Me, Myself and Yoga – David Lurey im Gespräch

Auf der YogaWorld in München haben wir es gerade wieder erlebt: Der auf Mallorca lebende amerikanische Yogalehrer David Lurey ist ein Liebling der Szene. Spätestens wenn er die Gitarre zur Hand nimmt und Shavasana mit selbst geschriebenen Songs begleitet, fliegen ihm alle Herzen zu. YOGA JOURNAL hat mit ihm über Eitelkeit, Yoga-Popstars und das zähe Ringen um Selbsterkenntnis gesprochen.

 

„Asanas sind ein Platz für Selbsterfor-schung, kein Thron für Errungenschaften.“ Aadil Palkhivala

YJ: Mit diesem Zitat hast du deine Stunde bei der Yoga World im letzten Jahr eröffnet. Warum ist das kontinuierliche Forschen im Yoga (oder im Leben) so viel wichtiger als das Streben nach Perfektion?
DL: Sagen wir mal so: Nur indem man nach persönlicher Entwicklung strebt und sich selbst erforscht, kann man einige der Hindernisse aus dem Weg räumen, die einem das Gefühl geben, von anderen Menschen getrennt zu sein. Dieses Gefühl von Trennung ist die Ursache aller Konflikte. Wenn ich aber erkenne: Ich sehne mich nach Anerkennung, ich bin liebebedürftig, ich bin wütend oder frustriert, dann kann ich im nächsten Schritt auch verstehen, dass mein Gegenüber die gleichen Gefühle erlebt. Ich sehe hinter seiner menschlichen Schale die gleiche Sehnsucht, geliebt zu werden.

YJ: Warum ist das so schwierig?
DL:Weil wir unsere emotionale Intelligenz auf stumm schalten und die Signale des Lebens überhören. Und das betrifft nicht nur das Persönliche: Auch als gesamte Menschheit hören wir nicht auf die Signale unserer Gefühle und nicht auf die Signale der Erde. Mitgefühl und Liebe sind eigentlich die Essenz unserer Emotionen. Trotzdem gibt es eine Flüchtlingskrise, es gibt Kriege, Gier, Hierarchien zwischen reich und arm.

YJ: Lass uns nochmal einen Schritt zurückgehen zu den Asanas: Hat man in der Arbeit mit dem Körper die Gelegenheit, das Forschen und die Einfühlung einzuüben?
DL: Genau so ist es. Ich übe seit 20 Jahren Asanas – und ich bin noch lange nicht fertig damit, denn hier spüre ich alles zuerst. Wenn ich zum Beispiel den nach unten schauenden Hund übe, dann sprechen meine Schultern zu mir. Wenn ich dann aus der Haltung wieder herauskomme, kann ich mich fragen: Warum spannen meine Schultern? Hat das was mit meinem Lebensstil zu tun, mit meinen Bewegungsmustern oder mit meinen Gefühlen? Gleichzeitig ist es wichtig, nicht übermäßig zu analysieren. Ich lebe lieber im Erforschen.

YJ: Folgt beim Forschen nicht automatisch die Analyse?
DL: Stimmt, aber wenn es um Transformation geht, würde ich eher vier andere Schritte unterscheiden: Der erste ist das Beobachten, der zweite das Anerkennen: Wenn man nicht weiß, dass die Schultern verspannt sind, kann man auch nichts daran ändern. Wenn man nicht erkennt, dass man im Herzen blockiert ist, kann man nichts dagegen tun. Erst das Anerkennen verleiht der Beobachtung Raum und Leben. Der dritte Schritt ist dann die Veränderung. Auf körperlicher Ebene könnte das zum Beispiel bedeuten: Meine Beinrückseiten sind verkürzt, ich übe Supta Padangushthasana. Wenn es um eine Transformation auf der Herzensebene geht, gibt es andere Werkzeuge. Und dann kommt aus meiner Sicht der vierte Schritt und der heißt: Such weiter!

YJ: Was meinst du damit?
DL: Gerade in dem Moment, wo man glaubt, man hätte den Dreh raus, sollte man besser noch mal ganz genau hinschauen. Das ist der Moment, wo die überraschenden Dinge passieren, denn die Schatten sind immer da. Die Sonne scheint im Lauf des Tages aus unterschiedlichen Richtungen und es gibt immer Stellen, die im Schatten liegen. Solange ich ein Mensch bin, kann ich nie alle Aspekte meiner selbst vollständig sehen.

YJ: Ich nehme an, hier kommt das Missverständnis mit dem „Thron der Errungenschaften“ ins Spiel?
DL: Korrekt. Die Asana – oder auch die persönliche Entwicklung – sollte nie ein Statussymbol werden, das sagt: „Schaut her, ich habe im Yoga etwas erreicht!“ Denn es gibt immer noch eine tiefere Ebene. Wenn ich eine Haltung äußerlich auf einem bestimmten Niveau bewältigt habe, dann rücken andere Aspekte in den Vordergrund: Wie fließt die Energie, was macht der Atem, was löst die Asana mental und emotional überhaupt in mir aus?

YJ: Im Unterricht forderst du deine Schüler dazu auf, sich zu fragen: Wird mich jemand mehr lieben, weil ich diese Asana so wunderbar ausführe?
DL: Hast du dich da ertappt gefühlt?

YJ: Na klar. Es hat mich daran erinnert, dass die Asana-Praxis auch dazu verleiten kann, das Ego zu füttern. Der Geist kommentiert ja andauernd, was der Körper tut …
DL: Darum ist es so wichtig, sich bewusst zu machen, dass Yoga eine Praxis für Körper, Geist und Seele ist. Wenn man eines davon außen vor lässt – was passiert dann?

YJ: Dass wir so stark auf Leistung konditioniert sind, macht es nicht gerade leichter.
DL: Deswegen ist es ja auch ein lebenslanger und individuell verschiedener Weg. Für manche Menschen sind Asanas ganz einfach, anderen erschließt sich die Philosophie sehr mühelos oder die spirituellen Aspekte. Für jeden geht es letztlich darum, in eine größere Balance der drei Bereiche zu gelangen.

YJ: Aber vielleicht ist die Sehnsucht nach Anerkennung auch zweitrangig und es macht mir einfach Freude, dass ich eine Asana gut kann?
DL: Daran ist nichts verkehrt. Wenn man nach der Morgenmeditation den Frieden im Herzen fühlt oder nach einem Handstand spürt, wie eine Welle von Kraft und Energie durch den Körper strömt – toll! Etwas zu erreichen, sich als fähig und kraftvoll zu erleben, das ist sogar sehr wichtig. Anzugeben und sich zu produzieren ist etwas völlig anderes.

YJ: Aber wo verläuft die feine Linie zwischen dem Bedürfnis nach persönlichem Wachstum und dem eitlen Streben nach Anerkennung?
DL: Das spielt immer mit rein. Sogar wenn ich eine Interview-Anfrage vom Yoga Journal bekomme, denke ich einen Moment lang: „Wow, cool. Ich bin wichtig. Vielleicht werde ich ein bisschen berühmter.“ Aber dann sage ich mir: „Okay, beruhige dich wieder. Eigentlich möchtest du Menschen zu mehr Gesundheit und Lebendigkeit inspirieren – und wenn dieses Interview dazu beiträgt, dann ist das schön.“

YJ: Im Gegensatz zu vielen Yogaschülern haben Yogalehrer vielleicht eher ein Problem mit zuviel Anerkennung und Bewunderung?
DL: Eine riesengroße Fallgrube und ein wichtiger Prüfstein für die eigene Reife! Ich bin jetzt 43 und unterrichte seit 15 Jahren. Im Vergleich zu meinen eigenen Lehrern bin ich so was wie ein Teenager. Das Zitat mit dem „Thron der Errungenschaften“ verwende ich auch deswegen so gerne, weil es für mich selber wichtig ist. Vermutlich kann man nur zu Bescheidenheit finden, indem man selber intensiv weiterübt. Aber so, wie sich Yoga gerade in der Welt ausbreitet, ist es ziemlich einfach, ein Yoga-Popstar zu werden. Wenn du eine tolle Asana-Praxis hast, gut mit Worten umgehen kannst und eine Botschaft vermittelst, dann wirst du auf Leute treffen, die hungrig danach sind. Auch daran ist wieder grundsätzlich nichts Schlechtes, aber es verleitet natürlich leicht zu einem aufgeblasenen Ego.

YJ: Das Absurde am modernen Yoga ist ja: Die Menschen kommen eigentlich, um einen Ausgleich zu Leistungsdruck und Stress zu finden und rutschen dann oft in genau den gleichen Perfektionismus hinein – in der Außenwahrnehmung ist Yoga schon fast zum Inbegriff einer als lächerlich empfundenen Selbstoptimierung geworden.
DL: Das hängt mit unserer Konditionierung zusammen: Streng dich an, werde besser, setz dir Ziele und erreiche sie! Wir sind völlig in dieses Denken eingebettet – da ist es nur natürlich, dass wir das auch auf Yoga übertragen.

YJ: Andererseits vermitteln wir aber ein Idealbild von Yoga, das genau das Gegenteil davon beinhaltet: Gelassenheit, Selbsterkenntnis, Mitgefühl …
DL: Das ist wahr und dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Yoga ist ein sehr, sehr scharfes Messer. Präzise und vorsichtig eingesetzt – und das bedeutet für jeden unter Umständen etwas anderes – dient es dazu, das erleuchtete Selbst herauszuschälen. Missbräuchlich verwendet kann es aber auch großen Schaden anrichten, zum Beispiel indem es einen völlig in den Ego-Zustand und den Wettbewerb mit anderen zurückwirft.

YJ: Ist das vielleicht eine Frage der „richtigen“ Motivation?
DL: Ich glaube und lehre ja, dass Intention alles ist. Wenn die Intention Selbstverwirklichung heißt (wie Yogananda es nennt), dann wirst du jedes Straucheln auf dem Weg dazu nutzen, um innezuhalten und dich selbst zu hinterfragen: „War ich bei dieser Asana in meinem Körper präsent? War mein Atem bewusst? Habe ich es wahrgenommen, als ich gedacht habe: Schaut mich an, ich mach diese Haltung total gut?“ Es ist ein ständiges Fallen, Aufstehen, Weitermachen. Und wenn du zum Yoga gehst, um einen sexy Po zu bekommen, dann wird sich deine Praxis eben darauf ausrichten – und jeder wird irgendwann den Lehrer finden, der ihn bei seinem Weg unterstützt.

YJ: „Ist der Schüler bereit, so ist der Lehrer nicht weit“ …
DL: Genau. Ich bin sicher nicht der richtige Lehrer für alle. Ich liebe es, vom Philosophischen her ranzugehen und meinen Schülern Fragen zu stellen, zum Beispiel: „Bist du dir bewusst, welche Vorstellungen du von deiner Praxis und von dir selbst entwirfst?“ Genauso frage ich mich als Lehrer: „Bin ich hier, weil ich will, dass meine Schüler mich mögen, oder weil ich etwas Bestimmtes vermitteln will?“

YJ: Vielleicht auch: „Bin ich überhaupt in der Position, meinen Schülern zu sagen, was gut für sie ist?“
DL: Oh ja, das ist noch mal ein ganz anderes Kapitel – oder vielmehr ein ganzes Buch! Meine Frau Mirjam und ich stellen uns diese Frage ständig. Mir tut es gut, dass wir uns da gegenseitig unterstützen können.

YJ: In der Tradition des Yoga wurde die absolute Autorität des Guru dagegen nie in Frage gestellt. Er war derjenige, der wusste, was ein Schüler wann und wie zu tun hatte …
DL: Stimmt, aber wir leben heute in einer offenen, demokratischen Gesellschaft und wir stellen diese Fragen. Dabei kann es durchaus richtig sein, einem Lehrer zu folgen, wenn ich das Gefühl habe, dass er mein Herz tief berührt und mich inspiriert – und wenn jede Zelle meines Daseins damit im Einklang ist. Trotzdem bin ich nie einem Lehrer in blindem Glauben gefolgt. Mit den Lehren meines jetzigen Lehrers Aadil Palkhivala zum Beispiel bin ich zu zwei Dritteln einverstanden – das andere Drittel ist einfach sein Weg. Ich glaube, ein guter Lehrer wird dich immer dazu ermuntern und befähigen, deinen eigenen Weg zu gehen, und keine Abhängigkeiten erzeugen.

Mehr zu David Lurey unter www.findbalance.net


Foto: Stefanie Kissner

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