Sei still und tanz!

Bhakti Yoga wird poetisch als „Yoga der hingebungsvollen Liebe“ übersetzt. Es ist ein Weg, der hervorragend für Menschen geeignet ist, die weniger kopflastig leben möchten.

Verglichen mit der Anzahl an unterschiedlichen Asana-Klassen gibt es in den deutschen Yogastudios noch verhältnismäßig wenig Differenzierung bezüglich „Bhakti Yoga“. Dieser klassische Yogaweg, den Krishna in der Bhagavad Gita beschreibt, war nach Ansicht mancher Gelehrter zunächst für Gefühlsmenschen gedacht, die nicht in der Lage waren, ruhig zu meditieren. Wer seine Gedanken nicht zur Ruhe kommen lassen konnte, der begann einfach zu beten, zu singen und zu tanzen. Auf diese Weise fängt im Inneren eine Liebesbeziehung zu Gott an. Die göttliche Gnade trägt den Hingegebenen dann in den überbewussten Zustand des Yoga. Eigentlich könnte das heute ein sehr moderner Weg werden, der Menschen hilft, die unter ihrem Verstand, seinen Sorgen und Zweifeln leiden.

Im westlichen Religionskreis, in dem die meisten von uns aufgewachsen sind, sieht man sich allerdings zunächst als von Gott getrennt. Man muss erst etwas „erreichen“, bevor man Erlösung erlangt. Es fällt uns schwer, auf Gott zu vertrauen. Deshalb werden die Götter und Göttinen im Hinduismus als Bilder und Marmorstatuen immer so bunt und freundlich angemalt: Damit wir mit ihnen Freundschaft schließen.

Hefte Deinen Geist nur auf Mich, und Deinen Verstand in Mich, dann wirst Du ohne Zweifel in Mir alleine leben. (Bhagavad Gita, XII.8.)

Die meiste Zeit des Tages haben wir jedoch andere Dinge auf unserer Agenda, als Gott zu unserem Freund zu machen. Da ist nicht viel Raum in unserem Herzen, wo Gott einen Platz hätte. Meist sind wir mit Alltags-Schwierigkeiten beschäftigt. Dabei ist Bhakti Yoga der leichteste und sinnesfroheste Weg, den man wählen kann, wenn man eine neue Qualität in sein Leben bringen möchte. In der Regel empfinden wir ja einiges in den Yogalehren als Herausforderung. Die Kontrolle über unsere Sinne, zum Beispiel. Es mag einfach sein, sich das Fleischessen abzugewöhnen. Aber was ist mit diesem wirklich guten Glas Wein? Oder der Nougat-Schokolade? Fügen Sie hier ihre Lieblings-Sinnesfreude ein, die sie irgendwann gerne aufgeben würden – „nur noch nicht jetzt, bitte!“

 

Auf den (Höheren) Geschmack kommen

Es wird schwierig bleiben, wenn wir nur mit der Kraft des Verstandes und der Einsicht versuchen, bestimmte Dinge aus unserem Leben zu entfernen. Wir hätten immer noch das Gefühl, dass etwas fehlt. Eine gute Erklärung und Lösung für das Problem findet man im zweiten Kapitel der Bhagavad Gita:

Die Seele kann zwar von Sinnesfreuden zurückgehalten werden, doch der Geschmack für die Sinnesobjekte bleibt. Wenn sie jedoch solche Neigungen aufgibt, da sie einen höheren Geschmack erfährt, ist sie im transzendentalen Bewusstsein gefestigt. (II.59.)

Mir gefällt an der Übersetzung dieser Zeile der „höhere Geschmack“. Ich kann leicht etwas loslassen, wenn ich eine bessere Alternative finde. Wenn man weiß, wer diese Zeilen übersetzt hat, schmunzelt man über diesen Schlingel. Sie stammt von Swami Prabhupadananda, dem Begründer der Hare Krishna-Bewegung. Die Krishna-Verehrer legen bekannterweise besonderen Wert auf gute Küche. Gut zu kochen und zu essen gilt bei ihnen als Verehrung Gottes. Swami Sivananda übersetzt das Ganze auf viel pragmatischere Weise: „Verlangen wendet sich ab, wenn man des Höchsten gewahr wird.“

Bhakti Yoga benutzt Sehnsüchte, die in uns allen stecken, um dadurch den tiefen Wunsch zu verstärken, ein wirklich erfülltes Leben zu führen, anstatt ständig „quick fixes“ auf dem Weg zum Glücklichsein zu benutzen. Wie schaffen wir es aber in der Praxis, regelmäßig das „Höchste“ in unser Leben einzuladen? Achtsamkeit und daraus folgender Respekt für alles, was uns begegnet, ist der Schlüssel:

Wer mich in allen Dingen sieht und alle Dinge in mir, verliert seinen Halt nicht an mir, und ich verlasse ihn nicht. (VI.30.)

 

Kraft der Rituale

Manchmal kann einen das ärgerlich machen, wenn man immer hört, dass man „das Göttliche in Allem“ sehen soll. Wir stellen damit auch sehr hohe Ansprüche an uns selbst. Mit Bhakti Yoga kann man so eine Grundhaltung aber regelrecht „trainieren“. Um Schönheit in allem zu sehen, hilft es, von den Verehrungsritualen, mit denen in Indien viele tägliche Handlungen beginnen, zu lernen. Man muss dann nicht immer eine komplette Puja oder eine Feuerzeremonie machen. Es reicht zu üben, kleine Dinge mit ganzem Herzen zu tun:

Ein Blatt, eine Blume, eine Frucht, oder nur etwas Wasser, mir in Hingabe dargebracht, nehme ich als Geschenk der Liebe, mit Freude an. (IX.26.)

Durch Rituale werden die Sinne geschärft, so dass man nach einiger Praxis auch Alltäglichkeiten wie das Plätschern des Spülwassers als Anlass nehmen kann, sich entspannt zu fühlen und das Reinigen der Kaffeetasse als Verehrung Gottes zu sehen. Wenn das mehr und mehr gelingt, dann bekommen wir auch eine andere Haltung – selbst wenn der Alltag uns widrig scheint. In meinem Leben häufen sich Schwierigkeiten meist dann, wenn ich meine Meditationspraxis vernachlässige. Wenn ich mich nicht mit allem, was mir lieb ist, an diesen „höheren Geschmack“ anvertraue, dann werden Dinge im Außen meines Lebens schneller zu persönlichen Dramen. In solchen Zeiten hilft es mir, mich wieder auf das zu fokussieren, was ich eigentlich möchte.

In unseren Großstädten hat es zumindest begonnen, sich zum Chanten von Mantras und Kirtans zu treffen. Krishna Das und Dave Stringer machen es vor. Wir können laut mitsingen. Krishna freut sich immer, wenn jemand seine Lieder singt. Wenn wir singen und tanzen, dann erleben wir statt unseren Zweifeln – an Gott oder an uns selbst – diesen „höheren Geschmack“ dessen, was die Gita „Das Selbst“ nennt.


RALF STURM leitet mit Katharina Middendorf die Yogalehrer-Ausbildung zum „Teacher of Stillness“. Gemeinsam führen sie eine Praxis für Yogatherapie und Paarberatung in Berlin.

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