Löwengebrüll, brummende Hubschrauber, strampelnde Käfer auf dem Rücken, Helden mit Superkräften und Surfer in der Pipeline – im Kinderyoga ist Fantasie gefragt. Während Erwachsenen die Anweisung „Virabhadrasana II“ reichen mag, um in einen perfekten Krieger II zu kommen, stellen sich Kinder hierzu viel lieber vor, wie ein Surfer auf dem Brett zu balancieren. Beim Yoga lernen sie die Asanas je nach Alter auf mehr oder weniger spielerische Weise.
Von Verena Hertlein
„Kinder sind sehr fantasiereich und lernen schnell, wenn sie in Bilder lernen dürfen. Sagt man die Kobra an, liegen sofort alle auf dem Bauch, räkeln die Hälse und geben Zischlaute von sich. Kinder machen nicht die Übung, sie sind die Übung.“ Holger Zapf, Kinderyogalehrer und -ausbilder am Institut Unit Wiesbaden, betont, wie wichtig es ist, Yoga an die Bedürfnisse von Kindern anzupassen. „Ist die Yogastunde neben dem positiven Effekt auch noch lustig, spannend und jedes Mal ein Erlebnis, werden die Kinder immer wieder gerne hingehen.“ Als Kinderyogalehrer braucht man viel Fantasie und die Fähigkeit, sich in die Kinder hinein zu versetzen. Sonst hat man schnell einen Raum voller lustloser oder nörgelnder Kinder vor sich. Wenn sie mit Langeweile oder Monotonie konfrontiert werden, verlieren sie nämlich schnell die Lust
Das wichtigste Prinzip: Satya – Wahrhaftigkeit
Auch Jenny Burgstett, Kinderyogalehrerin bei Jaya Yoga in München, weiß, was ihre kleinen Schüler wünschen. Sie müssen die Möglichkeit haben, zwanglos und mit Spaß zu lernen. Seit acht Jahren unterrichtet sie Kinderyoga und hat von ihren Schülern vor allem gelernt, selbst flexibel zu bleiben und im Moment zu leben. „Mit Kindern weiß man vorher eigentlich nie so genau, wie sich die Yogastunde entwickeln wird. Für mich ist das allerwichtigste Prinzip „Satya“ – Wahrhaftigkeit. Wenn ich am Anfang der Stunde beispielsweise merke, dass es einem Kind nicht gut geht, integriere ich das in die Stunde. Vielleicht mache ich dann Gefühle oder Veränderung zum Unterrichtsthema. Es hat keinen Sinn, als Lehrer stur an einem Konzept festzuhalten. Mit Kindern funktioniert das einfach nicht.“ Ihrer Erfahrung nach sind Kinder sehr authentisch und verstellen sich nicht wie Erwachsenen. „Wenn ich mit Kindern zusammen bin, versuche ich, genauso authentisch zu sein. Ich erzähle ihnen auch, wenn es mir einmal nicht gut geht. Mich hat schon immer die Leichtigkeit und Offenheit, mit der Kinder die Welt erleben, fasziniert. Mit Yoga möchte ich Kinder dabei unterstützen, sich mit Neugierde und Spaß selbst zu erfahren, ihre Stärken zu entdecken und in Harmonie mit sich und anderen zu leben.“
Freiraum zurück erobern
Wenn man einen Blick auf die Kurspläne von Yogastudios wirft, kann man erkennen, dass Yoga für Kinder immer mehr an Beliebtheit gewinnt. Holger Zapf sieht die Ursache in der wachsenden Reizüberflutung, die heute schon im Kindesalter den Alltag prägt – durch Fernsehen, Videospiele und nicht zuletzt überladene Lehrpläne in den Schulen. Die wenige Freizeit wird oft zusätzlich mit Englisch und Klavierunterricht verplant und den Kindern bleibt immer weniger Auszeit zur Entspannung. Rechnet man alle organisierten Aktivitäten zusammen, kommen Kinder nicht selten auf einen 10-Stunden-Tag. Wen wundert es da, dass viele Kinder darauf mit innerer Unruhe reagieren, zappelig, unkonzentriert oder sogar aggressiv werden? Zapf empfiehlt Kinderyoga, um den Kindern genau diesen verlorenen Freiraum zurückzugeben. „Die Yogastunde dient als Refugium jenseits von Termin- und Leistungsdruck, in dem sie ihre Kreativität ausleben und sich so selber entdecken können.“
Mutter-Vater-Kind-Yoga
Isabel Schilpp, die im Frankfurter Studio „Inside Yoga“ (www.insideyoga.de) Kinderyoga unterrichtet, hat sich ebenfalls Gedanken darüber gemacht, wie sehr Kinder und Eltern von der allgemeinen Hektik und dem schnellen Tempo unserer Zeit betroffen sind. „Im ständigen Balanceakt zwischen Schule, Arbeitswelt und Familienleben ist der Tag eines jeden Familienmitglieds angehäuft mit Terminen und Verpflichtungen. Das Freizeitprogramm wird oft unabhängig voneinander gestaltet. Daher bleiben gemeinsame Stunden und die Ruhe, sich wirklich aufeinander einzulassen, meist auf der Strecke.“ Aus diesem Grund veranstaltete sie 2009 zum Weltkindertag bei Inside Yoga erstmalig einen Workshop für Mutter-Vater-Kind-Yoga. Das Konzept: Die ganze Familie soll aus dem Alltag heraus und gemeinsam auf die Matte. „Der ganze Tag stand unter dem Motto sich für das zu öffnen, was einen verbindet, und es im gemeinsamen Yoga umzusetzen. Es war schön zu sehen, wie die Kinder die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern genossen und mit Enthusiasmus und Konzentration bei den Übungen waren. Die Eltern staunten oft nicht schlecht darüber, was ihr Kind kann. Der Workshop bot den Eltern-Kind-Paaren das passende Umfeld, sich auszuprobieren und sich miteinander auseinander zu setzen. Dabei wurde das Bewusstsein, dass eine gut funktionierende Beziehung mit ständiger Arbeit verbunden ist, wachgerufen. Isabel Schilpps Fazit: Beim gemeinsamen Yoga konnten Eltern und Kinder neue Seiten am anderen entdecken und das Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Team stärken.
Natürlich bietet es sich für Eltern an, auch zu Hause mit ihrem Kind Yoga zu machen. Um selbst eine Yogastunde zu kreieren, gibt Holger Zapf folgende Tipps:
* Werden Sie erfinderisch! Überlegen Sie sich Geschichten zu Themen, die Ihr Kind interessiert, beispielsweise Piraten, Skaten oder den Zoobesuch, und bauen sie die Asanas in die Geschichte ein.
* Wählen Sie Übungen, die zu den Bedürfnissen ihres Kindes passen. Ist ihr Kind eher unruhig, vermeiden Sie Übungen, die stark aktivierend sind.
* Versuchen Sie, sich in Ihr Kind hinein zu versetzen und sich daran zu erinnern, wie sie sich in dem Alter gefühlt haben.
* Üben Sie interaktiv, beziehen sie das Kind in das Geschehen ein.
* Zwingen Sie ihr Kind auf keinen Fall zu Yoga. Ihr Kind sollte freiwillig und mit Neugierde dabei sein.
Das Institut UNIT (www.unit-wiesbaden.de) veranstaltet für interessierte Yogalehrer und Pädagogen in Kooperation mit dem Deutschen Roten Kreuz Mainz Kinderyoga-Ausbildungen in Wiesbaden und München. Die nächsten Termine sind: 23.-25. April 2010 in München (berufsbegleitend) und 10.-15. August 2010 in Wiesbaden (Intensivkurs).