Wer kennt das nicht: Durch Musik ausgelöstes Lachen oder Weinen? Das Einheitsgefühl mit völlig Fremden Beim „Olé, Olé“ im Stadion? Klänge und Emotionen sind spürbar verbunden – und genau so wirken Bija-Mantras.
Treffen Komponisten die „richtigen“ Töne, fühlen wir mit – ob wir wollen oder nicht. Sie spielen mit Tonhöhen, Klangfarben und Rhythmus und kreieren einen Klangteppich, auf dem wir in eine Gefühlswelt fliegen. Dabei reichen Töne völlig aus, Wörter sind nicht nötig. Im Yoga gibt es eine Mantra-Praxis, die mit gesungenen oder gesprochenen Lauten arbeitet, dabei aber wortlos ist: Bija-Mantras sind Klangsilben ohne wörtliche Bedeutung. Das wahrscheinlich bekannteste Bija-
Mantra kennt jeder: Om.
Am Anfang war der Klang
Alten indischen Schriften zufolge ist Om der Ur-Ton des Kosmos, das Echo des Urknalls. Alle grundlegenden Klangformen sind in ihm enthalten, so wie weißes Licht einen ganzen Regenbogen enthält. (Und das Symbol dieser Idee finden wir auf T-Shirts, als Kettenanhänger und Tattoos – wer hätte gedacht, dass wir uns mit philosophischer Physik schmücken?)
Weitere bekannte Bija-Mantras sind die den Chakras zugeordneten Laute: Lam, Vam, Ram, Yam, Ham. Als Zeichen in Devanagari-Schrift findet man sie in der Mitte der Lotos-Symbole zu den Chakras. Diese Lautsilben müsste man eigentlich mit einem Punkt auf dem ‚m’ wiedergeben, denn der Punkt ist nicht nur yogischer Nerdismus, sondern aussprachlich höchst relevant: Er bezeichnet unter anderem die Nasalierung des vorhergehenden Vokals. Das bedeutet, man zieht die Laute mit einem Schuss französischem Akzent in den Nasenraum hoch. So schwingt die Silbe in Kopfnähe und lädt das Bewusstsein zum Paartanz ein. Genau darin liegt der Sinn von Bija-Mantras: den Übenden in eine bestimmte energetische Schwingung zu versetzen.
Klang bringt in Schwingung
Schwingungen werden hörbar, wenn sie in der richtigen Frequenz auf unsere Ohren treffen, wenn die kleinen Hörknöchelchen mitschwingen und diese Signale im Gehirn verarbeitet werden. Aber wir nehmen Schwingungen auch anders wahr – über die Haut und über unsere eigene Schwingung. Ja, wir schwingen auch. Den Lehren der alten Yogameister zufolge vibriert das gesamte Universum mit allem, was darin existiert. Diese Vibrationen beeinflussen sich gegenseitig. Das kann man sich so vorstellen: Ein Stein, der in einen Teich geworfen wird, erzeugt eine kreisförmige Welle – ein visueller Klang. Bei einer Handvoll Kiesel entstehen mehrere solcher Klangwellen. Angenommen, ein Stein steht für einen Yogi. Je nachdem, wie er beschaffen ist, schwingt er. Um tiefe Einheitsgefühle zu erreichen, müsste der Plumps-Kreis vielleicht ein bisschen anders aussehen, nämlich genauso wie jener, der durch den Einheitsgefühl-Stein erzeugt wird. Wenn man jetzt die richtigen Kieselsteine zum Yogi-Stein wirft, verändern sich die Wellen zu Einheitswellen. Diese Kiesel sind die „bijas“.
Bija heißt Keim und bezeichnet das energetische Potenzial, das ein solcher Klang beinhaltet – ähnlich wie ein Pflanzenkeim das Potenzial der Pflanze in sich trägt. Die Keimsilben der Chakras beispielweise entsprechen der Schwingung des jeweiligen Energiekreises und regen es durch Singen der Lautsilbe an. Wie alle Mantras müssen auch Bijas durch einen initiierten Lehrer aufgeladen werden, damit sie ihre volle Wirkung entfalten können. Auch Wissen über Sanskrit ist nötig, um die Bijas richtig zu verstehen. Es ist ein Thema, das immer feinere Töne anschlägt, je mehr man sich ihm nähert.
Man hört nur mit dem Herzen gut
Mit Bija-Mantras kann der Yogi seine Energien reinigen und seine Schwingung modifizieren. Aber wozu? Er schwingt sich in verschiedene Aspekte ein, bis er eins wird mit dem essenziellen Ur-Klang, aus dem alles entstanden ist und der alles verbindet. So eingetunt, beginnt der Yogi auch die Schwingungen des Universums wahrzunehmen: Die hörbare Frequenz erhöht sich, bis man den „unangeschlagenen“ Klang (Anahata) wahrnimmt. Es ist der Klang der Stille, sagen die Yogis. Der Klang des Herzens. Und nur mit ihm hört man wirklich gut.