Blühende Mandelbäume, frühsommerliche Temperaturen, frischer Lavendelduft: Unsere Redakteurin Anika Kedzierski zog es in Mallorcas Tramuntana-Gebirge – wo sie sich bei einem Yoga-Retreat ein ums andere Mal selbst überraschte.
Wir erkennen uns an den Yogamatten, die wir zusammengerollt über den Rucksack geschnürt haben. Da meine Matte beim Einsteigen ins Flugzeug den ein oder anderen Passagier am Gang mit einem leichten Kopfstoß begrüßt hat, bin ich froh, als wir in Palma landen und ich vor den verärgerten Blicken aus den Reihen 1 bis 17 fliehen kann. „Ein Rückzug aus dem Alltag, Zeit für dich und eine Umgebung, die neue Inspirationen weckt.” Das verspricht die Beschreibung des „Pure Yoga-Retreats“ mit Berenice Seiss. So eine Woche würde mehreren Reisenden an Bord gut tun. Ich zwänge mich an einer Gruppe grölender Jugendlicher vorbei, als ich zwei Yogamatten in der Eingangshalle entdecke. Nach und nach finden sich meine acht Mit-Yoginis ein.
Girls just wanna have fun
Schon auf dem Weg vom Flughafen Richtung Pollença, zur Finca La Serrania sind Alltags- und Reisestress wie weggeblasen. Cyndi Laupers „Girls just wanna have fun” tönt aus den Lautsprechern des Taxis. Obwohl wir ja eigentlich nicht zum Partymachen hier sind, sondern zum Yoga, singen wir mit. Eine Oktave tiefer – aber nicht weniger euphorisch – unser Taxifahrer Joe, der mit uns die Songs der 90er feiert, aber auch erleichtert wirkt, als er uns in die Hände der Yogalehrerin Berenice geben kann. Sie steht winkend vor der mediterranen Finca und umarmt jede Teilnehmerin herzlich. Die Deutsche hat die Insel zu ihrer Heimat gemacht und lebt mit Mann und Tochter in Palma. Da sie mir all meine Fragen im Vorfeld der Reise geduldig und ausführlich beantwortet hat, habe ich fast das Gefühl, eine alte Freundin wiederzutreffen. Breite Steinstufen führen zu kleinen Häusern mit Doppel- oder Einzelzimmern, die mit Balkon oder Terrasse ausgestattet sind. Daneben liegt das Haupthaus – eine mallorquinisch eingerichtete Villa, in der es einen großen Gemeinschaftsbereich und weitere Schlafzimmer gibt. Hinter der rustikalen Küche liegen ein offener Essensraum und ein gemütliches Wohnzimmer mit Sofas, Kamin, Bücherregalen und einer Leseecke. Glasfronten und hohe Decken lassen viel Licht herein und geben den Blick auf die Terrasse frei. Als ich von meinem Zimmer auf den Balkon trete, blicke ich über den Garten, in dem Steinplatten den Weg zum Pool und zum Yogahaus pflastern. Dazwischen stehen Mandelbäume, verschiedene Kräuter, Lavendel und Rosen. Ob ich Stadtkind in dieser Stille überhaupt schlafen kann?
Yin und Wein
Ich verabschiede die Sonne, die gerade hinter den Tramuntana-Bergen verschwindet und mache mich auf den Weg zur ersten Yin-Yogastunde. Im Raum läuft leise Musik, es riecht nach Räucherstäbchen und es brennen Kerzen. Die Asanas öffnen Hüfte und Herz, die Köchin öffnet währenddessen zwei Weinflaschen. Als wir vom Yoga kommen, empfängt sie uns mit einem gedeckten Tisch auf der Terrasse. Alle Mahlzeiten sind vegetarisch und werden frisch zubereitet. Zwischen Meditation und Morgen-Yoga gibt es Tee oder Kaffee, Früchte und Müsli, danach einen Brunch und am Abend ein Drei-Gänge-Menü. Schon beim ersten Kennenlernen fühle ich mich sehr wohl, und obwohl nur Frauen vertreten sind, ist die Gruppe von Alter, Herkunft und Yogaerfahrung her bunt gemischt.
„Zum Entgiften der Seele gibt es für jede Teilnehmerin ein leeres Buch, das wir nach der Meditation mit unseren Gedanken füllen.“
Erste Erfahrungen mit Neti, der Nasenspülung
Der Wecker klingelt um sieben. Mein erster Tag beginnt mit einem kurzen Fluch: Als ich die Holztüren meines Balkons öffne, plätschern mir aus der Dunkelheit Regentropfen entgegen. Ich verabschiede mich von der Vorstellung, braun gebrannt ins kühle Deutschland zurückzukehren. Aus Protest ziehe ich trotzdem meine Flip-Flops an und mache mich mit meinem Nasenspülkännchen auf den Weg zur Shala, dem Yogaraum, von dem aus man die Sonne hinter den Bergen aufgehen sieht – oder vielmehr sehen sollte. Als ich mich mit schrägem Kopf über die Yogaterrasse beuge und daran verzweifle, eine Kanne warmes Salzwasser erst durch das linke, dann durch das rechte Nasenloch zu jagen, bin ich über Regen und Dunkelheit dankbar. Das will niemand sehen oder hören. „Wer möchte, darf die Nasenspülung jeden Morgen machen. Sie beugt Erkältungen vor und öffnet die Atemwege für unsere Pranayama-Übungen”, sagt Berenice und übergibt jeder von uns ein Detox-Paket, das die Entgiftung des Körpers unterstützt: Öl zum Ölziehen, Heilsteine fürs Trinkwasser und verschiedenen Detox-Drinks.
Digital Detox
Zum Entgiften der Seele gibt es für jede ein leeres Buch, das wir nach der Meditation mit frischen Gedanken füllen können. Bei den Yogastunden leitet sie uns mit ruhiger Stimme durch die Asanas und findet für jedes Level und jedes körperliche Wehwehchen eine passende Abwandlung. So machen wir alle Fortschritte – ob Anfänger oder Geübte – und auch ich mit meinen Knieproblemen bekomme zu jeder Haltung eine schonende Variante gezeigt. Der Brunch lässt keine Yogi-Wünsche offen, ich schmeiße mich danach erst mal auf ein Sofa und befürchte im Stillen, neben dem frischen Teint auch den fitteren Körper von meiner Wunschliste streichen zu müssen. Dabei verbreitet der Regen eigentlich eine sehr gemütliche Atmosphäre in der Finca. Viele haben sich einen „Digital Detox” verordnet, kuscheln sich mit einem Buch ein oder sitzen bei einer Tasse Tee vor dem Kamin und erzählen aus ihrem Leben. Kurz vorm Einschlafen beschließe ich, dass der Regen heute gar nicht so schlecht war. Wir alle brauchten Zeit, um in Ruhe anzukommen.
Beim Meditieren am nächsten Tag blinzle ich kurz und sehe, wie die aufgehende Sonne die Berge rot färbt. Na, geht doch. Dank der Erholung am Vortag stecke ich voller Energie und erkunde während der Pause mit einem Teil der Gruppe die frühlingshafte Natur rings um die Finca. Ein paar tapfere Yogis ziehen ihre Bahnen im Pool. Mein Kleiner-Zeh-Test fällt jedoch negativ aus. Nach dem Spaziergang breite ich mich lieber auf einer der bequemen Sonnenliegen aus. Wieder fällt mir auf, wie angenehm die Stimmung unter den Teilnehmerinnen ist. Keine fühlt sich schlecht, wenn sie sich zurückzieht, um Zeit alleine zu genießen, denn man wird danach wieder freudig von allen empfangen. Auch beim Essen gibt es statt vieler kleiner Unterhaltungen überwiegend ein gemeinsames Gespräch. Wir lachen viel und sitzen am Abend noch lange im Wohnzimmer zusammen, bis nach und nach jede ins Bett huscht.
„Zweifel, ob ich bei so viel Genuss nach dem Retreat wirklich fitter sein werde? Unbegründet!“
Der dritte Tag
Man sagt, der dritte Tag eines Yoga Retreats sei der schwierigste. Stimmt. Ich rolle mich über die Seite, um überhaupt aus dem Bett zu kommen und quäle mich Stufe für Stufe die Treppe runter. Die Ashtanga-Praxis am Vorabend hat meine Bedenken, ich könnte hier zu wenig für einen fitteren Körper tun, schnell aus dem Weg geräumt. „Wird der Muskelkater ab jetzt jeden Tag schlimmer?”, stöhnt Ella, die wie ich heute viel Zeit in der Kindhaltung verbringt. Unser Lichtblick ist Angi, die mittags zur Gruppe dazu stößt und den Rest der Woche für Massagen zur Verfügung steht. „Heute geht es allen ähnlich”, sagt Berenice und lächelt in die Runde verzerrter Gesichter. „Die Erfahrung zeigt aber, dass es sich lohnt, sich ein bisschen durchzubeißen“, verspricht sie. Ich weiß nicht so recht, ob ich ihr glauben kann. Doch sie ist nachsichtig und gestaltet die Stunde ruhiger. Schließlich steht heute Nachmittag ein Ausflug nach Palma an, für den uns Berenice mit heimischen Insider-Tipps versorgt. Zusammen mit Amelie bummele ich durch die Altstadt und wir setzen uns eine Weile vor die Kathedrale. In Berenices Lieblingscafé, Ziva, futtern wir uns durch die vegane Speisekarte und treffen den Rest der Gruppe schließlich am Hafen. Hier werden ein paar Urlaubsfotos gemacht und ich glaube, ich habe mich ein bisschen in die Stadt verliebt.
Erfolge am vierten Tag
Einmal die Halbzeit erreicht, fliegt die Zeit. Oder fliege ich? Beim Yoga am vierten Tag kommt es mir jedenfalls so vor. Ich fließe durch die Ashtanga-Abschluss-Sequenz, die wir jeden Tag üben und muss gestehen, dass Berenice recht hatte. Die Haltungen fallen mir leichter und den Muskelkater merke ich kaum noch. Dank ihrer Hilfe finde ich spielerisch den Hebel, der mich mit geraden Beinen in den Kopfstand bringt. Und auch bei der Nasenspülung am nächsten Morgen tut sich was. Ich war schon überzeugt, dass meine Nasenlöcher nicht verbunden sind, bis Amelie mich erinnert, den Mund weit zu öffnen. Und tatsächlich, es kribbelt und brennt kurz, aber das Salzwasser findet den Weg zur anderen Seite. Bei der Meditation schrecke ich auf, als Berenice verkündet: „Heute haben wir 40 Minuten meditiert”. Habe ich wirklich so lange still gesessen? Ich habe nicht mal bemerkt, dass wir jeden Tag um zehn Minuten verlängert haben. Noch ein kleiner Fortschritt, den ich mit in meinen Alltag nehmen möchte.
„Wir sitzen eingemummt unter den Sternen und chanten, bis die
Köchin zum Abendessen ruft.“
Gute Nachrichten
Wir sitzen eingemummt in Decken unter den Sternen und chanten, bis die Köchin zum Abendessen ruft und uns vorm Abschied noch die Zutaten für das leckere Rote-Bete-Risotto diktiert. Im Wohnzimmer hat Berenice währenddessen neun „Gute-Nachricht”-Kästchen mit unseren Namen aufgestellt und wir schreiben uns gegenseitig kleine Botschaften. Die dürfen an schlechten Tagen oder bei Fernweh geöffnet werden. Mal gespannt, wie schnell ich darauf zurückkommen werde. Bei der Fahrt zum Flughafen bin ich entspannt wie lange nicht mehr und lese ich das Buch mit meinen Notizen der Woche durch. Neben Erinnerungen und neuen Freundschaften nehme ich viele frische Inspirationen und Ideen mit. Berenice lebt Yoga und hat uns alle damit angesteckt. Damit ich bis zum nächsten Retreat weiterhin mit ihr üben kann, habe ich ihren Youtube-Kanal (BereniceYoga) mit Übungssequenzen abonniert. Ganz nebenbei kann ich mir so ein bisschen Mallorca-Feeling nach Hause holen. Die Lichter des Flughafens kommen auf uns zu, als Cyndi Laupers Stimme im Radio ertönt. Zufall? Schicksal? Egal. Wir geben ein letztes Ständchen, bis sich jede die Yogamatte auf den Rücken schnallt und mit einer festen Umarmung und dem Versprechen „Bis bald” zu verschiedenen Terminals aufbricht. Girls definitely had fun!
Berenice Sophia Seiss ist Yogalehrerin und inspiriert ihre Schüler bei Yoga-Retreats, Workshops und Events. In ihrer Wahlheimat, Palma de Mallorca, bietet sie nun auch Einzelcoachings an. Für alle, die im Urlaub nicht auf Yoga verzichten möchten oder es einfach mal ausprobieren wollen, gibt sie private Stunden. Termine können Sie unter hello@bereniceyoga.com oder +34 631 934 030 vereinbaren.
bereniceyoga.com