“Yoga als dreidimensionale Kunst”: Simon Park im Interview

Yoga-Legende Simon Park hat auf der ganzen Welt unterrichtet und seinen eigenen Yogastil gegründet: Liquid Flow Yoga. Im Interview mit YogaWorld teilt der Wahl-Münchner seinen Lebens – und Yogaweg mit uns und verrät, wie er die Zukunft der Yogawelt einschätzt.

Der erstaunliche Yogaweg von Simon Park begann 1995 mit Shiva Rea an der Universität von Los Angeles. Es folgte eine Yogalehrerausbildung mit Maty Ezraty beim ersten YogaWorks in Kalifornien. Später unterrichtete er landesweit und zog nach New York, wo er im Exhale Studio arbeitete und die Körpertherapie namens “Body Enlightening” entwickelte. Seine Yoga-Reise führte ihn neben Asien und Australien schließlich nach Europa, vor allem nach Paris und Barcelona und München – Kein Wunder also, dass er vom US-Yoga Journal unter die 21 einflussreichsten Yogalehrer*innen unter 40 gewählt wurde.

Wegen seiner Liebe zu den Bergen und zum Wandern lebt Simon mittlerweile in München, wo er im Kale and Cake Studio mit Sinah Diepold unterrichtet und Yogalehrerausbildungen leitet – einmal im Jahr sogar in den französischen Alpen. Höchste Zeit, dass er dem deutschen Yogaraum Frage und Antwort steht …

Simon, schön dich kennenzulernen und danke, dass du dir heute Zeit für unser Interview nimmst! Was hat dich persönlich zum Yoga gebracht?

Simon Park
Tracy&John

Alles begann mit einer Verletzung nach einem Motorradunfall. Zuerst habe ich Physioptherapie probiert, dann aber schlug mein Nachbar in Venice Beach Yoga vor. Also meldete ich mich bei einer Klasse an der Uni an und traf dort Shiva Rea. Sie war erst 27 und hatte Ashtanga bei Chuck Miller und Maty Ezraty gelernt. Damals trainierten großartige Lehrer*innen bei Yoga Works: Rod Stryker, Sean Corne, Baron Baptiste usw. Dort habe auch ich damit begonnen, sehr intensiv zu praktizieren und Ashtanga und Iyengar zu lernen. Dann wurde Maty Ezraty mit seinem Mysore Stil mein Hauptlehrer. Nach meiner Ausbildung zog ich zunächst zurück nach Philadelphia und übte dort mit Joan White, einer direkten Schülerin von BKS Iyengar. Dabei nahm ich besonders viel von den Grundlagen und dem Alignment der Asanas mit. Ab meiner Ausbildung 2000 unterrichtete ich in Vollzeit. Ich verband mich wieder mit Shiva Rea, die damals nationale Anerkennung erreicht hatte. Ihr durfte ich bei der Yoga Journal Konferenz assistieren. Das gab mir die Möglichkeit, noch mehr großartige Lehrer*innen zu treffen wie Rodney Yee, John Friend, Richard Freeman, Ana Forrest und viele weitere.

Wow, du hast echt bei vielen bekannten Größen geübt. Wenn Schüler*innen nach ihren Lehrer*innen suchen, auf was sollten sie achten?

Ich habe mit Yoga begonnen, als Lehrer*innen noch nicht so wie Rockstars behandelt wurden. Ganz im Gegenteil: Abgesehen von den indischen Meister*innen gab es nur sehr wenige im Westen bekannte Yogalehrer*innen. Ihre Bekanntheit hing ab von ihrer Erfahrung bei der Praxis und ihrem dynamischen Unterrichtsstil. Ich persönlich suche nicht nach Lehrer*innen wegen ihres Ruhms. Meine erste Lehrerin, Shiva Rea, war noch ziemlich unbekannt. Als ich Maty Ezraty traf, hatte ich keine Idee, dass sie die Leiterin einer großen Yogaschule war und eine richtige Legende. So war das für mich ein relativ intuitiver Prozess.

Dann sollten die Schüler*innen also mehr auf ihre Intuition vertrauen und weniger auf Bekanntheit achten?

Der Schlüssel ist die Verbindung oder der Vibe. Oft kann man lange gar nicht genau sagen, was einen an dieser Person fasziniert. Besonders wichtig ist es, sich von den Lehrer*innen gesehen zu fühlen. Mit all deinem Potential und deinen Herausforderungen. Sie sollten darüber hinaussehen können, wie du in einer bestimmten Pose aussiehst. Man findet sich irgendwie gegenseitig. Was all meine Lehrer*innen gemeinsam hatten war folgendes: Egal, wie berühmt sie waren, sie konnten ihre Präsenz vielen Individuen gleichzeitig schenken. Dadurch bekommen die Schüler*innen eine einzigartige Verbindung zu ihnen.

Welche Lehrer*innen haben dich am meisten berührt?

Ich hatte ja sehr viele verschiedene Hauptlehrer*innen, was wahrscheinlich viel aussagt über das, was ich für meine Entwicklung gebraucht habe. Ich suche mir in den meisten Bereichen des Lebens das aus, was für mich passt: bei Kunst, Musik, Freunden, Reisen. Die Vielfalt meiner Lehrer*innen machte das Lernen umso interessanter. Shiva kommt aus Kalifornien, ist ein Freigeist, eine Tänzerin und eine Rebellin. Maty war eine wahre Technikerin, aufregende Motivatorin und die Meisterin, dein Potential zu erkennen. Richard für seinen Teil war ein genialer Professor mit seinem Kopf bei den Sternen und auf der Yogamatte in die hinduistische Mythologie geerdet. So hat jede/r seine/ ihre Vorzüge.

Was empfiehlst du Yogi*nis die auf der Suche nach dem/r richtigen Lehrer/in an einen Ort gebunden sind?

Heutzutage ist die Auswahl an Yogaunterricht sehr breit durch das Online Yoga. Trotzdem würde ich empfehlen, mit einer/m lokalen Lehrer*in zu üben, die du regelmäßig sehen kannst. Am besten natürlich mehrmals die Woche. Wenn du in deiner Praxis fortgeschritten bist, kann das auch einmal im Jahr oder alle paar Jahre stattfinden. Wenn Schüler*innen mit der richtigen Absicht suchen, gibt es Lehrer*innen. So kann ein tiefer Wachstumsprozess stattfinden. Das beste, was Lehrer*innen eigentlich für ihre Schüler*innen machen können, ist sie von Tag eins darauf vorzubereiten, dass sie sich frei entwickeln und auch irgendwann weiter ziehen.

Und weitergezogen bist du und hast dabei die Welt bereist. Worin unterscheidet sich in deinen Augen die Yogaszene in den USA und von der in Deutschland?

Zur Zeit gibt es neben vielen Gemeinsamkeiten auch ein paar große Unterschiede. Die Parallelen kommen daher, dass wir im Informationszeitalter leben. Zudem hatten viele US-amerikanische Lehrer*innen großen Einfluss auf die Szene in Deutschland, wie etwa Jivamukti in Berlin und München. Sharon Gannon und David Life inspirierten ein paar Schlüsselfiguren in der Entwicklung und der Verbreitung von Yoga in Deutschland: Patrick Broome, Gabriela Bozic und Petros Haffenrichter. Vor der Eröffnung von Jivamukti München folgten deutsche Yogi*nis meistens der Shivananda Tradition.

Wie denkst du kam es dazu?

Die breite Bevölkerung nahm Yoga als New-Age-Spiritualität war. Die meisten Lehrer*innen übten mit US-amerikanischen Yogi*nis, wie beispielswiese Christine May und Barbara Noh. Die Lehrerinnen wurden immer bekannter und so verbreitete sich der relativ neue amerikanische Yogastil in Deutschland. Das ist die Grundlage der deutschen Yogaszene. Aber auch andere bekannte eklektische Yogalehrer*innen wie Young Ho-Kim und Sinah Diepold orientierten sich am US-amerikanischen Yoga und dessen Trends. Dieses Phänomen hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Dadurch verbreitete sich das positive Charisma, die Weisheit und die Leidenschaft, die die bereits genannten Lehrer*innen mitbrachten. Sonst wäre Yoga in Deutschland nicht so bekannt. Anschließend begannen auch sie ihre eigenen Stile zu entwickeln, was ich als gesunde Entwicklung betrachte. Heute hat die deutsche Yogaszene ein eigenes Leben. Ich persönlich finde sie sehr aufregend, aufblühend und genau am Puls der Zeit.

Young Ho Kim über Yoga-Evolution: Warum “Inside Flow” pure Expression ist

Auch du hast mit Liquid Flow Yoga deinen eigenen Stil entwickelt …

Liquid Flow Yoga ist einerseits die Synthese aus den Stilen, die ich von der Abstammungslinie meiner Lehrer*innen mitnehmen durfte. Allerdings sind diese Erkenntnisse natürlich durch meine einzigartige Weltanschauung wie durch ein Prisma gefiltert. Lange war mein Unterricht wie eine Kopie der Personen, von denen ich gerade lernte. Wenn ich mehr mit Shiva lernte, dann unterrichtete ich ihren Flow. Wenn du noch nicht so viel Erfahrung hast, dann macht das dein Lernen etwas schizophren: Du springst von Stil zu Stil und von Lehrer*in zu Lehrer*in. Ich musste dadurch erst lernen, allen Input durch meine Brille zu filtern und nur das zu behalten, was sich für mich und meine Schüler*innen stimmig anfühlte. Man saugt zuerst alles auf und kopiert. Anschließend muss sich das Potpourri an Informationen und Techniken erst setzen. An einem Punkt erkennt man dann seinen eigenen Stil. Dann kannst du dich und deine Persönlichkeit einzigartig ausdrücken. Diese Entwicklung spiegelt die von den meisten Künstler*innen.

Ein Mittel zum Ausdruck ist Musik und genau die spielt auch eine wichtige Rolle in deinen Workshops.

Ich sehe da eine große Parallele zwischen den beiden Welten Musik und Yoga. Auch Vinyasa Flow profitiert von großartiger Musik. Ich höre am liebsten Bruce Springsteen, Jimi Hendrix, und The Rolling Stones. Auch hier bin ich Fan von vielen Genres und Stilen und arbeite selbst gerne mit Live Musik bei meinen Workshops. So sehe ich auch Yoga als eine fluide Kunst an, nicht als Sammlung von exakten Techniken und Informationen. Das war für mich ein sehr langer Prozess, der bis heute anhält. Nach all den Jahren entwickelt sich auch meine Yoga- und Unterrichtspraxis immer noch weiter und gewinnt an Tiefe. Ich freue mich sehr, dass auch die nächste Generation Yoga übt. Außerdem bin ich gespannt, wie sich Yoga noch weiterentwickeln wird.

Wenn du dir die Zukunft von Yoga vorstellst, was siehst du?

Da ist natürlich das Internet der “Elephant in the Room”. Der Lockdown hat aber nicht nur die Entwicklung hin zum Online Unterricht verschnellert. Sondern auch den Kult um die Person der Yogaleher*innen. Einerseits hat das viele Vorteile, z.B. ist Yoga dadurch für viele erreichbarer geworden. Die Preise sind runtergegangen; so kann man für wenig Geld gutes Yoga finden. Viel mehr Menschen können von der Wissenschaft des Yoga profitieren.

Ich spüre ein ABER …

Ja, das Ganze hat auch eine Schattenseite. Die Qualität des Unterrichts und das Üben online kann nicht die Live-Klasse mit einem erfahrenen Lehrer ersetzen. Manche Dinge kann man nicht oder weniger klar und deutlich vermitteln, wenn man mit Video oder Audio übt. Yoga ist eigentlich eine mindestens dreidimensionale Kunstform. Video kann nur zwei Dimensionen vermitteln und alles andere nur ankratzen. Ich erkenne auch die Chancen von Plattformen wie Instagram. Wenn Praktizierende hartnäckig und begeistert üben, dann kann man online schon einen großen Fortschritt machen.

Hast du eine Empfehlung bezüglich Online Yoga?

Wie bei jeder Disziplin müssen die Methoden und die Inhalten in den entsprechenden Kontext gebracht werden. Bei Yoga gehören die verschiedenen Yogi*nis und die über 5000 Jahre alte Tradition zum Kontext. Eine wichtige Person, die es geschafft hat, die alte yogische Tradition ins moderne Zeitalter zu überführen, ist Krishnamanchaya. Er unterrichtete Pattabhi Jois, BKS Iyengar, Indra Devi und TKV Desikachar – der Lehrer der Lehrer*innen. Er unterrichtete nur eine/n Schüler*in zur selben Zeit, weil die Praxis individualisiert am meisten Vorteile birgt. Mit den Samen, die er in seine Schüler*innen setzte, sorgte er trotzdem dafür, dass sich Yoga über den gesamten Erdball verbreitet. Der standardisierte Unterricht vor vielen ist ein Schritt weg von der Lehre Krishnamacharyas. Für mich fühlt sich dann Online-Unterricht noch einen Schritt ferner davon an. Vielleicht sorgt das breite Angebot von Lehrer*innen auch dafür, dass man gar nicht mehr intensiv von einer Person lernt. Das ist allerdings entscheidend gewesen für meinen persönlichen Yogaweg. Am Ende geht es wieder darum, Balance zu finden. Wenn Schüler*innen tiefer zur Praxis finden, werden sie auch nach tieferem Wissen suchen. Und die Intuition wird sie oder ihn zu den richtigen Lehrer*innen bringen.


Simon Park Gesicht

Simon Park ist ausgebildet in Ashtanga, Iyengar und Vinyasa. Auch du kannst bei Kale and Cake in München mit Simon privat oder gemeinschaftlich trainieren und dich von ihm ausbilden lassen. Zudem hofft er, Liquid Flow, seinen selbst entwickelten Yogastil, bald wieder weltweit unterrichten zu können.

Mehr Infos über Simon Park auf seiner Website www.liquidflowyoga.com oder auf Instagram.

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