Wurzeln und Sprossen

Von der populären Wissenschaftlerin zur Aktivistin: Lange, bevor es gesellschaftlich hip wurde, engagierte sich die britische Forscherin und UN-Friedensbotschafterin Jane Goodall für den verantwortungsvollen Umgang mit der Natur. Der Kino-Dokumentarfilm “Jane’s Journey” beleuchtet die innere Motivation der 80-jährigen Britin, die vor über 50 Jahren begann, in Tansania das Verhalten von Schimpansen zu erforschen und heute im Auftrag ihrer Bildungsinitiative „Roots & Shoots“ unermüdlich um die Welt reist.

Die Erkenntnis nennt sie heute „positiv schockierend“: Bald nach ihrer Ankunft im Gombe National Park/Tansania wurde Jane Goodall bewusst, wie sehr die Eigenschaften und Aktionen der Schimpansen denen der Menschen ähneln. Für die Wissenschaft waren ihre Thesen geradezu revolutionär – es war das Jahr 1960, und die 26-jährige Forscherin hatte noch nicht mal einen Studienabschluss. Ihr erster Beitrag für die Zeitschrift „Nature“ kam postwendend zurück, weil sie bei ihren beobachteten Affen von „er“ und „sie“, also von Individuen sprach. Als erste Wissenschaftlerin gab sie den Tieren in ihrem Forschungszentrum in Gombe keine Nummern, sondern Namen, wodurch viele konservative Kollegen ihre Objektivität bedroht sahen.

Aus dieser Haltung der Verbundenheit mit der Umwelt setzte Jane Goodall ihre Studien fort, promovierte 1965 in Cambridge und gründete 1977 das „Jane Goodall Institute For Wildlife Research, Education and Conservation“, eine mittlerweile globale Organisation. Ende der 80er Jahre gab sie ihre Forschungsarbeit auf, um sich ganz dem Umweltschutz zu widmen. Insbesondere ihr Programm „Roots & Shoots“ (dt. „Wurzeln und Sprossen“) gehört mit Aktivitäten in 120 Ländern zu den wichtigsten Jugendbildungsorganisationen weltweit. Die Frau hinter der globalen Vision und ihre Gründe, ihr Privatleben fast völlig aufzugeben und alle Energie radikal in den Dienst des Umweltschutzes zu stellen, zeigt der Dokumentarfilm “Jane’s Journey” des Münchner Filmemachers Lorenz Knauer. Der Film zeigt ihr Erfolgsgeheimnis, das sie in engen Kontakt mit Staatschefs und Prominenten wie Angelina Jolie gebracht hat: Ihr Ziel, weltweites Denken und Handeln nachhaltig zu verändern, führt über gegenseitigen Respekt – und das Herz, wie sie im Gespräch mit YOGA JOURNAL erklärt.

YOGA JOURNAL: Mrs. Goodall, mit Ihrer Arbeit für die Schimpansen im Gombe Nationalpark
in Tansania haben Sie als abenteuerlustige junge Frau für Aufsehen gesorgt und sind weltweit berühmt geworden. Welchen Stellenwert in Ihrer beeindruckenden Biografie geben Sie dieser Zeit heute?
JANE GOODALL: Sie hat meinen Lebenszweck bestimmt, mit Nachdruck auf die umfassende Verbindung von Menschen, Tieren, Pflanzen und der ganzen Erde hinzuweisen. Ihre Beweise, dass sich das Verhalten von Menschen und Schimpansen nicht gravierend unterscheidet, deckt sich mit der yogischen Idee von der tiefen Einheit aller Lebewesen. Allerdings nicht mit der wissenschaftlichen Vorstellung in den frühen 60er Jahren. 1960 und heute: Jane Goodall mit „ihren“ Schimpansen im Gombe Nationalpark, Tansania Die Art und Weise, wie meine damaligen Forschungsergebnisse vom damaligen akademischen Establishment aufgenommen wurden, hat mich entsetzt. Die westliche Wissenschaft hat den Menschen auf einen Sockel gestellt, bewusst eine Trennung vom Rest der Natur herbeigeführt und Tieren Bewusstsein, Gefühle und Seele abgesprochen. Noch heute kann ich mich darüber aufregen und warte auf den Beweis, dass Menschen überhaupt eine Seele haben Dennoch gibt es natürlich Unterschiede zwischen Menschen und Tieren. Ja, wir haben unseren Intellekt und eine ausgefeilte Sprache. Am wichtigsten ist aber der Unterschied, dass unser Verhalten einer Wahlfreiheit unterliegt. Das schafft eine immense Verantwortung, ändert aber nichts an der Tatsache, dass bespielsweise die Unterschiede zwischen der Menschen und Schimpansen-DNA bei nur etwa einem Prozent liegt. Menschen können von Schimpansen Bluttransfusionen bekommen. Wir sollten uns vor falscher Überlegenheit und Arroganz hüten.

In „Jane’s Journey“ bildet dieser Abschnitt Ihrer Biografie nur die Einleitung, der Fokus liegt eindeutig auf ihren heutigen Aktivitäten mit dem Jane Goodall Institute und der Organisation „Roots & Shoots“.
In meiner Biografie hat sich eine logische Kette ergeben: Um Affen zu retten, muss man den Wald retten. Um den Wald zu retten, muss man sich um die Menschen kümmern. Über die Jahre ist mein Ansatz immer ganzheitlicher geworden. Letztlich habe ich die wissenschaftliche Arbeit aufgegeben,um als Aktivistin tätig zu sein. In meinem „zweiten Leben“, wie ich es nenne, habe ich den geschützten akademischen Raum verlassen und gehe hinaus in die Welt. Es geht ganz einfach um die Zukunft unseres Planeten.

Woher nehmen Sie Ihre Energie, an über 300 Tagen im Jahr für Ihre Projekte unterwegs zu sein?
Die gleiche Energie hätte ich als 30-Jährige nicht gehabt. Wenn man älter wird, hat man schlicht und ergreifend weniger Zeit. Das lässt mich manchmal fast verzweifeln. Ich will meine verbleibende Lebenszeit mit etwas Wertvollem füllen. An Ruhestand denke ich nicht einmal: Den kann ich erst antreten, wenn die Welt gerettet ist. (lacht leise)

Unterstützen Sie Ihre Vision mit einer bestimmten spirituellen Praxis?
Ich habe meine individuelle Form von Meditation, die ich komplett aus der Kraft der Natur beziehe. Wenn ich allein durch den Wald gehe, gibt mir allein dieser Ort spirituelle Energie. Und obwohl ich eigentlich keine religiöse Person bin, erinnere ich mich oft eine Weisheit meiner Großmutter, die mit einem Geistlichen verheiratet war: „Jeder Tag schenkt dir die Kraft, durch den Tag zu gehen. Morgen ist ein neuer Tag, und die Nacht dazwischen gehört dir allein.“

In der Yoga-Community gibt es das intensive Bestreben, den individuellen Effekt der Praxis in die Tat umzusetzen: „Off The Mat Into The World“ ist der Name einer bekannten Initiative, die Yogis mit Wunsch nach gesellschaftlichem Engagement unterstützt. Was raten Sie Menschen, die sich für die Umwelt engagieren wollen, aber durch ihren Idealismus nicht ausbrennen wollen?
Um Menschen zu aktivieren, sollte man nicht den Intellekt, sondern Emotionen ansprechen, Erfahrung erzeugen. Wenn ich vor internationalen Versammlungen wie den United Nations spreche, komme ich oft nach zahllosen Powerpoint-Präsentation von Wissenschaftlern und Managern an die Reihe. Ich hingegen erzähle eher von meinen persönlichen Begegnungen mit Kindern im „Roots & Shoots“-Programm, die mir Fragen stellen wie: „Warum steht es so schlecht um unsere Erde?“ oder „Warum ist sie so zerstört worden?“

Geht es vor allem um Authentizität?
Ich verfahre nach dem Eskimo-Prinzip: Bring das Eis um die Dinge zum Schmelzen. Ich möchte die Herzen der Menschen öffnen, erzählen, was sie konkret tun können, informieren und keinen Pessimismus verbreiten. Ich möchte sie anregen, sich über die kleinen Entscheidungen des Alltags klar zu werden: Woher kommen die Produkte, die wir kaufen, was hat ihre Produktion bewirkt, wie gehe ich mit meinen Mitmenschen um… Das Stärken der eigenen Verantwortung. Nur aus verändertem Bewusstsein kommt echter Wandel. Wir alle haben riesigen Einfluss auf unseren Planeten und damit positive Macht. Viele Menschen kommen nach einem Vortrag auf mich zu und sagen mir: Ich bin ja viel wichtiger, als ich jemals gedacht habe. Im Westen entsteht Aktivismus eindeutig vor einem Hintergrund des Wohlstands.

Sie fördern das Engagement aber auch in den sogenannten Entwicklungsländern. Wo liegen hier kulturelle Unterschiede?
Im Westen entsteht der Wunsch zu helfen oft aus einer Grundmotivation von Schuld: Ich besitze so viel, und diese Menschen so wenig… Wenn man weniger wohlhabende Menschen über mögliches Engagement aufklärt, muss man sich intensiv und sensibel mit ihren Lebensumständen auseinandersetzen.

Welche Rolle spielt Vegetarismus in ihrem Leben?
Eine sehr wichtige. Ich selbst bin seit Jahrzehnten Vegetarierin, aber erst, als ich Peter Singers Buch „Animal Liberation: Die Befreiung der Tiere“ gelesen habe, wurde mir die globale Auswirkung maßlosen Fleischkonsums bewusst. Fleisch auf dem Teller repräsentiert Angst, Schmerz, Tod – und unglaubliche Klimabelastung.

Wie fließt diese Haltung in Ihre Projekte ein? Ich erinnere mich an eine Szene aus „Jane’s Journey“, in der Ihr „Chicken Project“ in Tansania vorgestellt wird.
Dieses Projekt hat zum Ziel, die ausufernde Wilderei in den Urwäldern einzudämmen. Frisches Gemüse ist dort Mangelware, deshalb versorgen wir die Bevölkerung für Ihre Ernährung mit freilaufend gezüchteten, gesunden Hühnern.

Ein Widerspruch?
Ich stelle mich nicht vor diese Menschen und befehle Ihnen, ab sofort Vegetarier zu werden. Man muss realistisch bleiben und einen Weg der kleinen Schritte einschlagen. Alles andere wäre engstirnig. Wenn wir uns fragen, was wir für andere tun können, sollten wir bei uns selbst anfangen. Auf keinen Fall wütend werden und nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Aus dem Herzen handeln. Alles andere funktioniert nicht.

 

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