Bekannt ist: Meditation hilft gegen Stress und steigert die Konzentrationsfähigkeit, sie macht uns freundlicher und sozialer. Als unser Autor längere Zeit krank war, stellte er erstaunt fest: Die Praxis half ihm auch, achtsam und viel gelassener durch diese schwierige Zeit hindurchzukommen, als er je vermutet hätte.
Text: Ulrich Hoffmann / Titelbild: damircudic / Getty Images Signatures via Canva
An einem heißen Augustabend vor einem Jahr bekomme ich plötzlich heftige Bauchschmerzen. Der Notarzt wedelt eine Hornisse aus dem Krankenwagen. “Wie ist der Schmerz auf einer Skala von eins bis zehn?”, fragt er. “Acht.” Sie schalten das Blaulicht an. In der Notaufnahme sind die Flure leer. Der Schmerz ist jetzt eher eine Sieben. Nach gefühlten zwanzig Minuten kommt jemand. Ich werde in einem heißen, dunklen Raum abgestellt. Es muss noch vor Mitternacht sein. Mein Handyakku ist fast leer, immer noch keine Schmerzmittel.
Ich wimmere leise. Eine Patientin einige Zimmer weiter ruft verzweifelt: “Mama! Mama!” Ein älterer Herr wird eingeliefert, fast taub und dehydriert. Ich höre mit, wie ihm erklärt wird, warum er hier ist. Er versteht es nicht. Jemand kommt und gibt mir Wasser und Schmerztabletten. Sie helfen nicht. Jemand kommt und macht einen Ultraschall vom Bauch, um eine Blinddarmentzündung auszuschließen. Jemand kommt und gibt mir mehr Wasser, andere Schmerztabletten. Die helfen endlich. Jemand kommt und macht noch einen Ultraschall vom Bauch, um eine Blinddarmentzündung auszuschließen. Es herrscht Personalmangel, aber auch Kommunikationsmangel.
Die Wirkung der Schmerzmittel lässt nach. Ich stehe auf, suche Menschen. Niemand da. Ich gehe zurück in mein Zimmer, lege mich hin, leide. Jemand kommt, gibt mir Wasser und Schmerztabletten. Sie helfen ein bisschen. “Ist der Schmerz wie ein Wurm, der sich durch deinen Rücken frisst?”, fragt der dritte Ultraschall-Arzt in dieser Nacht. “Hmpf”, mache ich. “Dann ist es keine Blinddarmentzündung”, sagt er zufrieden und rollt sein Gerät ungenutzt wieder weg. Jemand holt mich zum CT, findet einen Nierenstein. Alle sind happy (außer mir), ich werde entlassen, morgens um sechs, mit einem Streifen Schmerztabletten, in dem noch eine (!) Tablette ist. Jemand drückt mir eine Wasserflasche in die Hand. Draußen ist es schon wieder brüllend heiß.
Die Kraft der Wahrnehmung
In dieser Nacht im Krankenhaus und auch in den folgenden Tagen war das, was ich in der Meditationspraxis gelernt habe, für mich sehr hilfreich. Ganz automatisch konzentrierte ich mich auf meinen Atem. Immer wieder. Einmal hörte ich eilige Schritte auf dem Flur, ein schrilles Fiepen. “Mama, Mama!” rief die Frau einige Zimmer weiter, inzwischen heiser. Dann wurde es auf einmal sehr still. Ich achtete weiter auf meinen Atem und erst Minuten später merkte ich, dass ich damit die Angst im Zaum hielt.
Ich konzentrierte mich auf die Geräusche im Flur, auf die Wahrnehmung meines Rückens auf der Liege. Wenn der Wurmschmerz kam, versuchte ich, ihn nicht zu verdrängen, sondern ließ ihn durch mich hindurchwehen. Einatmen. Jetzt ist es so. Ausatmen. Und jetzt ist es so. Einatmen, ausatmen. Atempausen, Atempausen. Wenn ich Durst hatte, aber kein Wasser, nahm ich den Durst wahr, und was er mit mir machte. Im Dunkeln stand die (ungerechtfertigte) Angst zu sterben neben meiner Liege.
“Einatmen. Jetzt ist es so. Ausatmen. Und jetzt ist es so.”
Ich akzeptierte ihre Anwesenheit. Ich habe gerade Angst. Ich habe gerade Durst. Es tut gerade weh. Die Mitarbeiter*innen haben gerade keine Zeit. Ich konzentrierte mich immer wieder auf meinen Atem. “Wer atmen kann, kann meditieren”, sagt Jon Kabat-Zinn, der Erfinder der Achtsamkeitsbasierten Stress-Reduktion. Wer atmet, ist noch am Leben, sagte ich mir in dieser Nacht. Mein Handyakku war fast leer, sollte ich meine Frau (nachts um vier) ein letztes Mal anrufen, bevor das Handy stirbt, und ich vielleicht auch? Atmen, atmen. Angst, Angst. Atmen, atmen. Angst, Angst.
Atemtechnik gegen die Angst
Die Tage danach sitze ich zu Hause und warte darauf, dass es mir besser geht. Das passiert aber nicht. Im Lauf der folgenden Wochen wird aus einer Krankheit die nächste und die übernächste. Es wird ein emotional und körperlich anstrengendes Jahr. Einerseits versuche ich immer wieder, mich bewusst auf die Meditationspraxis zu besinnen und meine Batterien aufzuladen. Vor allem aber gibt es immer wieder Momente, in denen ich wie auf Autopilot die gelernten Tools hervorhole. Auf alles achte, was ich wahrnehmen kann. Den Atem spüre. Gedanken als solche benenne und sie davonziehen lasse.
Rückblickend bin ich erstaunt, wie sehr mir das geholfen hat. Immer wieder konnte ich mich mit diesen simplen Techniken beruhigen, Schmerz, Sorge oder Langeweile besser aushalten, der Angst Einhalt gebieten. In einem Interview habe ich mit Sharon Salzberg über die Metta-Meditation gesprochen. Sie ist der Ansicht, wer regelmäßig liebende Güte übe, zeige sie im Alltag auch eher.
So ging es mir in vielen kleinen Momenten. Pflegepersonal kommt nicht. Hassen sie mich? Nein, wahrscheinlich haben sie einfach Stress und gerade einen dringenderen Fall. Es ist besser, ihnen zu vertrauen. Schmerzwelle überrollt mich, Schmerzmittel hilft zu wenig. Wird das so bleiben? Hoffentlich nicht. Jetzt gerade tut es weh. Aber ich kann noch atmen. Es gibt noch andere Sinnesreize außer dem Schmerz. Wärme auf der Haut. Piepsen im Flur.
Mit Autopilot aus dem Tief
Die Patientin nebenan ist gestorben. Besser sie als ich, dachte ich in jener Nacht. Und gleich darauf: Ist es schlimm, dass ich so fühle? Bin ich ein schlechter Mensch und deshalb vielleicht als nächster dran? Zwei Gedanken von vielen. Sie kommen und gehen einfach. So ging das, Atemzug für Atemzug.
“Immer wieder konnte ich mich mit diesen simplen Techniken beruhigen, Schmerz und Sorge besser aushalten.”
Es war wie Autofahren in einer Risikosituation: Jahrelange Übung zahlte sich aus, alles funktionierte automatisch, und am Ende kam ich einigermaßen heil wieder aus diesem Tief heraus. Und dankbar. Für die Mühe derjenigen, die mich behandelten, für die Mühe derjenigen, bei denen ich Meditation erlernt habe, und für meine eigene Mühe, immer wieder auf das Kissen zurückzukehren.
Ich gehöre zu denjenigen, die keine feste Praxis haben, sondern nach Bedarf die Technik wechseln. Damit die Freude an der Meditation jeweils möglichst groß ist und ich dranbleibe. Heute weiß ich: Es hat sich gelohnt.
Als besonders hilfreich empfand unser Autor während seiner Krankheit eine vereinfachte Form der Vipassana-Meditation. Hier geht’s zur Anleitung:
Ulrich Hoffmann ist mehrfacher Bestsellerautor. Er schrieb u.a. den Longseller Mini-Meditationen. Vor kurzem erschien von ihm 50 philosophische Erkenntnisse, die das Leben leichter machen. Mehr über den Autor findest du auf seiner Website.
Erfahre mehr über die heilende Kraft der Meditation in unserem Podcast: