Meister Eckhart und der “göttliche Seelenfunke” im Menschen

Meister Eckhart war einer der bedeutendsten Mystiker des Christentums und noch heute sind seine Lehren aktuell. Er wusste schon lange vom “göttlichen Seelenfunken” in jedem Menschen und gilt als ein “Meister des Lebens”, als ein spiritueller Mentor für ein erfülltes Leben im Angesicht des Göttlichen. Philosoph und Theologe Dr. Eckard Wolz-Gottwald hat sich mit den Lehren seines Namensvetters in aller Tiefe auseinandergesetzt. Daraus ist das Buch “Meister Eckhart: Der Weg zur Gottesgeburt im Menschen” entstanden – sowie auch dieser Artikel und die “YogaWorld Podcast”-Folge #71 “Meister Eckhart: War der Vater der deutschen Mystik ein Yogi?”.

Text: Eckard Wolz-Gottwald / Titelbild: Westbury von Getty Images Signature via Canva

Meister Eckhart: Ein Ketzer als der bedeutendste Mystiker des Christentums

Der Aufstieg

Mit Meister Eckhart begegnen wir einem Meister der christlichen Mystik, der zu den bekanntesten Theologen, Philosophen und spirituellen Lehrern des Hochmittelalters zu zählen ist. Wer war dieser Meister, der uns noch heute so viel zu sagen hat? Um 1260 im thüringischen Hochheim geboren, trat Eckhart schon in jungen Jahren in das in Erfurt neu gegründete Dominikanerkloster ein. Er aber wollte mehr. Ihn zog es immer wieder nach Paris zur damals wichtigsten und berühmtesten Universität des christlichen Abendlandes. Zurück kam er als der große Gelehrte und Magister. Bald sprach man nur noch vom ‚Magister Eckhardus‘ und im deutschsprachigen Raum vom Meister Eckhart.

Über Jahrzehnte war Eckhart nun vor allem in der Betreuung der unzähligen Frauen tätig, die zu jener Zeit in die Dominikanerinnenklöster strömten. Die Männer machten sich auf den Weg der Kreuzzüge zur Befreiung Jerusalems. Die zurückgebliebenen Frauen begaben sich auf den Weg einer inneren Befreiung und initiierten so die Bewegung der Mystik des Hochmittelalters. Eckhart lehrte die Frauen und lernte von ihnen. Wahrscheinlich hatte er es den Frauen zu verdanken, dass mit den Jahren nicht nur sein Ansehen wuchs, sondern Meister Eckhart zu dem Meister der christlichen Mystik aufstieg, den wir heute kennen.

Die Verurteilung

Im für die damalige Zeit hohen Alter von über sechzig Jahren passierte dann das für viele seiner Anhängerinnen Unfassbare. Der Meister wurde der Ketzerei bezichtigt. Der Erzbischof von Köln leitete daraufhin ein Inquisitionsverfahren ein. Dabei ging es für Meister Eckhart um viel. Nach damaligem Recht konnte ein Schuldspruch wegen Ketzerei mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen geahndet werden. Im Laufe des Verfahrens wurden Listen von beanstandeten Sätzen aus dem umfassenden sich im Umlauf befinden Handschriften erstellt. Eine Stellungnahme Eckharts aus dem Jahre 1326 ist überliefert, in der er seine Schuld bestreitet. Ein Jahr später wurde das Verfahren in Köln tatsächlich abgebrochen und zur weiteren Klärung an Papst Johannes XXII. überwiesen, der damals im südfranzösischen Avignon residierte. Mit zahlreichen Ordensbrüdern reiste Eckhart daraufhin an den päpstlichen Stuhl nach Südfrankreich, um sich vor dem Papst selbst zu verteidigen.

Das Ende des gegen ihn geführten Prozesses sollte der Meister jedoch nicht mehr erleben. Am 30. April 1328 teilte der Papst dem Erzbischof von Köln mit, dass Eckhart in Avignon verstorben sei, das Verfahren gegen ihn jedoch weitergeführt würde. Am 27. März 1329 verurteilte Papst Johannes XXII. schließlich in der Bulle ‚In agro dominico‘ 28 Sätze aus Eckharts Schriften. Denjenigen, die es wagen sollten, diese Sätze zu verteidigen oder die ihnen beipflichteten, wurde angedroht, auch gegen sie wie gegen Ketzer vorzugehen.

Aufforderung zum Lästern und Sündigen?

Was hatte Meister Eckhart nun Umstrittenes gesagt, so dass kirchliche Gerichte glaubten, es mit solcher Vehemenz bekämpfen zu müssen? Verurteilt wurden Sätze wie „Wer Gott lästert, lobt Gott“ oder „je mehr er (der Mensch) schmäht und je schwerer er sündigt, umso kräftiger lobt er Gott.“ Selbst der unvoreingenommene Leser wird bei der Lektüre zugeben müssen, dass solche Aussagen keineswegs christlicher Lehre entsprechen können. Soll der gläubige Christ tatsächlich dazu aufgefordert werden, Gott zu lästern und zu sündigen? Meister Eckharts Denken sprengt nicht nur die kirchliche Ordnung von Gut und Böse. Eckhart sprengt jede Ordnung, jedes Denken über Gott, den man loben oder über den man lästern könnte. Das grundlegende Problem ist in einer ganz anderen Dimension zu suchen. Von Beginn der ersten Anschuldigungen in Köln bis zum Abschluss des Prozesses in Avignon arbeitete man ausschließlich mit Listen von einzelnen, aus dem Zusammenhang gerissener Sätze, die man als Lehrsätze betrachtete, bei welchen es sich jedoch keineswegs um Lehrsätze handelt.

Das Bild von der Schale und dem Kern der Frucht

Walnuss
Foto: Mvltcelik von Getty Images via Canva

In seinem berühmten Bild vergleicht Eckhart die äußeren Lehren von Gut und Böse mit der Schale einer Frucht. Eckhart mag hier die Schale einer Nuss im Blick gehabt haben, die den Fruchtkern umschließt und ihn so schützt, ihn gleichzeitig aber auch verdeckt. Die Schale der ordnenden Lehren kann man ‚haben‘. Sie liegt in der Verfügungsgewalt des Menschen. Es kommt jedoch nicht auf das Haben der Schale an, sondern auf das Sein der inneren Frucht. Das Sein der Frucht weist auf das Aufbrechen des inneren göttlichen Lebens. Und dieses innere göttliche Leben schlummert wie die Frucht in der Schale in jedem einzelnen Menschen tief in seinem ‚Seelengrund‘. Aber durch die Fixierung auf die äußeren Lehren wird die ursprüngliche Göttlichkeit des Menschen nicht wahrgenommen. Alles kommt darauf an, die Schale zu durchbrechen, um zum inneren Kern vorzudringen.

Der Durchbruch durch den Glauben an die rechtmäßige Lehre

Als Meister der Mystik war Eckhart immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, die den Geist seiner Schüler reizen konnten. Mit sprachlicher und denkerischer Radikalität trieb Eckhart seine Schüler und Schülerinnen an die Grenzen des für sie Zumutbaren und vielleicht sogar darüber hinaus und scheute dabei sogar vor scheinbaren Ketzereien nicht zurück. Oben zitierte Sätze wurden vor Menschen gesprochen, deren ganze Intention es war, Gott zu loben und nicht zu sündigen, indem sie die Gebote der Kirche bis ins Kleinste befolgten. Was konnte so seine Zuhörerinnen mehr aufrütteln als Sätze wie diese, dass derjenige, der Gott lästert, Gott lobe? Wenn der große Meister aus Paris kam, und in seiner Predigt verkündete: „Wer Gott lästert, lobt Gott“, dann kann davon ausgegangen werden, dass auch die Schwester in der letzten Reihe bis in die Haarspitzen hell wach war.

Eckhart provozierte um das Loslassen von allem Begreifen zu initiieren. Alles, an was die Zuhörerschaft bisher geglaubt hatte, war zu hinterfragen. Wenn die Schale des eigenen Denkens und Glaubens brüchig und vielleicht sogar durchlässig geworden ist, wenn es nicht mehr darauf ankommt Gott zu loben oder über ihn zu lästern, dann kann es möglich werden, dass der Kern des tieferen Sinns alles Denkens und Tuns aufleuchtet. Dann ist es möglich, dass der Durchbruch durch den Glauben an die rechtmäßige Lehre geschieht, so dass das ursprüngliche Leben des inneren Göttlichen aufleuchtet.

Das Potential für die heutigen Leser*innen

Hiermit war allerdings ein Weg beschritten, auf dem der sichere Hafen der Rechtmäßigkeit verlassen ist. Das große Potential der Predigten und Traktate des Meisters für die heutige Zeit liegt in dieser Weise nicht in der Klärung der Frage, ob in seinen Worten wahre oder falsche Lehren verbreitet wurden. Das große Potential eröffnet sich in diesen alten Texten, wenn auch wir uns von ihnen provozieren lassen, unsere Gewissheiten zu hinterfragen und vielleicht sogar zu durchbrechen. In der Beschäftigung mit Meister Eckhart liegt die Chance wach zu werden für die Tiefen des Lebens eines verborgenen, göttlichen Seins. Dann geht es nicht mehr darum, die sichere Schale der festen Wahrheiten haben, sondern uns auf das Wagnis eines wahrhaftigen Lebens einzulassen.

Erfahre mehr über Meister Eckhart im YogaWorld Podcast

Neugierig geworden? Dann höre dir auf jeden Fall die Podcast-Folge mit Dr. Eckard Wolz-Gottwald zum Thema #71 Meister Eckhart: War der Vater der deutschen Mystik ein Yogi? an.

Zum Weiterlesen:

Eckard Wolz-Gottwald: Meister Eckhart. Der Weg zur Gottesgeburt im Menschen, Crotona Verlag, Amerang 2018

Meister Eckhart war nicht nur die prägende Gestalt der Mystik im Mittelalter, er wird mehr und mehr auch zu einem “Seelenführer” für die Gegenwart. Mit seiner Vorstellung vom “göttlichen Seelenfunken” im Menschen lieferte Meister Eckhart die Grundlage, um die verborgene Anwesenheit des Göttlichen im Menschen verstehbar zu machen. In diesem Wesenskern liegt die unvergängliche Essenz des Menschen, die ihn wahrhaft zu einem Sohn oder einer Tochter des Allerhöchsten macht. Dr. Wolz-Gottwald holt diese wegweisende Botschaft Eckharts aus dem mittelalterlichen Denken in die Gegenwart, um ihn wieder zu jenem “Lebemeister” zu machen, als der er im Mittelalter galt.


Dr. Eckard Wolz-Gottwald ist Philosoph und Religionswissenschaftler und hat neben seiner Tätigkeit als Dozent schon zahlreiche Bücher zur spirituellen Philosophie geschrieben, wie zum Beispiel “Die Yoga-Sutras im Alltag leben” oder “Die Bhagavad Gita im Alltag leben”. Zusammen mit Angelika Beßler gründete er die BDY-Ausbildungsschule‚ Yoga-Akademie Münster-Osnabrück. Vormals Dozent an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster, konzentriert Dr. Wolz-Gottwald sich nun auf seine Tätigkeit als Autor und Ausbilder.

Auf Grund seines umfangreichen Wissens laden wir Eckard Wolz-Gottwald immer wieder gerne bei uns im “YogaWorld Podcast” ein. Höre dir gerne auch nochmal die Folgen #16 “Yogaphilosophie: Die Bhagavad Gita” und #19 “Yogaphilosophie: Die Yogasutras von Patanjali” an.

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