Mein(e) Schatten und ich – von Sally Kempton

Jeder Mensch hat Schattenseiten, die er lieber im Dunkeln lassen möchte. Doch um dein wahres Potential auszuleben, ist es notwendig, negative Eigenschaften zu beleuchten – nur so kannst du sie verändern.


Text: Sally Kempton, Titelbild: Kieferpix/Getty Images via Canva

Liane weiß genau, dass Brian ihre große Liebe ist, aber als sie zusammenziehen, bemerkt sie ein verstö­rendes Verhaltensmuster an sich. Wenn Brian spät nach Hause kommt oder ganz in seine Arbeit versun­ken ist, während sie mit ihm reden will, wird sie ex­trem wütend. Entweder zieht sie sich dann in ärger­liches Schweigen zurück, oder, was noch schlimmer ist, schreit ihn an.

Als Liane sich selbst während einer dieser Tiraden zufällig im Spiegel sieht, ist sie scho­ckiert über den harten, aggressiven Ausdruck auf ih­rem Gesicht. “Ich bin ein liebevoller Mensch”, sagt sie. “Ich weiß nicht, wo diese Gefühle herkommen. Gibt es keine spirituelle Praxis, mit deren Hilfe ich etwas gegen diese negativen Eigenschaften tun kann?”

Mache dir deine negativen Eigenschaften bewusst

Die eigenen Schattenseiten beleuchten
Beleuchte deine Schattenseiten. Foto: Ossyugioh/Getty Images via Canva

Diese Frage taucht häufig auf, besonders bei Yogi*nis, die wissen, wie sich ein liebevoller und großzügiger Zu­stand anfühlt. Sie kennen die warmherzige, weise Per­son in sich selbst. Woher also kommen diese hässlichen Gefühle und Verhaltensweisen? Oft wünscht man sich dann einen Zauberstab, der Angst, Wut und Unsicher­heit für immer ein Ende macht. Aber das Bedürfnis, die eigenen negativen Eigenschaften loszuwerden, so dass man nur seine “guten” Seiten auslebt, ist Teil des Prob­lems.

Es gibt keinen magischen Trick, der die negativen Eigenschaften verschwinden lässt, weder im Yoga noch auf einem anderen spirituellen Weg. Stattdessen muss man sich seiner Schattenseiten bewusst werden, von ihnen lernen und mit Bedacht an ihnen arbeiten. Die schmerzhaften Samskaras, die man sich als tiefe Fur­chen in der eigenen Seele vorstellen kann und die ne­gative Verhaltensweisen auslösen können, werden deine Gedanken und dein Verhalten beeinflussen, bis du sie genau erforschen und sie als wesentlichen Teil des ei­genen Bewusstseins annimmst.

Dunkelheit führt zu Wachstum

Dann kannst du die Energie, die darin gebunden ist, freisetzen und sie für dein persönliches und spirituelles Wachstum nutzen. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem du dich mit diesen negativen Eigenschaften (für die der große Psy­choanalytiker Carl Gustav Jung den Ausdruck “Schat­ten” geprägt hat) auseinandersetzen musst, oder du wirst mit den Folgen deiner sich ständig wieder­holenden unfreiwilligen Fehler leben müssen.

Viel­leicht fragen dich deine Freunde, warum du ständig zu spät kommst. Oder warum du Gerüchte über andere Menschen verbreitest. Oder dir wird wie Liane be­wusst, dass du ständig auf einen deiner nahestehen­den Menschen wütend bist. Oder du überspielst deine Unsicherheit mit Überheblichkeit. Oder deine Stimmung schwankt ständig zwischen guter und schlechter Laune.

Jung, dessen Werk von den östlichen Schriften und Weisheiten beeinflusst war, nannte den Schatten “den Menschen, der du lieber nicht sein willst” – das Gegen­teil deiner bewussten Persönlichkeit. Er prägte den Aus­druck “Schatten”, um die Eigenschaften zu beschrei­ben, die einige der yogischen Schriften als Kleshas bezeichnen (wörtlich übersetzt: Ursachen des Leidens). Das sind die Eigenschaften, die in der Bhagavad Gita, einer der wichtigsten yogischen Schriften, etwas ein­schüchternd als “dämonisch” beschrieben werden.

Der Ursprung des Schatten

Jeder hat seine Schattenseiten
Jeder hat seine Schattenseiten. Foto: Cherry’s Cr8ve Cliqs via Pexels

An­ders ausgedrückt: Der Schatten vereint alle selbstsüch­tigen, primitiven, egoistischen, gewalttätigen, faulen und selbstgerechten Seiten deiner Persönlichkeit. Der Schatten umfasst alle Seiten deiner Psyche, die du lieber nicht genau ansehen – die Wesenszüge, für die du dich immer geschämt hast und die Eigenschaften, die du am liebsten im tiefsten Keller deiner Persönlich­keit verstecken möchtest.

Unsere Schattenseiten sind häufig primitiv und unreif, weil wir sie ausblenden und deshalb nicht weiterentwickeln. Wenn wir unse­re negativen Eigenschaften vor unserer bewussten Selbstwahrnehmung verstecken, werden sie unsere Gefühle und unser Verhalten auf unberechenbare Art beeinflussen. Du merkst es, wenn du wegen einer Kleinigkeit wütend wirst, wegen eines kleines Feh­lers verzweifelst, oder wenn du eine Abneigung gegen jemanden entwickelst, der eine Eigenschaft an den Tag legt, die du bei dir selbst nicht wahrhaben willst.

Der innere Richter

Shelly, eine Krankenschwester, war immer stolz auf ihre Fähigkeit, sich in Patient*innen hineinzufühlen und är­gerte sich über ihre Vorgesetzte, die die Patient*innen ihrer Meinung nach herablassend behandelte. Deshalb geriet sie häufig in Streit mit ihrer Vorgesetzten. Bei einem Wochenend­-Workshop über den eigenen Schatten bat ich Shelly, zu erforschen, warum ihr Urteil so hart aus­fiel. Als wir darüber sprachen, wurde ihr klar, dass sie selbst Herablassung gegenüber genau jenen Patient*innen empfand, die ihre Vorgesetzte herablassend behandelte – aber sie kompensierte dieses Gefühl, indem sie die­sen Patient*innen gegenüber besonders nett war.

Ihr Urteil über ihre Vorgesetzte war ein Spiegelbild des Urteils über sich selbst, sobald sie wütend wurde oder sich an­ders verhielt als der nette, liebevolle Mensch, der ihrem Selbstbild entsprach. Shelly brauchte eine Weile, um die Verbindung zwi­schen ihrer Selbstkritik und der strengen Beurteilung ihrer Vorgesetzten wahrzunehmen. Als sie die Un­erbittlichkeit ihres inneren Richters erkannte, konnte sie auch ihre Vorgesetzte mit mehr Mitgefühl betrach­ten. Das führte dazu, dass sie weniger stritten, und Shelly hat inzwischen das Gefühl, dass sich die gesamte Atmosphäre auf der Station verbessert hat.

“Vielleicht hat sich die Atmosphäre wirklich verändert”, sagte sie. “Oder sie fühlt sich anders an, weil ich mich verändert habe.” Diese Geschichte zeigt, wie die Einstellungen deines un­bewussten Schattens deinen Blick auf das Leben beein­flusst. Wenn man etwas an sich selbst nicht wahrneh­men kann, projiziert man es unweigerlich auf jemand anderen – ob man diese Eigenschaft am anderen nun verurteilt oder bewundert.

Der Weg der Schattenarbeit

Wachstum durch Schattenarbeit
Nutze die Chance für Wachstum. Foto: Kieferpix/Getty Images via Canva

Eine Strategie gegen diese Muster kann die “Schat­tenarbeit” sein, bei der man sich ganz bewusst durch Praktiken und Methoden der Selbsterforschung (aus der Yogatradition und der Psychologie) die eigenen Schattenseiten bewusst macht und Verantwortung für sie übernimmt, so wie es Shelly getan hat. Sobald dein Schatten wirklich zu dir gehört, kannst du damit beginnen, ihn zu verändern und zu integrieren. Wenn du lernst, deine Schatten wahrzunehmen, kannst du deine Beziehung zu anderen Menschen und zu dir selbst verändern.

Du kannst konstruktive Kritik leichter annehmen, sobald du erkannt hast, dass es dein perfektionistischer innerer Kritiker ist, der dir das Leben schwer macht – und nicht der Mensch, der versucht, dir mit kritischem Feedback zu helfen. Noch wichtiger: du wirst feststellen, dass du mit Hil­fe dieser “Schattenarbeit” viele der negativen Gefühle, die du dir selbst gegenüber hegst, lösen kannst – bei­spielsweise das Gefühl von Scham und Minderwertig­keit, oder den schleichenden Verdacht, dass du nicht der Mensch bist, der du vorgibst zu sein.

Annehmen und loslassen

Es wird auch einfacher, einige unbewusste Verhaltensmuster loszulassen: Vielleicht bist du stets unehrlich zu deinen Kolleg*innen oder wütend auf deine Mutter, oder du wählst immer wieder Partner, die dich ausnutzen. Oft zeigen Menschen, die sich ernsthaft mit der “Schattenarbeit” beschäftigt haben, ein hohes Maß an Aus­geglichenheit, Toleranz und Selbstakzeptanz.

Du bist häufig sehr aufrichtig – du predigst nicht das eine und tust das andere. Deine ethischen Grundsätze werden nicht von unbewussten Impulsen, emotional aufgela­denen Projektionen oder negativen Verhaltensmustern unterlaufen. Sobald du beginnst, deine verdrängten Ei­genschaften anzuerkennen und mit deiner “Schattenar­beit” vorankommst, wirst du ahnen, wie sich echtes inneres Gleichgewicht anfühlt.

Die Entstehung des Schattens

Schattenseiten
Schattenseiten. Foto: Superette/Corelenes via Canva

Es ist oft schmerzhaft, sich einer tief sitzenden Schat­tenseite bewusst zu werden, und dieser Schmerz hat seine Wurzeln häufig in der frühen Kindheit. Vielleicht fanden deine Eltern dich zu unbändig, zu sprunghaft, zu fordernd, zu sensibel oder zu wütend. Vielleicht ha­ben deine Freunde, Mitschüler*innen und Lehrer*innen bestimmte Eigenschaften belohnt und andere abgelehnt.

Wenn bestimmte Eigenschaften Missfallen erregen, beginnt man häufig, sie zu unterdrücken oder zu verstecken. Wenn solche nicht akzeptierten Charaktereigenschaf­ten aber unterdrückt werden, hat man nicht die Mög­lichkeit, an ihnen zu arbeiten und die positiven Seiten daran zu entdecken – das ist das eigentliche Problem. Beispielsweise kann sich die Intensität, die sich in kind­licher Wut ausdrückt, bei einem geistig gesunden Men­schen in eine reifere Eigenschaft verwandeln – etwa in Widerstand gegen Rücksichtslosigkeit oder in Selbstbe­hauptung in schwierigen Situationen.

Die Traurigkeit kann zu einer Fähigkeit zu tiefem Mitgefühl werden. In der Angst liegt das Potenzial, sich zu einer gesunden Verletzlichkeit zu entwickeln. In der Impulsivität liegt die Wurzel zu echter Spontaneität. Aus diesem Grund bringt es nichts, den eigenen Schatten zu verleugnen. Er mag primitiv, egoistisch und manchmal inkonse­quent sein, aber in ihm liegt auch eine Energiequelle für kreatives und spirituelles Wachstum.

Vom Schatten ins Licht

Es gibt verschiedene Ansätze, mit den eigenen Schat­tenseiten zu arbeiten, und jeder ist auf seine Art pro­duktiv. Im klassischen Yoga des Patanjali wird die Ansicht vertreten, dass man sich von seinen Schatten­seiten reinigen und sie letztendlich loswerden sollte. Die traditionelle Heilung besteht darin, Tugenden wie Wahrhaftigkeit, Gewaltlosigkeit und Zufriedenheit aus­zubilden und Reinigungstechniken zu üben: Bestimmte Asanas, Mantras und Meditationsübungen sollen viele Schattenseiten aus dem Unbewussten vertreiben.

Das Chanten und Singen von Mantras beispielsweise kann eine sehr wirksame Methode sein, um negative Gedan­ken und Gefühle aus dem Geist und Herzen zu beseiti­gen und schmerzhafte Empfindungen aufzulösen, die uns sonst vielleicht zu impulsiven Handlungen treiben würden. Diese Praktiken sind wichtige und notwendige Verbündete.

Aber irgendwann folgt die Erkenntnis, dass man noch einen Schritt weiter gehen kann: indem man die Ener­gie befreit, die in den Schattenseiten gefangen ist, und ihr eine positive Richtung gibt. Ein Schlüsselsatz in der Spanda Karikas, einem wich­tigen Text der tantrischen Philosophie, erklärt das My­sterium, das sich in dieser “Schattenenergie” verbirgt: Im Text wird beschrieben, wie Spanda, die transforma­tive Energie des Universums und die Energie, die uns die Kraft für unseren evolutionären Sprung verliehen hat, sich in Momenten extremer Gefühle und Leiden­schaften – Wut, Angst, tiefer Verwirrung und freu­diger Erregung – besonders stark zeigt.

Der tantrische Ansatz empfiehlt folgende Technik: Konzentriere dich auf die Energie, die in intensiven Momenten spür­bar wird, und richte deinen Fokus nach innen, zur Wurzel dieser Energie oder des Impulses, statt diesen auszuleben. Dann kannst du dem negativen Gefühl auf den Grund gehen – und zu dem reinen Bewusstsein vorstoßen, das in deinem göttlichen Innersten liegt.

Sich selbst erforschen

Schattenarbeit
Der Weg der Schattenarbeit. Foto: StockSnap via Pixabay

Wenn du diese Gegensätze in dir selbst erforschen willst, musst du deine Schatten objektiv und auf­merksam betrachten. Ein guter Ansatzpunkt sind die Eigenschaften, für die du häufig kritisiert wirst. Vielleicht kommt von deiner Familie oder deinen Kolleg*innen das Feedback, dass du manchmal dominant oder auf­brausend bist oder mit Menschen flirtest, die anderen viel bedeuten – und du hast dieses Feedback bisher ignoriert.

Wie mein Freund Jon. Er wird ständig von all seinen Freunden aufgezogen, weil er seine eigenen Leistungen übertreibt, und er wird kritisiert, weil er anderen die Schuld an seinen Fehlern gibt. Lange Zeit weigerte er sich, diese Kritik ernst zu nehmen. Dann erklärte ihm ein langjähriger Freund, dass er nicht länger so eng mit jemandem befreundet sein wolle, der nicht ehr­lich sei.

Jon war sehr verletzt, aber ihm wurde klar, dass er endlich zugeben musste, dass es ihm zur Gewohnheit geworden war, es mit der Wahrheit nicht ganz so ge­nau zu nehmen. Er gestand es sich selbst gegenüber ein und setzte sich mit den Schamgefühlen auseinander, die dieses Geständnis in ihm auslöste. Von einem Mo­ment auf den anderen wurde er zu einem aufrichtigen Menschen.

Hier kommst du zu unserem Podcast: Starke Verbindung für persönliches Wachstum mit Sandra Walkenhorst

Drei Strategien

Genauso wichtig ist es wahrzunehmen, wann eine Si­tuation starke Gefühle auslöst. Warum ärgert es dich so, wenn sich die Schlange am Fahrkartenschalter so lang­sam vorwärts bewegt? Könnte deine Wut aus einer fehlgeleiteten Anspruchshaltung resultieren – dem Gefühl, dass alles so laufen muss, wie es dir passt? Warum löst es in dir ein schlechtes Gefühl aus, wenn deine Freundin ganz mühelos ihre Rechtsanwaltszulassung bekommt? Liegt es daran, dass du deine Doktorarbeit schon ewig aufschiebst und der Erfolg anderer sich bedrohlich anfühlt?

Wenn du deine verdrängten Schat­tenseiten ganz genau unter die Lupe nimmst, verlieren diese ihre Wirkung – und so auch die Macht über dich. Ein anderer Weg, deine Schattenseiten ans Licht zu ho­len, ist die Betrachtung von Menschen, denen du ein starkes negatives Gefühl entgegenbringst.

Als Hil­lary Clinton 2008 bei den Vorwahlen antrat, traf ich immer wieder Frauen, die praktisch Schaum vor dem Mund hatten, wenn ihr Name erwähnt wurde. All die­se Frauen waren erfolgreich und hatten viele Kompro­misse eingehen müssen, um in männlich dominierten Berufen Karriere zu machen. Sie meinten, Hillary wäre skrupellos und opportunistisch. Manche sagten sogar: “Ich hasse sie.” Die Heftigkeit der Ablehnung allein zeigte, dass hier Projektionen am Werk waren. Die “dunklen” Eigenschaften, die die Frauen in Hillary sahen, waren verleugnete Seiten ihrer selbst.

Erkenne dein Potential

All das trifft auch auf deine positiven Schatten zu – auf deine nicht gewürdigten “guten” Eigenschaften. Viel­leicht spiegeln die Menschen, die du für ihren Mut, ihre Kreativität, ihre Weisheit und ihren Charme bewun­derst, lediglich dein eigenes verstecktes Potenzial wider? Denke darüber nach: Wen hast du während deiner Jugend bewundert und warum? Welche Eigen­schaften bringen dich dazu, sich in jemanden zu verlie­ben? Was bewunderst du an deinen engsten Freunden? Das könnte dich zu denen eigenen vernachlässigten oder versteckten Stärken führen.

Wenn du deine “Schattenarbeit” über längere Zeit fort­setzt, mache dir die Mühe aufzuschreiben, worin sich deine Schattenseiten zeigen – ohne dich zu verurteilen oder dir die Schuld daran zu geben. Viel­leicht erkennst du, dass deine Schattenseiten die Macht über dich übernommen haben, wenn du dich über die kritischen Bemerkungen deines Expartners empörst. Oder wenn du dich darüber ärgerst, dass eine enge Freundin sich nicht meldet, anstatt sie selbst anzuru­fen. Oder wenn du deinen Chef idealisierst, weil er so kreativ ist, während du deine eigenen Ideen nicht ein­bringst.

Sobald du merkst, wann dein Schatten dich im Griff hat, kannst du versuchen, ganz bewusst nicht deinem ersten Impuls zu folgen – beispielsweise, indem du einen nahe stehende Menschen anschreist. Du kannst dich entscheiden, anders zu reagieren als sonst – vielleicht, indem du geduldig bist, wenn du dich über je­manden ärgerst, oder indem du dir klarmachst, dass der Mann, den du bewunderst, positive Eigenschaften besitzt, die auch in dir selbst versteckt sind.

Sich befreien

Dann kannst du den nächsten Schritt gehen: Den Schritt, der es dir erlaubt, deinen Schatten zu inte­grieren und ihn schließlich loszulassen. Du kannst lernen, dich deiner Schattenseiten bewusst zu werden, und die Energie, die darin gebunden ist, befreien. Du wirst verstehen und akzeptieren, dass du wie jeder andere Mensch auch, helle und dunkle Seiten hast. Und wenn du beide wahrnimmst, wirst du allein durch diese Achtsamkeit beide Seiten in deiner Persön­lichkeit einbinden können. Dann wird die Energie frei, die durch die Übermacht der einen Seite gebunden war.

Es ist ein Paradox, dass du erst dann, und nur dann, wirklich die Kraft haben wirst, jene Eigenschaften und Verhaltensweisen zu ändern, die geändert werden können und sollten. Veränderung entsteht nicht aus dem blinden Versuch, negative Seiten zu unterdrücken oder die positiven zu verleugnen.

Sie entsteht durch die Kraft, die frei wird, wenn wir diese Eigenschaften auf­merksam betrachten. Nur wenn wir uns unserer eige­nen Abgründe bewusst werden – unserer ganz eigenen Weisheit und unserer ganz eigenen Blindheit, unserer Selbstlosigkeit und unserer selbstgerechten Wut – nur dann können wir selbst und andere uns wirklich ver­trauen. Das ist der Moment, in dem wir uns entschei­den können, unsere besten Seiten zu leben. Das ist der Moment, in dem unser Yoga all unsere Stunden und Tage mit Licht erfüllt.


Sally Kempton Yogajournal

SALLY KEMPTON gehörte zu den international renommiertesten Lehrerinnen für Meditation und Spiritualität. Sie schrieb viele Jahre über Yogaphilosophie und hat mehrere Bücher verfasst. Mehr Infos unter sallykempton.com.


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