Aus dem Yoga wissen wir: Asanas, bei denen es um Beweglichkeit geht, fallen Männern meist schwerer als Frauen, während es bei Armkraft erfordernden Übungen umgekehrt ist. Unsere Körper sind eben verschieden. Ein Fakt, der in der schulmedizinischen Forschung erstaunlich lange vernachlässigt wurde …
Text: Carmen Schnitzer / Titelbild: pixelshot via Canva
Eine Frau, die einen Hosenanzug trägt, ist eine Frau, die einen Hosenanzug trägt. Ein Mann im Blümchenkleid dagegen trägt Frauenkleidung. Der Süßwarenhersteller Ferrero fühlte sich 2012 bemüßigt, Überraschungseier “nur für Mädchen” einzuführen. (Die “Nur für Jungs”-Versionen blieben Testläufe.) Und in Talkrunden oder Castingshow-Jurys sitzen meist drei Männer und eine Frau, seltener ist das Verhältnis 50:50, so gut wie nie dagegen 25:75.
Drei Beispiele, die auf die starke unterbewusste Verankerung in unserem Denken hinweisen, derzufolge es sich beim Mann um den “Norm-Menschen” handelt, bei der Frau dagegen um die Abweichung dieser Norm – auch über 70 Jahre nach Erscheinen von Simone de Beauvoirs philosophischem Klassiker “Das andere Geschlecht”.
Anhand der genannten Beispiele lassen sich nun feministische Diskussionen entfachen, im Verlauf derer man mir sicher gewisse Überempfindlichkeiten unterstellen könnte. In manchen Bereichen aber gibt es im Grunde keine Diskussion: Dann nämlich wenn der Androzentrismus, also das Kreisen um den Mann als Maßstab aller Dinge, buchstäblich Leben kostet – etwa in der Medizin.
Ein weiteres Beispiel wäre die Automobilindustrie, in der Crashtests bis vor Kurzem ausschließlich mit Dummys von durchschnittlich männlicher Statur durchgeführt werden, wodurch in der Folge Unfälle für Frauen häufiger tödlich enden als für Männer. Erst seit diesem Jahrzehnt kommen vereinzelt auch weiblich und kindlich gebaute Dummys zum Einsatz.
Lückenhafte Datenlage
Doch zurück zur Medizin: Jahrhundertelang wurde hier der Männerkörper als Standard betrachtet, geforscht wurde beinahe ausschließlich an ihm. Abgesehen von den Geschlechtsorganen wurden Frauen diesbezüglich lediglich als eine Art “kleinere Männer” betrachtet und entsprechend (falsch) behandelt. Die Gender-Data-Gap, das Fehlen geschlechtsspezifischer Daten für weibliche Personen, ist immer noch groß. Im Grunde erstaunlich, dass eine Gesellschaft, die in Sachen Einparken, Datingverhalten, Kommunikation usw. so vehement auf einer “Mars-Venus”-Einteilung der Geschlechter beharrt hat (und es häufig immer noch tut), ausgerechnet dort so lange Gleichmacherei betrieb, wo die Verschiedenheit eigentlich offensichtlich sein sollte: Biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern finden sich nämlich bis in die Zellebene hinein!
“Der Chromosomensatz aller Körperzellen unterscheidet sich bei den Geschlechtern und bestimmt, welche Sexualhormone produziert werden”, erklärte in der Apotheken-Umschau zum Beispiel Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gendermedizin an der Medizinischen Universität Wien. (Zum Begriff Gendermedizin weiter unten mehr.) “Das wiederum beeinflusst das gesamte Organsystem, den Stoffwechsel, das Herz-Kreislauf-System sowie das Immunsystem grundlegend.”
“Das Männliche ist der Ausgangspunkt”
Erst im Zuge der Frauenrechtsbewegung in den 1960er-Jahren fand langsam ein Umdenken statt, doch noch bis in die 1980er-Jahre galt der männliche Körper als das “normale” menschliche Modell, auch Medikamente wurden fast ausschließlich an Männern getestet. Das begann übrigens schon vorab bei den Tierversuchen, etwa mit Mäusen: Da man davon ausging, dass der Hormonzyklus weiblicher Mäuse Testergebnisse beeinflussen könne, wurden überwiegend männliche Mäuse ausgewählt. Die Annahme von einer höheren Daten-Streubreite sei allerdings mittlerweile widerlegt, erklärt die auf Gendermedizin spezialisierte Kardiologin Prod. Dr. med. Cathérine Gebhard vom Inselspital Bern im Interview mit dem Nachrichtenportal Watson. Außerdem sei das ohnehin “kein Grund, weibliche Zellen und Tiere aus der Grundlagenforschung auszuschließen.”
Verbindlich auch an Probandinnen getestet werden, müssen Medikamente in klinischen Studien erst seit den 1990ern, wobei das prozentuale Verhältnis und die gewissenhafte Auswertung hier oft immer noch nicht zufriedenstellend ist. Ersteres liegt übrigens nicht allein am Unwillen oder Desinteresse der Forscher*innen: Frauen zeigen grundsätzlich auch eine geringere Bereitschaft, an klinischen Studien teilzunehmen, sei es aus einer größeren Sorge heraus (etwa neben sich selbst auch eventuelle spätere Kinder zu gefährden) oder, weil sich die Teilnahme schwer mit der ohnehin schon großen Doppelbelastung von Beruf und Familie vereinbaren lässt.
Geschlechtsspezifische Leiden
Dass eine sinnvolle Geschlechterverteilung nicht zwingend 50:50 heißen muss, darauf weist unter anderem das WDR-Wissenschaftsmagazin “Quarks” hin: “Das Verhältnis sollte sich vielmehr an der tatsächlichen Geschlechterverteilung der Krankheiten orientieren.” Frauen leiden zum Beispiel überproportional häufig an Kniegelenksarthrose, an Autoimmunerkrankungen oder Schilddrüsenproblemen; Männer dagegen sind unter anderem anfälliger für Erbkrankheiten, die über das X-Chromosom vererbt werden (etwa der Bluterkrankheit), weil Frauen einen entsprechenden Gendefekt durch ihr zweites X-Chromosom ausgleichen können.
Nun ist es aber nicht damit getan, neben den Probanden auch Probandinnen zu untersuchen – die entsprechend unterschiedlichen Ergebnisse müssten natürlich auch in den Forschungsergebnissen erwähnt und diskutiert werden. Leider haperte es auch hier noch allzu oft, wie Gendermediziner*innen bemängeln. Diese bemühen sich seit nunmehr rund drei Jahrzehnten, die vorhandenen Wissenslücken zu schließen und Bevölkerung und vor allem Ärzteschaft für die biologisch bedingten Unterschiede zu sensibilisieren.
Im Deutschen spricht man daher mitunter auch von geschlechtersensibler oder geschlechtsspezifischer Medizin. Die Unterschiede gilt es von der Diagnose bis hin zur Medikation in allen Bereichen zu berücksichtigen. Es ist sicher kein Zufall, dass Frauen Studien zufolge doppelt so häufig wie Männer unter Nebenwirkungen ihrer Tabletten, Tropfen & Co. leiden, sondern vielmehr eine Folge falscher Dosierung. Dass die für weibliche Personen anders (in den meisten Fällen deutlich niedriger) ausfallen sollte, liegt nicht allein am meist niedrigeren Gewicht, sondern auch an der Verteilung von Muskelmasse, Blutvolumen, Fett- und Wasserhaushalt, die bei Frauen anders aussieht als bei Männern, was zu Unterschieden in der Verteilung und beim Abbau der Wirkstoffe führt.
Zwar schreibt das deutsche Arzneimittelgesetz seit 2004 vor, dass die Geschlechter in großen Studien getrennt untersucht werden, doch da die meisten handelsüblichen Medikamente schon vor dieser Zeit zugelassen worden sind, wird es noch dauern, bis sich wirklich etwas ändert.
Herz an Herz – die Unterschiede
Besonderes Augenmerk legt die Gendermedizin auf den Bereich Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zwar betreffen diese Frauen seltener als Männer, aufgrund falscher oder zu später Diagnostik enden sie bei ihnen aber häufiger tödlich. Das Frauenherz lässt sich nämlich nicht einfach als etwas kleineres Männerherz betrachten, wie die Leipziger Herzchirurgin Prof. Dr. Sandra Eifert in einem Interview mit dem SZ Magazin ausführt. Die testosteronbedingt höhere Muskelmasse des männlichen Körpers betreffe auch das Herz, erklärt sie – es sei kräftiger als das weibliche und könne dementsprechend mit jedem Schlag mehr Blut durch den Organismus pumpen. Zum Ausgleich pumpe das Frauenherz etwa zehn Schläge pro Minute schneller als das eines Mannes.
Dazu komme, dass das Frauenherz von Natur aus empfindsamer auf Stress reagiere, andererseits aber zumindest vor der Menopause “durch einen bestimmten Hormonstatus sehr gut geschützt vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen” sei. Auch altern Frauen- und Männerherzen anders, berichtete ihre Kollegin Cathérine Gebhard in einem “SWR 1 Leute”-Interview: “Das weibliche Herz wird mit dem Alter noch kleiner, schrumpft und wird sogar etwas steifer. Das männliche Herz wird eher größer und schlägt behäbiger.” Dass der Herzinfarkt einer Frau überproportional oft tödlich endet, liegt daran, dass die Symptome meist andere sind und er dementsprechend später oder im schlimmsten Fall gar nicht als solcher erkannt wird.
Fragt man im Bekanntenkreis herum, was typische Anzeichen für einen Herzinfarkt sind, dann fallen den meisten die bis in den linken Arm ausstrahlenden Brustkorbschmerzen und starkes Angstempfinden ein. Beides korrekt – bei Männern. Bei Frauen können sie zwar ebenfalls auftreten, oft äußert sich ein Infarkt aber deutlich unspezifischer, etwa durch Oberbauchschmerzen, Schwindel, Übelkeit, Schweißausbrüche oder Kurzatmigkeit. Andere Herzerkrankungen treten sogar überwiegend bei Patientinnen auf: So handelt es sich besispielsweise bei 90 Prozent aller vom Broken-Heart-Syndrom Betroffenen um Frauen nach den Wechseljahren. Dieses “Gebrochene Herz”-Syndrom ist eine akut auftretende, schwerwiegende Funktionsstörung des Herzmuskels nach einer großen emotionalen Belastung. Wir erinnern uns: Das weibliche Herz ist stressempfindlicher als das männliche!
Vorteile für alle
Auch wenn es in diesem Artikel hauptsächlich um die Vernachlässigung der Frauengesundheit ging: Es bleibt wichtig zu betonen, dass von Gendermedizin nicht nur der weibliche Teil der Bevölkerung profitiert. Denn natürlich gibt es neben den offensichtlich gynäkologischen auch weitere Leiden, die als typische “Frauenkrankheiten” gelten und in denen der Blick auf die Männer bislang zu kurz kam. Dazu zählen zum Beispiel psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen oder solche der Knochen, etwa Osteoporose. Und während der Covid-19-Pandemie konnte man feststellen, dass sich unter den Todesopfern mehr Männer befanden, wohingegen Frauen häufiger an Post beziehungsweise Long Covid leiden – und es teilweise bis heute tun.
Würde man besser verstehen, woher all diese Unterschiede rühren, hätte das Vorteile für alle Menschen, nicht nur für Frauen. Es bleibt also zu hoffen, dass die gendermedizinische Forschung voranschreitet und die bestmögliche Aufmerksamkeit und Unterstützung erfährt – auch von denen, die in Gendersternchen ein lästiges Übel sehen und sich an den Anblick von Männern in Blümchenkleidern auf keinen Fall gewöhnen wollen.
Carmen Schnitzer arbeitet als Journalistin und schreibt seit Jahren für das YOGAWORLD JOURNAL. Erfahre mehr über die Autorin und besuche ihre Facebook-Seite.
Hier kannst du etwas über Frauengesundheit aus ayurvedischer Sicht lesen: