Im einen Moment spricht sie mit indischen Kleinbäuer*innen, im nächsten mit Parlamentarier*innen – die indische Wissenschaftlerin Vandana Shiva gilt als “Rockstar der Öko-Bewegung” und hat keine Scheu, sich mit Großkonzernen anzulegen. Wenige Wochen nach ihrem 70. Geburtstag sprachen wir mit ihr in München …
Interview: Carmen Schnitzer / Bilder: Aus der Doku “Vandana Shiva – Ein Leben für die Erde”
Umweltschutz, Frauenrechte, Globalisierungskritik – Ihr Aktivismus beinhaltet so viele unterschiedliche Aspekte. Gleichzeitig könnte man sagen: einen einzigen – das Leben auf der Erde.
(lächelt) Ja, das stimmt.
Wann haben Sie realisiert, wie eng alles mit allem zusammenhängt?
Im Grunde bin ich von klein auf in einer Welt einzigartiger Verbundenheit aufgewachsen, dieses Denken in Getrenntheiten war mir nie vertraut. Aber als ich 1973, bevor ich zum Studieren nach Kanada ging, noch mal meinen Lieblingswald besuchen und dort im Fluss schwimmen wollte, die Bäume aber gefällt und der Fluss nur noch ein Rinnsal war, da ist mir bewusst geworden, wie sehr Ausbeutung, Gewalt und Gewinnmaximierung unsere Welt dominieren. Danach wuchs mein Bewusstsein für die Zusammenhänge sehr stark und mir wurde klar, dass ich die Pflicht habe, einzuschreiten. So bin ich dieser wunderbaren Bewegung namens Chipko beigetreten.
… in der sich überwiegend Frauen gegen die kommerzielle Abholzung der Himalaya-Wälder engagierten und die das Umarmen von Bäumen als Methode dafür bekannt gemacht hat.
Richtig. Wenn du dich entschließt, die Natur zu schützen, wenn du einen Baum umarmst, dann wirst du in gewisser Weise eins mit ihm.
Das klingt wunderschön und sehr spirituell. Gleichzeitig sind Sie Wissenschaftlerin. Wissenschaft und Spiritualität werden oft noch als Gegensätze betrachtet, hierzulande vielleicht noch mehr als in Indien. Dabei haben sie letztlich einiges gemeinsam, oder nicht?
Oh, das kommt sehr auf die Art der Wissenschaft an! Für Albert Einstein zum Beispiel, der eine große Inspiration für mich war, hatte sie immer auch einen spirituellen Aspekt. Seine Wissenschaft basierte mehr auf der Idee, dass alles eins ist – und weniger auf fragmentarischem Denken und mechanistischer Wissenschaft, die dann lange vorherrschend waren. Dieser Blick auf die Welt, der die Trennungen hervorhebt, ist für viel Leid verantwortlich.
Inwiefern?
Wenn wir etwas als Objekt betrachten, lässt es sich leichter ausbeuten, als wenn wir das wirklich Lebendige daran wahrnehmen. Vor etwas Lebendigem haben wir Respekt. Betrachten wir die Welt aber als tote Materie, die sich aufteilen lässt, für die wir Lizenzen vergeben können und so weiter, dann schaffen wir die Grundlage für Gewalt – gegen Menschen, gegen Tiere, gegen die Natur. Mir geht es darum, die Verbindungen zwischen allem zu sehen.
Darum habe ich auch gegen die Grüne Revolution gekämpft, die Industrialisierung der Landwirtschaft mit ihren Monokulturen und Giften, die auf gentechnisch veränderte Hochertragssorten und Gewinnmaximierung setzte, die Kreisläufe der Natur missachtete und Menschen in den Ruin trieb. Von der ein Konzern wie Monsanto mit seiner Saatgutkontrolle profitierte, während kleinen Bauern und Bäuerinnen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Dabei ist doch ein Samen eigentlich die Verkörperung von Leben, von Evolution! Saatgutmonopole zerstören buchstäblich Leben! Ich möchte hier gerne noch mal auf das Thema Wissenschaft zurückzukommen …
Gerne.
Bei dieser Art der Wissenschaft haben wir es mit einer zu tun, die mehr oder weniger sagt: “Keine Ahnung, was ich da tue, aber wenn ich es so und so mache, dann kann ich viel Geld verdienen. Was das für Auswirkungen hat, interessiert mich nicht. Ist nicht meine Verantwortung.” Das ist Wissenschaft, die mit Wissen im Sinne von Verständnis nichts zu tun hat, sondern eher das Gegenteil davon ist.
Wenn ich Ihnen so zuhöre oder auch lese, wogegen Sie alles kämpfen, wohin Sie überall reisen, mit wem Sie alles sprechen – woher nehmen Sie die Energie dafür?
Nun, wissen Sie (lacht) – wenn Sie nach neun Monaten Schwangerschaft ein Baby zur Welt bringen, dann nennt man das Labour (engl. sowohl für Wehen als auch für Arbeit, Anstrengung). Und dann weckt es Sie erst mal jede Nacht zehn Mal, Sie wechseln die Windeln, stillen … Das ist definitiv nicht einfach! Aber es ist ein notwendiger Teil des Lebens. Pflege und Fürsorge beinhalten Mühe. Wenn ich den Wald beschütze, indem ich einen Baum umarme, wenn ich Monsanto daran hindern will, die Saatgutvielfalt zu zerstören, ist das letztlich etwas Ähnliches, wie wenn ich mich um mein Baby kümmere. Es geht um einen Akt der Liebe. Womit ich auf keinen Fall die Anstrengung herunterspielen möchte, die das kostet! Dennoch ist die Fürsorge keine Last – sie ist ein Teil des Lebens, sie bedeutet: in Beziehung gehen.
Aber ist es nicht manchmal schwer, die Hoffnung zu behalten? Wir leben noch lange nicht in einer perfekten Welt, nicht einmal in einer besonders guten. Es ist noch so viel, wie soll ich sagen …?
… total vermurkst. (lacht)
Ja, genau.
Nun, nehmen Sie Yoga. Yoga bedeutet Verbindung. Wenn Sie sich mit der Welt um Sie herum verbinden, mit der Natur, der Biodiversität, den Bäumen, den Samen, dem Boden – natürlich sehen Sie dann die Zerstörung, die Gewalt. Gleichzeitig aber möchten Sie das Leid lindern und das Richtige tun. Das gehört auch zum Yoga, ich nenne das “Yoga der Erde”. Wir sollten uns drei Dinge immer bewusst machen: Erstens sind wir Teil einer lebendigen Erde. Zweitens: Wir haben die Pflicht, diese Erde zu pflegen und zu schützen. Ein Teil dieser Pflicht ist Widerstand. Wir dürfen nicht akzeptieren, dass sie zerstört wird. Und wenn Sie das nicht akzeptieren, dann ist da auch Hoffnung. Diese Hoffnung speist sich daher, dass Sie den tieferen Sinn verstehen und sich ihm verpflichtet fühlen. Und wenn Sie das Richtige tun, erschaffen Sie neue Hoffnung. Das ist im Prinzip das Yoga des Lebens. Hoffnung ist unsere Pflicht!
Ein starker Satz! Ich würde noch gerne über das Konzept des Ökofeminismus sprechen, zu dessen wichtigsten Vertreterinnen Sie gehören. Ich sehe zwar, dass wir in patriarchal geprägten Gesellschaften leben und dass Frauen lauter werden sollten. Nichtsdestotrotz kam mir der Gedanke, dass es vielleicht die binäre, also trennende Sicht auf die Welt stärkt, wenn wir in der Umweltbewegung den Fokus auf die Frauen als Beschützerinnen der Natur legen …?
Aber beim Feminismus ging es doch schon immer darum, die Trennung aufzuheben! Diese Trennung in ein dominantes und ein unterlegenes Geschlecht.
Ja, so sehe ich das eigentlich auch.
Na also! Ökofeminismus erweitert das Ganze noch um eine Dimension und macht uns deutlich, dass das Konzept von Unterdrückung im Grunde dasselbe ist wie zwischen Frauen und Männern: Hier die Natur, dort die Menschen, die über sie herrschen, sie kontrollieren wollen. Hinter der Zerstörung der Natur stecken dieselbe Philosophie und dieselben Mechanismen wie hinter der Leugnung von Frauenrechten. Das heißt nicht, dass ich glaube, dass Frauen von Natur aus die besseren Umweltschützerinnen sind!
Aber ihnen hat man es vielerorts überlassen, sich um die Nahrung zu kümmern, das Wasser zu holen und so weiter, darum haben sie eine gewisse Erfahrung und ein Wissen darüber, was die Zerstörung bedeutet. Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Natur – das ist letztlich ein und dieselbe Gewalt. Die Befreiung der Frau sollte natürlich nicht bedeuten, dass ab sofort Frauen Männer dominieren – sondern dass beide menschlicher werden, erdverbundener. Die Industrialisierung hat uns von der Natur entfernt, zu viele Menschen haben den Kapitalismus als alternativlos akzeptiert. Ökofeminismus bedeutet für mich, einen Weg zu gehen, der gut für die Natur, gut für Frauen und gut für Männer ist.
„Ich glaube, wir spüren eine neue Sehnsucht, zu unserer alten Erdverbundenheit zurückzukehren.“
Sie sind viel in der Welt herumgereist – fallen Ihnen in den verschiedenen Kulturen Unterschiede im Umgang mit der Natur auf?
Lassen Sie mich zunächst lieber eine Gemeinsamkeit betonen: Alle Kulturen haben den Menschen einst als Teil der Natur wahrgenommen! Also nicht als ihren Besitzer oder Meister. Doch dieses Bewusstsein wurde später teilweise sogar kriminalisiert – hier in Deutschland etwa, indem man Frauen, die sich mit der Natur verbunden fühlten, als Hexen verfolgt, verurteilt und getötet hat. Ich glaube aber, dass wir mittlerweile an einem Punkt angekommen sind, an dem wir eine neue Sehnsucht spüren, wieder zurückzukehren zu unserer alten Erdverbundenheit.
Welchen Beitrag kann dafür jeder und jede von uns persönlich leisten?
Yoga ist auf jeden Fall schon mal ein Anfang. (lächelt) Und damit meine ich nicht, einfach nur regelmäßig ein paar Asanas zu üben, sondern wirklich in Verbindung zu kommen mit der Natur, zu verstehen, wie sie funktioniert, worunter sie leidet. Ein wichtiger Punkt ist zum Beispiel die Ernährung. Jeder von uns muss essen und sollte seine Lebensmittel mit Bedacht wählen. So können wir unsere tägliche Nahrungsaufnahme zu einem spirituellen Akt werden lassen. Einen ökologischen. Einen, der dazu beiträgt, die Welt zu heilen.
“Vandana Shiva? Das beeindruckt mich so viel mehr als dass du mal Justin Bieber interviewt hast!” Das sagte eine enge Freundin von Carmen Schnitzer begeistert, als sie von diesem Gespräch erfuhr. Carmen arbeitet als Journalistin und schreibt seit Jahren für das YOGAWORLD JOURNAL. Erfahre mehr über die Autorin und besuche ihre Facebook-Seite.
Lies auch unser Interview mit Yogapionierin Anna Trökes zum Thema “Yoga und Politik”: