Echte Transformation ist ein ziemlich radikaler Prozess. Die Meditationslehrerin Sally Kempton erklärt, wie man einen großen Wandel achtsam meistern kann.
Während einer Meditation erkannte mein langjähriger Schüler Dirk, dass das Leben, das er führte, nicht mehr wirklich authentisch war. Als Arzt fühlte er sich ausgebrannt, er hatte das dringende Bedürfnis, eine Auszeit zu nehmen, um sich über seinen weiteren Weg klar zu werden. Seine Frau sah das völlig anders und so brachte seine Einsicht auch vieles zutage, was in ihrer 20-jährigen Ehe nicht gut gelaufen war. Plötzlich stand nicht nur eine berufliche Neuorientierung im Raum, sondern auch eine Scheidung. Dirk begann, sich in Yogatherapie fortzubilden, er meditierte täglich mehrere Stunden und berichtete mir, er weine viel und fühle sich, als schwimme er in einem schnell fließenden Strom an Gefühlen – ohne zu wissen, wohin ihn dieser Fluss tragen würde.
Lass dich einfach kochen! Dann wird ein leckerbissen aus dir.
Rumi
Dieses Gefühl radikaler Unsicherheit ist typisch für jemanden, der mitten in einem Transformationsprozess steckt. Der arabische Mystiker Rumi beschreibt in einem seiner Gedichte, wie sich eine Kichererbse in einem kochenden Eintopf darüber beklagt, ihr sei zu heiß und das energische Rühren des Kochlöffels sei schmerzhaft. Daraufhin entgegnet der Koch: “Lass dich einfach kochen! Dann wird ein richtiger Leckerbissen aus dir.” Ich habe dieses Gedicht immer wieder gelesen, wenn ich das Gefühl hatte, das Feuer, das meine Yogapraxis in mir entfachte, sei mal wieder allzu heiß. Ich fand, dass Rumi dieses fast körperliche Durchgekocht-Werden während bestimmter Phasen der Transformation wirklich gut beschreibt: Man erlaubt sich selbst, weich zu werden, ja sogar vollkommen aufzubrechen, um genauer zu erfahren, wer man eigentlich ist. Da ist es nur natürlich, dass man sich manchmal so fühlt wie die überhitzte Kichererbse. Vielleicht hat man sogar das verstörende Gefühl, überhaupt nicht mehr zu wissen, wer man eigentlich ist. Daran ist nichts Schlimmes, im Gegenteil: Diese Unsicherheit, das Verlorensein zwischen dem alten Selbst und dem noch unbekannten neuen, ist nur ein typisches Anzeichen für einen echten Transformationsprozess.
Sein und werden
Eine Transformation ist etwas anderes als ein spirituelles Erwachen oder eine Erleuchtung. Der Philosoph Yasuhiko Kimura definiert sie als einen “Tanz zwischen Sein und Werden”. Das Sein ist dabei die unveränderliche Quelle all dessen, was ist, der formlose Grund, an dem sich Worte und Kategorien auflösen. Das Werden dagegen ist jener Teil deiner selbst, der wächst und sich wandelt. Mit anderen Worten: Das Sein ist dein stilles Zentrum, das Werden dagegen deine Persönlichkeit, dein Körper und deine Interaktionen mit der Welt.
Während einer spirituellen Erweckung oder auch während einer Erfahrung tiefer Stille taucht man ein ins reine Sein, in die Liebe und Freiheit einer unsterblichen Essenz. Transformation geschieht, wenn die Erfahrungen und Einsichten aus diesem Sein auf die gewöhnliche menschliche Persönlichkeit und deren alltägliche Realitäten treffen und beginnen, Entscheidungen und Beziehungen zu durchdringen. So begann Dirks Transformation, als er erkannte, dass die Einsicht, die er während der Meditation gehabt hatte, auch gelebt werden wollte. Auch das ist typisch: Denn oftmals entsteht zwischen der Weisheit spiritueller Erfahrungen und den Gewohnheiten und Anforderungen des Alltags eine große Spannung. Und diese Spannung treibt den Wandel an. Aber es gibt noch andere Hinweise, an denen man nicht nur die Transformation an sich, sondern sogar ihre verschiedenen Phasen erkennen kann.
1. Der Weckruf
Die Reise beginnt fast immer mit einem Ereignis, das ich den “Weckruf” nenne. Bei manchen ist das, wie bei Dirk, eine plötzliche, intuitive Erkenntnis. Aber genauso gut kann der Auslöser eine äußere Krise sein. So setzte Francescos Transformation ein, als der junge Schauspieler von einem Regisseur zu hören bekam, er könne kein echtes Gefühl ausdrücken. Für Daniela war der frühe Tod ihres Mannes der Ausgangspunkt. Und Andreas wurde von einem seiner Yogaschüler an den Kopf geworfen, sein Leben spiegele überhaupt nicht das wider, was er unterrichte. Jedes dieser Ereignisse brach etwas auf: den äußeren Lebensrahmen des betreffenden Menschen, aber viel mehr noch sein Selbstbild.
Die Evolutionsbiologin Elisabet Sahtouris schreibt, dass Evolution in der Natur von Stress angeschoben wird. Pflanzen zum Beispiel wachsen besser, wenn man sie radikal zurückschneidet. Bei Menschen ist das nicht viel anders: Wenn wir in eine Situation geraten, die wir mit unserem gegenwärtigen Maß an Verständnis und Fähigkeiten nicht kontrollieren oder verändern können, entsteht ein evolutionärer Stress. Er zwingt uns zum Hinterfragen, Suchen, Üben und dazu, einen Schritt aus unserer Komfortzone hinaus zu tun, um zu einem höheren Level an Bewusstsein zu gelangen.
2. Unsicherheit aushalten
Stress ist unangenehm, für manche Menschen sogar regelrecht verstörend. Aber er ist auch wichtig. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Spiritualität geht einem wichtigen Durchbruch oft eine Phase intensiver Frustration und Stagnation voraus. Zum Beispiel wenn ein Forscher alle relevanten Daten zusammengetragen und unzählige Experimente durchgeführt hat, aber dennoch keinen Schlüssel zur Lösung seines Problems findet. In dieser scheinbaren Sackgasse steigen die Antworten nicht selten dann auf, wenn der Geist nach großer Anstrengung einen Moment lang ganz still wird, zum Beispiel weil man sich ausruht oder einen Spaziergang macht.
Spirituelle Durchbrüche folgen ähnlichen Mustern: Zunächst sucht man mit unbändiger Neugier und viel Engagement nach Antworten. Große Lehrer auf dem Pfad der Selbsterforschung, allen voran Ramana Maharshi und Nisargadatta Maharaj, haben sich zum Beispiel mit der Frage “Wer bin ich?” abgemüht. Für meinen Schüler Dirk lautete sie eher: “Wie will ich leben?” Eine einfache Antwort auf solche fundamentalen Fragen gibt es nicht, deswegen muss man sich in der Zeit nach dem Weckruf dem Stress dieser ungelösten Fragen aussetzen. Es ist eine Phase von intensiver Anstrengung und Praxis – und eine des Sehnens nach Weisheit, nach Wandel. Erst dieses Bemühen bringt Tapas hervor, eine transformierende innere Hitze, die ungute Gewohnheiten geradezu verbrennt, den Menschen reinigt, verfeinert und seine Psyche öffnet für tiefe Einsichten und Offenbarungen, die dann oft aus der Stille kommen – oder mit etwas Hilfe von außen.
3. Hilfe suchen
So wichtig die persönliche Anstrengung und spirituelle Praxis sind, es kann auch sein, dass man die Hilfe eines Lehrers oder Beraters benötigt – oder die einer höheren Instanz, die ich Gnade nennen würde. Mir selbst ist es oft so gegangen, dass die wichtigsten Durchbrüche geschahen, nachdem ich viel gebetet hatte. Je nach Stimmung bete ich zu Gott, zum universellen Bewusstseinsfeld oder zu meinem höheren Selbst. Das ist nicht so entscheidend. Viel wichtiger finde ich es, nur für etwas zu beten, das sich auch positiv auf andere auswirkt. Da ich aber weiß, dass sich eine positive Transformation auf individueller Ebene immer auch positiv auf andere auswirkt, habe ich keine Skrupel, um Hilfe zu bitten, wenn ich auf meine inneren Hindernisse stoße. Und das wirkt. Immer dann, wenn wir uns unsere grundlegende Hilflosigkeit eingestehen, scheint das Gnade geradezu anzuziehen. Das Beten hilft mir, meinen Stolz und mein Kontrollbedürfnis loszulassen. Deswegen beginne ich mein Gebet oft mit den Worten: “Ich kann das selbst nicht. Ich brauche die Hilfe der Gnade.”
4. Gnade, Einsicht, Erwachen
Wenn Gnade im Spiel ist, dann ist das meist sehr deutlich spürbar, denn sie wirkt geradezu berauschend und oft wundersam: Man liest ein Buch und genau die Worte, die man gerade braucht, springen einem entgegen. Man fühlt sich angezogen von einem Kurs bei einem bestimmten Lehrer, der einem dann den entscheidenden Hinweis gibt. Man hört sich selbst einem Freund einen weisen Rat geben, und merkt, dass das jetzt von woanders herkam als aus einem selbst. Wenn Gnade im Spiel ist, ist das Leben voller Synchronizität, bedeutungsvoller Zufälle und Inspirationen, die einen ganz mühelos nach vorne bringen.
Diese Phase der Transformation kann unglaublich aufregend sein. Man hat das Gefühl zu lernen, wie man sich für die Weisheit des reinen Seins öffnet. Der Kabbala-Lehrer Marc Gafni sagt, dass man für eine echte persönliche Transformation den Quell-Code umschreiben müsse, also die tief eingeschriebene Programmierung, die darüber entscheidet, wie wir bestimmte Situationen erleben und auf sie reagieren. Da wir nicht wissen, wie wir willentlich an diesen Code herankommen, muss der tiefgreifende Wandel aus tieferer Einsicht erfolgen – einer Art intuitivem Bewusstsein, das aus dem Inneren aufsteigt.
Dass du diese Ebene von Einsicht erlebst, erkennst du daran, dass du eine Wahrheit, die du seit Jahren immer wieder gehört oder gelesen hast, mit einem Mal so richtig erkennst. Dann begreifst du zum Beispiel endlich, dass sie tatsächlich nicht deine Gedanken sind. Oder dass du deine Erfahrung wirklich verändern kannst, indem du deine Wahrnehmung veränderst. Wenn das geschieht, fühlt sich alles mit einem Mal ein wenig anders an und du spürst, dass deine Welt nie mehr dieselbe sein wird.
5. Die Flitterwochen
Diese Phase beginnt mit dem Eintreten der Gnade samt ihren Synchronizitäten und wundersamen Einsichten. Es fühlt sich an, als sei man verliebt und erfährt, dass diese Liebe auch erwidert wird. Manchmal halten die Flitterwochen über Jahre an: Man hat das Gefühl, alle Kämpfe seien zu Ende und man sei von einer spirituellen Kraft erfüllt, die vielleicht sogar so stark ist, dass auch andere sie spüren. Diese Präsenz von Gnade kann regelrecht euphorisierend sein. Manchmal so sehr, dass sie ein subtiles (oder weniger subtiles) Gefühl spiritueller Überlegenheit erzeugt: Man meint, es würde einem der Weg gewiesen, und blickt deshalb ein bisschen auf all jene herab, die noch nicht so weit sind. Häufig entscheidet man sich in dieser Zeit, seinen Launen zu folgen: Man lässt sein altes Leben hinter sich, um nach Indien durchzubrennen, oder man kündigt seinen Job und eröffnet ein Yogastudio. Manchmal sind diese Entscheidungen goldrichtig – und manchmal auch nicht.
6. Aus der Gnade fallen
Die Gefahr der Flitterwochen-Phase liegt auf der Hand: Man neigt zu allzu großem Vertrauen. So kann es im Rausch der Transformationsverliebtheit leicht geschehen, dass man Grenzen verletzt. Zum Beispiel weil man meint, man könne gar nichts mehr falsch machen. Oder weil man blind seiner Intuition folgt und nicht mehr klar unterscheidet. Es ist fast unvermeidlich, dass dem Glück der Gnade dann ein Absturz folgt – oder vielmehr das Gefühl, aus der Gnade herauszufallen. Manchmal ähnelt das einer Art Trockenheit, so, als würde man von dem Fluss abgeschnitten, der einen zuvor getragen und genährt hat. Das kann sich zum Beispiel äußern, indem du einen beruflichen Fehler machst, dich in die falsche Person verliebst oder dich mit deiner besten Freundin, der Familie oder Lehrer*in überwirfst. Es mag auch sein, dass du deine Ehe in den Sand setzt oder dass du dich beim Versuch, eine bedeutsame Lebensveränderung herbeizuführen, entmutigen lässt. Aber meistens ist das, was sich wie ein Absturz anfühlt, in Wirklichkeit eine tiefe Reinigung, ein emotionaler Detox, durch den psychische Themen, die du bisher nicht bearbeitet hast, ans Licht kommen und angeschaut werden können.
Der Absturz ist also ein wichtiger Teil der Reise.
Warum geschieht das? Meistens weil unser psychisches Gefäß nicht stark genug ist, um die kraftvolle spirituelle Einsicht der Transformation überhaupt halten zu können. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen: Vor vielen Jahren machte eine Freundin während eines Meditations-Retreats mit einem indischen Meister eine tiefe spirituelle Erfahrung. Sie sah ein wunderschönes goldenes Licht und erkannte, dass viele ihrer Glaubenssätze, etwa ihre Gefühle von Schuld und Ungenügen, völlig irreal waren. Sie geriet in einen Zustand großen Glücks. Mit kaum verhohlenem Stolz sagte sie: “Ich hab so ein Glück. Nie muss ich mich fragen, was ich tun soll, denn ich trage dieses innere Wissen in mir.” Nach einer Weile veranlasste diese Intuition sie dazu, immer weniger zu essen. Sie war sich ihrer inneren Führung so sicher, dass sie lange nicht glauben konnte, was eigentlich offensichtlich war: Sie war magersüchtig geworden. Während der anschließenden Therapie meinte sie zunächst, sie sei auf ihrem spirituellen Weg gescheitert, doch in Wirklichkeit handelte es sich darum, erst einmal eine gesunde Balance in Körper und Geist herzustellen, die ihre spirituelle Praxis auf ein solideres Fundament stellte. Diese Geschichte ist sicher ein Extrembeispiel, aber sie verdeutlicht ein wichtiges Gesetz der spirituellen Transformation: Auch wenn man eine Ahnung davon bekommen hat, wer man sein könnte, ist fast immer ein gewisses Maß an Arbeit nötig, um die verschiedenen Stränge des eigenen Seins mit dieser Vision in Einklang zu bringen. Manches davon ist nur Fein-Tuning, anderes dagegen kann radikal sein, vor allem wenn verborgene Schattenseiten der Persönlichkeit zum Vorschein kommen.
7. Integration
Der Absturz ist also ein wichtiger Teil der Reise. Nicht nur macht er uns demütig, vor allem unterstreicht er die Notwendigkeit von Integration und setzt diesen Prozess auch in Gang. Jetzt geht es darum, innere Widersprüche zu verhandeln. Dein persönlicher Entwicklungsprozess mag nach radikaler Freiheit verlangen, um zu üben, zu reisen oder das Leben ganz neu zu organisieren. Gleichzeitig bist du aber aufgerufen, deinen Verpflichtungen gegenüber der Familie oder deinem Beruf nachzukommen und sich mit all dem herumzuschlagen, was notwendig ist, um im 21. Jahrhundert zu überleben. Die Integration von spirituellem Wandel kann nur gelingen, wenn man die gewonnenen Einsichten auch konsequent auf das eigene Leben anwendet. So ist es beispielsweise eine Sache, während einer Yogastunde zu erkennen, dass man eins mit der Erde ist – und noch mal etwas ganz anderes, diese Einsicht auch wirklich im täglichen Leben umzusetzen. Erst diese manchmal langwierige Integration erdet deine transformierende Erfahrung und macht aus ihr eine gelebte Art, sich in der Welt zu bewegen.
Es ist wie das Wachsen, Blühen und Gedeihen eines Apfelbaums: Es braucht Zeit für die Reifung.
Man muss sich also bemühen, Einsichten bewusst in Handlungen zu übersetzen. Dennoch – und darin liegt eines der Mysterien des Transformationsprozesses – geschieht die Integrationsphase in Wirklichkeit unter der Oberfläche des Bewusstseins. Genau wie jeden anderen natürlichen Prozess kann man sie im Grunde nur wenig beeinflussen. Es ist wie das Wachsen, Blühen und Gedeihen eines Apfelbaums: Es braucht Zeit für die Reifung. Eine Freundin hat das vor einiger Zeit sehr eindrücklich erlebt. Jahrelang hatte sie sich nach einer intimen Verbindung gesehnt. Dann wurde ihr Leben mit einem Mal durch eine leidenschaftliche Liebesaffäre auf den Kopf gestellt, die genau diese Sehnsucht zu erfüllen schien. Die Beziehung war zu intensiv, um von Dauer zu sein, und als sie endete, versetzte das meine Freundin in eine Phase großer Verwirrung und Unsicherheit. Als langjährige Meditierende wusste sie genug, um sich nicht zu vorschnellen Entscheidungen hinreißen zu lassen. Stattdessen ließ sie die Verunsicherung zu und wartete ab, wie sich alles entwickeln würde. Im Lauf einer Therapie und intensiver Meditation begann sie eine tiefe Verbundenheit mit den Energien der Natur wahrzunehmen. Dieser Prozess zog sich über mehrere Monate hin und es schien, als trete sie ganz allmählich über eine Schwelle. Immer mehr ihrer Begegnungen waren von diesem wachsenden Gefühl gemeinsamer Energie erfüllt. Auf diese Weise begannen sich ihre Beziehungen auf ganz natürliche Weise zu vertiefen. Sie musste nicht länger Stille mit Geplauder füllen, sie hatte keinen Drang mehr, sich unbedingt mit anderen zu verbinden. Stattdessen erkannte sie, dass diese Verbindung immer schon da ist. Irgendwann hatte sie ihre Sehnsucht nach Intimität auf eine Weise integriert, die sie nicht länger dazu zwang, das in einer leidenschaftlichen Affäre auszuleben. Stattdessen erkannte sie, dass Verbundenheit immer da ist, wenn man mit dem eigenen Herzen verbunden ist.
Als sie mir das erzählte und ich mich an unsere Gespräche der vergangenen Jahre erinnerte, wurde mir klar, dass meine Freundin die klassischen Phasen einer echten Transformation durchlaufen hatte: Sie war durch ihre Liebesaffäre aufgerüttelt worden, hatte die darauf folgende Unsicherheit ausgehalten und an einer Schwelle gestanden, an der sie nicht wusste, wohin ihre Reise sie führen würde. Sie hatte viel geübt, sich Hilfe gesucht, war immer wieder für kurze Zeit in das reine Sein eingetaucht und hatte die Einsichten aus diesen Erfahrungen in die Begegnungen mit anderen Menschen hineingetragen. Bis die geheimnisvollen Kräfte des Seins an einem bestimmten Punkt einen tief greifenden Wandel bewirkten, der ihren Quell-Code umschrieb: ihre Wahrnehmung und das Gefühl von sich selbst.
Das ist in meinen Augen der entscheidende Punkt: Wenn wir das Tor der Transformation durchschreiten (und Yoga ist in seinem Kern nichts anderes als solch ein Tor), können wir nicht vorhersehen, wohin diese Transformation uns führen wird. Wir können nur davon ausgehen, dass sie ein Tanz ist zwischen Einsicht und praktischer Anwendung, zwischen Übung und Gnade, zwischen Sein und Werden. Mit jedem Transformationszyklus, den wir im Lauf unseres Lebens durchlaufen, können wir die einzelnen Phasen etwas besser erkennen und durchleben. Wir beginnen, diese Gelegenheiten zu wachsen und uns zu entwickeln willkommen zu heißen – auch wenn es manchmal schwierig ist.
SALLY KEMPTON gehört zu den international renommiertesten Lehrerinnen für Meditation und Spiritualität. Sie schreibt seit vielen Jahren über Yogaphilosophie und hat mehrere Bücher verfasst. Mehr Infos unter sallykempton.com