Om On Baby Light My Fire

Über das Chanten von Mantras – und was es wirklich mit uns macht.

Neulich in der Unterwäsche-Abteilung: Ich stehe mit einer Batterie Verpackungsmaterial da und halte Ausschau nach der Umkleidekabine. An mich gerafft BHs, die besser gepolstert sind als Sitzmöbel im Vier Jahreszeiten, und fast gleichschenklige String-Tangas, bei denen ich nicht genau weiß, wo oben und unten ist. Es ist Winter, ich bin dick eingepackt und schwitze jetzt schon in den dicken Snowboots und dem Winterparka. Und wo ist jetzt diese verdammte Umkleide? Ich schiebe mich an Schaufensterpuppen in Strapsen vorbei und reiße dabei fast einen Ständer mit geschmackvollen Plüsch-Handschellen um. Mit rotem Kopf, statisch geladenen Haaren und genervt treffe ich eine Entscheidung. Bis ich endlich eine verflixte Kabine gefunden habe und dann noch die ganzen Schichten Klamotten runter habe, werden hier doch eh schon die Lichter ausgemacht. Das tu ich mir nicht an. Ich schnaufe entschlossen und knalle die Wäschesets unanprobiert der Kassenfrau vor die Nase. Und woran hab ich dabei nicht gedacht? Genau. Ans Chanten.

Singen ist was für Domspatzen!
Das Chanten ist ja bekanntermaßen das A und Om, pardon A und O einer Stunde. Mit ihr beginnt und endet die Praxis. Schließlich wird der heiligen Silbe „Aum“ in den Upanishaden ein ganzes Kapitel gewidmet. Mehr noch, der prosaisch bezeichnete „over-long nasalized close-mid back rounded vowel“ gilt als Vibration des Göttlichen, als Vereinigung der drei Shakti-Energien, gar als kosmischer Klang. Und genau so, wie sich die Beschreibungen des Om überschlagen, überschlagen sich auch die Yoga-Schüler beim Singen desselben. Wobei… Singen? Das ist doch nur was für Domspatzen und Fischerchöre, pff. Sobald der Yogaschüler eine Matte unter dem Hintern hat, wird „gechantet“, was das Zeug hält. Der Lehrer gibt das Mantra vor, die Klasse antwortet, und so weiter, call und response, Ruf und Antwort. Nur dass die Antwort manchmal mehr wie eine Frage ausfällt. Nicht jeder kann den Ashtanga Opening Prayer auf Anhieb runterrattern. Und so mancher Neuling stolpert über die Sanskrit-Silben oder fühlt sich peinlich berührt bei dieser kollektiven Form der Karmaoke. Der Rest der Klasse trompetet derweil ein „Om“ nach dem anderen, in einem heimlichen Wettstreit, wer den längsten Atem hat. Ein Rätsel bleibt nach wie vor, wie es der Yogalehrer so lange aushält. Theorien gehen von (durchaus realistisch) „Der atmet doch zwischendurch heimlich“ bis (völlig absurd) „hat Om-Höhentraining auf dem Nangaparbat hinter sich“.

Text vergessen, Melodie verwechselt – egal
Umso witziger wird das Ganze, da man während des Chantens ja grundsätzlich die Augen geschlossen hat. Und deshalb wird man auch nie, nie, nie erfahren, welcher Mann hinter einem diese wirklich zum Piepen hohe Stimme hat oder welche Frau bei „Loka samastha sukhino bhavantu“ beharrlich und ohne Rücksicht auf kosmische Verluste „Lokal samma da zum Kino per Handtuch“ singt. Andere schöne Momente sind eher klassischer Natur und jedem Popstar bekannt: Text vergessen, Text verwechselt, Melodie von „Om namah shimaya“ verwechselt mit der Hookline von, na sagen wir mal „Pokerface“. Alles schon passiert. Denn wer chanten will, muss damit rechnen, dass er die Hosen runterlässt, wenn er den ersten Ton ausstößt.

Und genau das soll das Chanten ja auch mit uns machen: Uns lockern, uns lösen, den Alltag aus uns raussummen, sich in den Raum hinein fühlen, sich selbst lokalisieren und dann die Gemeinschaft. Denn genau wie ich mich erst aus den Winterklamotten rausschälen muss, um die schöne Unterwäsche anzuziehen, muss man erstmal seine coole Front abvibrieren. Die kommt bestimmt super an in Meetingräumen. Aber in der Yogaklasse darf man sie abschütteln und sein wahres Ich tragen. Also summt ohne Scham und ommt, als gäbe es kein Morgen mehr. Und freut euch, dass ihr praktisch die Umkleidekabine des Herzens gefunden habt. Zuhause habe ich dann übrigens feststellen, dass ich Unterwäsche gekauft habe, die tatsächlich den Sex-Appeal von Sitzmöbel hatten. Und zwar solche aus dem Biedermeier. Tja. Was würde die Frau aus der Yogaklasse jetzt singen: „Om mani Umtausch hum.“

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