Goldene Momente
Vor Sonnenaufgang aufstehen, Sadhana, Schlange stehen am Check-In und ein fünfstündiger Flug – „business as usual“ für Gurmukh Kaur Khalsa. Im Interview mit dem YOGA JOURNAL sitzt die 75-jährige Yogalehrerin nach einem „Radiant Power of Women“-Workshop, den sie einen Tag zuvor in Los Angeles gegeben hat, in einem Hotelzimmer in New York City. Keine Frage: Die Kosmopolitin verleiht ihrem spirituellen Namen Gurmukh, der so viel bedeutet wie „Eine, die Tausenden über den Ozean hinweghilft“ Lebendigkeit. Ein Gespräch über Energie, Erleuchtung unter Regenwolken und Empowerment von Frauen.
Sat Nam, liebe Gurmukh, du bist eine Pionierin des Kundalini-Yoga im Westen und hast halb Hollywood zum Chanten gebracht. Magst du es, wenn man dich Guru nennt?
Nein, überhaupt nicht! Ich bin eine Kundalini-Yogalehrerin in der Tradition von Yogi Bhajan. Nicht mehr und nicht weniger. Nicht höher oder nicht tiefer als irgendjemand auf diesem Planeten.
Dennoch ist deine Ausstrahlung einzigartig. Wie schafft man es, so zu leuchten wie du?
Wir sind alle strahlend, haben es nur vergessen! Hast du schon mal ein Baby gesehen, das nicht strahlt? Nur manchmal können wir das Licht durch Drogen, Medikamente, falsche Entscheidungen in Beziehungen, im Job oder schlechte Ernährung aus den Augen verlieren. Dann geht es uns schlecht. Die gute Nachricht: Ich habe oft erlebt, dass schon mit einer einzigen Kundalini-Yogastunde die Lebenskraft zurückkehrt. Das Schöne am Kundalini Yoga und der Praxis im Allgemeinen ist, dass wir niemals sagen müssen: Ich hoffe, es wirkt – wir wissen, es wirkt.
„ Ich liebe es, die Sonne beim Aufgehen zu beobachten, anstatt von ihr geweckt
zu werden.“
Hast du ein Ritual, das jedem von uns im Alltag helfen kann, das eigene Licht zu finden?
Es klingt möglicherweise kitschig: Aber ich bete, meditiere und sage „Danke“, auch wenn es vielleicht ein mieser Tag war. Von den schlechtesten Tagen lernen wir am besten, Herausforderungen anzunehmen. Außerdem versuche ich, anderen Menschen zu helfen und Auftrieb zu geben.
Du wirkst immer hellwach und frisch. Um wie viel Uhr bist du gestern ins Bett gegangen und wann heute morgen aufgestanden?
Letzte Nacht war es spät, weil ich auf einer Geburtstagsparty war. (lacht) Normalerweise um 21 Uhr, damit ich um vier Uhr aufstehen kann. Ich liebe es, die Sonne beim Aufgehen zu beobachten, anstatt von ihr geweckt zu werden. Ich sage dann: „Guten Morgen, Sonne, vielen Dank, dass du für alle Menschen und Lebewesen aufgegangen bist.“ Dann kommt meine Sadhana. Ich danke Gott, einen weiteren Tag dienen und dankbar sein zu dürfen.
Wofür bist du denn heute besonders dankbar?
Ich bin dankbar dafür, dass ich lebe, dass es mir gut geht, dass ich alle meine Gliedmaßen bewegen kann, und dass ich in der Lage bin, Yoga zu üben! Ich bin sehr dankbar für meine Freunde. Durch das Älterwerden habe ich gelernt, wie wichtig Freundschaften sind. Ich schätze jeden Moment, den ich mit Freunden verbringen kann. Vor allem jetzt, da ich aus Los Angeles komme, wo meine Reise 1977 begann. Die Frauen, die vor 15 oder 20 Jahren in meinen Yogaklassen für Schwangere waren, kamen mit ihren Töchtern zu meinem Workshop. Das sind goldene Momente.
Unbedingt! Wir wollen weiter über Energie sprechen. Gibt es ein Chakra, an dem du persönlich besonders arbeiten musstest? Immerhin hast du dem Thema Chakras mit „Die 8 Gaben des Menschen“ ein ganzes Buch gewidmet.
Ich musste ganz klar an meinem Nabel-
Chakra arbeiten. Ich hatte immer viel Angst. Angst davor, dies zu tun, Angst davor, das zu tun. Sogar Angst davor zu atmen. Durch Nabhi Kriya bedeutet ein „Nein“ bei mir „Nein“ und ein „Ja“, „Ja“. Ich sage, meine, glaube und lebe es – und kann es durch meine Erfahrung auch anderen beibringen.
„Kundalini ist Energie, Prana Lebenskraft und Shakti die unendliche, kreative Kraft des Universums. Alle zusammen machen uns zu vollständigen Lebewesen.“
Wenn es im Yoga um Energie geht, werden manchmal Begriffe wie Kundalini, Prana, und Shakti vermischt: Was sind die Unterschiede?
Kundalini ist Energie, Prana Lebenskraft und Shakti die unendliche, kreative Kraft des Universums. Alle zusammen machen uns zu vollständigen Lebewesen.
Immer mehr Menschen stecken heutzutage sehr viel Geld und Energie in ihre Ausbildung zum Yogalehrer. Was rätst du Berufsanfängern?
Unterrichte! Unterrichte! Unterrichte – und unterrichte mehr! Gib! Gib! Gib – und gib mehr! Tue, was du liebst, und das Geld wird kommen. Unterrichte, um zu unterrichten, liebe, um zu lieben. Du bist beschützt.
Dieses Vertrauen ist auch abseits des Yogastudio-Business nicht immer einfach. In der Welt ist sehr viel los – wie können wir unser Energie-Level hoch halten und von Angst in Liebe kommen?
Durch eine tägliche Yogapraxis. Ich erinnere mich regelmäßig an das bewusste Atmen, schließe meine Augen und behalte so mein inneres Leuchten. Du kannst überall beten oder dich zu einem Kind runterbeugen. Meine innere Freude ist immer da. Die Welt ist verrückt, aber auch perfekt.
Als Yoga-Weltreisende musst du es wissen. Auf deiner Homepage
www.goldenbridgeyoga.com gibt es die Rubrik „Gurmukh on the Road“. Bis Sommer 2019 steht dein Reiseplan schon mal. An welchem Ort kannst du besonders gut Energie tanken?
Ich liebe die Wärme, die Sonne, Indien – und Taos in New Mexico. Beides sind Wahlheimaten für mich, weil ich dort die Präsenz Gottes besonders gut spüren, leben und lehren kann. Generell finde ich aber überall auf der Welt Licht.
2018 kommst du gleich zweimal nach Deutschland: zu einer „Spirit in Action Immersion“ Ende April und im Oktober zum „Khalsa Way Prenatal Teacher Training“, beide Male bei Jivamukti Yoga Berlin – was verbindest du mit unserer Hauptstadt?
Ich war mit 19 zum ersten Mal in Berlin. Das war 1961. Ich erinnere mich daran, dass mich Leute aus dem Westen baten, ein kleines Paket mit in den Osten zu nehmen. Ich sagte: „Klar, kein Problem“ und passierte Checkpoint Charlie. Im Osten wurde das Paket mit Tränen in den Augen entgegengenommen. Mir war damals die Bedeutung, dessen was ich da tat und erlebte, gar nicht bewusst. Von allen Städten in Europa liebe ich Berlin am meisten: Es gibt dort durch die Geschichte eine ganz besondere Lebendigkeit und Kreativität.
Im Kundalini-Yoga arbeitet man sehr stark mit Energien. Patanjali sagte, dass man eine gewisse psychische Stabilität braucht, um damit umgehen zu können. Birgt es auch Gefahren, wenn man so eine machtvolle Methode an große Gruppen weitervermittelt?
Nein, außer jemand nimmt Drogen. Kundalini-Yoga zu unterrichten, fühlt sich an, als ob man ein Baby in die Arme seiner Mama legt. Es hat eine schützende Energie.
Eine Energie, um die es auch beim „Khalsa Way Prenatal Teacher Training“ geht. An wen richtet es sich?
Es richtet sich an alle Frauen. Wenn Frauen zusammenkommen, geschieht immer Magie. Frauen brauchen Frauen, wir sind Schwestern. Es geht sehr tief und wir werden in den ersten Tagen unsere eigenen Geburten und Geschichten aufarbeiten, um klar zu werden. Nur dann können wir gute Lehrer sein und in der Lage sein, den Raum für andere Frauen zu halten.
Findest du, dass wir generell mehr weibliche Energie in der Welt brauchen?
Davon bin ich überzeugt. Die Missbrauchsvorwürfe, die gerade vor allem aus dem Westen, aus Hollywood kommen, kommen zum richtigen Zeitpunkt, sie sind ein Katalysator. Wir werden daran erinnert, wer wir sind. Wir sind Adi Shakti: die, die Licht und Leben bringen. Auch als Mütter müssen wir ein Bewusstsein entwickeln. Wenn eine Mutter ihr Kind in den ersten drei Jahren daran erinnern kann, wer es ist, dann tut sie damit mehr als jeder Friedensstifter auf der Welt.
In einer von Social Media geprägten Welt ist es nicht immer einfach, bewusst durchs Leben zu gehen. Du hast selbst einen Instagram-, Twitter-, Facebook- und YouTube-Account. Magst du diese Kommunikationskanäle?
Nein, ich mag Social Media überhaupt nicht. Ich weiß nicht, wie man Fotos mit dem Handy macht oder was Facebook ist, obwohl ich eine Seite habe. Ich benutze noch nicht mal einen Computer. Ich liebe es, im Moment zu sein. Ich weiß aber auch, dass eine andere Generation auf Social Media aktiv ist und ehre sie. Ich frage mich nur: Wenn man die ganze Zeit damit beschäftigt ist, jede Minute seines Lebens aufzuzeichnen – genießt man dann den Augenblick oder ist man nur mit Aufnehmen beschäftigt?
Rätst du Yogis also eher die Finger vom Internet zu lassen?
Das muss jeder für sich entscheiden. Man sollte sich fragen, was man damit erreichen möchte: Was ist deine Bestimmung?
Deine Bestimmung hast als Hippie Mädchen in den Siebzigern durch Yogi Bhajan gefunden. Erinnerst du dich noch an deine allererste Kundalini-Erfahrung?
Ja! Es fühlte sich im positivsten Sinne wie ein Blitz an, so, als wäre ich im Himmel angekommen. Ich war lange auf der Suche, und das war der Anfang. Das ist jetzt 48 Jahre her, und ich bin diesen Weg immer weitergegangen. Ich bin in einen Ashram gezogen, habe einen spirituellen Namen bekommen und stand Yogi Bhajan unterstützend zur Seite.
Was ist deine schönste Erinnerung an ihn?
Am liebsten erinnere ich mich daran, wie er Witze erzählt hat. Er weinte dabei vor Lachen. Er erzählte die Witze nicht auf Englisch, sondern in seiner Muttersprache Pandschabi. Alle um ihn herum lachten, bis die Tränen flossen – obwohl wir kein Wort verstanden. Es war sein Spirit, sein Lebensgeist, den ich für immer liebevoll und tief in meinem Herzen trage.
Yogi Bhajan war es auch, der dir und deinem Mann Gurushabd Singh Khalsa den Segen gab. Wie haltet ihr das Energie-Level eurer Beziehung hoch?
Wir mussten in den 35 Jahren unserer Beziehung immer hart an ihr arbeiten, weil wir sehr gegensätzlich sind. Sein Sternzeichen ist Widder, meins Fische … Wir haben beide unsere eigene Sadhana. Wir essen gut, reisen, unterrichten, spielen, lachen und gärtnern zusammen. Ich könnte keinen besseren Wegbegleiter haben. Er hat mich wahrscheinlich genauso wachsen lassen wie Yogi Bhajan.
Wenn du nur eine einzige Kundalini-Yogaübung weitergeben könntest, welche wäre es?
Kirtan Kriya mit dem Mantra Sa Ta Na Ma.
Letzte Frage: Wo und mit wem möchtest du deinen 80. Geburtstag feiern?
Ich feiere jeden Geburtstag in Indien und lade alle ein, die ich kenne. Wir machen immer eine große Party. Ich werde das wahrscheinlich weiter so machen, bis ich 100 bin!
„Wenn eine Mutter ihr Kind in den ersten drei Jahren daran erinnern kann, wer es ist, dann tut sie damit mehr als jeder Friedensstifter auf der Welt.“
Als Mama zweier Kleinkinder fehlt Kathrin Mechkat manchmal Energie. Das Interview mit Gurmukh lud die Akkus der Wahl-Hamburgerin und Gründerin des Blogs „MOMazing – Das Mama Yoga Love Mag“ blitzschnell wieder auf. Sie hat beschlossen, ab jetzt öfter zum Kundalini-Yoga zu gehen.