Meditation an der Hochschule

Intuition und Intellekt

Das „Münchner Modell“ verankert Meditation fest im Lehrplan zweier Hochschulen. Die Vorteile für die Studierenden sind bereits konkret spürbar, doch wie fügt sich die Praxis in ein System ein, das klassischerweise auf Bewertung basiert? Ein Interview mit Professor Andreas de Bruin, der das Programm in München etablierte.

Meditation und Achtsamkeit gelten als „Trends“. Firmen wie SAP, Google und Bosch bieten entsprechende Programme für ihre Mitarbeiter an. Sollte die Schulung des Bewusstseins auch fester Bestandteil des Curriculums an Kindergärten, Schulen und Hochschulen -werden? Mit dem „Münchner Modell“, in dessen Rahmen er Meditation an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in München fest im Lehrplan verankerte, verzeichnet Initiator Andreas de Bruin, Professor für ästhetische Bildung, beachtliche Erfolge. 1200 Studierende haben das Programm seit 2010 bereits absolviert. Tendenz: steigend.

Professor de Bruin, Sie haben Meditation als Studienfach in die Bereiche Soziale Arbeit, Pflege sowie Bildung und Erziehung integriert. Wie kann Meditation besonders Studierenden helfen, die sich an der Basis der Gesellschaft engagieren wollen?

Durch Meditation können sich Gesundheit und Psychohygiene verbessern, ebenso die Emotionsregulierung und damit der Umgang mit sich selbst und anderen Menschen. Stress- und Angstreduktion können genau wie auch eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit helfen, im Berufsfeld besser zurecht zu kommen. Beispielsweise verbessert sich durch Meditation auch die selektive Wahrnehmung, wodurch man ist der Lage ist, die kleinen mimischen Bewegungen in der Kommunikation besser zu wahrzunehmen. Für diejenigen, die viel mit Menschen arbeiten, ist diese extra Information viel wert. Außerdem reduziert Meditation das Grübeln über sich und andere, wodurch man öfter im jetzigen Moment voll präsent sein kann.

Was hat für Sie den Anstoß gegeben, das Münchner Modell ins Leben zu rufen?

Ich selbst meditiere seit über 25 Jahren. Mir hat die Meditation vor allem innere Ruhe gegeben und eine Fokussierung auf die Dinge, die man tut. Auch hat sie geholfen, meinen Lebensweg zu finden und die dafür benötigte Kraft und Energie zu liefern. Diese Qualitäten auch den Studierenden zu vermitteln, ist meiner Meinung nach sehr sinnvoll. Zudem weiß man aus der Forschung, dass sich viele weitere Fähigkeiten durch die meditative Praxis verbessern lassen, darunter Konzentration, Mitgefühl, Umgang mit Stress sowie Selbstwirksamkeit. 

Wie kann man sich eine solche Meditationslehrveranstaltung vorstellen und auf welcher Grundlage werden die Leistungen der Studierenden benotet?

Im Praxisteil der Lehrveranstaltung lernen die Studierenden Achtsamkeits- und Meditationsübungen wie zum Beispiel den Body Scan oder die Sitz- und Gehmeditation. Im Theorieteil werden außerdem Hintergründe zur Herkunft verschiedener Meditationsformen sowie wissenschaftliche Erkenntnisse zur Meditation vermittelt.

Benotet wird die Leistung der Studenten aufgrund von Präsenz, regelmäßiger Mitarbeit, dem Führen eines persönlichen Meditationstagebuchs und einer schriftlichen Reflexion darüber, wie Meditation im späteren beruflichen Handlungsfeld sinnvoll angeboten werden kann.

Tatsächlich? Dass eine Praxis wie Meditation nach verbindlichen Standards bewertet werden kann, erstaunt …

Eigentlich sollte man das natürlich nicht machen. Hinter dem Tor des Schweigens, von dem der große indische Lehrer Krishnamurti oft gesprochen hat, gibt es keine Buchstaben und Ziffern! Gerade zum Meditieren- passt die Leistungsidee nicht. Aber um Meditation als Fach in die jeweiligen Lehrpläne zu integrieren, blieb mir bislang keine andere Wahl. Ich habe damals gemeinsam mit den Studierenden überlegt, was geeignete und faire Bewertungskriterien sind. Bislang funktionieren die ganz gut.

Hat es Gegenwind seitens des Hochschulapparats gegeben?

In meinem Fall nicht. Ich war damals zusätzlich zur Professur auch Prodekan und Finanzverwalter einer Fakultät sowie Planer von 35 Lehrveranstaltungen im Kreativbereich. Dadurch konnte ich vieles selbst entscheiden. Für mich war eher ausschlaggebend, ob die   Studierenden ein Fach zum Thema „Meditation“ überhaupt wählen! Im März 2010 habe ich dann zum ersten Mal eine Lehrveranstaltung diesbezüglich -angeboten. Auf 15 Plätze bewarben sich damals im Studiengang „Soziale Arbeit“ 65 Personen. Das war der Anfang des Münchner Modells.

Gehört die Schulung von Achtsamkeit und Medita-tion Ihrer Meinung nach überhaupt zum Bildungsauftrag der (Hoch-)schulen?

Meditation ist eine besondere Art der Geistesschulung, ganz anders als der intellektuelle Wissenserwerb. Unser Denken ist zunächst ein Registrierapparat für die äußere Sinneswahrnehmung. Wir speichern Informationen im Gedächtnis. Unsere Wissenschaft lehrt uns, mit Fakten und Begriffen umzugehen, Schlussfolgerungen zu ziehen, Zusammenhänge zu erkennen, zu begründen, Erklärungen exakt abzugeben.

Bei der Meditation richtet sich die Aufmerksamkeit nach innen. Der Gefühls- oder Empfindungsapparat ist in Ruhe versetzt und die Registrierung von Informationen aus dem gewöhnlichen Wahrnehmungsgebiet nicht länger vorhanden. Dadurch wird eine Kontaktaufnahme mit dem Inneren, mit dem Selbst oder -anders gesagt mit der Seele ermöglicht. Es entsteht eine Verbindung zu einer anderen Ebene des Bewusstseins, eine Kontaktaufnahme mit einer anderen Inspirationsquelle. Um dann die Inspirationen, die Ideen, wieder in der Welt zu verankern, bedarf es erneut des nach außen gerichteten Denkens und auch der Fähigkeit, mit dem Denkapparat und dem Wissen agieren zu können. Wir brauchen somit beides: den intellektuellen Wissenserwerb und die Meditation!

Was erhoffen Sie sich von dem Programm – für die Uni, für die Studenten, für eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung?

Die Chance liegt vor allem darin, dass man die -Studierenden im Rahmen des Studiums in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen kann. Durch Meditation können unter anderem Prüfungsangst und Stress reduziert und eine entspannte -Hochschulatmosphäre geschaffen werden.

Für mich ist natürlich auch wichtig, dass sie über die eigenen späteren Berufe mithelfen, Achtsamkeit und Meditation in die Gesellschaft zu integrieren. Für die Menschen ist ein konstruktiver Umgang mit dem eigenen Denkapparat eine große Herausforderung. Die Förderung der eigenen Intuition kann hier einen wichtigen Beitrag leisten. Das Erlernen der Meditation ist meines Erachtens keine Modeerscheinung, sondern ein nächster Schritt in der menschlichen Entwicklung und die Etablierung an Hochschulen eine logische Folge. Zudem wird durch die Verstärkung der Intuition und Inspiration auch die Kreativität gefördert. Dadurch können für die Wissenschaft ganz neue Ideen generiert werden, wovon letzten Endes auch die Gesellschaft profitiert.

Wie möchten Sie das „Münchner Modell“ weiterentwickeln?

Ich würde gerne einen Ort schaffen, wo die Absolventen weiter meditieren und sich treffen können. Das Endergebnis wäre ein Münchner Meditationszentrum, das zu Hochschule und Universität gehören würde. Auch das Bedürfnis, sich untereinander auszutauschen, ist groß. Das ist vor allem bei Studierenden der Fall, die im Rahmen von Abschlussarbeiten eigenständig Achtsamkeits- und Meditationsprojekte durchführen oder sie nach dem Studium in Kindergärten und Schulen etablieren.


Hannah Lisa Linsmaier ist meditationsbegeisterte Sozialunternehmerin und hat mit der „Himmelbeet gemeinnützigen GmbH“ in Berlin einen Ort der Begegnung, Bildung und Synergien gegründet. Auf ihrem Blog purevolution.de schreibt und zeichnet die Romanistin über Achtsamkeit und Meditation in Alltag und Forschung und gibt Tipps für Übungen.


Foto: Marco Gierschewski

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