Meditationsformen für den einfachen (Wieder-)Einstieg

Meditation ist für uns Yogis ein naheliegender Weg in die Stille. Trotzdem ist es schwer, eine regelmäßige Praxis aufzubauen. Wir stellen dir einfache Meditationsformen vor, die dir den (Wieder-)Einstieg erleichtern. Die Schritt für Schritt Anleitungen zur Atemmeditation, dem offenen Gewahrsam und der Gehmeditation kannst du dir zu Beginn immer zur Seite legen. Und du wirst merken, dass du ganz schnell den Dreh raus hast und große Erfolge bemerkst.


Bevor du beginnst:

➤ Wähle einen Zeitpunkt und einen Ort für deine ersten Meditationen und fange klein an.

➤ Stelle dein Handy auf „nicht stören“ oder auf den Flugmodus.

➤ Wähle einen angenehmen, sanften Ton für deinen Timer aus – sonst erschreckst du, wenn die Zeit um ist!

➤ Beginne mit 1, höchstens 2 Minuten.

➤ Versuche, zuerst 2 oder 3 Mal die Woche zu meditieren, steigere dich dann auf bis zu 5 Mal.

➤ Du benötigst keine Ausrüstung, sondern kannst einfach mit geradem Rücken auf einem Stuhl oder einem Kissen sitzen. Lege die Hände auf die Oberschenkel und schließe die Augen, wenn dir das angenehm ist. Du kannst sie auch sanft geöffnet halten.

Je früher am Tag du praktizierst, desto größer die Auswirkung auf diesen Tag. Viele Menschen meditieren gleich nach dem Aufstehen oder bevor sie aus dem Haus gehen. Angenehm ist auch der Moment nach dem Heimkommen, um einen kleinen Puffer zwischen Tag und Abend zu schaffen. Oder du meditierst vor dem Schlafengehen. Teste unterschiedliche Momente, und achte darauf, ob eine der Meditationsformen die Zeit danach beeinflusst – vielleicht bist du ruhiger im Job oder kannst besser einschlafen.


Atemmeditation

Was bringt’s?

Atemmeditationen sind einfach zu erlernen. Sie beruhigen das Nervensystem und lindern Stress.

Wie geht’s?

Wir konzentrieren uns auf unseren Atem. Das ist praktisch, denn wir haben den Atem stets „dabei“. Umgekehrt heißt das: Wer atmen kann, kann auch meditieren. Denn der Atem ist nur ein Mittel, um den Geist zu fokussieren und zu beruhigen. Es geht nicht darum, anders zu atmen als sonst.

  1. Versuche bei dieser Meditationsform möglichst aufmerksam zu verfolgen, wie du atmest. Langsam oder schnell? Tief oder flach? Durch den Mund oder durch die Nase? Wenn möglich, atme beim Meditieren lieber durch die Nase.
  2. Kannst du spüren, wie die Luft durch die Nasenlöcher strömt? Wie die Nasenlöcher sich beim Einatmen ein wenig weiten? Fühlt sich die einströmende Luft eher kühl oder warm an? Wie nimmst du die Luft auf der Zunge, im Atem und in der Luftröhre wahr? Kannst du spüren, wie dein Brustkorb sich weitet? Atme bis tief in den Bauch hinunter. Kannst du das Heben und Senken der Bauchdecke fühlen?
  3. Irgendwann wirst du bemerken, dass du nicht mehr auf deinen Atem achtest, sondern an etwas ganz anderes denkst. Das ist okay. Das passiert auch dem Dalai Lama. Diesen Moment überhaupt wahrzunehmen, das ist die Achtsamkeit, nach der wir streben: zu bemerken, was gerade los ist – in uns und um uns herum. Lasse deine Gedanken dann – auch wenn es dir schwerfällt, weil du ihn toll oder wichtig oder originell findest – davonziehen und konzentriere dich wieder auf den Atem.
  4. Das wiederholst du 5 Mal, 20 Mal, 1000 Mal. Die Übung besteht darin, die Konzentration auf möglichst entspannte Weise möglichst lange halten und möglichst leicht wiedererlangen zu können.
  5. Wenn der Timer piepst oder gongt, recke und strecke dich. Lächele. Freue dich über die kleine Auszeit, die du dir gegönnt hast, und nehme ein wenig von dieser Stille mit in den verbleibenden Tag. Vielleicht möchtest du ja auch noch andere Meditationsformen ausprobieren.

Offenes Gewahrsam (Vipassana vereinfacht)

Was bringt’s?

Die sogenannte Vipassana-Meditation kultiviert das „offene Gewahrsam“: Wir nehmen so bewusst wie möglich wahr, was im Moment passiert. Unsere Gedanken, unsere Gefühle, die Geräusche der Umgebung, einfach alles. Die Eindrücke, die wir empfangen, benennen wir jeweils, also etwa »Hund«, wenn ein Hund bellt, oder »Wut«, wenn wir unsere Wut bemerken. Wir bewerten sie jedoch nicht. Vipassana bedeutet „Einsicht“ und bezieht sich darauf, die Dinge so zu sehen, wie sie eben sind. Personen, die regelmäßig die Vipassana-Meditation praktizieren, schneiden in Stresstests etwas besser ab. Es wird eine geringere Menge Cortisol in ihr Blut ausgeschüttet, sie empfinden Stressmomente subjektiv als weniger problematisch als die Vergleichsgruppe, und ihr Gehirn reagiert deutlich weniger aktiv auf negative Informationen, selbst wenn sie nicht gerade aktiv meditieren.

Wie geht’s?

Schließe die Augen, wenn es dir angenehm ist, oder richte den Blick ohne Fokus in eine mittlere Entfernung. Lege die Hände entspannt auf die Oberschenkel. Die sogenannte Krone des Kopfes, der höchste Punkt, zieht bei dieser Meditationsform ein wenig nach oben.

  1. Lasse einige Atemzüge ruhig kommen und gehen.
  2. Ab jetzt benenne, was geschieht. Du beginnst mit dem Atem, dabei wird das entsprechende Wort dann jeweils zweimal im Geiste wiederholt. Also: „ein, ein – aus, aus“. Du kannst auch „heben, heben“ und „senken, senken“ verwenden.
  3. Wenn du nun in der Ferne einen Hund bellen hörst, kannst du auch dies benennen: „bellen, bellen“. Danach richte die Aufmerksamkeit wieder auf den Atem: „ein, ein – aus, aus …“
  4. Juckt es irgendwo, denke: „jucken, jucken“. Du kratzt dich aber nicht, sondern bleibst ganz ruhig sitzen. Wenn du bemerkst, dass du über etwas nachdenkst, benenne auch dies: „denken, denken“, und dann kehre wieder zurück zum Atem.
  5. Deine eigenen Gedanken und Gefühle kannst du so differenziert beobachten und benennen, wie du möchtest. Es ist vollkommen ausreichend, wenn du bei „denken, denken“ bleibst. Du kannst aber auch „Wut, Wut“ oder „Sehnsucht, Sehnsucht“ nehmen. Oder „Angst, Angst“.
  6. Möglich, dass du darüber erschreckst, wie intensiv und häufig gerade Gefühle wie Ärger, Wut, Angst und Trauer sind. Keine Angst. Du bekommst auf diese Weise nur das zu Gesicht, was ohnehin in deinem Unterbewusstsein geschieht. Schäme dich dafür nicht. Du erlangst die Möglichkeit, dich besser kennenzulernen und mit dir selbst auseinanderzusetzen, sind dazu jedoch keineswegs gezwungen.
  7. Anfangs wirst du vielleicht gar nicht genau sagen können, was du spürst, oder du glaubst, nichts zu fühlen. Auch das ist in Ordnung. Vielleicht benennst du diesen Gedanken, wenn er denn auftaucht, mit „Zweifel, Zweifel“, dann kehrst du wieder zum Atem zurück, „ein, ein … aus, aus“. Du wartest darauf, dass die Zeit um ist und der Timer piepst … „Ungeduld, Ungeduld … ein, ein … aus, aus“. Das Benennen soll deutlich machen, dass zwischen unserer unmittelbaren Wahrnehmung und unserer Reaktion darauf stets ein Abstand besteht, in dem wir die Wirklichkeit deuten und interpretieren. Dieser Abstand ist mal größer und mal kleiner. So können wir die Wahrnehmung und unseren Umgang damit immer weiter schulen, bis wir hoffentlich nah an die Wirklichkeit herankommen. Zugleich lernen wir, uns nicht so schnell mit den eigenen Gefühlen zu identifizieren: Ich bin nicht wütend, sondern ich empfinde „Wut, Wut“. Und die Schlange an der Kasse ist nicht unerträglich langsam, sondern ich verspüre „Ungeduld, Ungeduld“.

Gehmeditation & Alltagstätigkeiten als Meditation

Was bringt’s?

„Bewegte“ Meditationsformen können helfen, im Alltag das „Hier und Jetzt“ wieder in unsere Aufmerksamkeit zu rücken. Außerdem lässt du dich unbemerkt überall integrieren: auf dem Weg zum Meeting, auf dem Flughafen, beim Abwaschen. Du stellst zudem einen guten Einstieg dar, wenn du gern „schnell vorankommen“ willst, denn du kannst wortwörtlich Schritt für Schritt entschleunigen.

Wie geht’s?

Traditionell werden Gehmeditationen barfuß durchgeführt. Es geht aber genauso gut auch in Socken oder Strümpfen. Nach einiger Zeit wirst du auch in der Lage sein, in Schuhen gehend zu meditieren.

  1. Suche dir eine gerade Strecke von 3-4 Metern. Gleich wirst du deine Aufmerksamkeit darauf richten, wie du diese Strecke sehr langsam, Schritt für Schritt, gehst. Du gehst also, und gleichzeitig beobachtest du dich dabei.
  2. Stelle dich aufrecht hin, die Füße etwa hüftbreit auseinander. Spüre, wie die Fußsohlen auf dem Boden aufliegen. Kannst du den Untergrund wahrnehmen? Ist er weich oder hart, glatt oder rau, kühl oder warm?
  3. Pendele mit dem Oberkörper ein wenig vor und zurück, nach links und nach rechts, bis du in der Mitte ein stabiles Gleichgewicht gefunden hast. Lockere die Knie leicht und richte den Oberkörper auf, als wäre oben am Kopf ein unsichtbarer Faden befestigt, der dich in die Länge zieht. Senke das Kinn um eine Winzigkeit. Den Blick richtest du entspannt auf den Boden vor dich.
  4. Setze nun deine Schritte so langsam wie möglich und fühle dich so genau du kannst in die Bewegungen hinein.
  5. Mit welchem Fuß tust du den ersten Schritt? Verlagere dein Gewicht auf den anderen Fuß und leicht nach vorn. Löse den Fuß, mit dem du gehen willst, vom Boden. Versuchen wahrzunehmen, wie die Sohle sich vom Boden löst, wie das Knie sich beugt, was deine Hüfte zu dem ersten Schritt beiträgt.
  6. Nach einer bogenförmigen Bewegung setzt du den Fuß ein Stückchen weiter vorne wieder auf. Trifft zuerst die Ferse auf den Boden, der Ballen, die Zehen? Kannst du spüren, wie immer mehr Gewicht auf dem vorderen Fuß lastet? Immer weniger auf dem hinteren?
  7. Es folgt der nächste Schritt. Wie fühlt der sich an? Wie genau können Sie ihn wahrnehmen? Welche Muskeln arbeiten mit? Gelingt es dir, nicht benötigte Muskeln locker zu lassen?
  8. Ist der Nacken noch entspannt, der Kopf noch aufrecht, der Oberkörper noch gerade? Sind die Arme locker und bewegen sich leicht mit?
  9. Jeweils am Ende der gewählten Strecke wendest du, und auch diese Bewegung führst du so langsam und aufmerksam wie möglich durch.

Auf die gleiche Weise kannst du im Alltag im Grunde jede Bewegung oder Handlung als „Anker“ für deine Aufmerksamkeit nutzen, vom Staubsaugen bis zum Abwasch.


Übrigens: Du würdest gerne mit deinen Kinder meditieren? Dann probiere diese Meditation für Kinder aus. So kommen selbst aufgedrehte Räuber zur Ruhe.

ULRICH HOFFMANN…

… ist mehrfacher Bestsellerautor, Yoga- und Meditationslehrer. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Hoffmann veröffentlichte u.a. „Was Meditation wirklich kann“, „Übungsbuch: Meditation“ und „Mini-Meditationen“. Mehr Infos zu ihm findest du unter www.ulrichhoffmann.de.

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