Es gibt deutliche Unterschiede zwischen der Arbeit mit den Bandhas im traditionellen und modernen Yoga
Im traditionellen Yoga arbeitet man sehr systematisch auch auf energetischer Ebene mit den Bandhas: Man aktiviert beim Pranayama (Atemarbeit) bestimmte Muskeln. Dadurch sollen energetische Verschlüsse (Bandhas) erzeugt werden, die die Lebensenergie (Prana) in den zentralen Energiekanal (Sushumna Nadi) entlang der Wirbelsäule lenken und dort halten. Im modernen Yoga hat sich seit einiger Zeit ein sanfterer Zugang zu den Bandhas durchgesetzt: Man unterrichtet sie eher im Zusammenhang mit Asana als im Pranayama und vor allem mit deutlich geringerer Intensität. Irgendwann wurde mir klar: durch die energetische Arbeit mit den Bandhas wollen wir auch einfach sein – wie bei Meditationsübungen – dabei hilft mir nur Weichheit und nie Kraft oder gar Gewalt: Nur indem ich Spannung in der Umgebung der Bandhas löse, anstatt Spannung zu erzeugen, kann ich das sanfte, spontane Aufsteigen von Prana spüren. Auch bei meinen Schülern kann ich es deutlich wahrnehmen: Wenn sie die Bandhas auf diese Weise einsetzen, dann werden ihre Bewegungen fließender und jede einzelne Haltung wirkt weiter und offener. Außerdem bietet diese Art von Arbeit auch einen Schutz gegen schlechte Ausrichtung und Verletzung: Sobald ich es mit einer Asana übertreibe, verliere ich das Gefühl für die Energie im zentralen Kanal. Versuche es selbst: Mit den folgenden Übungen lernst auch du, die Bandhas wahrzunehmen und sanft zu aktivieren.Die 5 Bandhas
Die drei Haupt-Bandhas (1-3) sind entlang der Wirbelsäule angesiedelt. Die gemeinsame Aktivierung dieser setzt auf- und absteigende Energie gleichzeitig frei und erweckt so die Kundalini-Energie. 1. Jalandhara Bandha – Kehlverschluss: Zieht man das Kinn zur Brust, dann wird Prana abwärts Richtung Nabel gelenkt, anstatt nach oben in den Kopf zu steigen und durch den Schädel zu entweichen. 2. Uddiyana Bandha – Bauchverschluss: Hier kommen zwei Funktionen zusammen: Aufsteigende Energie wird in der Körpermitte weiter nach oben gelenkt, zugleich werden von Mula Bandha aufund von Jalandhara Bandha absteigendes Prana intensiviert. 3. Mula Bandha – Wurzelverschluss: Von der Mitte des Beckenbodens aus schiebt Mula Bandha die Energie nach oben Richtung Nabel und verhindert das Entweichen nach unten.Hände und Füße – weniger starke, aber sehr nützliche Bandhas
4. Pada Bandha – Fußverschluss: Mit Hilfe von Pada Bandha kann man Energie von den Fußsohlen aus nach oben lenken. Das stabilisiert die Beine und erleichtert die Aufrichtung. 5. Hasta Bandha – Handverschlus: Hier leitet man Energie von der weichen Mitte des Handtellers aus nach oben, um Arme und Oberkörper zu stabilisieren und zu kräftigen.8 Übungen zur Bandha-Praxis
Einen sanften, achtsamen Zugang zu den einzelnen der 5 Bandhas zu finden, erfordert Konzentration und Übung. Lass dich also nicht entmutigen, wenn du die Wirkung nicht gleich spürsz. Genau wie du eine komplexe Asana viele Male probieren musst, brauchst du auch für die Feinjustierung der Bandhas Zeit und Geduld.1) Pada Bandha & Mula Bandha | Tadasana – Berghaltung
Stelle die Füße in hüftbreiten Abstand und ziehe die Oberschenkel sanft nach oben. Mit einer Einatmung lass die Wirbelsäule und Flanken in die Länge wachsen, die Stellung des Beckens bleibt neutral. Breite die Zehen weit aus. Mit einer Ausatmung löst du Spannung an den äußeren Rändern der Füße, ohne dass dabei die Fußgewölbe einsinken. Mit einer Einatmung richtest du die Aufmerksamkeit in die weiche Mitte der Fußsohlen und spürst, wie von dort ein sanftes Heben ausgeht – Pada Bandha. Spüre das Glück der Erdung. Erlaube dieser Energie, durch die Beine nach oben zu strömen. Als nächstes entspannst du ausatmend die Gegend um Schambein, Steißbein, Sitzknochen und an den Rändern der Beckenbodenmuskeln. Spüre zum Ende der Ausatmung zur Mitte des Beckenbodens und nimm wahr, wie sich dieser Punkt etwas oberhalb des Damms sacht hebt. Einatmend spürst du, wie diese Energie nach oben fließt – Mula Bandha. Weiterhin bleibst du mindestens 5 Atemzüge lang bei dieser Betrachtung und verbinde dich mit der im zentralen Kanal aufsteigenden Energie.2) Mula Bandha | Ardha Uttanasana – Halbe Vorwärtsbeuge im Stehen
Mit einer Einatmung hebe in Tadasana die Arme, ausatmend gibst du in den Knien etwas nach und beugst dich aus dem Hüftgelenk nach vorn. Einatmend streckst du die Wirbelsäule lang nach vorn, hebst die Brust und setzt die Hände unter deine Schultern auf Blöcke. Anschließend entspannst du ausatmend bewusst die Ränder des Beckenbodens. Zum Ende der Ausatmung und mit der Einatmung beobachtest du ein sanftes, müheloses Heben aus der Mitte des Beckenbodens durch den zentralen Kanal – Mula Bandha. (Wenn es dir schwer fällt, diesen Energiefluss wahrzunehmen, drücke die Ränder des Beckenbodens einen Moment lang nach unten, um leichter Zugang zu finden. Im Anschluss löst du die Spannung wieder.) Bleibe 5 Atemzüge lang in der Asana.3) Hasta Bandha | Marjaryasana und Bitilasana – Katze und Kuh
Richte im Vierfüßlerstand die gespreizten Hände unter den Schultern und die Knie unter den Hüften aus. Becken und Wirbelsäule sind neutral, der Nacken lang. Mit einer Ausatmung entspannst du die Ränder der Handteller, die Fingergelenke und die Handwurzeln zum Boden hin, um Druck aus den Handgelenken zu nehmen. Einatmend spürst du ein sanftes Heben und eine Leichtigkeit, die aus der weichen Mitte der Hände durch die Arme nach oben fließt – Hasta Bandha. Vielleicht kannst du diese Energie bis in den zentralen Kanal hinein spüren. Dann hebst du mit einer Einatmung Sitzknochen und Brust, während der Bauch nach unten sinkt (Kuh). Ausatmend rundest du die Wirbelsäule nach oben und lässt den Kopf sinken (Katze). Diesen Wechsel wiederholst du mindestens 5 Mal. Konzentriere dich auf die aufsteigende Energie.4) Hasta Bandha, Mula Bandha & Uddiyana Bandha | Adho Mukha Shvanasana – herabschauender Hund
Stelle im Vierfüßler die Zehen auf. Ausatmend entspannst du die Ränder deiner Handflächen, einatmend lässt du die Energie aus der weichen Mitte der Hände aufsteigen – Hasta Bandha. Dann hebst du die Knie und schieben das Becken nach hinten in den herabschauenden Hund. Mit einer weiteren Ausatmung löst du die Ränder des Beckenbodens und spürst zum Ende der Ausatmung die Richtung Nabel fließende Energie – Mula Bandha. Durch die Umkehrposition kann sich der Bauch lösen. Mit einer Einatmung entspannst du bewusst die Bauchmuskeln und weitest den Brustkorb, um Raum für die aufsteigende Energie zu schaffen. Ausatmend ziehst du die Bauchhöhle sanft noch etwas dichter unter die Rippen – Uddiyana Bandha. Bleibe ebenfalls 5 Atemzüge lang in der Haltung. Mula und Uddiyana Bandha bedingen sich auf energetischer und physischer Ebene.5) Pada Bandha, Mula Bandha & Uddiyana Bandha | Halbmond-Ausfallschritt
Für diese Übung, die 3 der 5 Bandhas aktiviert, ziehst du dem Hund ziehst du ausatmend den rechten Fuß nach vorn und setzt ihn neben die rechte Hand. Einatmend verwurzelst du die Füße nach unten und richtest den Oberkörper auf. Hebe die Arme und weite die Brust in eine sanfte Rückbeuge. Richte das vordere Knie über der Ferse aus, halte das hintere Bein leicht gebeugt und zieh die hintere Ferse über den Fußballen. Mit einer Ausatmung entspannst du die Ränder der vorderen Fußsohle. Einatmend spürst du den sanften Energiefluss nach oben, der von der Mitte des Fußes ausgeht – Pada Bandha. Der Atem kann nun entspannt weiterfließen: Die Erde trägt dein Gewicht, deine Gelenke stabilisieren es nur. Anschließend löst du mit einer weiteren Ausatmung die Ränder des Beckenbodens. Einatmend geschieht auch hier ein sanftes energetisches Heben von der Mitte her – Mula Bandha. Nun unterstützt du die energetische Aufwärtsbewegung, indem du einatmend die Rippen nach außen weitest. Dabei wirst du eine sanfte Kontraktion der Bauchmuskeln wahrnehmen – Uddiyana Bandha. Die Bauchhöhle bewegt sich in dieser Ausrichtung weniger deutlich nach innen als im Hund. Nach etwa 5 Atemzügen wechselst du über den Hund zur anderen Seite.6) Mula Bandha & Uddiyana Bandha | Eka Pada Rajakapotasana – einbeinige Taube
Ziehe aus dem Hund das rechte Knie zur rechten Hand und bewege den rechten Fuß etwas nach links. Das linke Bein schiebst du gerade nach hinten und legst es ab. Falls nötig, stützt du die rechte Gesäßhälfte mit gefalteten Decken. Lege die Hände auf Blöcken ab. Der Oberkörper sollte so weit wie möglich aufgerichtet sein, ohne dass du dabei in den Hüftgelenken durchhängst. Eichte das Becken achtsam so aus, dass du eine Verbindung zwischen der Mitte des Beckenbodens und dem zentralen Energiekanal wahrnimmst. Entspanne die Ränder des Beckenbodens und spüre die aus der Mitte aufsteigende Energie – Mula Bandha. Dann weite die Rippen und erlaube dieser Energie, durch eine sanfte Aktivität der Bauchmuskeln weiter nach oben gezogen zu werden – Uddiyana Bandha. Beobachte mindestens 5 Atemzüge lang, wie die Bandhas Leichtigkeit, Stabilität und Kraft in Becken, Wirbelsäule und Brustkorb erzeugen. Dann wechselst du zur anderen Seite.7) Mula Bandha & Uddiyana Bandha | Pashchimottanasana – Vorwärtsbeuge im Langsitz
Setze dich auf die Kante einer gefalteten Decke und strecke die Beine lang nach vorne aus. Richte mit einer Einatmung die Wirbelsäule lang auf. Dann neigst du das Becken sanft nach vorn und hinten, bis du die Verbindung zwischen der Mitte des Beckenbodens und dem zentralen Energiekanal spürst. Mit einer Ausatmung löst du jegliche Spannung an den Rändern des Beckenbodens. Einatmend nimmst du wahr, wie Prana aus seiner Mitte in den zentralen Kanal aufsteigt – Mula Bandha. Mit der nächsten Einatmung weitest den Brustkorb. Ausatmend lenkst du die Energie weiter im Rumpf nach oben – Uddiyana Bandha. Zugleich beugst du dich aus den Hüftgelenken lang gestreckt nach vorn. Lege die Hände an die Schienbeine oder greife nach den großen Zehen. Halte 5 Atemzüge lang die Verbindung zu dem Energiefluss, der mit jedem Atemzug in Ihrer Körpermitte aufsteigt.8)Maha Bandha | Sukhasana – einfache Sitzhaltung
Nimm eine bequeme Sitzhaltung mit gekreuzten Beinen ein. Mit einer sanften Ausatmung löst du die Ränder des Beckenbodens. Dann atmest du aus der Mitte des Beckenbodens tief und vollständig ein. Lege die Hände auf die Oberschenkel und beuge dich mit der Ausatmung nach vorn. Richte dich wieder auf ohne dabei einzuatmen. Die Hände drücken gegen die Beine, die Arme sind gestreckt. In diesem Zustand löst du erneut die Ränder des Beckenbodens. Dann ziehst du in einer Art vorgetäuschter Einatmung (es strömt keine Luft in die Lungen) die Energie aus der Mitte des Beckenbodens nach oben – Mula Bandha. Der Bauch wird nach innen gesaugt wie in der klassischen Version von Uddiyana Bandha und die Brust hebt sich Richtung Kinn. Hebe den Kopf vom Scheitel her und strecke den Nacken lang. Dann neigst du das Kinn Richtung Brust – Jalandhara Bandha. Dadurch schiebst du die aufsteigende Energie wieder etwas zur Körpermitte. Im Anschluss um Maha Bandha zu lösen und wieder einzuatmen, hebst du zuerst das Kinn, dann entspannst du den Bauch. Wiederhole die Abfolge noch 1 bis 2 Mal. Zum Abschluss der Sequenz für die Aktivierung der 5 Bandhas entspannst du dich mindestens 5 Minuten lang in Shavasana (Totenstellung). Dabei beobachtest du, wie sich der Energiefluss in deinem Körper verändert hat.Die 5 Bandhas wurden von ESTHER EKHART verfasst. Sie unterrichtet seit über 25 Jahren Yoga und Meditation. Als Gründerin der Online-Plattform Ekhart Yoga ist sie international bekannt. Für diesen Artikel hat sie nicht nur als Autorin, sondern auch als Model fungiert.