinaus etwas tun muss – sich nicht nur selbst spirituell vervollkommnen, sondern etwas für andere tun. Indem er seiner Lehre die sozial aktive Komponente hinzufügt, geht er über den Ansatz seines Meisters Ramakrishna hinaus. Um für sein Land und seine Religion zu werben, um Geld für die Armen und Kranken zu sammeln, beschließt er, in den Westen zu reisen.

Vom Osten in den Westen
Wir schreiben das Jahr 1893. Zufällig erfährt Vivekananda, dass in Chicago erstmals ein „Parlament der Weltreligionen“ zusammentreffen soll, auf dem Vertreter der großen Religionen gleichberechtigt miteinander sprechen werden. Dieses Ereignis scheint ihm als Forum ideal, um seine Mission zu verkünden. Ende Mai schifft er sich, von einigen wohlhabenden Anhängern unterstützt, in Bombay ein. Viel zu früh kommt er in Chicago an, der Kongress soll erst im September beginnen. Er hat kein Geld, um die lange Zeit zu überbrücken, und – schlimmer noch – es fehlt ihm die für den Kongress notwendige Einladung.

Er begibt sich mit dem Zug nach Boston und lernt auf der Fahrt eine vermögende Frau kennen, die von dem jungen Inder begeistert ist. Ihrer Vermittlung ist es zu verdanken, dass Vivekananda eingeladen wird. Und nun steht dieser vor Kraft und Selbstbewusstsein strotzende Mann vor wichtigen Vertretern der großen Religionen, breitet den Kern des Vedanta aus und markiert damit den Beginn eines echten interreligiösen Dialogs in der westlichen Welt, bei dem die nichtchristlichen Religionen und das Christentum gleichberechtigt miteinander gesprochen haben. Nach dem überwältigenden Echo reist er monatelang durch die Vereinigten Staaten, bleibt vier Jahre im Westen, hält Vorträge, in denen er das Religionsverständnis des Vedanta erklärt: Dass die unzähligen religiösen Ausdrucksformen alle nur das eine widerspiegeln – Brahman, das göttliche Prinzip, das alles umgreift und durchdringt. Es ist derselbe Gott, der alle Menschen inspiriert. Um diesen Gott zu erkennen, gibt es vier Wege: Karma Yoga, Jnana Yoga, Raja Yoga (der achtgliedrige Weg nach Patanjali) und Bhakti Yoga. Während sein Meister Ramakrishna den Weg der Hingabe, der Gottesliebe und -verehrung (Bhakti Yoga), wählte, beschreitet Vivekananda den Weg der Erkenntnis (Jnana Yoga) zur Überwindung von Unwissenheit und den Weg der Tat (Karma Yoga). Religiöses und mehr noch soziales Handeln ist sein Motor.

Um das Sozialethische zu verstehen, müssen wir nochmals auf den Vedanta und den Gedanken des absoluten Einssein zurückkommen. Die Formel „Tat-tvamasi“ heißt übersetzt „Das bist du.“ Was auf den ersten Blick nach dem christlichen Gebot der Nächstenliebe klingt, geht jedoch – und das ist das Atemberaubende – einen Schritt darüber hinaus: Wenn alles eins ist, so sollst du deinen Nächsten deshalb wie dich selbst lieben, weil du zugleich auch dein Nächster bist.

Im Sinne des Vedanta leben
Die Jahre des Reisens und Redens fordern ihren Tribut. Nach Indien zurückgekehrt, gründet Vivekananda 1897 die Ramakrishna Mission in Kalkutta. Doch körperliche Erschöpfung und innere Zerrissenheit ergreifen ihn zunehmend. Seine letzten Jahre verbringt er zurückgezogen und meditierend. Am 4. Juli 1902, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, stirbt er in Belur Math. Er wurde 39 Jahre alt. Dass er an zwei Enden für seine Aufgabe gebrannt hat, rückt ihn weniger in die Nähe eines Workaholics, sondern in die jener großer Heilsbringer, die erkannt haben, wie sehr die Welt einer Durchgangsstufe gleicht. Sein Lehrer Ramakrishna hat dies früh gespürt, als er von Vivekananda als keinem gewöhnlichen Menschen sprach, sondern von einem Nitya Siddha, einem, der von Geburt an vollkommen ist, ein Bote Gottes, der geboren wurde, um auf Erden eine göttliche Mission zu erfüllen. „Ich werde überall Menschen inspirieren, bis die Welt weiß, dass sie eins mit Gott ist.“ Diese Botschaft Vivekanandas fordert dazu auf, sich in Zeiten von grenzenlosem Materialismus mit einer der größten spirituellen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts ernsthaft auseinanderzusetzen, dessen revolutionäre philosophische Tat es war, die abstrakte Vision der Einheit von Gott, Mensch und Welt praktisch erfahrbar zu machen.

Die Autorin Irene Nießen arbeitet als Journalistin und Yogalehrerin in Frankfurt am Main.

Karma Yoga

Mond halten Frau Strand Sonnenuntergang Dämmerung
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Es gibt (nicht) viel zu tun

Dienen Sie, wem Sie wollen – aber dienen Sie! Karma Yoga ist einer der besten Wege zum Glücklichsein. Wenn man dabei nicht gegen sich selbst kämpft.

Als ich von der YOGA JOURNAL-Redaktion gefragt wurde, ob ich einen Text über Karma Yoga schreiben könne, war ich sofort Feuer und Flamme. Schließlich sollte es darin auch um Hanuman gehen, den Sohn des Windes. Mit seiner absoluten Hingabe an den Prinzen Rama hatte er mir immer imponiert. „Ich kenne nur zwei Dinge“, soll er einmal gesagt haben: „’Ra’ und ’ma’“. Man muss ihn einfach lieben, diesen starken Typen in Affengestalt. Als ich dann überlegte, welche Geschichte aus seinem Leben wohl am besten zu diesem Thema passt, fiel mir auf, dass Hanuman wenig mit dem zu tun hat, was heutzutage viele Lehrer als „Karma Yoga“ bezeichnen. Selbstloses Dienen, so heißt es, soll ein Weg zur Befreiung sein. Wenn ich mich derzeit allerdings in der Yogaszene umsehe, dann frage ich mich manchmal, ob die Chancen dabei immer so gut stehen.

Viele Lehrer bieten ihren Schülern an, ihr Ego durch freiwillige Mitarbeit in der Yogaschule abzubauen. Die Schüler dürfen die sanitären Einrichtungen putzen und können dafür umsonst in der Yogastunde mitmachen. Früher hätte man das „Tauschgeschäft“ genannt. Heute heißt es Karma Yoga. Im besten Fall fühlt sich der Schüler dabei doch wieder als etwas ganz Besonderes: Weil er vor den Augen der zahlenden Yogis zeigt, dass er (oder sie) sich nicht zu schade dafür ist, die Toiletten fremder Leute zu putzen. So viel Ego kann ja gar nicht mehr da sein! Gerade frische Yogis genießen es oft, sich im Sinne der Ideen großer Yogameister in die Arbeit zu stürzen; egal ob gerade Wochenende ist oder ein Feiertag. Wenn sie dann jemand aus ihrem Umfeld darauf hinweist, dass diese angebliche Aufgabe des Ego eher wirkt wie Selbstausbeutung, dann redet man sich ein, derjenige sei eben „noch nicht so weit“.

Mir stellt sich häufig die Frage: Warum gehen so viele Menschen im Namen der guten Sache über ihre eigenen Grenzen und oft gegen ihren eigenen Körper an? Ich glaube, dass „Karma Yoga“ manchmal einfach ein Etikett ist, das man über die eigenen inneren Antreiber klebt. Den Satz „Streng dich an!“ haben wir schon als Kind gehört. Wenn wir dem jetzt einen spirituellen Namen geben, sind wir aus dem Schneider – ohne dass wir tatsächlich etwas verändern mussten. Statt unser Ego abzubauen, wird es weiter fixiert. Es handelt sich um den verstecken Glauben: „Ich bin eigentlich nicht gut genug. Aber ich mache immerhin etwas für Gott. Also bin ich jemand!“ Es kann sich lohnen, vom starken Affen abzuschauen, aus welcher Haltung heraus er sich als Diener verstand. Hanuman hatte keinerlei Selbstzweifel. Er tat einfach das, was ihm richtig zu sein schien. Das ergab sich aus seiner tiefen Liebe zu Rama. Nachdem er Sita gerettet hatte, gab diese ihm ihre kostbarste Perlenkette. Hanuman nahm sie erfreut an und zerbiss dann jede einzelne Perle. Die Minister um ihn herum begannen ihn zu schelten, doch er entgegnete: „Lasst mich doch in sie hineinsehen. Wenn sie so wertvoll ist, muss Rama darin sein.“ „Nun übertreibt der Affe aber“, tönte es aus der Menge. Und weil er es nicht anders erklären konnte, öffnete Hanuman seine Brust. Dort, wo sein Herz war, konnten die Leute Rama und Sita sehen.

Man kann Karma Yoga nicht „machen“. Vielmehr werden die Dinge, die wir tun, zu Karma Yoga, wenn wir Gott (oder die Göttin) wirklich in unser Herz lassen. Man kann auf Kongressen beobachten, wie Yogis darüber diskutieren, ob und wie lange man beim Üben den Atem anhalten sollte. In Yogaforen werden Fragen gepostet, wie die, welche Meditationstechnik nun die „richtige“ sei. Wenn man wie Hanuman an die Sache herangeht, werden diese Details ein bisschen weniger wichtig. Mit der richtigen Haltung funktionieren alle Techniken gleich gut. Aus einer falschen Motivation heraus entsteht dagegen nie Karma Yoga, sondern eine Form der Selbstgeißelung. Sollte Ihnen also jemand Karma Yoga empfehlen, um an Ihrer Hingabe zu „arbeiten“, lautet mein Tipp: Vergessen Sie’s! Hingabe ist nichts, das man durch harte Arbeit oder kriegerische Akte entwickelt. Sie entsteht, indem man sich voller Freude vor etwas verneigt, das man als kostbar erkennt. Die Inder nennen es „full namaskar“, wenn sie sich im Tempel mit zusammengelegten Händen auf den Boden legen. „Dein Wille geschehe“ sagen wir in unseren Breitengeraden dazu. Das kommt – ganz einfach – von innen heraus. Man muss das Kind also nicht mit dem Bade ausschütten.

Karma Yoga ist in der Tat ein wunderbarer Weg. Wir können etwas von unserem Selbst vergessen, wenn wir lernen, unsere Kraft auch anderen zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, den Mittelweg zwischen Trotz und Selbstaufgabe zu finden. Dann wird unser Herz weit – wie das von Hanuman. Wer dagegen von seinen Schülern Karma Yoga fordert und dabei nur „hilflose Helfer“ ausnutzt, hat nichts verstanden. Ein Lehrer, der seine Schüler wirklich für Karma Yoga begeistert, findet auch Freude darin, wenn er ab und zu selbst für sie das Bad sauber macht.

Mehr Info zum Autor Ralf Sturm finden Sie hier.

Nachgefragt bei ANNA RÖCKER

Warum muss man in Shavasana manchmal (scheinbar) grundlos weinen?

Man fühlt sich energiegeladen, ist gut gelaunt und besucht eine Yogastunde. Am Ende freut man sich auf die Tiefenentspannung, legt sich auf die Matte, entspannt – und plötzlich fließen die Tränen. Wie kommt es dazu? Die Therapeutin Anna E. Röcker liefert zwei Erklärungsansätze.

Diese Frage wird mir auch in meiner Praxis immer wieder gestellt. Meine Antwort beinhaltet zwei Aspekte: Zum Einen sind viele Menschen heute sehr unterschiedlichen Anforderungen ausgesetzt, die manchmal kaum noch zu bewältigen sind. Vor allem Frauen kämpfen häufig damit, Kinder und Beruf miteinander zu vereinbaren, sich um Angehörige kümmern und nebenbei den Alltag der Familie zu organisieren. Da bleibt kaum Zeit, sich um die eigenen seelischen Bedürfnisse zu kümmern, zu denen in erster Linie Ruhe und Zeit für sich selbst zählen. Die Seele mag bekanntlich keinen Druck und keine Daueranspannung. Sind Zeiten der Regeneration nicht mehr gewährleistet, kommt es unweigerlich zu Überlastungssymptomen auf körperlicher und psychischer Ebene. Die Yogastunden sind für viele wie kleine Oasen, in denen man sich wieder mit Energie aufladen kann. Während der
Tiefenentspannung (Shavasana) oder auch während einer Yoga-Nidra-Übung fallen oft schon nach wenigen Sekunden Spannung und Stress ab und es kommt unwillkürlich zu einem inneren Aufatmen, das sich nicht selten in Form von Tränen äußert. Die Tränen zeigen, dass innerlich wieder etwas in Fluss kommt und sich die Seele von Druck befreit.

Zum Anderen können Tränen auch darauf hinweisen, dass im Inneren schon länger ein Schmerz oder Problem schlummert, auf der bewussten Ebene aber nicht wahrgenommen wird. Dieses verdrängte Gefühl hat jetzt in der Tiefenentspannung die Chance, ins Bewusstsein zu gelangen und sich bemerkbar zu machen. Kommen Menschen mit diesem Thema zu mir in die Praxis, stellt sich meistens heraus, dass sie wohl ahnen, worum es sich handeln könnte, aber nicht den Mut haben, das Thema wirklich anzuschauen. In der Tiefenentspannung wird die Kontrolle, die unser Kopf üblicherweise ausübt, etwas schwächer. Der Verstand, der sonst unter anderem dafür zuständig ist, schmerzhafte Gefühle zu rationalisieren und auf der Verstandesebene eine Lösung zu finden, ist in diesen Momenten weniger präsent. Dafür ist das Gefühl stärker. Meistens sind diese Tränen dann ein wichtiger Hinweis, dass man sich mit einem dahinter liegenden Thema auseinandersetzen sollte.

Sie sollten sich also, wenn Ihnen während der Tiefenentspannung öfter die Tränen kommen, selbst fragen, ob es einfach ein Aufatmen der Seele ist, die endlich wahrgenommen wird, oder ein wichtiges Signal, sich mit einem tiefer liegenden Problem auseinanderzusetzen und sich gegebenenfalls therapeutische Hilfe zu holen.

Anna E. Röcker bietet in ihrer Münchner Praxis für Therapie und Inner Coaching unter anderem Yoga-Nidra-Seminare an. 

Ich bin dann mal weg

Foto: Wari Om

Drei Menschen – drei ungewöhnliche Mutmacher-Geschichten

Viele von uns spielen mit dem Gedanken, beruflich neu anzufangen. Und das womöglich in einem Umfeld, das absolut nichts mit dem alten Beruf zu tun hat. Doch wie lässt sich so etwas umsetzen? Das wollte YOGA JOURNAL von drei Menschen wissen, die aus konventionellen Arbeitsstrukturen ausgebrochen sind, um sich in den Bereichen Nachhaltigkeit beziehungsweise Spiritualität selbstständig zu machen.

Angekommen in der Realität
Bereut hat keiner der drei den Schritt in die Selbstständigkeit. „Im November 2011 musste ich kurz seufzen, weil ich nun eigentlich das Weihnachtsgeld bekommen hätte. Doch das war der einzige wehmütige Moment in der ganzen Zeit!“, so Jennie Appel. Auch Christine Julius würde es wieder genauso machen. „Allerdings passiert ein solcher Wandel nicht über Nacht. Bei mir waren es anstrengende fünf Jahre. Doppelleben und drastische Sparmaßnahmen, aber es hat sich gelohnt!“, stellt Julius fest. Jörg von Kruse geht es um die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie. „Das war auch die Herausforderung. Wir wollten eine tolle Firma, die tolle Ideale hat. Nun muss man es schaffen, dass man diese Ideale in die heutige Zeit rettet und das Unternehmen trotzdem ökonomisch überlebensfähig macht. Das ist die Symbiose, die zwischen der Inhaberin und uns besteht“, so von Kruse. „Ich habe jahrelang mit dem Transporter die Paletten gepackt und ausgefahren und Verpackungen etikettiert. Wir sind mit einem kleinen Mitarbeiterstamm an den Start gegangen. Da muss man sowieso alles machen. Und das nicht nur ein halbes Jahr, das ging drei oder vier Jahre lang so.“

Springen – aber richtig
Was sind also die Überlegungen, wenn man einen Neustart im Bereich Nachhaltigkeit oder Spiritualität hinlegen möchte? Jörg von Kruse meint: „Man sollte schon genau in alle Richtungen prüfen. Wir haben das aus meiner Sicht im Grunde nicht tief genug analysiert.“ Ob er den Schritt auch gewagt hätte, wenn er alle Fakten in der Hand gehabt hätte? „Dieser Einwand ist richtig. Wenn man sehr stark anaschwerpunkt lysiert, besteht vielleicht die Gefahr, dass man die Dinge seltener anpackt, weil es natürlich immer etwas gibt, das einen zurückhält“, so von Kruse. Christina Julius hat neben Yoga und inspirierenden Workshops das Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron geholfen. „Es ist ein 12-Wochen-Programm mit vielen Fragen und Aufgaben, die mir geholfen haben, auf mich zu hören, meine Wünsche und Bedürfnisse zu verstehen und erste Schritte in die richtige Richtung zu machen.“ Jennie Appel empfiehlt die gute alte Pro-Kontra-Liste zum Abwägen, ob man den Schritt wagen möchte. Daneben rät sie zu einer klaren Auseinandersetzung mit den wichtigen Sachfragen, die vorab geklärt werden sollten: Wie sieht es mit der Rechtslage aus, mit Steuerfragen, Marketing- und Werbemaßnahmen und mit allem, was zu einer erfolgreichen Veränderung dazugehört? Appels Fazit: „Man sollte auf keinen Fall kopflos springen – aber springen sollte man!“

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Von der erfolgreichen Managerin zur leidenschaftlichen Verfechterin gesunder Ernährung

Christina Julius führte ein turbulentes, stressiges Leben: Die studierte Betriebswirtin arbeitete 15 Jahre lang als erfolgreiche Managerin. Sie wurde in Den Haag geboren, wuchs in der englischen Pampa auf und machte als Teenagerin Paris unsicher, bevor sie in München landete. Zuletzt arbeitete sie als Bereichsleiterin im internationalen Marketing eines großen amerikanischen Softwareunternehmens. „Meine Mitarbeiter waren über ganz Europa verteilt und ich musste viel reisen“, schreibt mir Julius aus Bali, wo sie zur Zeit Station macht und vegane Kochkurse gibt. Ihre Jivamukti-Yogapraxis in Kombination mit ihrem wachsenden Bewusstsein für ganzheitliche Gesundheit, ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit brachten den Stein ins Rollen. Daher widerstrebte es ihr auch, für ein Unternehmen zu arbeiten, in dem die Aktieninhaber ausschließlich an Renditen interessiert waren. „Abends und am Wochenende absolvierte ich die Heilpraktikerausbildung, sowie Abschlüsse in Homöopathie und Ernährungsberatung. Das war schwierig! Aber meine Leidenschaft für faires, nachhaltiges und gesundes Essen, meine regelmäßige Yogapraxis und eine gesunde Lebensweise gaben mir die Kraft dafür. Als ich irgendwann die Gelegenheit bekam, das Unternehmen zu verlassen, griff ich zu und stieg aus.“ „Vom Partygirl zur veganen Yogini“ – so beschreibt sie selbst ihren Lebenswandel.
Christina Julius ist Homöopathin, Ernährungsberaterin und Yogalehrerin. 

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Früher Wirtschaftsanwalt, heute Geschäftsführer einer Bio-Kosmetikmarke

Jörg von Kruse war Wirtschaftsanwalt in einer Berliner Kanzlei. Es ging ihm gut. Nur die Arbeitszeiten waren nicht so ganz nach seinem Geschmack. Meist saß er bis 20 Uhr in der Kanzlei. So verlangt es die verdrehte von KruseArbeitskultur der starken Männer. „Ich wollte einfach weniger arbeiten“, erzählt von Kruse. Zusammen mit einem Kollegen, der gleichzeitig sein bester Freund ist, reduzierte er zunächst die Wochenarbeitszeit. Von den übrigen Kollegen wurden sie deswegen schief angeschaut. Schließlich waren sie ja keine Mütter. Dann kam der gemeinsame Schritt in die Selbstständigkeit. Die Freunde hatten sich auf Unternehmen spezialisiert, die in der Krise steckten, und waren nun beratend für diese tätig. „Wir wollten aber ein Stück raus aus diesem geldorientierten Bereich. Und wir wollten nicht mehr nur den anderen sagen, wie man es besser machen kann, sondern selber mitmischen“, erklärt von Kruse. Langfristig hatten sich sein Geschäftspartner und er vorgenommen, im ethischen und ökologischen Sektor zu arbeiten. Wie es der Zufall wollte, war eines der letzten Beratungsmandate, das die beiden annahmen, eine Biokosmetik-Firma aus Berlin. Die Inhaberin war zu einer Zeit in das Geschäft gestartet, als man bei dem Begriff „Biokosmetik“ noch die Nase rümpfte. „Nach einem halben Jahr der Beratung gab es noch immer keine wirklich guten Lösungen. Gleichzeitig verstanden wir uns aber immer besser“, so von Kruse. Daher beschlossen sie, das Unternehmen zusammen weiterzuführen: die Inhaberin zusammen mit von Kruse und seinem Geschäftspartner. Sie beendeten die Beratungstätigkeit und stiegen in die Firma ein.
Jörg von Kruse ist teilhabender Geschäftsführer des Berliner Naturkosmetikunternehmens i&m.

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Von der Verwaltungsfachangestellten zur Schamanin

Irgendwann kommt ein Punkt, an dem das Herz und der Verstand im Gleichklang sind – und man springt. So wie Jennie Appel, die seit 2006 in ihrer eigener Praxis mit schamanischen Techniken, Bewusstseinstraining und als Jennie Appel Portrait 8576cutCoach arbeitet. Zuvor hatte sie zwölf Jahre lang in Frankfurt im Einwohnermeldeamt als Verwaltungsfachangestellte im öffentlichen Dienst gearbeitet. Ihr Vertrag war unbefristeten und Sorgen um den Arbeitsplatz schienen so fern wie es der Mars einmal war. Schon früh hatte sie sich mit spiritueller und energetischer Arbeit beschäftigt, die sie letzten Endes zum Schamanismus führte. Ursprünglich war die Beschäftigung mit dem Thema eine rein persönliche Angelegenheit. Appel wollte lernen, mit ihrer Hellsichtigkeit umzugehen, die ihr seit ihrer Kindheit Angst machte. „Ich wollte verstehen, was genau ich da ‚empfange‘ oder ‚kann‘ und lernen, damit umzugehen ohne krank zu werden“, erzählt Appel, denn damals war sie häufig körperlich und seelisch krank. Lange arbeitete sie in beiden Berufen gleichzeitig, als spirituelle Beraterin und als Verwaltungsfachangestellte. „2009 hatte ich dann eine sehr bewegende außerkörperliche Erfahrung, die mir den Weg aufzeigte.“ Zudem hatte sie sich verliebt und stand vor der Entscheidung: weiterhin eine zermürbende Fernbeziehung voller Sehnsucht und Abschieden oder ein gemeinsames Zuhause? Also kündigte sie, machte sich selbstständig und zog zu ihrem Partner.
Jennie Appel arbeitet seit 2006 in ihrer eigener Praxis mit schamanischen Techniken, Bewusstseinstraining und Coaching.

Wurzeln und Sprossen

Von der populären Wissenschaftlerin zur Aktivistin: Lange, bevor es gesellschaftlich hip wurde, engagierte sich die britische Forscherin und UN-Friedensbotschafterin Jane Goodall für den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur. Der Kino-Dokumentarfilm “Jane’s Journey” beleuchtet die innere Motivation der 80-jährigen Britin, die vor über 50 Jahren begann, in Tansania das Verhalten von Schimpansen zu erforschen und heute im Auftrag ihrer Bildungsinitiative „Roots & Shoots“ unermüdlich um die Welt reist.

Die Erkenntnis nennt sie heute „positiv schockierend“: Bald nach ihrer Ankunft im Gombe National Park/Tansania wurde Jane Goodall bewusst, wie sehr die Eigenschaften und Aktionen der Schimpansen denen der Menschen ähneln. Für die Wissenschaft waren ihre Thesen geradezu revolutionär – es war das Jahr 1960, und die 26-jährige Forscherin hatte noch nicht mal einen Studienabschluss. Ihr erster Beitrag für die Zeitschrift „Nature“ kam postwendend zurück, weil sie bei ihren beobachteten Affen von „er“ und „sie“, also von Individuen sprach. Als erste Wissenschaftlerin gab sie den Tieren in ihrem Forschungszentrum in Gombe keine Nummern, sondern Namen, wodurch viele konservative Kollegen ihre Objektivität bedroht sahen.

Aus dieser Haltung der Verbundenheit mit der Umwelt setzte Jane Goodall ihre Studien fort, promovierte 1965 in Cambridge und gründete 1977 das „Jane Goodall Institute For Wildlife Research, Education and Conservation“, eine mittlerweile globale Organisation. Ende der 80er Jahre gab sie ihre Forschungsarbeit auf, um sich ganz dem Umweltschutz zu widmen. Insbesondere ihr Programm „Roots & Shoots“ (dt. „Wurzeln und Sprossen“) gehört mit Aktivitäten in 120 Ländern zu den wichtigsten Jugendbildungsorganisationen weltweit. Die Frau hinter der globalen Vision und ihre Gründe, ihr Privatleben fast völlig aufzugeben und alle Energie radikal in den Dienst des Umweltschutzes zu stellen, zeigt der Dokumentarfilm “Jane’s Journey” des Münchner Filmemachers Lorenz Knauer. Der Film zeigt ihr Erfolgsgeheimnis, das sie in engen Kontakt mit Staatschefs und Prominenten wie Angelina Jolie gebracht hat: Ihr Ziel, weltweites Denken und Handeln nachhaltig zu verändern, führt über gegenseitigen Respekt – und das Herz, wie sie im Gespräch mit YOGA JOURNAL erklärt.

YOGA JOURNAL: Mrs. Goodall, mit Ihrer Arbeit für die Schimpansen im Gombe Nationalpark
in Tansania haben Sie als abenteuerlustige junge Frau für Aufsehen gesorgt und sind weltweit berühmt geworden. Welchen Stellenwert in Ihrer beeindruckenden Biografie geben Sie dieser Zeit heute?
JANE GOODALL: Sie hat meinen Lebenszweck bestimmt, mit Nachdruck auf die umfassende Verbindung von Menschen, Tieren, Pflanzen und der ganzen Erde hinzuweisen. Ihre Beweise, dass sich das Verhalten von Menschen und Schimpansen nicht gravierend unterscheidet, deckt sich mit der yogischen Idee von der tiefen Einheit aller Lebewesen. Allerdings nicht mit der wissenschaftlichen Vorstellung in den frühen 60er Jahren. 1960 und heute: Jane Goodall mit „ihren“ Schimpansen im Gombe Nationalpark, Tansania Die Art und Weise, wie meine damaligen Forschungsergebnisse vom damaligen akademischen Establishment aufgenommen wurden, hat mich entsetzt. Die westliche Wissenschaft hat den Menschen auf einen Sockel gestellt, bewusst eine Trennung vom Rest der Natur herbeigeführt und Tieren Bewusstsein, Gefühle und Seele abgesprochen. Noch heute kann ich mich darüber aufregen und warte auf den Beweis, dass Menschen überhaupt eine Seele haben Dennoch gibt es natürlich Unterschiede zwischen Menschen und Tieren. Ja, wir haben unseren Intellekt und eine ausgefeilte Sprache. Am wichtigsten ist aber der Unterschied, dass unser Verhalten einer Wahlfreiheit unterliegt. Das schafft eine immense Verantwortung, ändert aber nichts an der Tatsache, dass bespielsweise die Unterschiede zwischen der Menschen und Schimpansen-DNA bei nur etwa einem Prozent liegt. Menschen können von Schimpansen Bluttransfusionen bekommen. Wir sollten uns vor falscher Überlegenheit und Arroganz hüten.

In „Jane’s Journey“ bildet dieser Abschnitt Ihrer Biografie nur die Einleitung, der Fokus liegt eindeutig auf ihren heutigen Aktivitäten mit dem Jane Goodall Institute und der Organisation „Roots & Shoots“.
In meiner Biografie hat sich eine logische Kette ergeben: Um Affen zu retten, muss man den Wald retten. Um den Wald zu retten, muss man sich um die Menschen kümmern. Über die Jahre ist mein Ansatz immer ganzheitlicher geworden. Letztlich habe ich die wissenschaftliche Arbeit aufgegeben,um als Aktivistin tätig zu sein. In meinem „zweiten Leben“, wie ich es nenne, habe ich den geschützten akademischen Raum verlassen und gehe hinaus in die Welt. Es geht ganz einfach um die Zukunft unseres Planeten.

Woher nehmen Sie Ihre Energie, an über 300 Tagen im Jahr für Ihre Projekte unterwegs zu sein?
Die gleiche Energie hätte ich als 30-Jährige nicht gehabt. Wenn man älter wird, hat man schlicht und ergreifend weniger Zeit. Das lässt mich manchmal fast verzweifeln. Ich will meine verbleibende Lebenszeit mit etwas Wertvollem füllen. An Ruhestand denke ich nicht einmal: Den kann ich erst antreten, wenn die Welt gerettet ist. (lacht leise)

Unterstützen Sie Ihre Vision mit einer bestimmten spirituellen Praxis?
Ich habe meine individuelle Form von Meditation, die ich komplett aus der Kraft der Natur beziehe. Wenn ich allein durch den Wald gehe, gibt mir allein dieser Ort spirituelle Energie. Und obwohl ich eigentlich keine religiöse Person bin, erinnere ich mich oft eine Weisheit meiner Großmutter, die mit einem Geistlichen verheiratet war: „Jeder Tag schenkt dir die Kraft, durch den Tag zu gehen. Morgen ist ein neuer Tag, und die Nacht dazwischen gehört dir allein.“

In der Yoga-Community gibt es das intensive Bestreben, den individuellen Effekt der Praxis in die Tat umzusetzen: „Off The Mat Into The World“ ist der Name einer bekannten Initiative, die Yogis mit Wunsch nach gesellschaftlichem Engagement unterstützt. Was raten Sie Menschen, die sich für die Umwelt engagieren wollen, aber durch ihren Idealismus nicht ausbrennen wollen?
Um Menschen zu aktivieren, sollte man nicht den Intellekt, sondern Emotionen ansprechen, Erfahrung erzeugen. Wenn ich vor internationalen Versammlungen wie den United Nations spreche, komme ich oft nach zahllosen Powerpoint-Präsentation von Wissenschaftlern und Managern an die Reihe. Ich hingegen erzähle eher von meinen persönlichen Begegnungen mit Kindern im „Roots & Shoots“-Programm, die mir Fragen stellen wie: „Warum steht es so schlecht um unsere Erde?“ oder „Warum ist sie so zerstört worden?“

Geht es vor allem um Authentizität?
Ich verfahre nach dem Eskimo-Prinzip: Bring das Eis um die Dinge zum Schmelzen. Ich möchte die Herzen der Menschen öffnen, erzählen, was sie konkret tun können, informieren und keinen Pessimismus verbreiten. Ich möchte sie anregen, sich über die kleinen Entscheidungen des Alltags klar zu werden: Woher kommen die Produkte, die wir kaufen, was hat ihre Produktion bewirkt, wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um… Das Stärken der eigenen Verantwortung. Nur aus verändertem Bewusstsein kommt echter Wandel. Wir alle haben riesigen Einfluss auf unseren Planeten und damit positive Macht. Viele Menschen kommen nach einem Vortrag auf mich zu und sagen mir: Ich bin ja viel wichtiger, als ich jemals gedacht habe. Im Westen entsteht Aktivismus eindeutig vor einem Hintergrund des Wohlstands.

Sie fördern das Engagement aber auch in den sogenannten Entwicklungsländern. Wo liegen hier kulturelle Unterschiede?
Im Westen entsteht der Wunsch zu helfen oft aus einer Grundmotivation von Schuld: Ich besitze so viel, und diese Menschen so wenig… Wenn man weniger wohlhabende Menschen über mögliches Engagement aufklärt, muss man sich intensiv und sensibel mit ihren Lebensumständen auseinandersetzen.

Welche Rolle spielt Vegetarismus in ihrem Leben?
Eine sehr wichtige. Ich selbst bin seit Jahrzehnten Vegetarierin, aber erst, als ich Peter Singers Buch „Animal Liberation: Die Befreiung der Tiere“ gelesen habe, wurde mir die globale Auswirkung maßlosen Fleischkonsums bewusst. Fleisch auf dem Teller repräsentiert Angst, Schmerz, Tod – und unglaubliche Klimabelastung.

Wie fließt diese Haltung in Ihre Projekte ein? Ich erinnere mich an eine Szene aus „Jane’s Journey“, in der Ihr „Chicken Project“ in Tansania vorgestellt wird.
Dieses Projekt hat zum Ziel, die ausufernde Wilderei in den Urwäldern einzudämmen. Frisches Gemüse ist dort Mangelware, deshalb versorgen wir die Bevölkerung für Ihre Ernährung mit freilaufend gezüchteten, gesunden Hühnern.

Ein Widerspruch?
Ich stelle mich nicht vor diese Menschen und befehle Ihnen, ab sofort Vegetarier zu werden. Man muss realistisch bleiben und einen Weg der kleinen Schritte einschlagen. Alles andere wäre engstirnig. Wenn wir uns fragen, was wir für andere tun können, sollten wir bei uns selbst anfangen. Auf keinen Fall wütend werden und nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Aus dem Herzen handeln. Alles andere funktioniert nicht.

 

Meditation – Über die Grundtechnik hinaus

Sobald Sie mit Ihrer Grundtechnik vertraut sind, stehen Ihnen viele kontemplative Techniken zur Verfügung, die jeder Meditierende kennen sollte.

Jede richtet sich an eine unserer grundlegenden Unausgeglichenheiten. Genauso, wie Sie einige Zeit mit Ihrer Grundtechnik arbeiten, um zu sehen, ob sie „passt“, sollten Sie jede dieser Kontemplationen je einen Monat lang mehrmals pro Woche üben, bis sie sich Ihnen öffnet. Je erfahrener Sie bei der Erforschung Ihrer inneren Landschaft werden, desto besser werden Sie wissen, welche dieser Techniken Ihnen in der jeweiligen Situation hilft; welche Sie aus einer Sackgasse herausholt, Ihr Herz öffnet oder Ihnen dabei hilft, sich wieder „ganz“ zu fühlen. Hier stellen wir Ihnen einige dieser Techniken vor.

Liebe-und-Güte-Meditation (metta)
Bei der Metta-Meditation bewegen Sie sich durch mehrere Stufen eines Wunsches, mit dem Sie sich selbst, einem geliebten Menschen, einer unbekannten Person, einem Feind und der ganzen Welt Glück, Gesundheit und Freiheit wünschen.

Nehmen-und-Geben-Meditation (tonglen)
Bei der Tonglen-Meditation atmen Sie ein bedrückendes Gefühl oder irgendeine Art von Leid ein, dann atmen Sie Glück, Frieden und Heilung aus – an sich selbst, an eine Person, die Sie kennen, an eine Gruppe von Menschen irgendwo auf der Welt und letztendlich an alle Wesen gerichtet. Eine Wirkung dieser Technik ist die Feststellung, dass Ihre Emotionen nicht nur persönlich sind. Sie werden spüren, dass jedes Gefühl oder physische Leid universell ist, und Sie werden anfangen, mehr Nähe, Mitgefühl und Verbundenheit mit anderen Wesen zu empfinden.

Erdende Meditation
Bei dieser Art der Meditation verwurzeln Sie zum Beispiel die Füße im Boden, als ob Saugnäpfe darunter befestigt wären, oder Sie stellen sich ein Energieband vor, das Ihren unteren Rücken mit dem Zentrum der Erde verbindet. Erdende Techniken gibt es in vielen Traditionen, darunter auch welche, die aus der Kampfkunst stammen, wie beim Tai Chi und Qi Gong.

Chakra-Meditation
Eine wirkungsvolle Chakra-Meditation verbindet Sie mit den Energiezentren, die sich vom unteren Ende der Wirbelsäule bis zur Krone des Kopfes erstrecken. Stellen Sie sich vor, dass die Energie in Form von Licht durch die Mitte Ihres Körpers nach oben strömt und alle sieben Chakren bis zur Krone des Kopfes verbindet. Wenn die Energie die Krone des Kopfes erreicht hat, stellen Sie sich vor, dass ein Wasserfall aus Licht sich aus Ihrem Kopf über Ihren Körper ergießt.

Es gibt (nicht) viel zu sagen

Sagen Sie, was Sie wollen – aber werden Sie sich Ihrer Sprache bewusst! Damit der Sinn der Worte wieder mit Inhalt gefüllt wird.

Jede Szene hat ihren eigenen, ganz speziellen Stallgeruch: Wir erkennen einander am Benehmen, am Aussehen, an unseren Gewohnheiten, an der Weltsicht… und natürlich an der Sprache. Aus der jeweiligen gemeinsamen Ausdrucksweise wird schnell ein typischer Jargon, ein Sprachstil oder philosophisch gesprochen, ein Sprachspiel.

So gibt es einen „Sound“ der Yogaszene genauso wie es eine psychologische oder eine pastorale Rhetorik gibt, die man sofort erkennt. Diese Sprachspiele sind aber nicht nur charakteristisch für die jeweilige Szene, sie stecken auch die Grenzen unserer Welt ab und schränken uns ein, weil sie uns in gewisser Weise auf ein bestimmtes Denken festlegen. Die Pointe dabei ist jedoch, dass uns genau diese Festlegung und Einschränkung größtenteils nicht bewusst wird – wir gehen in unserer Sprache auf, wir sind in ihr sozialisiert, wir reflektieren nicht ständig darüber, ob die Worte, die wir benutzen, passen, oder ob wir sie immer verstehen. Die Bedeutung bestimmter Begriffe scheint dabei im Laufe der Zeit an Gewicht zu verlieren; durch den inflationären und oft unüberlegten Gebrauch können manche Worte im schlimmsten Fall sogar inhaltsleer werden. Wenn es um Yoga geht, würde ich Worte wie „Loslassen“, „Hingabe“ oder auch „Karma“ zu dieser Kategorie zählen wollen – vor allem, wenn Sätze wie zum Beispiel „Lass einfach los“, „Gib dich hin“ oder „Das ist dein Karma“ phrasenhaft bis betulich daherkommen. Weiß man wirklich, was damit gemeint ist? Es besteht die Gefahr, dass es von hier aus flugs Richtung esoterisches Kauderwelsch geht – wir kennen es aus floskelhafter Erbauungsliteratur oder bekommen es zu hören, wenn der Yogalehrer mal wieder „predigt“. Im besten Fall erzeugt dieses Geschwurbel einen warmen Nachklang, der uns irgendwie umsorgt und uns in unserem Weltbild bestätigt. Verständlicher werden die Dinge durch das ewige Wiederholen verstiegener und aufgeladener Begriffe allerdings nicht: Es fehlt nicht nur das Neue, Originelle und Überraschende, sondern meist auch ein Erkenntnisfortschritt.

Der deutsche Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889–1951) meint dagegen: Alles was gesagt werden kann, kann klar gesagt werden. Das heißt im Umkehrschluss: Die übertriebene Verklausulierung der Sprache (der „Eso-Talk“) zeigt deutlich, dass der Gedanke dahinter nicht klar ist. Eine „Fachsprache“ wie die des Yoga muss übersetzbar bleiben in die allgemein verständliche Umgangssprache. Wollten wir jemandem den Begriff „Hingabe“ erklären, müssten wir das in umgangssprachlichen Ausdrücken tun, sonst werden wir nicht verstanden. Ist das nicht (mehr) möglich, befindet sich der Sprecher auf dem Holzweg – oder auf einem Terrain, über das nichts gesagt werden kann. Wittgenstein sagt ganz grundsätzlich, dass es die Aufgabe der Philosophie sei, philosophische Sätze zu klären und nicht weitere (unverständliche) philosophische Sätze zu produzieren. Die von Wittgenstein maßgeblich beeinflusste „ordinary language philosophy“, eine Philosophie, die sich der Alltagssprache bedient, fragt: Wie werden Wörter tatsächlich in der Umgangssprache verwendet? Erst und nur dadurch verstehen wir ihre Bedeutung. Die Probe für die Verständlichkeit von Sprache liefert die Formel: „Einen Satz zu verstehen, heißt zu wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist.“ Aber kennen wir überhaupt eine Methode, mit der wir überprüfen können, ob das Gesagte wahr ist? Wenn etwa gesagt wird, „Draußen regnet es“, dann weiß ich genau, was zu tun ist: Ich schaue aus dem Fenster oder trete kurz vor die Tür. Bei einer Bemerkung wie: „Das ist dein Karma“ dagegen weiß ich ganz und gar nicht, was ich tun könnte, um das zu überprüfen. Dafür fehlt mir der Durchblick. Wittgenstein fordert daher: „Denk nicht, sondern schau“. Aus dieser Forderung ergeben sich folgende Frage: Woher weiß ich etwas? Was bedeutet das Gesagte genau? Gibt es eine Methode, es zu überprüfen?

All das trifft genau die Auffassung von Yoga als einer praktischen Lebensphilosophie, die auf Erfahrung gründet, auf sie aufbaut und setzt. Der wilden Spekulation setzt Yoga das Ausprobieren, das bewusste Hinschauen, die konkrete Erfahrung entgegen: Wie geht es in der Welt zu? Für all das, was wir nicht sehen oder fühlen und auch nicht beschreiben können, empfiehlt Wittgenstein am Ende seiner berühmten Abhandlung „Tractatus Logico- Philosophicus“: Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen. Oder in anderen Worten, auf unser yogisches Sprachspiel bezogen: Statt nur über Spiritualität zu reden, sollten wir vielleicht lieber einmal wieder still werden, uns hinsetzen und meditieren.