Resonanz – Mit sich selbst und der Welt ins Schwingen kommen

Resonanz ist ein energetisches Phänomen: Die Art und Weise, wie Energie schwingt, erschafft Atmosphäre und diese energetische Schwingung ist nicht nur spürbar, wir gehen – meist unbewusst – auch mit ihr in Resonanz. Gastautorin Anna Trökes ist überzeugt: Wir sollten uns viel bewusster unserer Resonanzfähigkeit zuwenden.

Text: Anna Trökes / Mitarbeit: Michael Holzapfel / Titelbild: Nikki-Zalewski-Getty-Images-via-Canva

Sicher kennst du das: Du betrittst einen Raum und noch bevor jemand etwas gesagt oder getan hat, weißt du, dass da “dicke Luft” ist. Eine auf diese Weise aufgeladene Gestimmtheit können wir nicht nur erahnen, wir spüren sie sogar körperlich. Genauso ist es, wenn wir jemandem begegnen: Etwas in uns weiß sofort, ob wir uns diesem Menschen nähern wollen – oder besser nicht. Die Schwingung eines jeden Resonanzraumes, den ein anderer Mensch oder eine Gruppe von Menschen erschafft, wird unablässig auf einer zumeist unbewussten Ebene von uns “gescannt” und bewertet. Immer nehmen wir die Schwingung unseres Gegenübers wahr und reagieren mit den vielfältigen und feinen Schwankungen unserer eigenen Gestimmtheit darauf.

Wir nehmen sie in unserem Körpertonus wahr, der sich in den Muskeln und Faszien ständig verändert und an die innere und äußere Schwingung unserer Umgebung anpasst: Eine unangenehme oder gar bedrohliche Atmosphäre zum Beispiel führt dazu, dass sich Spannung aufbaut, während wir in einer sicheren, liebevollen Umgebung spürbar loslassen. Das reicht bis auf die Ebene der Organe und manifestiert sich in der Organspannung. Du spürst das zum Beispiel, wenn sich dein Magen zusammenkrampft, weil du Angst hast. Unser Organismus kann die feinen energetischen Schwingungen der Atmosphäre aber noch auf einer viel subtileren Ebene wahrnehmen, die Neurozeption genannt wird.

Unser Nervensystem hat seine Fühler immer ausgestreckt und ist in der Lage, selbst sehr feine atmosphärische Veränderungen zu spüren, etwa wenn eine zunächst freundliche Stimmung bei unserem Gegenüber in eine unterschwellige Gereiztheit übergeht. Meist tritt dieses Wahrnehmen jedoch nicht ins Bewusstsein, wir merken nur, dass der energetische Raum, in dem wir uns befinden, sich plötzlich irgendwie anders anfühlt.

Das hat damit zu tun, dass unser Körper – also das, was die alten Griechen als Soma bezeichneten – äußerst empfindungsfähig ist. Er ist der einzige Ort sinnlicher Wahrnehmung, der uns zur Verfügung steht. Der schon im Wortstamm steckende Zusammenhang zwischen sinnlicher Wahrnehmung (Aisthesis) mit unserem ästhetischen Empfinden ist spannend: Darin deutet sich an, dass Menschen über ihre Körpersinne auch empfänglich sein können für Harmonie, Schönheit, Wohlklang, Duft und alles, was sich so gut anfühlt wie zum Beispiel ein zartes Blütenblatt. Auf diese Weise vermittelt sich uns auch die Schönheit der Natur oder die innere Schönheit eines Menschen, der in sich ruht und in Harmonie mit sich selbst ist. Die Fähigkeit, diese Qualitäten wahrzunehmen und zu schätzen, reicht viel tiefer als ein kulturell geprägter Geschmack oder bestimmte Moden: Menschen auf der ganzen Welt empfinden das als schön, was in Harmonie ist.

In Resonanz mit sich selbst

Resonanz mit sich selbst
Foto: Iriyna Imago / Getty Images via Canva

Deshalb ist es so wichtig, dass wir lernen, zu spüren und zu erkennen, was in unserem eigenen energetischen Raum los ist, und wie wir auf äußere und innere Einflüsse reagieren. “Das Soma (unser empfindungsfähiger Körper, A.T.) ist unser grundlegendes, unveräußerliches Medium der Wahrnehmung, des Handelns und des Denkens”, schreibt der Körpertherapeut und Philosoph Richard Shusterman in seinem Buch “Körper-Bewusstsein: Für eine Philosophie der Somästhetik”.

Eigentlich sind wir alle gut ausgestattet mit der Fähigkeit, das Atmosphärische von Resonanzräumen zu erspüren, denn sie ist am Beginn unseres Lebens, wenn uns noch keine Konzepte und Begriffe zur Verfügung stehen, überlebensnotwendig: Vom Säuglings- bis ins Kleinkindalter sind wir darauf angewiesen zu spüren, in welchem Maße wir willkommen sind und in welchem Maße bestimmte Verhaltensweisen begünstigt oder abgelehnt werden. Die Menschen, die uns durch den Beginn des Lebens begleiten, reagieren ja auch energetisch und atmosphärisch auf uns als Kind und gehen – wenn sie in der Lage und gewillt sind, sich darauf einzulassen – entsprechend mehr oder weniger in Resonanz mit unseren Bedürfnissen.

Ein Kind ist immer “auf Empfang” und spiegelt in der Regel äußerst genau den Resonanzraum der Menschen, die es umgeben. Diese Fähigkeit schwächt sich jedoch im Laufe der Sozialisation meist deutlich ab, denn nun lernt das Kind Bewertungskonzepte – und die stimmen nicht immer mit seiner eigenen intuitiven Wahrnehmung des Resonanzraumes überein. Seit Jahren beobachte ich gerade auch im Yogaunterricht, wie wenig sich viele Menschen spüren und wie fremd sie sich im Laufe ihrer Sozialisation geworden sind. Die immer auf etwas Äußeres gewandte, intensive Nutzung digitaler Medien verstärkt diese Tatsache spürbar.

Der Verlust der Resonanzfähigkeit

Auch der Arzt und Tiefenpsychologe Michael Holzapfel berichtet aus seiner jahrelangen klinischenund praktischen Erfahrung, dass die Resonanzfähigkeit zunehmend verloren geht. Das ist schwerwiegend, da wir nur dann in Kontakt mit unserem innersten Sein – unserer Seele – und damit mit dem Sein an sich kommen können, wenn wir in Resonanz mit uns selbst gehen können. Nur so kann ein Mensch in Kontakt mit seinen Gefühlen kommen und erfahren, wo sie frei und angemessen schwingen und wo sie blockiert sind. Nur so sind wir in der Lage zu sein, unsere Gefühle zu regulieren und zu modulieren und uns in unserem lebendigen energetischen Sein zu erfahren.

Mit anderen Worten: Eine zugewandte, nahe und wirklich intime Beziehung mit uns selbst ist nur dann möglich, wenn wir in der Lage sind, mit uns selbst resonanzfähig zu sein und die energetischen, atmosphärischen Schwingungen und Stimmungen im eigenen Sein zu empfinden und mit ihnen achtsam, liebevoll und regulierend umzugehen. Nur wenn wir uns immer wieder auf uns selbst einstimmen, können wir spüren, welche innere Ausrichtung unseres Denkens und Fühlens uns innerlich offener, weiter und wohler werden lässt – und welche Ausrichtung das Gegenteil bewirkt.

Wie geht es mir jetzt?

Nimm dir immer mal wieder im Verlauf des Tages ein wenig Zeit (ca. 3 Minuten). Halte inne. Wenn möglich, setze dich, sonst bleibe ruhig stehen.
Frage dich: Wie geht es mir?

Spüre achtsam und aufmerksam in dich hinein, ohne etwas Bestimmtes zu erwarten.
Empfinde dich, erfahre dich in deinem aktuellen So-Sein.

Da sind zum Beispiel Empfindungen, in welchem Maße du gerade offen
und empfänglich bist, dir selbst und der Welt zu begegnen,
wie entspannt oder angespannt du bist.

Da sind Gefühle, die dir etwas über deine Gestimmtheit mitteilen.
Da ist die sinnliche Wahrnehmung (aisthesis) von allem, was dich umgibt und
was du atmosphärisch erfährst: Natur, Räume, andere Menschen.
Da ist die tiefe Begegnung mit dir selbst – mit deinem eigentlichen Sein,
deinem Wesenskern – dem, was du an dir einfach nur als “daseiend” spüren kannst …

Übe das so oft wie möglich.
Werde dir bewusst, wie sich dein Spüren und Wahrnehmen
im Laufe der Zeit immer mehr ausdifferenziert und verfeinert.
Spüre, wie du dir auf diese Weise nahekommst.

Dabei ist wichtig zu wissen: Jeder Mensch kann seinen eigenen Resonanzraum gestalten, denn wir verkörpern in jedem Augenblick die Art unserer inneren Ausrichtung: Jedes Gefühl, jedes innere Bild und jeder Gedanke bekommt einen körperlichen und energetischen Ausdruck und beeinflusst den Resonanzraum, der uns umgibt. Wenn wir unsere innere psychische Welt sich selbst überlassen, dann drückt unser Körper dieses Gestimmtsein auch mehr und mehr aus. Was wiederum unsere Mitmenschen und Mitgeschöpfe energetisch an unserer Ausstrahlung wahrnehmen.

In Resonanz mit anderen

Resonanz mit anderen
Foto: Polina Tankilevich via Canva

Das lässt auch erahnen, wie wichtig es ist, dass ein Mensch in der Lage ist, sich auf sich selbst einzuschwingen, um Beziehungen zu anderen Menschen und Lebewesen gestalten zu können. Forschungen zum Thema Empathiefähigkeit zeigen deutlich, dass ein Mensch nur dann Mitgefühl empfinden und entfalten kann, wenn er sich selbst spürt und sich in sich einzufühlen vermag. Nur so kann – verständlicherweise – der Kant zugeschriebene Leitsatz “Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu” funktionieren!

Es geht dabei nicht um ein Mitleiden, sondern darum, sich vorstellen zu können, wie mein Gegenüber sich mit den verschiedenen denkbaren und mir zur Verfügung stehenden Verhaltens- und Handlungs- optionen fühlen könnte. Und es geht darum, zu spüren, was der Mensch, das Tier oder die Pflanze, mit dem oder der ich es zu tun habe, braucht und was ihm oder ihr guttun könnte. Wenn wir lernen, mit uns selbst einfühlsam und feinfühlig umzugehen, werden wir auch einfühlsamer und feinfühliger und damit achtsamer mit unserem Gegenüber umgehen wollen.

In Resonanz mit der Welt

Resonanz mit der Welt
Foto: Irina Petrichel via Canva

Was für das jeweilige Gegenüber gilt, gilt natürlich auch für unseren Umgang mit unserem engeren und weiteren Umfeld: Nur wer in der Lage ist zu empfinden, wie Tiere, Pflanzen und damit die Natur leiden, wird motiviert sein, sich zum Beispiel für Tier- und Klimaschutz zu interessieren und auch aktiv einsetzen zu wollen. Wenn wir uns nicht mehr zunehmend abgeschnitten und dissoziiert von uns selbst, unseren nächsten und liebsten Menschen, von unseren Mitmenschen und der Natur erfahren wollen, können wir in fast jedem Lebensalter lernen, wieder resonanzfähig zu werden, beziehungsweise unsere Resonanzfähigkeit weiterzuentwickeln und zu verfeinern, betont Michael Holzapfel, der Menschen schon so lange auf ihrem Weg zu sich selbst begleitet.

Die einzige Bedingung: Man muss es wollen. Eine solche Motivation ist nötig, weil es in diesem Lernprozess ja nicht nur darum geht zu erkennen, womit und warum man sich selbst und der Welt verschlossen hat. Vielmehr braucht es auch Engagement und Mut, sich wieder zu öffnen. Man muss sich für sich selbst öffnen und – ja – sich auch sich selbst zumuten. Man braucht Mut, um andere Menschen wieder an sich heranzulassen und Nähe zu wagen.

Aber eigentlich haben wir Menschen als Wesen, die mit ihren sozialen Gehirnen nur in Gemeinschaft gedeihen und gesund bleiben können, keine andere Wahl, als uns immer wieder offen und neugierig auf uns selbst, die anderen und die Welt einzustimmen, mit ihr in Resonanz zu gehen – um mit uns selbst und den anderen den Tanz des Lebens zu tanzen.


Anna Trökes hat das moderne Yoga mit ihren unzähligen Büchern, Workshops und Ausbildungen geprägt wie kaum eine andere deutsche Yogalehrerin. Viele der in diesem Artikel bedeutsamen Gedanken findest du in ihrem Buch: “Yoga der Verbundenheit” (2017).

Mehr Infos : prana-yogaschule.de

Wir haben auch schon einige Interessante Interviews mit Anna Trökes geführt, die dich ebenfalls interessieren könnten:

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