Zoopolis

Während die Idee der fleischlosen Ernährung an Akzeptanz gewinnt, nimmt die industrielle Massentierhaltung, -ausbeutung und -tötung zu. Da kommt der Vorschlag, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier politisch zu lösen, gerade recht. 

Nicht Gnade, nicht Mitgefühl und auch keinen fürsorglichen Paternalismus – Sue Donaldson und Will Kymlicka wollen nichts weniger als Gerechtigkeit für Tiere. Selbst ökologische Argumente für den Erhalt der Tierwelt spielen für die Autoren des Buches „Zoopolis. Eine politische Theorie der Tierrechte“ (Suhrkamp, 36 Euro) keine Rolle. Die beiden gehen bei ihrem Gerechtigkeitsprojekt von anderen Prämissen aus.

Erstens: Tiere haben unverletzliche Rechte, weil sie empfindungsfähige Individuen mit subjektiver Welterfahrung sind. Es herrscht daher moralische Gleichheit zwischen Mensch und Tier. Die Prinzipien dieser Gleichheit können nicht von der Intelligenz abhängen, sondern allein von der Empfindungsfähigkeit eines Wesens. Skeptikern halten sie entgegen: Die Tierarten, die besonders grausam missbraucht werden, sind gerade diejenigen, deren Bewusstsein und Schmerzempfinden am wenigsten in Frage gestellt werden.

Zweitens: Tiere sind keine undifferenziert Masse, über die wir pauschal reden oder urteilen können. Sie lassen sich differenzieren – etwa in wildlebende Tiere, Kulturfolger, domestizierte Tiere, Gefährtentiere, Nutztiere – und daraus lässt sich eine gruppen- und situationsbezogene Tierethik entwickeln.

Drittens: Wir leben seit jeher in gemischten Mensch-Tier-Gemeinschaften. Da diese Beziehungen unauflöslich sind, verlangen sie nach einem gerechten Interessenausgleich. Die Pointe am Vorgehen von Donaldson/Kymlicka ist nun, dass sie bestimmten Tieren den Status von Staatsbürgern, Vollbürgern, anderen von Einwohnern oder Gästen und wieder anderen den von Migranten, Flüchtlingen oder souveränen Gemeinschaften geben. Jede Gruppe hat eigene Ansprüche, Rechte, Verpflichtungen und Probleme. Die Idee ist zum Beispiel, mit domestizierten Tieren ein geteiltes politisches Gemeinwesen zu unterhalten, in dem hierarchische Beziehungen durch Mitbürgerschaft und Mitgliedschaft ersetzt werden. Die Autoren betonen, dass es eine empirische Tatsache ist, dass viele Tiere dieser Gruppe sowohl zur Kommunikation als auch zur Kooperationen mit Menschen in der Lage sind und eine Sozialisation bzw. Partizipation heute schon stattfindet und in Zukunft ganz selbstverständlich viel weitergehend möglich sein könnte. Wildlebende Tiere oder Kulturfolger hätten den Status von Gästen oder souveränen Gemeinschaften; vergleichbar mit den politischen Rechten der Indianer, der Aborigines oder Inuit. Allein die Forderung, über die Mensch-Tier-Beziehung mit Begriffen wie „Staatsbürgerschaft“, „Immigrant“ oder „Gast“ nachzudenken, empfinden viele wahlweise als überraschend, originell, exotisch oder unzumutbar. Kymlicka und Donaldson sagen dazu: „Es ist eine Übung zur Erweiterung der moralischen Vorstellungskraft, wenn man Tiere nicht bloß als verletzliche und leidende Individuen sieht, sondern als Nachbarn, Freunde, Mitbürger und Angehörige …“

Menschen, die sich mit Yoga beschäftigen und eine Kultur der Gewaltlosigkeit schaffen wollen, müsste der Vorschlag intuitiv einleuchten, wenn ihr Mantra von der Freiheit und vom Glück aller Wesen nicht nur leeres Gerede sein soll. In „Zoopolis“ zeigt sich, wie unser Zusammenleben mit Tieren konkret ausgestaltet werden kann.

Ein bekanntes Gedankenexperiment stellt die Frage, wie wir kognitiv extrem überlegenen Außerirdischen erklären würden, warum sie uns nicht ausbeuten, einsperren, töten und essen sollten, obwohl wir nicht über ihre Intelligenz verfügen. Der Mensch würde auf seine Empfindungsfähigkeit und sein Bewusstsein verweisen, wie eingeschränkt es im Vergleich zu dem seines Gegenübers auch sein mag.
Warum erkennen wir dieses einfache Argument nicht in unserem Verhältnis zu den Tieren an? Bekannt ist die yogische Lösung des Problems auch unter dem Namen „Star Trek Ethik“: Fremden Kulturen und Zivilisationen wird mit dem größten Respekt und der größten Zurückhaltung begegnet. Der Missbrauch, die Versklavung oder gar Vernichtung von „unterlegenen“ Lebewesen müssen der nachhaltigen Praxis der friedlichen Koexistenz weichen. //

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