Wunderlich ist die folgende Geschichte aus zwei Gründen: sie spielt nicht in der tiefsten katholischen Provinz, etwa in Oberammergau, und auch nicht zur Zeit der Hexenverbrennung. Sondern in Berlin Kreuzberg im Jahr 2014.
Es klingelt, zwei Polizeibeamte stehen vor der Tür: „Guten Tag, wir wollten nach dem Rechten sehen“, sagt der eine höflich. „Ein Nachbar hat bei uns gemeldet, hier wäre eine Sekte aktiv.“ Polizisten in diesem Teil der Stadt, am Rande des Görlitzer Parks, fallen nicht immer durch Höflichkeit auf. Nichtsdestotrotz lacht der türöffnende Yogalehrer unerschrocken und bittet die beiden Uniformierten herein. Sie finden brennende Kerzen, Räucherstäbchen, hören Gesänge und blicken in glückliche Gesichter – viele leichtbekleidete Frauen schauen gar gelöst und undeutsch drein. Bei dem Anblick sind die beiden Herren nicht ganz sicher, ob hier nicht Drogen oder Verblendung oder gar beides im Spiel sein könnten. „Verdächtig glücklich“, murmelt der eine. Dank des geistesgegenwärtigen Yogalehrers verstehen sie aber schnell: Dies ist ein erfolgreiches Kreuzberger Yogastudio, keine Sekte. Grinsen ist normal. Ist das Missverständnis des Nachbarn am Ende gar kein Missverständnis?
Hören wir dazu eine Stimme aus Püchersreuth in der Oberpfalz. Hier scheint es Spezialisten zum Thema Yoga zu geben. Pfarrer Manfred Wundlechner beschreibt im Mai diesen Jahres im Pfarrbrief seiner Gemeinde, worum es beim Yoga geht: „Yoga wird heute vielfach sehr harmlos dargestellt. Der Einstieg wird einem sehr leicht gemacht.“ Er warnt ausdrücklich vor den Folgen von Yoga. Schließlich gehe es hierbei „um die Annahme einer anderen Religion“. Ach so, Yoga ist eine Religion. Das ist allerdings eine Neuheit und deswegen machte der Pfarrer mit seinem Pfarrbrief auch Schlagzeilen. Er war wohl der erste, der sich traute, das zu sagen. Vermutlich hat er einfach gut beobachtet. Die Ausschließlichkeit mit der manch Leggings tragende Yogini ihr neues Hobby betreibt, lässt einen unweigerlich an Religion denken. Getoppt wird der Bekehrungsfaktor noch vom Typ angehende Yogalehrerin, die gerade vegan geworden ist. Da kann man sich entspannter mit einem Wachturm haltenden Zeugen Jehovas in der Fußgängerzone unterhalten.
Lieber Herr Pfarrer, ja, die Kirchenaustritte, sind seit langem auf einem konstant hohen Niveau (mehr als 200 000 pro Jahr). Aber: Nicht jeder Abtrünnige fängt sofort mit Yoga an. Bei manchen dauert es wohl länger. Das dürfte Sie beruhigen.
Die Grundstruktur von Yoga ist jenseits jeder Konfession. Das ist sicher eine Einladung für viele. Man kann aber die Erfahrung in jede Religion einbringen, wenn man möchte. Die Yogatradition ist ungefähr 4000 Jahre alt (da war Jesus noch nicht mal im unbefleckten Empfängniskanal). Anders als beim Christentum gibt es bei den Yogis keine Päpste oder Kardinäle, die Dogmen aufstellen. So haben Ihre Vorgänger beispielsweise, auf dem fünften Konzil (Konstantinopel, 553 n. Chr.), mal eben die Reinkarnation abgeschafft. Nicht alles, was Sie heute glauben, ist also gottgegeben.
Der Dalai Lama sagte neulich in Hamburg: „Religion ist Privatsache, aber Ethik betrifft alle. Wir müssen einen Weg finden, auch ohne Religion Werte wie Mitgefühl, Vergebung und Liebe zu erlernen.“ Der Buddhismus missioniert nicht. Man darf seine Lehren nur weitergeben, wenn ein Schüler ausdrücklich darum bittet. Diese buddhistische Haltung sollten wir uns vielleicht alle aneignen und lieber aufklären als bekehren. Lieber teilen als trennen. Weniger predigen, mehr motivieren. Die Dinge selbst, sagt Goethe, sind die Lehre. Also: Lasst uns einfach alle verdächtig glücklich sein!
Gudrun Pawelke kam über den Buddhismus zum Yoga, weil ihr neben der Meditation die körperliche Aktivität fehlte. Die Yogalehrerin lebt in Berlin und gibt Workshops zu Yogaspezialthemen, Achtsamkeitstrainings und Stressmanagemant-Coachings.
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