Vorreiterin des Yoga: Geeta Iyengar

Als die Yogapionierin Geeta Iyengar in den frühen 1960er-Jahren zu unterrichten begann, war sie ein neues Phänomen: Sehr wenige Inder hielten etwas von Yoga übenden Frauen – geschweige denn von Yogalehrerinnen. 

Eine der häufigsten Fragen in den 60er-Jahren an Geeta Iyengar lautete: „Kann die Kopfstandpraxis verhindern, dass eine Frau schwanger wird?“ Zu dieser Zeit war Geeta nicht einmal 20 Jahre alt, aber als älteste Tochter von B. K. S. Iyengar hatte ihr Wort Gewicht. Bis heute ist sie kein wirklicher Yogastar, was sicherlich genau so von ihr gewünscht ist. Seit dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1973 war sie die Frau im Schatten des Übervaters. Sie kochte Iyengars Mahlzeiten, bearbeitete seine Manuskripte und leitete das Tagesgeschäft im Ramamani Iyengar Memorial Yoga Institut im indischen Pune, dem Zentrum des Iyengar Yoga. Jede Anerkennung und jede Aufmerksamkeit, die sie erhält, richtet sie auf „Guruji“, ihren Vater und Lehrer. Dennoch gilt sie seit vielen Jahren als Yogameisterin mit eigener Ausrichtung und unbestrittene Expertin für auf Frauen abgestimmtes Yoga.

“Entweder übst du Yoga oder du bereitest dich auf den Tod vor”

Ihre Yoga-Ausbildung begann quasi schon mit ihrer Geburt. „Die Praxis war jeden Augenblick präsent“, erinnert sie sich. „Ich habe immer noch vor Augen, wie ich Guruji während seiner Übungen nachgeahmt habe. Er hat mich nach vorne und zurück gebogen und mich bei Kopf- und Schulterstand auf seinen Füßen balanciert.“ Dennoch war ihre Kindheit alles andere als idyllisch. Wie ihr Vater war sie ein kränkliches Kind, das an Erkältungen, Magenbeschwerden, Typhus und Diphtherie litt. Als Zehnjährige wurde Nephritis diagnostiziert, eine lebensgefährliche Entzündung der Nieren. Nachdem sie ein schwerer Schub vier Tage bewusstlos machte, schob ihr Vater die Liste mit den Medikamenten beiseite und beschloss mit strenger Entschiedenheit: „Von morgen an gibt es keine Medizin mehr. Entweder übst du Yoga oder du bereitest dich auf den Tod vor“, wie Geeta in ihrem bahnbrechenden Buch „Yoga für die Frau“ beschreibt.
Mit 15 Jahren gab sie ihren Klassenkameraden bereits Unterricht. Zwei Jahre später baten einige Schüler ihres Vaters, dass sie ihn während seines Aufenthalts in England vertrete. Der Meister gab sein Einverständnis. Die folgenden 50 Jahre verbrachte Geeta damit, ihn zu unterstützen und sein Wirken zu verbreiten – erst als Schülerin, dann als Nachfolgerin, die das Institut gemeinsam mit ihrem Bruder Prashant leitete.

Die Iyengars begleitet der Ruf “allsehend” zu sein

Die drei Iyengars sind für ihre ganz spezielle Grimmigkeit bekannt. Sie neigen zu Wutanfällen und werden laut: Charaktereigenschaften, die leicht missverstanden werden können. Die amerikanische Yogalehrerin Patricia Walden, die seit Mitte der 1970er-Jahre bei den Iyengars studiert, hat es selbst erlebt. „Für viele ist es schwer nachzuvollziehen, dass dich jemand anschreit und gleichzeitig sehr fürsorglich ist. Sie tun es, weil sie unbedingt wollen, dass du die Inhalte verstehst, dich keinesfalls verletzt oder dich von einem Leiden erholst“, erklärt die erfahrene Yogalehrerin.
Außerdem haben die Iyengars den Ruf, „Allsehende“ zu sein mit der Fähigkeit, unter Hunderten von Schülern die Schwachstelle deiner Haltung und den Moment zu erkennen, an dem deine Aufmerksamkeit schwindet – gefolgt von einer strengen Zurechtweisung. „Unterricht bei ihnen ist wie nackt sein“, so Walden. „Du kannst dich nicht verstecken.“
Als Yogalehrerin spezialisierte sich „Geetaji“ früh auf die speziellen Bedürfnisse von Frauen. Ihr 1983 in der ersten Auflage erschienenes Buch „Yoga für die Frau“ ist bis heute das Standardwerk für Asana und Pranayama in den unterschiedlichen weiblichen Lebensphasen. In dem nur auf Englisch erschienenen Buch „Iyengar Yoga for Motherhood“ behandelt sie alle Themen der Schwangerschaft – vom Kinderwunsch bis zur Stärkung des Körpers nach der Geburt. Ihre Überlegungen zur Anpassung der Praxis während der Menstruation sind in Fachkreisen unbestritten.

Mutig, modern und motivierend

Obwohl sie nie verheiratet war und laut eigenen Angaben nie Interesse daran hatte, beschäftigte sie das Bemühen von Frauen, das Familienleben mit anderen Interessen zu vereinbaren. Auch selbst gibt die Matriarchin der Familie Iyengar zu, ihre eigene Yogapraxis regelmäßig zu vernachlässigen. „Meine vielen Verpflichtungen machen das unmöglich“, sagte sie einmal. „Männer handhaben das anders. Sie können ihr Programm konsequent durchziehen – weil es meistens jemanden gibt, der sie unterstützt.“
Ihr größtes Vermächtnis an die Weiblichkeit ist jedoch ihr eigenes Beispiel. „Als außergewöhnlich kraftvolle und strikte Frau hat sie in vielen Schülerinnen ungeahnte Fähigkeiten wachgerufen“, beschreibt Patricia Walden Geetas Verdienst. „Sie lässt sich von niemandem einschüchtern, spricht offen aus, was sie denkt, und lebt ihre eigene Wahrheit.“

Die Autorin: Anna Dubrovsky (www.anywherebutacubicle.com) lebt als freie Journalistin und Yogalehrerin im amerikanischen Pittsburgh.


Foto: Jake Clennell

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