In der Theorie sind wir Yogis und Yoginis wohl alle umweltbewusst. Dennoch ist unsere Ökobilanz oft schlechter als die vieler anderer Menschen – denn viele von uns haben auch ganz schön hohe Ansprüche. Die Yogalehrerin und Umweltpsychologin Nadine Richter erklärt, wie wir zugleich nachhaltig und glücklich leben lernen können – und dabei die typischen Fallen überwinden.
Text: Dr. Nadine Richter / Titelbild: Kevin Turcios 0aaaz via Unsplash
Hitzerekorde, brennende Wälder, Stürme, Überschwemmungen, Wasserknappheit: Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass der Klimawandel real ist – und das nicht nur irgendwo im globalen Süden. Im überschwemmten Ahrtal, im verqualmten New York, auf den dürren Feldern von Brandenburg und an vielen anderen Orten haben wir erlebt, dass die ökologische Krise auch uns in den privilegierten Gesellschaften trifft – und es dabei nicht allein ums Klima geht. Forschende sind sich ziemlich sicher, dass nun die letzten Jahre anbrechen, in denen wir noch geplant umsteuern können, bevor wir es zwangsläufig unter großem Anpassungsdruck müssen.
Den meisten Yogapraktizierenden ist die Tragweite dieser Krise wohl bewusst und viele von uns möchten nachhaltiger leben. Denn als Yogis und Yoginis haben wir ja den Anspruch, das Leiden in der Welt zu verringern oder zumindest nicht zu vermehren. Das ist der Kern der Lehre von Ahimsa. Gleichzeitig ist das ganze Thema aber belastend, es kann einen wirklich runterziehen. Denn was können wir als Einzelne schon noch ausrichten? Festhalten lässt sich: Wir sollten etwas tun.
Oder anders gesagt: Wir können uns gar nicht nicht verhalten und tragen daher immer Verantwortung – in gewissem Maß für das politische Geschehen, vor allem aber für unseren persönlichen ökologischen Fußabdruck. Gleichzeitig wünschen wir uns natürlich ein Leben in Fülle, wir möchten uns möglichst nicht einschränken und erst recht nicht unnötige Lasten aufbürden. Das Leben soll schön sein, wir möchten uns wohlfühlen, glücklich sein, erfüllt. Auch deshalb üben wir ja Yoga.
Die Fragen des nachhaltigen Leben
So weit, so vertrackt. Denn wer es schon mal konsequent versucht hat mit dem nachhaltigen Leben, der weiß: Im Detail geht das mit unzähligen Abwägungsprozessen einher, die uns mehr oder weniger stark mental und emotional be- und überlasten können: Ist es nachhaltiger, wenn ich die in Plastik eingeschweißte Bio-Gurke aus Spanien kaufe, oder soll ich mich für die Nicht-Bio-Gurke entscheiden, die aber regional ist? Fliege ich nach Indien, um ein Retreat oder eine Ausbildung zu machen oder funktioniert das in Deutschland genauso gut, auch wenn es dann vielleicht weniger “authentisch” ist? Kaufe ich mir eine fair produzierte Yogaleggings aus Bio-Baumwolle, obwohl die nicht so bequem ist wie die Kunstfaser-Pants? Oder ist Kunstfaser aus recyceltem Plastik vielleicht sogar besser als mit sehr viel Wasser in südlichen Ländern angebaute Baumwolle?
Solche Alltagsentscheidungen können ganz schön herausfordernd sein. Würde ein nachhaltiger Lebensstil automatisch glücklich machen, hätten wir vermutlich gar kein ökologisches Problem. Die Kunst ist es also, das Leben so zu gestalten, dass wir uns glücklich (genug) fühlen oder immerhin zufrieden (genug) sind, aber trotzdem die ökologischen Grenzen des Planeten nicht systematisch durch unser Verhalten überschreiten. Doch wie kann das gelingen?
Wege zum Glück
Der Umweltpsychologe Marcel Hunecke ist in seinem Buch “Psychologie der Nachhaltigkeit” der zentralen Frage auf den Grund gegangen, welche psychologischen Ressourcen nicht nur einen nachhaltigeren Lebensstil wahrscheinlicher machen, sondern gleichzeitig ein glückliches Leben unterstützen. Die Annahme dahinter: Wir können nur langfristig umweltbewusst leben, wenn wir auch glücklich mit diesem Lebensstil sind. Aber was ist eigentlich ein glückliches oder “gutes” Leben?
“Wir können
nur langfristig umweltbewusst leben, wenn wir auch glücklich mit diesem Lebensstil sind.”
In der psychologischen Glücksforschung werden häufig zwei Strategien des guten Lebens unterschieden: Erstens eine hedonistische Lebensphilosophie, die in erster Linie danach strebt, positive Emotionen zu erleben. Meistens geht es da um positive Sinnesreize, die Lusterleben versprechen, also um all das, was dazu führt, dass wir uns körperlich und emotional einfach gut fühlen, ohne dass ein tieferer Sinn dahinter steckt.
Das kann ein gutes Essen sein, angenehmer Körperkontakt aber auch das Hören von Musik – Hauptsache es entspricht dem eigenen Geschmack. Dem gegenüber gestellt wird häufig eine sinnorientierte, die sogenannte eudämonische Lebensphilosophie, bei der es mehr ums große Ganze geht: um Verbundenheit zu anderen Lebewesen oder zum Beispiel darum, was unser bleibender Beitrag in der Welt ist.
Glücklich im Alltag
Aus einer philosophisch-analytischen Perspektive werden Hedonismus und Sinnorientierung häufig als gegenläufige Ansätze angesehen. Denn wenn es einem hauptsächlich um Genuss und Spaß im Leben geht, wo bleibt da der nötige Ernst und die Verantwortungsbereitschaft für das große Ganze? Tatsächlich lässt sich aber in der Lebenspraxis der meisten Menschen ein Mix feststellen: Selbst sehr spirituelle Yogapraktizierende beispielsweise fühlen sich in ihrer Praxis auch körperlich wohl und genießen sie. Und das hat nicht nur seine Berechtigung, sondern auch einen Sinn: Genussmomente sind zwar nur kurzfristig verfügbar und verbessern unsere Stimmung nur für eine kurze Zeit.
Aber wir brauchen sie, um unsere übergeordneten Sinnziele auch über lange und schwierige Strecken nicht aus den Augen zu verlieren. Und noch etwas anderes kommt hinzu: Es existiert ein Spielraum in der Bewertung des eigenen Wohlbefindens, der durch unser Verhalten und die Einstellung zum Leben beeinflussbar ist. Der erste Schritt zu einem nachhaltigeren Leben ist daher, die eigenen Bedürfnisse kennenzulernen und herauszufinden, was uns glücklich und zufrieden macht. Denn nur dann können wir das gute Leben gekonnt mit einem nachhaltigeren Leben verbinden.
Achtsamkeit und Genuss
Aber noch einmal zurück zu den psychischen Ressourcen, die uns auf dem Weg zu Glück und Nachhaltigkeit helfen können. Marcel Hunecke hat sechs Ressourcen identifiziert: Solidarität, Sinnkonstruktion, Genussfähigkeit, Achtsamkeit, Selbstakzeptanz und Selbstwirksamkeit. Als Yogapraktizierende interessiert uns dabei vermutlich ganz besonders die Achtsamkeit. In der wissenschaftlichen Forschung wird sie im Unterschied zur Alltagssprache relativ klar definiert: Gemeint ist hier die Fähigkeit, intentional, nicht-wertend im gegenwärtigen Moment verweilen zu können.
Gleichzeitig ist Achtsamkeit von einer akzeptierenden und wohlwollenden Haltung geprägt. Es geht also gerade nicht darum einzuüben, sich immer stärker von den eigenen Erfahrungen zu distanzieren – auch wenn dieses Missverständnis sich hartnäckig hält. In Wirklichkeit meint es: zunächst mental einen Schritt zurücktreten und sich einen Überblick verschaffen. Im nächsten Schritt gehört ebenfalls dazu, “die ganze Katastrophe” (wie es John Kabat-Zinn ausgedrückt hat) radikal zu akzeptieren. Auch zum Beispiel die Tatsache, dass das Leben nicht immer “happy” sein kann, dass wir alle Leid erfahren (werden), mal mehr, mal weniger. Das bedeutet nicht, dass wir das gut finden, sondern dass wir es zunächst annehmen, wie es ist.
“Der erste Schritt zu einem nachhaltigeren Leben ist es, die eigenen Bedürfnisse kennenzulernen.”
Dadurch hört das Spiel aus Habenwollen und Nicht-Habenwollen, Streben und Ablehnung, Raga und Dvesha zumindest in den achtsamen Momenten auf – und somit auch die Probleme, die damit häufig verbunden sind. Die Akzeptanz des Ist-Zustandes eröffnet überhaupt erst den Raum für Veränderung. Menschen, die sehr achtsam sind, schaffen es ganz gut, die eigenen Gedanken und Emotionen bewusst wahrzunehmen und weniger schnell auf sie zu reagieren – quasi wie eine Verlangsamung und De-Automatisierung des sonst so schnell ablaufenden Wechselspiels zwischen Reiz und Reaktion.
Das führt laut wissenschaftlichen Studien dazu, dass sie weniger Stress haben, ihre Emotionen besser regulieren können und im Allgemeinen ein höheres Wohlbefinden in ihrem Leben haben. Dabei ist Achtsamkeit mit höherem affektiven, also eher hedonistischem und kurzfristigem Wohlbefinden verbunden, obwohl Menschen, die achtsam sind, sogar eher weniger danach streben – eine der Paradoxien der Achtsamkeit.
Naturverbundenheit
Zu den Gründen, warum Achtsamkeit auch mit nachhaltigem Verhalten und dem Gefühl der moralischen Verantwortung gegenüber der Umwelt zusammenhängt und wie genau sich das gegenseitig bedingt, gibt es in der Forschung immer mehr Studien und verschiedene Erklärungsansätze. Ich möchte an dieser Stelle nur meine Lieblingserklärung ausführen, denn sie lässt sich ganz unmittelbar an die Yogapraxis anschließen: die Naturverbundenheit.
In der Psychologie wird Naturverbundenheit (englisch nature connectedness, nature relatedness) als ein Gefühl der Verbundenheit zur natürlichen Umwelt definiert. Dazu gehört es auch, dass wir andere Lebewesen als gleichwertig zu uns Menschen betrachten. Achtsamkeit, also die in der Gegenwart verankerte Präsenz, hilft dabei, die Natur um uns herum überhaupt bewusster wahrzunehmen – die Basis, um eine Verbindung und persönliche Relevanz der Umwelt für uns zu sehen.
Der Bezug zur Yogapraxis lässt sich einfach herstellen: Im Hatha-Yoga wird ja oft davon ausgegangen, dass sich in unserem Körper die gleichen Prinzipien wie in unserer Umwelt wiederfinden: Mikrokosmos ist gleich Makrokosmos. Von daher könnte man sagen, dass eine körperorientierte Yogapraxis ein Instrument ist, um sich mit der Natur (die wir ja auch selbst sind) zu verbinden – sowohl auf einer bewussten, als auch auf einer emotionalen Ebene. Durch diese Erfahrung wird die natürliche Umwelt für uns relevant und wir fühlen uns eher verpflichtet, sie nachhaltig zu handeln: Umweltschutz als Selbstschutz – und Yoga als erster Schritt in Richtung Nachhaltigkeit.
Lies auch Teil 2 dieses Artikels von Dr. Nadine Richter:
Yoga und nachhaltiges Leben zusammendenken – das ist das Anliegen von Dr. Nadine Richter. Sie ist Yogalehrerin in Bochum und Dortmund und arbeitet zu Zusammenhängen zwischen Achtsamkeit, Wohlbefinden und nachhaltigem Verhalten als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der AG Umweltpsychologie der FH Dortmund.
Dr. Nadine Richter war auch schon Gast in unserem Podcast. Hier kommst du direkt zur Folge: