Drehhaltungen im Yoga: So richtest du dein Becken aus

Drehhaltungen im Yoga: Welche ist die richtige Herangehensweise? Richten wir das Becken gerade nach vorne aus oder drehen wir es mit?

Das berühmte Zitat ­„Cogito ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) stammt von dem Philosophen René Descartes. Er war es auch, der uns das praktische, zugleich jedoch ­limitierende rechtwinklige kartesische ­Koordinatensystem schenkte. Dieses legt ein theoretisches Raster auf das ­Universum und beschreibt alles darin Vorkommende als rechtwinklig ­miteinander verbunden. Manchmal schleicht sich dieser rechtwinklige Ansatz im Denken auch in die Yogawelt ein. Dies führt zu solch absoluten Aussagen wie „Der beste Weg zu üben…“. Ein Beispiel für eine solche Annahme ist der Glaube, dass bei Drehhaltungen das Becken immer ­parallel ausgerichtet sein muss und diese Stellung des Beckens nicht verändert werden sollte, sobald wir den Oberkörper drehen. Ebenso wie der Cartesianismus ist diese Art, einen Twist zu betrachten, zwar nützlich, aber auch limitierend.

Eine Übung, viele Herangehensweisen

Die Wahrheit ist, dass Drehhaltungen keine „Einheitsgrößen“-Haltungen sind. Wie bei so vielen anderen Dingen im Yoga (wie auch im Leben allgemein) passt nicht die eine Beschreibung und Herangehensweise für jeden. Um die optimale Ausrichtung deines Beckens in einem Twist zu finden, solltest du erstens mit verschiedenen Herangehensweisen experimentieren und beobachten, wie sie sich für dich anfühlen. Und zweitens: Verstehe die Mechanik hinter den Drehhaltungen. Dadurch findest du selbst heraus, welche Art von Ausrichtung für dich die beste ist.

Versuche einmal Folgendes:
  1. Setze dich seitlich auf einen stabilen Stuhl ohne Armlehnen. Die rechte Seite deines Körpers ist zur Stuhlrückseite gerichtet. Hebe den Brustkorb an und ­drehe dich so, dass du die Rückenlehne mit beiden Händen greifen kannst. Atme sanft aus und setze die Arme ein, um dich – so weit es angenehm möglich ist – nach rechts zu drehen. Bewege dein Becken nicht absichtlich mit der Drehung, aber hindere es auch nicht, wenn es sich mitbewegt. Bleibe in dieser Haltung und nehme wahr, wie weit du deinen Oberkörper und die Schultern gedreht hast und wie sich dein Kreuzbein und der gesamte Rücken in dieser Position anfühlt. Richte den Blick nun zu deinen Knien. Höchstwahrscheinlich ist dein linkes Knie vor deinem ­rechten. Dies weist darauf hin, dass sich dein Becken ganz natürlich mit der ­Drehung mitbewegt hat.
  2. Komme wieder in eine neutrale Haltung zurück und führe die ­gleiche Übung erneut aus. Achte dieses Mal jedoch darauf, dass deine Knie in einer Ebene und dein Becken exakt seitlich zur Rückenlehne bleibt. Wie fühlt sich diese Variante an?
  3. Vielleicht findest du es leichter, in eine Drehhaltung zu kommen, wenn du das Becken mitnimmst. Oder du hast herausgefunden, dass die Drehhaltung sich tiefer und zufriedenstellender anfühlt, wenn du das Becken parallel hältst. Es gibt keine richtige Technik für alle, aber eine richtige für dich!

Eine gute generelle Regel ist: Wenn du dich nicht mit Leichtigkeit drehen kannst oder Schmerzen in deinem Iliosakralgelenk hast (dort, wo die Basis der Wirbelsäule auf das Becken trifft), ist es für dich vermutlich besser, die Hüften in Drehhaltungen mitzubewegen. Wenn Drehhaltungen dir leicht fallen und du tiefe ­hineingehen möchtest, bist du mit einem ­parallel ausgerichteten ­Becken vermutlich besser bedient.

Wirbelsäulen-Rotation – so funktioniert’s

Twists halten die Gelenke der Wirbelsäule, die Bandscheiben, Bänder und Muskeln geschmeidig. Sie massieren die Bauchorgane und befreien die Atmung, indem sie die Muskeln des Bauches und des Brustkorbes lockern. Die Hauptaktivität, die all das möglich macht, ist die Rotation der Wirbelsäule. Um zu visualisieren, wie die Wirbelsäule sich dreht, mache zwei Fäuste und stapele diese übereinander. Stellen dir nun vor, dass jede Faust einen Wirbel darstellt. Halte die untere Faust still, während du das obere Handgelenk beugst. Die obere Faust dreht auf der unteren in ungefähr der gleichen Weise wie ein Wirbel auf dem anderen, wenn die Wirbelsäule rotiert. Wenn du dich drehst, dreht sich jeder Wirbel in Relation zu dem Wirbel darunter, vom unteren Ende deiner Wirbelsäule nach oben. Die Summe all dieser kleinen Bewegungen ergibt dann die komplette Wirbelsäulen-Rotation.

Es wird oftmals gesagt, dass das Parallelhalten der Hüften in einer Drehhaltung zu einer stärkeren Wirbelsäulen-Rotation führt. Das stimmt nicht immer. Um zu verstehen weshalb, führe noch einmal die gleiche Übung mit deinen Fäusten aus wie zuvor, nur dieses Mal drehst du die untere Faust gleichzeitig mit. Beide Fäuste drehen in die selbe Richtung, das ergibt kaum oder keine Rotation der oberen Faust in Relation zur unteren.

Das Becken und die Wirbelsäule

Ähnlich ruht die Basis deiner Wirbelsäule auf deinem Becken: Wenn du nun das Becken und die Wirbelsäule in die gleiche Richtung drehst, wird sich die komplette Wirbelsäule als Einheit bewegen. Deine Wirbel werden sich in Relation zueinander kaum drehen – zuerst einmal. Da sich das Becken jedoch nur begrenzt drehen kann, stoppt es an einem gewissen Punkt. Dadurch bleibt auch die Basis deiner Wirbelsäule stehen. Fahre nun fort, die restliche Wirbelsäule zu drehen. So kannst du allmählich die gleiche Rotation der Wirbel erzielen wie bei einer parallelen Ausrichtung deines Beckens. 

Welche Variante passt?

Wenn nun beide Versionen dieser ­Haltung das Potenzial haben, deine ­Wirbelsäule zu drehen, wie kannst du bestimmen, welche davon die richtige für dich ist? Überlege dir, wie ­einfach oder schwierig Drehhaltungen für dich sind. Lässt sich deine Wirbelsäule nicht leicht drehen? Und entscheidest du dich dafür, das Becken in Marichyasana III  parallel auszurichten? Dann wird es dir schwer fallen, deine Schulter weit genug über deinem Körper auszurichten, um den Arm optimal zu positionieren. Die Muskeln des ­Oberkörpers alleine können die Wirbelsäule nicht bis zu ihrem Maximum drehen. Hierfür musst du deine Schulter weit genug in die Drehrichtung bewegen können, um deinen Arm gegen etwas Solides zu drücken und dadurch eine Hebelwirkung zu erzeugen. In Marichyasana drückst du beispielsweise deinen Arm gegen die Außenseite des aufgestellten Knies, um die Drehung zu unterstützen. Entscheidest du dich dafür, das Becken mitzudrehen, folgt dein Oberkörper der Drehung und die ­Schulter kommt dadurch weiter nach vorne. Dies ermöglicht dir, den Arm leichter über das angewinkelte Bein zu legen.

Die Position der Schultern in Drehhaltungen

Das Entscheidende ist, dass die Art, wie du dein Becken bewegst (oder stabilisierst) die Position deiner Schultern am Endpunkt des Twists beeinflusst. Und dies hat wiederum Einfluss auf die ­Fähigkeit, sich mit Hilfe der Hebelwirkung weiter zu drehen. Dies ist der Hauptgrund dafür, dass weniger ­flexible Yogaschüler davon profitieren, das Becken in den Drehhaltungen mitzubewegen. Dir fallen Drehhaltungen wie Marichyasana III leicht? Dann kann es dagegen passieren, dass durch das Mitdrehen des Beckens die Schultern so weit über das aufgestellte Bein kommen, dass ein mechanischer Nachteil ­entsteht: Die Hebelwirkung wird reduziert. Deshalb können sehr flexible Schüler häufig tiefer in eine Drehhaltung gehen, wenn Sie das Becken nicht mitdrehen.

Welche Rolle spielt das ISG?

Ein weiterer Punkt, den man bei einer Drehhaltung unbedingt berücksichtigen sollte, ist die Gesundheit und Stabilität des Iliosakralgelenks/ISG (Kreuz-Darmbein-Gelenk). Das Sakrum, der große dreieckige Knochen am unteren Ende der Wirbelsäule, ist zwischen den beiden Ilium-Knochen, den ­beiden ‘Flügeln’ des Darmbeinkammes, eingekeilt. Die ­Kontaktflächen ­zwischen dem Kreuzbein und den Ilium-­Knochen (Darmbein) sind als IS-­Gelenke bekannt.

Drehhaltungen Yogan Anatomie

Yogis leiden häufig an schmerzhaften Verletzungen des ISG. Solche ­treten auf, wenn eine Seite des oberen ­Kreuzbeins zu weit nach vorne rutscht und vom Ilium, aus dem Gelenk heraus, wegzieht. Dies kann beispielsweise in Drehhaltungen und Vorwärtsbeugen passieren. Twists können diese Verletzungen verschlimmern, da sie natürlicherweise eine Seite des Kreuzbeins nach vorne rotieren: Wenn du dich nach rechts drehst, bewegt sich häufig das Kreuzbeins vom Ilium auf der linken Seite weg und vice versa.

Achtung: Verletzungen des Gelenks spürt man meist erst nach dem Üben, wenn sich ein dumpfer Schmerz auf der Rückseite einer Beckenseite breit macht. Wenn du das Becken ganz steif nach vorne ausgerichtet hältst und gewaltsam in die Drehhaltung gehst, vergrößerst du das Risiko. Um dieses Risiko zu vermeiden, entspanne während der Drehbewegung bewusst die Muskulatur um die Wirbelsäule, Taille und den Brustkorb herum: Dadurch können sich die Wirbel freier in Relation zueinander bewegen und es wirkt weniger Kraft auf das Kreuzbein. Eine andere Möglichkeit ist, das Becken mit in die Drehbewegung zu nehmen.

Mehr Stabilität im ISG – lasse das Becken mitdrehen

Das Becken mit der Drehbewegung mitgehen zu lassen, anstatt es starr nach vorne ausgerichtet zu halten, ist für das ISG aus drei Gründen gewöhnlicherweise sicherer:

Erstens: Wenn man einen Twist mit der Bewegung des Beckens initiiert, dreht sich der Oberkörper weiter. Dadurch fühlt sich die Drehung früher „komplett“ an und die Wahrscheinlichkeit, dass du dich über deine Möglichkeiten hinaus in die Haltung zwingst, ist kleiner.
Zweitens: In Haltungen wie Marichyasana III erleichtert die Drehbewegung des Beckens das Heben des Armes über das gebeugte Bein. Dies verringert die Wahrscheinlichkeit, dass du nach vorne zusammensinkst, um deine Armposition zu verbessern. Das Zusammensinken des Oberkörpers hat den Nachteil, dass der obere Rand des Kreuzbeins nach vorne zieht.
Drittens: Das Mitbewegen des Beckens mit der Drehung schützt das ISG, denn das Ilium kann sich mit dem Kreuzbein als Einheit bewegen. Die Knochen bleiben zusammen. Um diesen Effekt noch zu maximieren, solltest du in der Drehung den oberen Rand des ­entgegengesetzen Iliums vom Sitzbeinhöcker aus nach vorne kippen. Dies hilft dabei, dass das Ilium dem Kreuzbein nach vorne folgt.

Übung: Welcher Twist passt am besten zu dir?

Versuche anhand der folgenden Übung herauszufinden, welche Art von Twist für dich am besten funktioniert:
  1. Setze dich entweder auf den Boden oder auf eine gefaltete Decke und strecke beide Beine für Dandasana (Stabhaltung) nach vorne aus. Beuge dein rechtes Knie und platziere die rechte Ferse nahe an deinen Sitzbeinhöcker. Richte dein Becken so aus, dass es präzise einen rechten Winkel zum ausgestreckten Bein bildet. Drücke deine rechte Hand fest hinter dem Rücken in den Boden und halte die Vorderseite deines rechten Knies mit der linken Hand, während du nun den oberen Rand des Beckens nach vorne kippst.
  2. Atme aus und ziehe mit dem linken Arm, um deinen Oberkörper nach rechts zu drehen. Halte das rechte Knie stabil und achte darauf, das Becken nicht zu drehen. Stattdessen entspanne die vorderen und seitlichen Bauchmuskeln, um die Taille weich zu halten. Erlaube den Muskeln, sich zu dehnen, während du dich zuerst vom unteren Rücken aus immer weiter nach oben drehst – zu den unteren Rippen, zum oberen Brustkorb bis hin zu den Schultern.
  3. Achte dabei darauf, die linke Seite deines Kreuzbeins nicht nach vorne zu ziehen. Mit jeder Einatmung richtest du die Wirbelsäule lang auf; mit jeder Ausatmung drehst du dich tiefer in die Haltung und hältst dabei dein Becken parallel. Sollte dir das leicht fallen, kannst du tiefer in die Drehung gehen. Lege den linken Arm über das rechte Bein, um eine größere Hebelwirkung zu erzielen. Jetzt, ohne aus der Haltung zu kommen, beobachtest du, was geschieht, wenn du dein Becken nach und nach mit der Drehbewegung mitdrehst.
  4. Mit der nächsten Ausatmung schiebst du nun deinen rechten Sitzbeinhöcker einen Zentimeter nach hinten, ohne ihn dabei vom Boden zu heben, und drehst dich tiefer in die Haltung. Gleichzeitig mit der Drehung des Beckens drückst du den linken Sitzbeinhöcker fester in die Matte und bringst mehr Gewicht auf deinen vorderen Rand, um den linken Rand des Beckens so weit wie möglich nach vorne zu kippen. Halte dein Becken an dieser Stelle und drehe deine Wirbelsäule mit der ­nächsten Ausatmung noch etwas weiter.

Wiederhole diese Sequenz mehrmals. Beobachte dabei jede einzelne Stufe genau, um zu spüren, welcher Grad an Beckenrotation, falls überhaupt, die Arme in die beste Position bringt. Deine tiefste Drehung sollest du erreichen, indem du die Wirbelsäule aufrecht hältst und eine Belastung des Rückens und Kreuzbeins vermeidst.

Wenn du den optimalen Grad der Beckenrotation in Marichyasana III gefunden hast, kannst du ähnliche Techniken in anderen Drehhaltungen anwenden. Denke daran: Ein rechter Winkel des Beckens in Drehhaltungen ist nicht immer der richtige Winkel.  


Autor Dr. Roger Cole ist zertifizierter Iyengar-Yogalehrer in Del Mar, Kalifornien

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