Irgendwie spielen die “Hamstrings” im Yoga immer eine Rolle. Entweder sind sie zu wenig gedehnt oder chronisch überdehnt. Um welche Muskeln es bei der Oberschenkelmuskulatur überhaupt geht und welche Funktionen sie erfüllen, liest du hier.
Vielleicht kennst du das noch aus dem Sportunterricht oder von der Untersuchung beim Arzt. Um die Gelenkigkeit zu testen, sollte man zeigen, ob man mit den Fingerspitzen die Zehen berühren kann. Heute weiß man allerdings: Dehnbarkeit ohne Kraft ist beileibe kein erstrebenswertes Ziel. Mal abgesehen von den Verletzungsrisiken. Übermäßig gedehnte rückseitige Oberschenkelmuskulatur trägt auch dazu bei, dass sich die Hüfttbeuger verkürzen. Dann kippt das Becken zu weit nach vorne. Die Folge: Schmerzen im unteren Rücken.
Dennoch gelten mobile “Hamstrings” im Yoga noch immer vielen Übenden als Ideal. Und umgekehrt hört man nicht selten: “Yoga ist nichts für mich, ich kann ja noch nicht mal meine Zehen berühren!” Dabei ist im Grunde beides Quatsch. Viel wichtiger ist in der Oberschenkelmuskulatur die gesunde Balance aus Dehnung und Kraft. Nach dem Motto: stretch and strengthen. Um gezielt an beidem zu arbeiten und um zu verstehen, wie die Asanas genau diese Ausgewogenheit herstellen können, lohnt der Blick auf die Anatomie.
Körperwissen – Die Anatomie der rückseitigen Oberschenkelmuskulatur
Die Muskelgruppe an der Rückseite der Oberschenkel wird als ischiocrurale Muskulatur bezeichnet, manchmal bezogen auf ihre Funktion auch als Hüftgelenksextensoren. Alle Muskeln dieser Gruppe entspringen an den Sitzknochen (auch: Sitzbeinhöckern, Tuber ischiadicum), also am unteren Ende des Beckens. Von dort verlaufen sie entlang der Beinrückseite abwärts. Über lange Kreuzbänder in der Kniekehle sind sie mit dem Unterschenkel verbunden. In ihrer Funktion sind sie “biartikulär”. Das heißt, sie wirken auf zwei Gelenke ein – in diesem Fall Knie und Hüfte. Am Knie sind sie für das Beugen zuständig, an der Hüfte für die Streckung und das Nach-hinten-Kippen des Beckens.
1 Tuber Ischiadicum: Sitzknochen oder Sitzbeinhöcker, der untere Rand der Beckenrückseite.
2 Os Femoris: Der Oberschenkelknochen oder kurz Femur ist der längste und stärkste Röhrenknochen des Menschen.
3 Musculus Bizeps Femoris: Dieser zweiköpfige Muskel mit dem deutschen Namen Schenkelbeuger stellt den äußeren Teil der Oberschenkelrückseite dar. Der in der Abbildung sichtbare lange Kopf entspringt am Sitzknochen, der Kopf schmiegt dich an die untere Hälfte des Oberschenkelknochens. Gemeinsam enden sie in einer Sehne an der Außenseite des Knies, genauer am Wadenbein (Fibula). Die Aufgabe dieses Muskels ist neben Kniebeugen und Hüftstreckung die Außenrotation der Hüfte und des gebeugten Knies.
4 Musculus Semimembranosus: Der als Plattensehnenmuskel bezeichnete Teil der ischiocruralen Muskulatur beginnt als eine dicke, membranartige Sehen am Sitzknochen und setzt unten an der Innenseite des Knies an. Er bewirkt neben Kniebeugen und Hüftstreckung die Innenrotation am Hüftgelenk und dreht den Unterschenkel am gebeugten Knie nach innen. Außerdem dient er als faszialer Anker für den größten Muskel der Oberschenkelinnenseite, den Adductor Magnus.
5 Musculus semitendinosus: Auch der Halbsehnenmuskel entspringt am Sitzbeinhöcker. Er verjüngt sich in einer langen Sehne, die am innersten Teil der Kniebeuge ansetzt. Wie der Semimenbranosus ist neben Kniebeugen und Hüftstreckung zuständig und die Innenrotation am Hüftgelenk. Wenn das Knie gebeugt ist, dreht er den Unterschenkel nach innen.
Text: JILL MILLER, Illustration: MICHELLE GRAHAM, Titelbild: HAROLD PEREIRA