Inspiration: So gestalten bekannte Yogis ihren Hausaltar

Heimaltar DIY
Heimaltar DIY

Ein liebevoll eingerichteter Hausaltar ist ein Ort der Dankbarkeit und Inspiration, an dem du das ehren kannst, was du wertschätzt und was du in dir selbst stärken möchtest. Du hast selbst noch keinen Altar zu Hause? Dann lass dich von diesen Yogi*nis inspirieren …

Text: Lauren Ladoceour und Christina Raftery / Titelbild: Em ♡ via Unsplash

Der Hausaltar von Sean Johnson

Sean Johnson Hausaltar Yogaworld
Foto: Farah Gotkurk

Jeden Morgen sitzt Sean Johnson vor seinem Altar. Er ist Yogalehrer und Gründer der “Sean Johnson and the Wild Lotus Band”. Dort singt er, meditiert und bringt sich wieder ins Gleichgewicht. Johnson platzierte seinen Altar in einem Kamin im Wohnzimmer seines Hauses. Zusammen mit seiner Partnerin Farah lebt er in New Orleans. Der Ort des Altars, ist symbolisch wie die Gegenstände, die er dort aufgestellt hat. “Genau wie ein Kamin ist der Altar eine Feuerstelle für mich. Diesen Ort suche ich auf, wenn ich meine Seele und meine Verbindung zu den wichtigen und inspirierenden Dingen des Lebens neu entfachen will.”

Auf Johnsons Hausaltar stehen Gottheiten, die Eigenschaften symbolisieren, mit denen er in Verbindung treten möchte. “Ich habe einen Buddha mit dickem Bauch dort stehen, der mich daran erinnert, dass hinter jedem Schmerz Freude und Süße ist”, erklärt der Musiker. “Ich singe zu Saraswati, der Göttin der Künste, um mich zu inspirieren. Und ich habe immer das Bild einer Lotusblüte auf meinem Altar. Sie erinnert mich daran, dass sogar in dunklen Zeiten etwas Schönes entsteht.”

  • Spiegel: Er erinnert mich daran, dass mein Altar eine Reflektion dessen ist, was bereits in mir vorhanden ist.
  • JA-Karte: Die Karte habe ich von meinen Eltern bekommen. Sie ist aus ihrer Hochzeitseinladung ausgeschnitten und erinnert mich daran, immer wieder “Ja” zum Leben zu sagen.
  • Kindheitsfotos: Sie erinnern mich daran, spielerisch zu bleiben und meine Eltern wertzuschätzen.
  • Gottheiten: Hanuman erinnert mich daran, ein guter Freund und Diener der Liebe zu sein. Shiva erinnert mich daran, mit den Rätseln des Lebens zu tanzen, anstatt mich gegen sie wehren zu wollen oder mich von unerwarteten Ereignissen lähmen zu lassen.
  • Mardi-Gras-Perlen: Ich habe sie zusätzlich zu der traditionellen Mala auf meinem Altar. Sie symbolisieren meine Verbindung zu New Orleans und erinnern mich daran, das Fest als Freude zu betrachten.

Der Hausaltar von Andrea Qbi Kubasch und Dirk Bennewitz

Andrea und Dirks Hausaltar Yogaworld
Foto: Martin Morris

Auch Andrea Qbi Kubasch und Dirk Bennewitz, Gründer von Power Yoga Germany in Hamburg, haben ihren Altar im Wohnzimmer errichtet, dem Ort, an dem sie zur Ruhe kommen und sich energetisch wieder aufladen. “Hier arbeiten wir nicht, sondern versuchen ausschließlich Regeneration und Entspannung stattfinden zu lassen”, berichtet Qbi. Dirk hat bereits seit Kindestagen einen Altar. In seiner Familie war Spiritualität ein vollkommen normaler Gedanke. Die ganze Familie hat sich in der Kampfkunst Aikido geübt, bei der es, wie im Yoga, um die Harmonisierung von Energien, um Frieden und Einheit geht. Sein Vater Gerd war einer der ersten, der diese Kampfkunst in den 1960ern in Deutschland bekannt machte und seitdem höchste Leistungsgrade erreichte.

In japanischen Dojos (vergleichbar mit Shala) ist es Tradition, einen “Kamiza” (Schrein/Altar) zu haben. Dieser Altar macht aus einem gewöhnlichen Raum einen besonderen, der den Übenden als Ort der eigenen Vervollkommnung dient. Beim Betreten und Verlassen des Raumes wird sich kurz in seine Richtung verneigt. “Das ist übrigens auch bei den Schülern in unseren Yogastudios üblich”, erzählt Dirk Bennewitz. Vor ihrem Hausaltar üben sich Qbi und Dirk in verschiedenen Meditationsformen: “Er dient als Ort innerer Einkehr und Erinnerung daran, was wir bereits erreicht haben, an welchen faszinierenden Orten wir waren und wo wir stolz auf die eigene Disziplin gewesen sind. Diese Gedanken kommen dann wieder zurück in unser Bewusstsein und geben uns neue innere Kraft.”

  • Im Zentrum die Götterfigur Ganesha: Er erinnert uns an daran, dass der “Setzer” und der “Beseitiger” von Hindernissen in einem Charakter zusammengefasst sind, wie zwei Seiten einer Medaille. Wir sind für Ganeshas Kraft sehr dankbar, denn wir lernen viel durch sie. Außerdem finden wir Ganesha höchst sympathisch, da er auch als verspielt, gütig und clever gilt und genauso gerne Süßes mag wie wir.
  • Schwert: Das Schwert ist das Symbol der Samurai, die gefürchtete Krieger, aber auch begnadete Künstler waren. Jeder Samurai musste sich auch in einer der “schönen Künste” üben. Es repräsentiert die innere Disziplin und Hingabe an die Sache (das Leben). Im Yoga am ehesten mit “Tapas” zu vergleichen.
  • Boxhandschuhe: Sie liegen dort für das Vertrauen in die eigene Kraft, die aus stetiger Übung erwächst.
  • Die grüne Tara: Sie ist die mitfühlende Weise, die Wünsche erfüllen kann. Gleichzeitig beschützt sie vor Gefahren, sie wacht über unseren Altar. Wir haben sie von einem Mönch während unserer Bhutanreise geschenkt bekommen.
  • Die Muscheln und der Stein: Das sind Gegenstände vom Ostseestrand in der Lübecker Bucht. Wir sind beide Lübecker und haben dort die ersten 20 Jahre unseres Lebens verbracht. Die Ostsee symbolisiert für uns gleichzeitig Heimat sowie Rückzugs- und Kraftort.

Der Hausaltar von MC Yogi

MC Yogis Hausaltar Yogaworld
Foto: Amanda Giacomini

Wenn er zuhause in Nordkalifornien ist, verbringt Yogalehrer und Musiker MC Yogi (alias Nicholas Giacomini) den Morgen vor seinem Altar, wo er 10 bis 30 Minuten meditiert. “Das bereitet meinen Geist auf den Tag vor. Es ist nur eine Ecke in meinem Haus, aber die Luft fühlt sich dort ein wenig anders an”, erzählt der für seine poetischen Rap-Songs bekannte Künstler. Außerdem ist sein Zuhause mit zahlreichen Altären gefüllt. Diese Orte sind mit vielen Bildern und Objekten bestückt, die eine besondere Bedeutung für ihn haben. Andenken an seine Reisen, Portraits von Engeln und Gottheiten, Gemälde seiner Frau Amanda Giacomini und ein Foto seines geretteten Hundes Mo.

“Wir haben in Indien einen heiligen Berg besucht. Er unterscheidet sich äußerlich nicht von den anderen Bergen. Aber da die Menschen ihm Liebe widmen, strahlt er Energie aus. Altäre sind genauso: Sie sind ein Weg, um Hingabe auszudrücken, und vor allem sind sie eine Reflexion des eigenen Inneren.”

  • Lichter: Sie stehen für die Energie und Liebe, die ich empfinde. Wenn man etwas erhellt und beleuchtet, gibt man ihm liebe.
  • Inspirierende Portraits: Wenn ich das Bild von Gandhi betrachte, löst es etwas in mir aus und erinnert mich daran, in das Erlebnis von Yoga einzutauchen.
  • Frische Blumen: Diese wiederum sind eine Gabe der Liebe an die Liebe, der Schönheit an die Schönheit.
  • Fotos von lieben Menschen: Die Pflegemutter meines Freundes Reggie hat mir ein Foto von ihm gegeben. Sie bat mich, für ihn zu beten, nachdem er ins Jugendgefängnis musste.

Der Hausaltar von Satyaa und Pari

Satyaas und Paris Hausaltar
Foto: Stefan Auth

Bereits der Ort, an dem sie sich kennenlernten, ist Satyaa und Pari heilig. Nachdem beide einige Jahre lang bei Osho ihre spirituelle Essenz erkundeten, lebten die beiden im nordindischen Lucknow. Dort lernten sie als Schüler von HWL Poonja. Hierbei lebten sie nicht nur ihre Begeisterung für Musik und Tanz, sondern auch als Bhaktas in Hingabe an die universelle Einheit. Den Geist dieses heiligen Ortes hat das Kirtan-Duo, das mittlerweile mühelos große Konzerthallen mit Energie füllt, auch in ihr Haus in München übertragen. Dort befindet sich in jedem Raum ein Hausaltar: “Das alltägliche Leben ist auch das einzige heilige Leben”, lautet Satyaas und Paris Überzeugung.

  • Im Zentrum die Götterfigur Saraswati: Diese Figur haben wir aus Rishikesh mitgebracht. Als Göttin der Künste, der Weisheit und der Intuition steht Saraswati für alles, was uns für unsere Musik und unser Leben inspiriert.
  • Bilder von Papaji: Diese aufnahmen unseres Gurus bedeuten uns viel, weil sie ihn in Alltagssituationen zeigen. Das Foto, auf dem er in seinem Ganesha-Shirt ruht, lieben wir sehr. Als wir 1995 sagte er uns: “Ihr gehört nicht einander. Ihr gehört der Liebe.”
  • Oshos Buch “The True Name”: Ohne unsere Begegnung mit Osho, von dem wir viele Jahre unmittelbar lernen konnten, wären wir heute nicht da, wo wir sind.
  • Foto von Anandamayi Ma: Vor allem eine Inspiration für Satyaa: “Wenn ich auf das Bild dieser indischen Heiligen blicke, fühle ich eine tiefe Verbindung.”

Inspiriert? Hier findest du einige Tipps, wie du dir deinen eigenen Hausaltar einrichtest:

Win Silvester: Coaching mittels Yoga und Ayurveda

Coaching boomt als praktische Lebenshilfe. Win Silvester arbeitet als Coach an der Europäischen Akademie für Ayurveda und hält Vorträge, in denen er den Menschen seine Arbeit nahebringt. Im Interview mit YOGA JOURNAL erklärt er, weshalb Coaching immer beliebter wird und wie man damit sein eigenes Potential erkennen und umsetzen kann.

YOGA JOURNAL: Coaching hat in den letzten Jahren einen starken Zuwachs erfahren. Wie erklärst du dir das?
WIN SILVESTER: Die Nachfage nach Coaching wächst, weil die Menschen durch weniger Spiritualität weniger Halt in ihrem Leben haben. Sie merken, dass es mehr gibt als Arbeit und Familie, ihnen fehlt ein tieferer Sinn. Außerdem sind die gesellschaftlichen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf die Arbeitswelt derart bedrohlich, dass Menschen Hilfe brauchen und danach suchen. Früher hat man eine Ausbildung absolviert, in einer Firma angefangen und wusste, dass man dort für die nächsten dreißig Jahre sein wird. Heute bekommt man erst einmal ein Praktikum – und dann noch ein Praktikum. Danach vielleicht einen Dreimonatsvertrag oder sogar einen Jahresvertrag. Man weiß nie, wo man in zwei Jahren stehen wird – egal wie gut man ist oder was man studiert hat. Dieses unsichere Gefühl steigert den Bedarf nach Führung, Orientierung und Hilfe. Dabei ist Coaching ein relativ neuer Begriff – aber Yoga und Ayurveda sind auch Coaching. Bei beidem geht darum, sich selbst besser kennen zu lernen und mit sich selbst, der Welt und dem Umfeld in Einklang zu sein.

Wie bearbeitest du bestimmte Themen deiner Klienten beim Coaching?
Ich habe Ausbildungen in Gesprächs- und Gestalttherapie absolviert. Beide Ansätze gehen davon aus, dass die Lösungen und Antworten für die Probleme im Klienten selbst liegen, er die Antwort eigentlich schon weiß, sich dessen aber noch nicht bewusst ist. Der Klient erzählt, wie er sich fühlt und was er mit seinem Körper wahrnimmt. Indem ich nachfrage, ob ich sein Erzähltes richtig verstanden habe, bekommt der Klient schnell selbst ein Bewusstsein für seinen Zustand. Diese Form der Therapie ist also wenig invasiv. Sich selbst herauszunehmen, ist sowohl das Schönste als auch das Schwerste. Den anderen sich selbst heilen zu lassen, ist für mich jedoch die schönste Methode.

Was rätst du jemandem, der bereits eine Coaching-Ausbildung hat und zusätzlich Yoga und Ayurveda in seine Arbeit integrieren möchte?
Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder arbeitet man mit einem Yogalehrer zusammen oder man lässt sich selbst dazu ausbilden. Yoga wirkt auf subtiler Ebene – schon wenn man nur Asanas und Pranayama übt, verändert das den Geist. Als Coach muss man darüber Bescheid wissen, was sich verändert, damit man authentisch behandeln kann. An der Europäischen Akademie für Ayurveda gibt es seit einigen Jahren die Ausbildung zum Psychologischen Ayurveda-Berater. Man bekommt bestimmte Coaching-Techniken vermittelt und das Ganze basiert auf dem Ayurveda-Konzept. Ich persönlich arbeite gerne mit Spezialisten im Team zusammen: Ich habe gute Kollegen für verschiedene Bereiche und erarbeite ein Konzept, bei dem sich drei bis vier Leute um einen Menschen kümmern. Das ist fair und ehrlich dem Klienten gegenüber. Ich habe durch meine verschiedenen Ausbildungen gelernt, die Grenzen jedes Wissenssystems zu erkennen – vor allem die meines eigenen Geistes. Ich kann einfach nicht alles überblicken und sehe die Dinge immer durch meine „Brille“.

Was würdest du Ayurveda-Therapeuten oder Yogalehrern empfehlen, die coachen möchten?
Yoga und Ayurveda an sich beinhalten bereits zahlreiche Möglichkeiten für Coaching. Die meisten Ausbildungen zum Yogalehrer, Ayurveda-Therapeuten oder Ernährungs- und Gesundheitsberater gehen auf die Aspekte der Begleitung, des Coachings und der Persönlichkeitsentwicklung ein. Auch bei Fortbildungen finde ich es sinnvoll, weiter in eine Richtung zu gehen, die vom Konzept her zu Yoga und Ayurveda passt.

Win Silvester arbeitet als Coach, Personal- und Fitnesstrainer. 

Im Einklang mit der Gesellschaft

Blume Nägel Mohn Gesellschaft
Foto von Kristina Nor von Pexels

Wenn wir eine bessere Welt wollen – hilft es dann, gegen die bestehende zu kämpfen? Wenn wir die Gesellschaft, in der wir leben, ablehnen, sind wir noch nicht so weit, wirklichen Frieden zu bringen.

In den vergangenen Monaten habe ich in meinem Bekanntenkreis häufig folgenden Satz gehört: „Wir sind auf dem Weg in eine neue Gemeinschaft der Liebe und der Freiheit.“ Was mich daran stutzig macht, ist, dass diese Worte oft als Begründung benutzt werden, um sich sowohl von traditionellen als auch modernen Schemata wie der Ehe oder den Grundgesetzen zu verabschieden. Manche dieser Menschen sehen sich als „spirituelle Krieger“. Ich habe da so meine Zweifel…

In den alten indischen Schriften wird beschrieben, dass sich Vishnu immer wieder hier auf Erden inkarniert, wenn es ihm bei uns zu bunt wird: „Immer wenn die Rechtschaffenheit verfällt, Oh Arjuna, und das Unrecht wächst, manifestiere ich mich.“ (Bhagavad Gita, 4.7.) Das tut er in verschiedenen Formen. Mal ist er halb Mensch, mal halb Löwe, mal kommt er als Prinz Rama, um den Dämon Ravana in seine Schranken zu weisen. In einer seiner berühmtesten Inkarnationen – als Krishna – ist er nicht nur ein großartiger Flötenspieler und Lehrer, sondern auch ein ambitionierter Politiker.

Als seine Heimat Mathura angegriffen wurde, zog Krishna nicht in die Schlacht. Stattdessen wanderte er mit seinem Stamm der Yadavas nach Westen, um die Menschen zu beschützen. Er suchte nach einem Platz für den perfekten Staat, in dem es keine Kriege mehr geben sollte – und er fand ihn an der Küste. Es war ein Ort, wo Magnolien blühten und sich der Duft von Eisenhölzern (aus denen die Nag-Champa-Räucherstäbchen gemacht werden) mit dem Geruch von frischen Früchten und Kokosnüssen vermischte. Alles war paradiesisch und Krishna wartete nur noch auf einen astrologisch günstigen Tag, um die neue Stadt Dvaraka zu gründen. Es hätte so schön sein können.

Aber wie uns der altindische Epos Mahabharata in achtzehn Bänden überliefert, kam es plötzlich zu Geschwisterstreitigkeiten, die in einen schrecklichen Krieg zwischen den Pandavas und den Kauravas mündeten. Krishna beteiligte sich als Wagenlenker an den Kämpfen. Dabei wollten doch alle nur Frieden. Wie kann es trotz hehrer Beweggründe immer wieder zum Streit kommen? Es lohnt sich, die Motive, die uns zum Handeln bewegen, genauer zu betrachten.

Ein „spirituelle Krieger“ geht davon aus, dass er nur das Beste für alle will und sein Denken die ganze Welt einschließt. Deshalb singen wir „Lokah Samastah Sukhino Bhavantu“ – „Mögen alle Lebewesen glücklich und frei sein“. Aber meinen wir wirklich immer alle Wesen? Oder meinen wir nicht manchmal vor allem uns selbst? Als in den 1960er-Jahren viele Menschen gegen den Vietnamkrieg protestierten, beriefen sich alle darauf, dass Krieg unmoralisch sei. Als Motive der Protestierenden genauer untersucht wurden, zeigte sich, dass tatsächlich viele von ihnen weltzentrisch dachten. Genau so viele Demonstranten waren aber darunter, deren Beweggründe schlicht egozentrisch waren: „Mir sagt keiner, was ich zu tun habe“. Unter dem Deckmantel des post-konventionellen Denkens blühte also das kindliche Ego-Schema. Ken Wilber nennt das die „Prä-/Trans-Verwechslung“. Und die erwischt viele Yogis auch während der Meditation. Wir denken, wir hätten transpersonale Erfahrungen, während wir in Wirklichkeit „nur“ ein kindliches Einheitsgefühl erleben.

Wenn sich ein „spiritueller“ Mensch von der Gesellschaft unverstanden denkt (hier darf nicht „fühlt“ stehen, denn das Wort „unverstanden“ ist an sich schon eine Interpretation), dann befindet er sich im Widerstand, egal wie sehr er betont, dass er „voller Liebe“ sei. Durch dieses Denken schließt er nämlich viele andere aus. Die Lösung wäre vielleicht, das, was uns stört, einzubeziehen in eine Vision von einer anderen (größeren, aber nicht besseren) Welt.

Wenn die Geschichte wahr ist, dann hatte Krishna damals keine Chance. Fünfhundert Jahre vor Christi Geburt war das postkonventionelle Denken noch nicht sehr weit verbreitet. So ließ er seinen perfekten Staat dann auch nach seinem Tod untergehen. Heute sind wir ein bisschen weiter. Wir haben nicht nur gelernt, uns von alten Werten und Leistungszwängen zu lösen; wir können sie auch in unser Leben integrieren, wenn es sinnvoll ist. Es ist gut, wenn wir uns politisch engagieren. Es ist gut, wenn wir uns spirituell engagieren. Wichtig ist nur, dass wir genau hinschauen, warum wir das tun. Wenn Sie jemand dazu aufruft, gegen etwas – ganz egal, was es ist – zu sein, schauen Sie erst einmal ganz genau, wie sich das für Sie anfühlt.

Ayurvedische Einschlafhilfen

Finden Sie zuerst heraus, unter welcher Art von Schlafproblem Sie leiden, und behandeln Sie es dann mit Methoden, die auf Ihr individuelles Ungleichgewicht zugeschnitten sind.
Foto: über Kamalaya Resort

Pitta
Wenn Sie wegen eines Überschusses an Pitta an Schlaflosigkeit leiden, können Sie entweder nicht einschlafen oder Sie wachen vor 2 uhr morgens auf und schlafen nicht wieder ein. John Douillard empfiehlt in diesem Fall, vor dem Zubettgehen eine Tasse Brahmi-Tee oder warme Mandelmilch zu trinken, wie es auch für Vata-Typen empfohlen wird. Auch ein Versuch mit Aromatherapie ist vielversprechend: geben Sie einige Tropfen Sandelholz, Majoran oder Öl aus Benzoebaum-Harz (riecht nach Vanille) in Ihr Badewasser. Sie können auch Ihren Kopf und die Fußsohlen mit warmem Ghee (geklärter Butter) massieren. Danach atmen Sie 5 Minuten lang Ujjayi (dabei verengen Sie Ihre Kehle und atmen hörbar durch die Nase). Im Anschluss meditieren Sie 1 bis 2 Minuten lang.

Kapha
Nach John Douillards Ansicht ist Schlaflosigkeit durch zu viel Kapha eher selten, aber wenn Sie früh ins Bett gehen und vor 21 Uhr wieder aufwachen, bereiten Sie sich eine Tasse Tee zu: Dazu mischen Sie einen Teelöffel Brahmi mit Honig, rühren alles in eine Tasse heißes Wasser und trinken es. Für eine Kopf- und Fußmassage verwenden Sie Olivenöl, Oliven- Senf-Öl oder Sesamöl; Auch reines Senföl eignet sich. Aromatherapie hat bei Kapha-Typen eine starke Wirkung: Geben Sie eine Mischung aus ätherischem Majoran-, Weihrauch-, Rosen- und Ylang-Ylang-Öl ins Badewasser. Direkt vor dem Zubettgehen üben Sie volle 2 Minuten Bhastrika (Blasebalgatmung, siehe Vata), gefolgt von einer einminütigen Meditation.

Vata
Die häufigste Form der Schlaflosigkeit wird durch ein Vata-Ungleichgewicht ausgelöst: Sie wachen mitten in der Nacht auf (nach 2 Uhr morgens) und können nicht mehr einschlafen. Um dem zu entgegen zu wirken, reiben Sie Kopf und Füße mit warmem Sesamöl ein, bevor Sie ins Bett gehen. Oder Sie nehmen ein Aromabad mit Fenchel-, Orangen- und Tulsi-Öl. Auch ein Tee aus Brahmi, einem ayurvedischen Gewürz, das als nervenberuhigend gilt, kann Wunder wirken. Allternativ versuchen Sie es mit heißer Mandelmilch, in die Sie beliebig viele der folgenden Zutaten geben: gehackte Datteln, Kokosflocken, Kardamom, Ingwer und Honig.

Der Ayurveda-Arzt John Douillard empfiehlt Atemübungen und eine kurze Meditation vor dem Zubettgehen. Probieren Sie es 5 Minuten lang mit der kühlenden Mondatmung Chandra Bhedana: atmen Sie durch das linke Nasenloch ein und durch das rechte wieder aus, wobei Sie jeweils das andere Nasenloch mit der Hand verschließen. Danach folgen 30 Sekunden Bhastrika (Blasebalgatmung): atmen Sie tief und kräftig wie ein Blasebalg durch die Nase und nutzen Sie dabei Ihr volle Lungenvolumen. Danach meditieren Sie 1 Minute lang. Wiederholen Sie das, bis sich Ihre innere Unruhe gelegt hat. Wenn Sie mitten in der Nacht aufwachen, bleiben Sie nicht grübelnd im Bett liegen, sondern stehen auf und trinken Kamillentee.

Schlaf, Yogi, schlaf…

Er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Schlafforschung. In der von ihm gegründeten Schlafschule für Jedermann kann man lernen, (wieder) richtig zu schlafen. YOGA JOURNAL sprach mit Prof. Dr. Jürgen Zulley über falsche Vorstellungen von gesundem Schlaf und fragte nach Tipps zur Selbsthilfe bei Schlafproblemen.
Foto: Sarah Kehoe

YOGA JOURNAL: Herr Zulley, was macht laut aktueller Forschung „guten Schlaf“ aus?
JÜRGEN ZULLEY: Es hört sich banal an, aber guter Schlaf ist erst einmal dadurch gekennzeichnet, dass man sich am folgenden Tag überwiegend ausgeruht und erholt fühlt. Dabei ist nicht der Zustand direkt nach dem Erwachen gemeint, sondern wie es einem im Laufe des Tages geht. Die Schlafqualität definiert sich somit über den Erholungswert des Schlafes. Wir messen den Schlaf zwar im Labor und wissen, dass es eine Abfolge bestimmter Schlafstadien gibt, die guten Schlaf ausmachen. Aber das reicht nicht aus, um den Schlaf wirklich zu bewerten. Das bedeutet in der Konsequenz, dass sich eine Schlafstörung auch über den Tag und über Tagesmüdigkeit definiert. Ist man tagsüber müde oder nicht leistungsfähig, könnte die Ursache eine Schlafstörung sein. Auch die Schlafdauer lässt nicht wirklich eine Aussage über die Schlafqualität zu. Es kommt nämlich nicht so sehr auf die Dauer, sondern vielmehr auf die Qualität an. Fünf Stunden sind das Minimum an Schlafbedarf – natürlich kann man eine Zeitlang auch mit weniger Schlaf auskommen, aber es ist schlicht und ergreifend nicht gesund. Erholsamer Schlaf ist die Grundvoraussetzung für ein gesundes Leben und zu wenig Schlaf schädigt. Für sich selbst kann man die Regel aufstellen, dass man dann genug geschlafen hat, wenn man sich tagsüber überwiegend fit und ausgeschlafen fühlt. Schlaf ist ein hoch aktiver Erholungsprozess, ein sehr aktives Nichtstun. Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, Schlafen wäre verschwendete Zeit. Schlaf genießt bei manchen völlig zu Unrecht ein so schlechtes Ansehen. Unser Gehirn verbraucht im Schlaf genauso viel Energie wie im Wachzustand. Unser Körper ist in dieser Zeit sogar sehr (mit sich) beschäftigt.

Warum haben viele Menschen eine völlig falsche Vorstellung davon, was guten Schlaf ausmacht?
Viele haben falsche Erwartungen an den Schlaf. Es gibt Menschen, die glauben, es handle sich dann um wirklich guten Schlaf, wenn sie durchgeschlafen haben – eine völlig überzogene Vorstellung, weil zu einem normalen und erholsamen Schlaf gehört, dass man sogar öfter aufwacht. Es gibt eine Statistik, die besagt, dass ein durchschnittlicher Schläfer 28 Mal pro Nacht wach wird, diese Wachphasen aber in der Regel vergisst, weil sie zu kurz sind. Wenn man nachts allerdings wach wird und denkt „Ja, was ist denn nur los, ich muss doch schlafen“, wird man unruhig, regt sich über die Schlaflosigkeit auf und kann deswegen eventuell nicht wieder einschlafen. Dann hat man ein Problem; aber nicht, weil man aufwacht, sondern weil man sich darüber ärgert, dass man wach wird – nicht wissend, dass das total normal ist. Geht man dagegen entspannt mit dem normalen nächtlichen Erwachen um, schläft man auch bald wieder ein. Dies ist ein Beispiel für eine falsche Vorstellung von gesundem Schlaf, die sogar Schlafstörungen verursachen kann. Eine weitere falsche Annahme ist die, dass man möglichst lange schlafen müsste, um erholt zu sein. Zu langer Schlaf hat ebenfalls negative Konsequenzen, weil die Schlafqualität und die Tagesbefindlichkeit bei zunehmender Dauer schlechter werden. In Deutschland haben wir einen mittleren Schlafwert von etwa sieben Stunden. Also macht auch nicht die Schlafdauer – abgesehen von einem absoluten Minimum – guten Schlaf aus. Übrigens kann man auch manchmal am Morgen das Gefühl haben, „Das war heut’ Nacht nichts“ und trotzdem später feststellen, dass der Tag völlig in Ordnung ist, obwohl man glaubt, so schlecht geschlafen zu haben. Es ist wichtig, das zu wissen, damit man mit subjektiv, also vermeintlich „schlechten“ Nächten gelassen umgehen kann.

Was kann man selbst für erholsamen Schlaf tun?
Zunächst sollte man sich darüber informieren, was Schlaf überhaupt ist. Dazu gibt es Bücher und Seminare. Anschließend ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Entspannung der Königsweg in den Schlaf ist. Um schlafen zu können, muss man entspannen können. Der Kernpunkt ist natürlich: Wie kommt man zu dieser Entspannung? Das ist nicht so einfach. Vor allem, weil es nicht nur um körperliche, sondern vor allem um mentale Entspannung geht. Des Weiteren sollte man versuchen, mit dem ganzen Thema Schlaf möglichst gelassen umzugehen. Selbstverständlich sollte man auch tagsüber für die richtige Auslastung sorgen, also Bewegung und Sport in den Alltag integrieren, um körperlich zu ermüden. Und dann gibt es noch viele kleine Details, wie etwa, dass man abends nicht zu spät isst, dass man seinen individuellen Zeitpunkt des Schlafengehens und auch seine individuelle Schlafdauer findet – es sind viele kleine Tipps, die für eine gute „Schlafkultur“ sorgen. Ich nenne es lieber „Schlafkultur“ statt „Schlafhygiene“ (medizinischer Fachbegriff für die Rituale, die einem erholsamen Schlaf zuträglich sind; Anm. d. Red.), weil man sich um guten Schlaf kümmern muss und ihn kultivieren sollte, statt ihn als lästiges Überbleibsel aus alten Zeiten zu betrachten. In unserer Leistungsgesellschaft vergisst man schnell, dass wir Menschen diese aktiven Ruhepausen benötigen und dass ausreichend Schlaf die Grundvoraussetzung für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden ist.

Sie sind der Überzeugung, dass man Schlaf findet, indem man Entspannung sucht. Welche Entspannungsstrategien empfehlen Sie?
Eine der besten bei Schlafstörungen, die man auch sehr schnell erlernen kann, ist die progressive Muskelentspannung, die allerdings stark körperlich orientiert ist. Da man sich dabei jedoch auf die Muskelgruppen konzentrieren muss, fokussiert sich auch der Geist. Die mentale Entspannung ist das Wichtigste. Aber was ist diese mentale Entspannung? Ideal wäre es, an nichts zu denken, aber das gelingt den meisten Menschen nicht; selbst in der Kunst der Zen-Meditation schaffen das nur die Wenigsten. Stattdessen sollte man sich auf monotone und positive Inhalte konzentrieren, weil dadurch verhindert wird, was die meisten Schlafgestörten um den Schlaf bringt: den Sorgen und Ängsten des Tages ausgeliefert zu sein, die nachts auf sie einprasseln. Dabei kann auch leise und am besten klassische Musik helfen, auf die man sich konzentriert. Man kann sich auf Phantasiereisen in schöne Landschaften oder zurück zu schönen Erlebnissen aus der Vergangenheit begeben. Andere konzentrieren sich auf ein Bild – oder wie in vielen Meditationen auf ein Wort oder einen Satz. Das sind alles Möglichkeiten, um in eine mentale Entspannung zu kommen. Yoga, Thai Chi oder Qi Gong sind natürlich ebenfalls wunderbare Methoden, um Entspannung zu finden. Aber es reicht nicht aus, diese Techniken ein oder zwei Mal anzuwenden, man muss sie erlernen und regelmäßig praktizieren. Sie wirken sich nicht nur auf den Schlaf aus: Viele Schlafstörungen hängen auch mit einem Fehlverhalten oder zu viel Anspannung am Tag zusammen. Von daher ist Yoga grundsätzlich eine wunderbare Strategie, um in diese Entspannung zu kommen.

Sie sagten einmal: „Chronisch zu wenig Schlaf kann krank, dumm und dick machen.“ Warum?
Das ist richtig. Diesen Satz habe ich absichtlich provokativ formuliert, aber er ist wissenschaftlich völlig korrekt. Es gibt Hunderte von wissenschaftlichen Studien, die belegen, dass zu wenig Schlaf das Immunsystem derart beeinträchtigt, dass man krank wird. Nur im Schlaf kann sich das Immunsystem regenerieren. Umgekehrt: Schon wenn wir uns erkältet haben, fühlen wir uns müde und schlapp. Das Immunsystem will uns in den Schlaf zwingen, weil es in den Tiefschlafphasen besser mit diesen Angriffen fertig werden kann. „Dumm“ ist vielleicht eine wirklich starke Formulierung, aber Hunderte von anderen Studien belegen, dass zu wenig Schlaf das Gedächtnis beeinträchtigt. Im Schlaf wiederholt das Gehirn das, was es am Tag gelernt hat. Das ist passives Lernen, wir nennen es Konsolidierung von Gelerntem, so dass wir uns am nächsten Morgen besser erinnern und besser Probleme lösen können. Und es gibt Hunderte von wissenschaftlichen Studien, die zeigen, dass zu wenig Schlaf zu Übergewicht führen kann. Während wir schlafen, wird das Hormon Leptin ausgeschüttet, das uns Sättigung vortäuscht. Deswegen schaffen wir es nachts, etliche Stunden ohne Nahrung auszuhalten. Viele Menschen sind sogar morgens noch nicht besonders hungrig und das Frühstück kann mager ausfallen. Würde man tagsüber acht Stunden lang nichts essen, hätte man Hunger. Sobald wir wach werden, wird das Gegenspieler-Hormon Ghrelin ausgeschüttet, welches das Hungergefühl verursacht. Das kann einer der Gründe sein, warum Schlechtschläfer im Vergleich zu Gutschläfern eher übergewichtig sind.

Ist ein Mittagsschlaf sinnvoll, wenn man nachts nicht gut schläft?
Man kann am Tag Schlaf nachholen, aber nur für einzelne Nächte. Dabei sollte man darauf achten, dass der Tagschlaf kurz ist. Ein Mittagsschlaf ist schon deshalb sinnvoll, weil er einem biologischen Bedürfnis während der Mittagszeit entspricht. Wir sind mittags müde und machen in dieser Zeit mehr Fehler. Auf jeden Fall sind wir leistungsfähiger, wenn wir einen kurzen Mittagsschlaf halten, der zwischen 10 und 30 Minuten dauert. Schläft man tagsüber länger, besteht die Gefahr, dass man Probleme hat, wieder richtig wach zu werden und dass man für die nächste Nacht vorschläft. Menschen, die regelmäßig tagsüber kurz schlafen, tun das nicht, um Schlaf nachzuholen, sondern um Energiereserven aufzufüllen. Im Anschluss an das kurze Nickerchen ist man um bis zu 35 Prozent leistungsfähiger und das Risiko für Herz-/Kreislauferkrankungen sinkt um über 30 Prozent, wenn man regelmäßigen Tagschlaf praktiziert. Man sollte sich klar machen: Wir sind Rhythmuswesen und keine Maschinen. Gegenüber den Maschinen haben wir den großen Vorteil, dass wir uns regenerieren können; zwar nicht vollständig, aber doch zu einem gewissen Maß. Der Rhythmus von Leistung und Pause sollte immer berücksichtigt werden. Solche Pausen sind der Nacht- oder Mittagsschlaf und zusätzlich wäre tagsüber ein 90-Minuten-Rhythmus ideal: Alle eineinhalb Stunden lohnt sich eine kurze Pause von 5 bis 10 Minuten, um danach wieder effektiv powern zu können.

 

 

Journey Home

Von einem, der auszog, nach Hause zu finden

„Little Monk“ Richard, alias Radhanath Swami, bricht mit 19 Jahren zu einer Reise nach Europa auf, die ihn zu vielen spirituellen Lehrern und Weisen und schließlich über den abenteuerlichen, beschwerlichen und gefährlichen Landweg nach Indien führt. Seine Erfahrungen beschreibt der Mönch der Krishna- Bhakti-Linie (Vaishnava- Sanyasi), Bhakti-Yogalehrer und international gefragte Redner in seinem Buch „Journey Home: Autobiografie eines amerikanischen Yogi“.

YOGA JOURNAL: Im Jahr 1970 waren Sie ein langhaariger Anhänger der Gegenkultur auf der Suche nach Love, Peace & Happiness, die Sie auf Ihre Reise führte – mit vielen Fragen im Gepäck.
RADHANATH SWAMI: Am Anfang einer spirituellen Reise sind es die Fragen, die uns voranbringen: Warum gibt es so viel Leid, Wut, Neid und Eifersucht in der Welt – und wie lässt sich das ändern? Wer bin ich? Und wer ist eigentlich dieser „Gott“, über den alle reden? Wer solche Fragen ernsthaft stellt, spürt in sich das tiefe Bedürfnis, nach den Antworten zu suchen und sich durch nichts ablenken zu lassen. Wichtig ist, dass Verstand und Gefühl im Einklang sind – dann wird diese Suche zur erfüllenden Aufgabe. Der reine Intellekt, der von Liebe und Empathie abgekoppelt ist, bringt keine Erfüllung. Und andererseits besitzt ein liebendes und mitfühlendes Herz, das keine Verbindung zum Verstand herzustellen vermag, nicht die Stärke der Stabilität. Erst das Zusammenwirken von Hingabe und Philosophie ermöglicht den Prozess der Transformation.

Im Verlauf Ihrer Reise begannen Sie, immer öfter zu meditieren, während viele Reisegefährten die Erleuchtung mittels Sex, Drugs & Rock’n’Roll suchten. Führt der Weg zu Gott über die Stille?
Jede Erfahrung, die wir machen, enthält in sich eine tiefe Weisheit, aus der wir lernen und durch die wir wachsen können. Während ich in Stille bete, offenbaren mir all diese Erfahrungen ihr großartiges Potenzial. Meine persönliche Überzeugung ist, dass Gott selbst mir diesen Schatz enthüllt.

Ihre Reise wurde zur Pilgerfahrt mit herausfordernden Prüfungen und gefährlichen Situationen. Wie wichtig ist es, sich mit seinen persönlichen Ängsten und Zweifeln zu konfrontieren, um zu einem tieferen Bewusstsein zu gelangen?
In der Bibel heißt es: „Suche und du wirst finden.“ Wenn wir uns auf die Suche nach der Wahrheit begeben, wollen wir die Gnade Gottes erfahren. Wenn wir nach Möglichkeiten suchen, um uns tiefer in den Prozess liebender Hingabe und erkennender Bewusstwerdung einzulassen, dann birgt jede Situation eine Gelegenheit dafür in sich. Mein Ziel war es nie, mich der Gefahr auszusetzen: Die gefährlichen Situationen ereigneten sich einfach.

An welches Ereignis können Sie sich besonders gut erinnern?
Während eines Überseefluges vor einigen Jahren fielen plötzlich alle Kontrollsysteme des Flugzeugs aus, und wir mussten notlanden. Die Alarmsignale ertönten und die Passagiere gerieten in Panik. Wir hatten den Tod vor Augen. In dieser Situation gab es nur Gott und mich. Rückwirkend würde ich sagen, dass es trotz haarsträubender Notlandung die beste Flugreise war, die ich je gemacht habe – obwohl ich sie kein zweites Mal machen möchte. Gefahren und Schwierigkeiten tauchen auf, wir sollten sie daher nicht unnötig provozieren. Aber wenn sie sich ereignen, bieten sich großartige Chancen. Es ist nicht notwendig, in den Spiegel der persönlichen Ängste und Zweifel zu blicken, um darin die Wahrheit zu erkennen. Dennoch ist es wichtig, das Wesentliche dahinter zu ergründen. Die Todesangst ist der stärkste Antrieb auf der Suche nach Wahrheit, die in der Erkenntnis des ewigen Lebens begründet ist.

Glauben Sie, dass sich die grundsätzlichen Ängste und Zweifel nur in einem tiefen Glauben auflösen?
Nur durch den Glauben können wir Ängste und Zweifel überwinden und uns mit der Essenz verbinden, die unsere wahre Persönlichkeit ist. Krieger können beispielsweise aus der Leidenschaft ei- ner Kampfsituation heraus ihre Ängste in Kraft umwandeln und mobilisieren. Um uns mit dieser heiligen Essenz zu verbinden, ist der Glaube die Grundlage. Jeder hat einen Glauben. Selbst der Atheist glaubt an den Atheismus. Ein Leben ohne Glauben ist unvorstellbar. Jeden Tag vertrauen wir darauf, dass die Sonne aufgeht, dass wir Luft zum Atmen haben und Nahrung zum Essen. Yoga bedeutet, herauszufinden, was sich jenseits der eigenen Konzepte und Wahrnehmung befindet. Was hinter all dem Leid steckt. Deshalb ist Satsang so wichtig, denn dabei entsteht die Verbindung zu Menschen, die in ihrem Glauben gefestigt sind und andere dazu inspirieren, sich mit ihrer ewigen und göttlichen Natur zu verbinden.

Welchen „Reise-Tipp“ würden Sie einem spirituell Suchenden geben?
Selbst in den dunkelsten Stunden existiert die grenzenlose Hoffnung, Gott zu finden. Wer aufrichtig nach der Wahrheit sucht, findet in der äußeren Form die innere Entsprechung. Wenn wir im äußeren Raum einen Altar errichten, bringen wir den inneren Zustand von Andacht und Anbetung zum Ausdruck. Indem wir anderen dienen, erwecken wir Werte wie Empathie, Menschlichkeit, Demut und Hingabe. Bhakti ist die Kunst, sich von allem, was sich im Äußeren zeigt, zu einer tiefen Liebe im Inneren inspirieren zu lassen. Unser gesamtes Inneres kommt durch die Art, wie wir sprechen und handeln, zum Ausdruck.

Rückblickend wirkt Ihre Reise nahezu himmlisch arrangiert: Bereits zu Beginn drückte Ihnen ein Unbekannter einen Flyer in die Hand, der das Ziel Ihrer Reise enthielt. Glauben Sie, dass unsere Seelen uns zuverlässig „nach Hause“ navigieren?
Es ist Gottes – Krishnas – Gnade, die außerhalb unseres eigenen Handlungsvermögens wirkt. Gnade ist die stärkste Energie innerhalb der gesamten Schöpfung und jenseits des Materiellen – die Umschreibung für Radha: die personifizierte Gnade. Dieser Zustand ist eine erweiterte Form des Göttlichen, das in allem wirkt und mit unseren Seelen in Resonanz ist. Wenn wir die Wahl treffen, uns mit dieser Gnade zu verbinden, werden wir befreit. Auf dem Flyer, den jemand auf einem Festival verteilte, war mein späterer Guru Srila Prabhupada an jenem Ort abgebildet, an dem ich nach meiner Rückkehr aus Indien als Pujari leben sollte. Krishna hat mir bereits zu Anfang offenbart, wohin mein Weg führt und wer mein Lehrer sein wird.

Ist derjenige am Ziel seiner persönlichen Reise angekommen, der den inneren Frieden gefunden hat, und ist dies das Merkmal eines gefestigten Glaubens?
Der tiefe Friede ist ein Zustand der Liebe: Liebe beinhaltet Frieden. Aber Frieden beinhaltet nicht notwendiger- weise Liebe. Bhakti befasst sich mit der Dynamik von Krishnas Liebe, um das Elend der Welt in Frieden umzuwandeln – frei von Leid, Krankheit, Wut und Schmerz. Ein Frieden, durch den die Liebe wirkt. In anderen Worten: Der Frieden ist in der Liebe integriert als Ausdruck ihrer höchsten Stufe.

Wie geht Ihre Reise weiter?
Das Ende meiner Reise „nach Hause“ war der Anfang einer neuen Reise. Ich ging los, und Gott führte mich auf seinen Pfad. Wenn dieser Pfad dem Suchenden offenbart wird, dann ist der Weg dafür geebnet, Gott unbegrenzt und ewig zu lieben, zu dienen und in allem zu erkennen. Und das ist eine andere, unendliche Reise.

Barbara Decker lebt und arbeitet als freie Journalistin und Yogalehrerin in München.

Kunstvoll und aufmerksam

Erica schreibt Elena eine E-Mail mit der Bitte, Elena solle sich Ericas Homepage ansehen und ihre Design- Arbeit beurteilen. Erica möchte das leben, was sie im Unterricht lehrt: Mut, Mitgefühl und Schönheit. Ob sich das in ihrer Webseite widerspiegeln würde? Elena erkennt sofort, dass sie in Erica eine kreative Partnerin gefunden hat, mit der sie ein besonderes Buch gestalten will. Die beiden greifen zu Buntstiften, Herz und Papier, sammeln Geld für den Druck und klären in Buchform kunstvoll über Aufmerksamkeit auf.

YOGA JOURNAL: Während ich durch die Seiten geblättert habe, musste ich mich sehr konzentrieren, um keins der vielen Details in eurem Buch zu übersehen. War es eure Absicht, detailreich zu designen, um beim Leser eine gewisse Aufmerksamkeit zu generieren? Ist Kunst per se ein Weg, Interesse zu steigern?
ELENA BROWER: Kunst kann einen sicherlich dabei unterstützen, wenn man aufmerksamer werden möchte. Unsere Absicht war es, unsere eigenen Wege aufzuzeigen, wie wir Informationen sehen und sammeln, die im Kontext mit Yoga, Philosophie und der Heilung stehen. Unsere Hoffnung ist es, dass unsere Leser anfangen, den Lernprozess auszukosten. Besonders, weil der Akt des Notierens immer digitaler wird. Wir wollten mit einem Buch anfangen, dass man tatsächlich in den Händen halten kann und das am Ende jeden Kapitels durch leere Seiten Raum für Kritzeleien, Spiele, Zitate oder selbst kreierte Unterrichtssequenzen lässt. Während meines Studiums habe ich mir immer gerne Notizen im bunten, kreativen Stil gemacht und mit Schriftzug, Größe und Platzierung gespielt, um meine Aufmerksamkeit auf gewisse Punkte zu lenken, die mir wichtig erschienen.

Das ist dein erstes Buch. Warum hast du dich dafür entschieden, es diesem Thema zu widmen? Hast du die Kunst der Aufmerksamkeit durch Anusara gelernt?
Als Yogalehrer suchen wir immer nach Wegen, unseren Schülern die verschiedenen Arten der Verbindung zu vermitteln. Dieses Gefühl der Verbindung in unserer Asana-Praxis ist mit dem Empfinden vergleichbar, das einen überkommt, wenn man seine Aufmerksamkeit auf etwas Bestimmtes richtet. Athleten machen dieselbe Erfahrung, wenn sie in ihrer Materie aufgehen. Und sie sind erfolgreich, weil sie sehr achtsam und mit ihrem Sport verbunden sind. Erica und ich wollten besonders die interessanten Wege aufzeigen, die Lehrer anwenden, um sich dieser Verbindung zu nähern. Deshalb berührt jedes Kapitel eine tiefgreifende Form der Verbindung: Vergebung lernen, der Stille zuhören, unsere wahrgenommenen Begrenzungen erfahren, unseren Mitmenschen und Momenten in unserem Leben gegenüber präsenter und respektvoller sein. Es wäre schön, wenn wir alle die Kunst der Aufmerksamkeit praktizieren könnten. Wir beide haben erfahren, wie es sich anfühlt, wenn wir es selbst praktizieren. Und ja, gelernt habe ich die Kunst der Aufmerksamkeit von John Friend. Er hat uns gezeigt, wie wir Schönheit sehen und Kunst auf ungewöhnlichen Wegen erschaffen können. Seine Lehren haben eine besondere Ebene von Aufmerksamkeit in mein Leben gebracht, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich dazu im- stande wäre, sie zu fühlen. Dafür bin ich auf ewig dankbar.

Gab es schon einmal eine Situation in deinem Leben, in der es dir geholfen hat, in voller Aufmerksamkeit zu handeln?
Als dieses Buch vervollständigt wurde, bekam meine Mutter eine Stammzellentransplantation für das Mantelzell-Lymphom. Während dieser Monate gab es mehrere Momente, die meine volle Aufmerksamkeit forderten. Als sie wegen eines niedrigen Blutzuckerspiegels in meinen Armen ohnmächtig wurde und wir uns in die Augen sahen – beide voller Verwunderung darüber, ob sie nun wohl sterben würde – nie war ich präsenter in meinem Leben. In diesem Moment regierte die Angst unsere komplette Aufmerksamkeit, doch wir konnten uns gegenseitig ansehen, die Angst wegstoßen und stattdessen Liebe empfinden. Sich für die Liebe zu entscheiden, scheint mir immer eine sehr geeignete Möglichkeit zu sein, um schwierige Situationen zu meistern.

Ich habe einmal in einem Buch von Osho gelesen, dass Künstler die spirituellsten Menschen seien, weil sie bei jeder neuen Arbeit vertrauen müssen. Hast du bei eurem Buch dasselbe gefühlt?
Für mich bedeutet Spiritualität, wachsam und bewusst zu leben. Wenn ich an einem vertrauten Ort bin, kann ich diese Wachsamkeit sehr einfach üben. Und umgekehrt: Wenn ich auf diese Weise wahrhaft präsent bin, kann ich meine Bewertungen und Projektionen aufgeben und fühlen, dass ich vertraue. Dieses Buch zu gestalten wurde zu einer Feuerprobe für Erica und mich, in der wir Vertrauen üben und erfahren konnten. Erica vertraute meiner Textarbeit, ich vertraute ihrem künstlerischen Auge und manchmal tauschten wir die Rollen. Während unserer nächtlichen Arbeitssitzungen am Telefon (Erica lebte auf Hawaii und ich in New York – da blieb uns für die Arbeit nur die Zeit von Mitternacht bis drei Uhr morgens) mussten wir beide immer wachsam bleiben, um unseren Lesern am Ende das beste Ergebnis präsentieren zu können.

Du hast Modedesign studiert und als Kunstlehrerin gearbeitet. Jetzt unterrichtest du Yoga. Was ist für dich beim Yoga Kunst?
Auch hier halte ich mich an einen meiner ersten Lehrer, John Friend. Er lehrte mich, dass der Körper ein feines Instrument ist; eines, mit dem wir durch Ausrichtung eine grandiose Kunst schaffen können. Anusara lehrt uns, wie wir Muskeln in Beziehung zu Knochen platzieren sollen, um unsere Körper formvollendet öffnen und heilen zu können und nebenbei physisch Kunst zu erzeugen. Für mich ist die Kunst der Yogapraxis in dem Moment spürbar, wenn ich nicht praktiziere. Wenn meine Familie in Eile ist, ich gleichzeitig mit mehreren Dingen beschäftigt bin und plötzlich realisiere, dass ich (dank Yoga) trotzdem bei mir bleiben kann.

Im Buch kann man auch seiner eigenen Kreativität freien Lauf lassen und Sequenzen selbst kreieren. Hast du gemerkt, dass die Yogapraxis deine Kreativität gesteigert hat?
Erica und ich haben in unserem Yogastudium die gleichen Erfahrungen gemacht: Yoga steigert unsere Selbstliebe, was eine wichtige Komponente für Kreativität ist.

Kannst du uns verraten, was die wahre Kunst der Aufmerksamkeit ist?
Aus unserer Aufmerksamkeit Kunst zu machen ist ein Privileg, die wir als menschliches Wesen erfahren können. Wir bestimmen durch unsere Aktionen, Gedanken oder unsere Liebe, ob wir unsere Aufmerksamkeit zu Kunst machen – ganz egal, ob wir uns nun bewegen oder still sitzen. Wir können sogar ein Gespräch in ein kunstvolles verwandeln, wenn wir einer Person besonders aufmerksam zuhören.

 

 

Putzen im Paradies

Alles, was man tut, erzeugt Karma. Jeder Gedanke, jedes Wort und jede Handlung, die an einer Seele vorüberziehen, hinterlassen dort ihre Bilder. Beim Karma Yoga, einem der vier klassischen Yogawege, übt sich der Yogi darin, selbstlos und nach einem höheren Willen zu handeln und zu dienen. Von anusch lehmann

Der Roh-Diamant meiner Persönlichkeit erhielt bereits durch verschiedene Gesellschaftssysteme seinen Schliff. Während meiner Kindheit in der DDR wurde tief in meinem Inneren der hohe Wert von Arbeit eingebrannt. In meiner Jugend nach der Wende lieferten neue, schillernde Möglichkeiten den Stoff für Zukunftsträume. Der Begriff „Arbeit“ fächerte sich in neue Berufsbilder auf und die Berufswahl sollte unbedingt identitätsstiftend sein. Der so genannten „Selbstverwirklichung“ zielstrebig auf den Fersen folgten mein Abitur, eine Ausbildung, ein Studium und diverse Weiterbildungen. Doch sobald ein Vorhaben erreicht war, ratterte mein forscher Geist auch schon zum nächsten Fernziel mit vermeintlicher Zufriedenheitsgarantie. Nun möchte ich aus diesem Kreislauf aussteigen. Dafür habe ich mir sechs Wochen freigenommen, die ich auf der Fin- ca Argayall verbringe, einem spirituellen Retreat- und Meditationscenter auf der kanarischen Aussteigerinsel La Gomera. Urlaub in der Hängematte? Keineswegs. Da mein Denkapparat ohnehin zur Rastlosigkeit verdammt ist und das Tätigsein gewissermaßen zu meiner Vata-Routine gehört, möchte ich Karma Yoga üben wie die täglichen Asanas. Die Entsagung Ich-hafter Zwecke und ein einfaches Leben sollen Raum schaffen für Erkenntnis und inneres Wachstum.

Arbeiten und Dienen
Aus meiner romantischen Vorstellung vom selbstlosen Dienen in relaxter Umgebung reißt mich der Wecker am ersten Arbeitstag bereits um sieben Uhr. OM steht auf dem Plan, was nicht heißt, dass ich die Morgenmeditation einleite. OM als Abkürzung für Outside-Morning bedeutet für mich, die Plaza der Finca für das Frühstück zu reinigen. Das vollwertige Biobuffet, zum Teil aus dem hauseigenen Garten, belohnt alsgleich und lässt mein Yogiherz höher schlagen. Nach nettem Small Talk am Frühstückstisch geht es direkt weiter mit dem Putzen der Toiletten. Für die kleinen Mülleimer in den Bädern werden biologisch abbaubare Abfalltüten verwendet. Diese weichen Gummibeutel kenne ich aus dem heimischen Biomarkt, wo ich mich schon des Öfteren fragte, wie schnell sich das Material wohl zersetzt. Die Antwort fällt mir beim Entleeren des ersten Toiletten- papier-Eimers direkt vor die Füße. Das braun gefleckte Dilemma ist der schlecht ausgebauten Insel-Kanalisation zu verdanken. Eine Kollegin versucht mich aufzumuntern, indem sie mir die Geschichte von einem großen Sturm erzählt, der den gesamten Garten mit Klopapier und dessen Anhaftungen schmückte. Ich streife mir die Gummihandschuhe über, um mit Abhyasa (Beharrlichkeit) und Vairagya (Leidenschaftslosigkeit) das Klopapier einzusammeln. Vairagya, das Nichtverhaftetsein, als große Tugend des Yogis kann eintreten, wenn man die Identifizierung mit der Rolle, in der man handelt, aufgeben kann. Wenn man also alle an die Situation gekoppelten Gefühle und Gedanken als etwas Vorübergehendes betrachtet, ohne sie mit dem wah- ren Selbst zu verwechseln.

Gerade ist die Gruppe für das Five Elements Dance & Yoga Retreat angekommen – eine tolle Gelegenheit für mich, Menschen auf ihrer spirituellen Reise zu unterstützen, ihnen freudvoll Bett und Bad herzurichten und dem Pfad des Karma Yoga zu folgen. Das größte Opfer, das ich bringe, ist die Entsagung selbstbestimmten Tätigseins: Was wann zu tun ist, sagt mir Chefin Clara. Die ehemalige Oberschwester einer Klinik für psychisch Kranke zeigt kein Verständnis für die Ölflecken auf den Laken der Thaimassage-Gruppe. Clara ist Outsideworkerin, das heißt, sie wohnt nicht in der Gemeinschaft. Sie finanziert ihr Leben mit dem 25-Stunden-Job auf der Finca.

Ich dagegen arbeite für Kost und Logis 33 Stunden wöchentlich und versuche nicht zu rechnen. Schnell entpuppt sich der vermeintliche Halbtags- als gefühlter Ganztagsjob. Ich habe nur anderthalb Tage pro Woche am Stück frei. Die Waschmaschinen laufen nur, wenn es der Generator auch tut und vor den Mahlzeiten muss immer gewischt werden. Derart zerstückelt sind sowohl meine Arbeits- als auch die Freizeit fest mit dem regelmäßigen Blick auf die Uhr sowie einem stets offenen Ohr für Fragen der Finca-Gäste verbunden. In den drei Stunden Siesta-Zeit am Nachmittag aale ich mich auf einem etwas versteckten Felsvorsprung, um dringend nötiges Vitamin D zu tanken.

Die abgelegene Finca-Bucht zwischen Vulkanfelsen und türkisblauem Atlantik entdeckten ursprünglich einmal Sannyasins für sich, Osho-Anhänger, die dem weltlichen Leben entsagen wollten. Mittlerweile zählt der direkt ans Meer grenzende Platz mit seinen hochgewachsenen Gummibäumen, hübschen Gartenhütten und türkisfarbenen Pools trotz beschwerlicher Anreise als Geheimtipp für naturliebende Individualtouristen. Als solcher kam auch ich vor einigen Jahren zum ersten Mal, um meine weiße Tapete gegen den Anblick der Verschmelzung von Meer und Horizont zu tauschen. „Das Yogasutra des Patanjali“ ließ sich mit weitem Blick fabelhaft studieren. Schnell hatte ich den Wunsch, an diesem magischen Ort einmal nicht nur zu Besuch zu sein.

Nun bin ich Teil der 20-köpfigen internationalen Finca-Crew, wasche Wäsche, hänge sie blinzelnd in die Sonne, um sie danach zu falten und wieder in die Zimmer zu bringen, die ich für die anreisenden Gäste herrichte. Langsam stellt sich eine Routine ein, die mir den Arbeitsalltag erleichtert. Doch die überschüssige Energie wandert ins Gehirn. Dort kämpft das kleine Ich mit seinem Ego. Der Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung wird lauter.

Erste Zweifel
Das Schrubben der Liegestühle mit Blick aufs Meer erinnert mich an eine Art Strafarbeit – nicht unbedingt nötig, lediglich dienlich um die volle Zahl an Arbeitsstunden zu erreichen. Ständig die entspannten Gäste mit Buch und Hut vor der Linse zu haben, hilft mir nicht gerade weiter. Im Gegenteil: der vergleichende Geist neidet. Irgendwann platzt mein Schädel durch den Druck all der selbstmitleidigen Gedanken in tausend Tränen. Schnell greife ich zur Sonnenbrille: Sie tarnt diesen zutiefst persönlichen Prozess. Natürlich stellt mein Geist die gesamte karma-yogische Unternehmung sofort in Frage: Ist MEIN Bedürfnis nach Freiheit nicht auch das höchste Ziel des Yogis? ICH bin finanziell nicht abhängig von der Arbeit auf der Finca. Warum schmeiße ICH nicht alles hin und nehme mir MEINE Freiheit?

Weil dieses ICH und MEIN Ursache des Elends sind. Weil dies bedeuten würde, selbstsüchtig zu handeln und jeder selbstsüchtige Gedanke uns an etwas bindet und augenblicklich zum Sklaven macht.

Die Bettlektüre von Swami Vivekanda über Karma Yoga besänftigt mich wieder. Doch hinter dem idealisierten yogischen Selbstbild geht meine innere Qual weiter. Wie Fieber vergiftet das Philosophieren über Pflicht und Rechtschaffenheit meine Gedanken am nächsten Tag. Mein Geist lässt sich nur schwer auf Eimer und Lappen fokussieren. Stattdessen rebelliert er mit waghalsigen Assoziationen von Arbeit und Freiheit unter faschistischer Herrschaft. Mutet das Ziel des Karma Yogi, den Eigennutz zu überwinden, demnach nicht auch höchst naiv und gefährlich an? Könnte es nicht auch bedeuten, zum Erfüllungsgehilfen anderer zu werden? Wer tätig ist, ohne etwas dafür zu erwarten, kann immerhin nicht enttäuscht werden. Doch opfert man sich durch unermüdliches Tun für andere nicht auf?

Swami Vivekandanda macht den entscheidenden Unterschied im Pflichtbegriff. Pflicht, wie sie gewöhnlich aufgefasst wird, gehöre nicht zu den Begriffen einer höheren Lebenseinstellung. Stellt sich mir nur die Frage, ob es je einen Konsens über eine höhere Lebenseinstellung geben kann. Existiert auf der Finca eine kollektive Über- einkunft zum Pflichtbegriff? Fühle ich mich tatsächlich als gleichberechtigter Teil von etwas Größerem? In erster Linie ist es doch ein Gästebetrieb?

Die Vision der Crew ist ein alternatives, gleichberechtigtes, naturverbundenes und erfahrungsorientiertes Leben in der Gemeinschaft. Dabei hat jedes Crewmitglied, auch die Besitzer der Finca, offiziell die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden. Die Gehälter liegen offen und im wöchentlichen Meeting wird jeder gehört. Es gibt gemeinsame Meditationen und einen regen Austausch beim Kochen. Traumhafte Bedingungen, um sich in der Gemeinschaft selbst zu erkennen. Für ein Einzelkind wie mich, das aus der urbanen Individualgesellschaft kommt, ist es jedoch auch im Paradies nicht immer leicht. Beziehungen brauchen wie überall Zeit, um in die Tiefe zu wachsen. Die schnelle und freundliche In- tegration der oft wechselnden Crewmitglieder ist für die Altansässigen Routine. Einige Neulinge sind dennoch über Nacht wieder abgehauen, erzählt mir die Chefin. Sie spürt, dass ich mich nicht ganz wohl fühle in meinem Job. Aber Abhauen käme für mich nicht in Frage.

Arjuna, der Held aus der Bhagavad Gita, wurde zum Feigling angesichts des mächtigen gegnerischen Heeres. Seine sich selbst vorgetäuschte Liebe verführte ihn, der Pflicht gegen König und Land nicht nachzukommen. Das war der Grund, warum ihn Sri Krishna einen Heuchler nannte: „Du sprichst wie ein Weiser, aber deine Taten verraten dich und zeigen dich als Feigling. Deshalb stehe auf und kämpfe!“ Sich seinem Dharma, dem Gesetz der Seele, nicht zu widersetzen, das ist der zentrale Gedanke der Gita.

Einsicht
Ob nun aus anerzogenem, selbst auferlegtem oder göttlichem Pflichtgefühl heraus, ich arrangiere mich weiterhin und gebe mir Mühe, die störenden Gedanken zu transformieren. Meine spärliche Freizeit nutze ich, um Ausflüge zum angrenzenden Ort Valle Gran Rey und zum Rainbow-Festival am Playa del Trigo zu machen. Neue Aussichten beflügeln meine Sehnsucht und am Ende der dritten Arbeitswoche erkenne ich, dass ich mich übernommen habe. Die Vorstellung, sechs Wochen lang zu putzen und nebenbei Zeit für Selbstreflektion und Erholung zu finden, war einfach utopisch. Die fast vollendete Lektüre von Swami Vivekananda bringt mich zudem an die entscheidende Stelle: „Nichtwiderstreben als das höchste Ideal offenbart die höchste Macht. Solange man aber dieses höchste Ideal nicht erreicht hat, ist es Pflicht und Gebot, sich dem Übel zu widersetzen. Möge der Mensch wirken und kämpfen und sich mit voller Kraft verteidigen. Dann erst wenn er in sich die Kraft zum Widerstand hat, wird Nichtwiderstreben zur Tugend.“

Entsagung vollzieht sich beim Karma-Yogi also langsam und allmählich. Sie führt über Kennenlernen und Freude an den Dingen zur Erfahrung und Erkenntnis des Wesens der Dinge, bis der Geist schließlich aller Dinge ledig und frei werden kann. Ich sehe plötzlich ein, dass konsequente Entsagung großer Geistigkeit und Willenskraft bedarf und dass es noch vieles zu erkunden und begreifen gibt, bevor meine Seele von ihren Sehnsüchten befreit werden kann. Als ich mir erlaube, aus dem selbst auferlegten Gefängnis und Gedankenkarussell auszusteigen, findet sich plötzlich ganz schnell ein für alle Seiten tragbarer Kompromiss. Die restlichen zwei Arbeitswochen teilen sich die Outsiteworkerinnen, die zusätzliche Arbeitsstunden gut gebrauchen können. In der letzten Gartenhütte, die ich für Neuankömmlinge herrichte, wurde Trinkgeld für mich hinterlegt. Nie habe ich mich über Anerkennung in Form von Geld so gefreut, denn ich fühle mich in meinem Handeln bestätigt. An diesem magischen Ort wurde mir klarer als sonst, dass ich selbst die Ursache meiner Verstimmungen und negativen Gedanken bin. Hier wurde ich mit meinen inner- sten Verstrickungen und Fehldeutungen konfrontiert. Auf dem Weg des Short-Term-Karma-Yogis durfte ich erkennen, wie stark ich von Ego, Lust und mit Freiheit verwechselter Unverbindlichkeit getrieben bin. Ich kann durchaus sagen, dass Sehnsucht und Selbstmitleid mir in den sechs Wochen die größten Lehrmeister waren und mir gezeigt haben, dass ich noch lange nicht am Ende meiner Reise des Bewusstseins bin, deren Ziel wahrhafte innere Freiheit ist.

In der Sprache der Guanchen, der Ureinwohner der Kanaren, bedeutet Argayall „Platz des Lichts“. Auf einer 1,4 Hektar großen Farm in einer abgeschiedenen und wilden Bucht leben und arbeiten die rund 25 festen Crewmitglieder. Mehr Infos unter www.argayall.com