Mit dem Göttlichen ist das so eine Sache – von Carmen Schnitzer

YOGA JOURNAL-Kolumnistin Carmen Schnitzer glaubt nicht so recht: “Das Göttliche und ich, mit uns ist das so eine Sache. Ich glaube nicht so recht an unsere Beziehung, aber voneinander los kommen wir trotzdem nicht. Und das ist wahrscheinlich ganz gut so – auch wenn ich dazu an unmöglichen Stellen das Meer suchen muss.”

Ich sei Gott viel näher als ich mir vorstellen könne, meinte meine Freundin Sarah vor einigen Jahren zu mir. Ich sei auch viel spiritueller als ich behaupte. Wenig später entdeckte ich Yoga für mich, was ein Zufall sein mag, vielleicht aber auch nicht. Tatsächlich halte ich mich immer noch in weiten Teilen für eine Rationalistin. Ich mag Wissenschaft, gebe mich selten mit Behauptungen zufrieden, sondern überprüfe die Quellen dazu. Und die Quellen zu den Quellen und die Kritik an allem natürlich auch. Gerade als Journalistin ja nicht die schlechteste Angewohnheit. Logik empfinde ich als prima Sache, ich mag Nachvollziehbarkeit und Struktur.

Und doch, als eine große Liebe mich einmal fragte, woran ich glaube, platzte spontan aus mir heraus: “An das Chaos!” Wer meine bunte, vollgestopfte Wohnung kennt, der lacht jetzt vielleicht kurz auf und denkt: “Na, das sieht man!” Ich meine es aber auch und gerade im übertragenen Sinne und so lässt sich vielleicht erklären, dass ich mich trotz aller Vernunft immer auch etwas zum Übersinnlichen hingezogen gefühlt habe, oft aber mit dem Zusatz, das sei bloß Spielerei für mich. Als Studentin etwa legte ich mit erstaunlicher Treffsicherheit Karten, bis heute praktiziere ich an besonderen Tagen (etwa zur Sonnenwende) mit Freundinnen angelesene Hexenrituale, die wir gerne auch mal nach Gutdünken oder Möglichkeit abwandeln.

Salzwasser in Mittelfranken

Wenn etwa in der mittelfränkischen Provinz zufällig kein Meer in der Nähe ist, dann mischen wir uns eben aus Salz und Wasser ein kleines Stück “Ozean” zusammen und legen eine Muschel dazu. Der Spaß, den wir dabei haben, mindert nicht die Ernsthaftigkeit des Rituals, das uns Kraft gibt für die nächsten Monate, in denen wir einander nicht sehen, uns aber dennoch verbunden fühlen.

Und da komme ich zum Punkt: Dass es zwischen einer Flasche Salzwasser in einer Mondnacht im fränkischen Wald und der Energie, mit der ich etwa diese Kolumne schreibe, einen logischen Zusammenhang gibt, ist auf den ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich, sehr wohl aber fühlbar. Für mich, für uns. Und damit trägt es eine Wahrheit in sich, die auch jenseits aller (Natur-)Wissenschaft ein Zuhause hat. Zwar freut es mein Rationalistinnen-Ich, dass die Hirnforschung mittlerweile einige Erklärungen für Phänomene wie das geschilderte gefunden hat, und doch: Wüsste ich nichts darüber, ja gäbe es diese Erklärungen gar nicht, würde ich besagte Wahrheit ja immer noch spüren und das ist im Grunde doch Beleg genug für ihre Existenz. Zumindest eine Form der Existenz, der Existenz in mir. Dass ich sie, etwa beim Yoga, mit anderen teilen kann: umso schöner! Aber nicht zwingend nötig, um grundsätzlich da zu sein.

Überhaupt Logik! Irgendwann kam ich zu der Erkenntnis, dass auch Träume eine in sich geschlossene Logik haben, die nur bedingt etwas mit dem zu tun hat, was wir im nüchternen Wachzustand gemeinhin Logik nennen. Warum aber halten wir letztere für das Nonplusultra, wenn uns doch allein schon der Schlaf eine ganz andere beschert? Wer weiß, was es da noch alles gibt zwischen Himmel und Erde? Auf eine Form von Realität (in der etwa dieser Text ein Text ist) haben wir uns alle geeinigt, sie dient als Gerüst, an dem wir uns entlanghangeln, auf dem wir einander begegnen können, auf dem ein gewisser Austausch möglich ist. Und dann existieren noch die vielen Realitäten in jedem von uns, die Wahrnehmungen, Erfahrungen, Gedanken und Gefühle. Plus: Irgendetwas (ganz viel!) außerhalb von uns, wobei dieses “Innen” und “Außen” natürlich auch wieder nur Teile jenes Realitätsgerüstes sind, von dem ich oben sprach.

Ich bin ein Sandkorn wie alle, und in mir ist die Welt, wie überall

Ein Realitätsgerüst, das im Yoga so nicht gilt. Das ich vielleicht sogar selbst schon aufzulösen versuchte, bevor ich mich mit Yoga beschäftigte. Heute lese ich aus einem Satz in einer meiner gut zehn Jahre alten Kurzgeschichten nämlich plötzlich yogisches und damit natürlich spirituelles Gedankengut heraus, das sich mit dem, was man gemeinhin “Vernunft” nennt, besser vereinbaren lässt, als ich lange dachte: “Ich bin ein Sandkorn wie alle, und in mir ist die Welt, wie überall.” Je mehr ich darüber nachdenke: Wahrscheinlich hatte Sarah schon immer recht.


Jean-Marc Turmes

Carmen Schnitzer arbeitet als Journalistin und schreibt seit Jahren für das YOGA JOURNAL.

Titelbild: Josh Gordon via Unsplash

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