Der Dalai Lama sagte einmal: “Wenn du glücklich sein willst, dann praktiziere Mitgefühl.” Es gibt bedeutende Gründe dafür, warum die spirituellen Traditionen des Buddhismus und des Yoga die Fähigkeit zu Mitgefühl für eine so wesentliche Eigenschaft halten. Und: Du kannst Mitgefühl lernen.
Im Duden wird Mitgefühl definiert als “Anteilnahme am Leid, an der Not oder Ähnlichem anderer”. Damit einher geht häufig der Wunsch, dieses Leid zu lindern. Mitgefühl zu empfinden, bedeutet also, dass man erkennt, es geht einem anderen Menschen schlecht, und dass man etwas dagegen tun möchte. Diese Fähigkeit, sich in das Leid anderer Menschen hineinzuversetzen, ist instinktgesteuert. Schon Charles Darwin schrieb, dass Sympathie (hier ein Synonym für Mitgefühl) und nicht etwa die Aggression der stärkste Instinkt sei. Er glaubte sogar, dass diejenige Spezies mit dem größten Mitgefühl den größten Erfolg haben würde.
Empathie ist einprogrammiert
Die Forschung über Empathie und Mitgefühl steht noch am Anfang, aber schon heute sind sich Neurowissenschaftler sicher, dass die Fähigkeit, das Leid anderer Wesen zu spüren, nicht erlernt wird, sondern fest einprogrammiert ist. Empathie entsteht offenbar aufgrund der Wirkung so genannter Spiegelneuronen. Diese Funktion ist nicht nur menschlich, sondern allen Säugetieren eigen. So tauchte die Katze meiner Nachbarin eine Zeit lang immer gerade dann bei mir auf, wenn ich krank war oder mich schlecht fühlte. Dann sprang sie auf meinen Schoß und ließ sich ausgiebig streicheln – während sie mir sonst die kalte Schulter zeigte.
Mitgefühl fühlt sich gut an
Der Drang, Leid in unserer näheren Umgebung zu lindern, ist im limbischen System angelegt. Er steht nicht nur mit den empathischen Spiegelneuronen in Zusammenhang sondern auch mit der Produktion eines im Gehirn erzeugten Stoffes namens Oxytocin. Dieses “Liebeshormon” spielt eine wichtige Rolle für die frühe Mutter-Kind-Bindung, es wird beim Stillen und Kuscheln freigesetzt und es sorgt dafür, dass man mitten in der Nacht aufsteht, um seinem kranken Freund eine Tasse Tee zu machen. Oxytocin besänftigt, es gibt einem das Gefühl, getragen, angenommen und geborgen zu sein. Das bedeutet: Wenn man sich um jemanden kümmert oder sich emotional mit jemandem verbindet, dann fühlt sich das nicht nur gut für den Menschen an, der umsorgt wird, sondern auch für denjenigen, der den anderen umsorgt.
“Idiotisches Mitgefühl” ermöglicht destruktives Verhalten
Aber wo genau liegt das richtige Maß? Und wie kann man Mitgefühl in sich entstehen lassen, wenn man es eigentlich nicht empfindet – zum Beispiel weil man es mit einem schwierigen Menschen zu tun hat, oder mit jemandem, der einen verletzt hat? Evolutionsbiologen behaupten, Mitgefühl sei dem Menschen angeboren – und das stimmt auch. Aber wie kommt man an dieses natürliche Gefühl heran? Und wie unterscheidet man echtes Mitgefühl von dem, was ein spiritueller Lehrer einmal “idiotisches Mitgefühl” genannt hat, nämlich jener Art von selbstloser Freundlichkeit, die das destruktive oder gestörte Verhalten mancher Menschen überhaupt erst ermöglicht?
Die eigene Verletzlichkeit im Gegenüber erkennen
Mit einem anderen zu leiden, ist eine Herausforderung. Ganz besonders, wenn es sich um ein Familienmitglied, einen engen Freund oder Partner handelt. Häufig ist es viel einfacher, mit einem Fremden mitzufühlen, als mit jemandem, der einem nahe steht. Aber selbst dann kann die Erfahrung dieses Schmerzes die Angst vor eigenem Schmerz wachrufen, eine Angst, die man oft vor sich selbst versteckt. Indem man sich bewusst macht, dass ein anderer Mensch genau so ist wie man selbst, gesteht man sich auch ein, dass man selbst in dessen Situation sein könnte. Man erkennt die eigene Verletzlichkeit. Man erkennt, dass jeder Mensch leiden kann. Wenn man in diesem Moment nicht nur die Gemeinsamkeiten sieht, sondern auch ein inneres Bedürfnis empfindet, zu helfen, dann wurde aus Empathie, also Einfühlung, Mitgefühl.
Mitgefühl lernen verändert unser Handeln
Die meisten Menschen bemerken, dass sie, sobald sie Mitgefühl in sich wecken, anders mit ihrem Umfeld sprechen und anders darin handeln. Ähnliches gilt übrigens für die Meditation: Eine Studie der University of Wisconsin gezeigt, dass Menschen, die regelmäßig meditieren, zum Beispiel signifikant häufiger dazu bereit waren, einem humpelnden Fremden ihren Platz im Bus zu überlassen top-zaymov.ru. Noch interessanter ist die Tatsache, dass dieses Handeln aus Mitgefühl einen auch selbst verändern kann. Es öffnet uns für Fähigkeiten, von denen wir nicht einmal wussten, dass wir sie überhaupt besitzen, Kräfte, die von außerhalb der eigenen Persönlichkeit zu kommen scheinen.
Helfen lässt Verbundenheit entstehen
Eine Freundin, die 2004 beim Tsunami in Thailand 36 Stunden am Stück dabei half, verschüttete oder eingeschlossene Menschen zu retten, erzählte mir, dass sie irgendwann bemerkte, dass gar nicht mehr “sie” half. “Etwas anderes übernahm an meiner Stelle”, berichtet sie mirziamov. “Ich selber verfüge gar nicht über solche Kräfte. Ich spürte auch keinen Unterschied mehr zwischen diesen Menschen und mir selbst. Es war, als ob ich mich selbst retten würde.” Meine Freundin hat einen Zustand erlebt, der im Buddhismus Bodhichitta, erwachtes Bewusstsein, genannt wird. Dabei lösen sich die Grenzen zwischen einem selbst und anderen auf und man erfährt – eher ganz tatsächlich als intellektuell – eine tiefe Verbundenheit. Irgendwann beginnt man zu begreifen, dass alle Menschen die selben Bedürfnisse, die selben Sehnsüchte, Zweifel und Konflikte in sich tragen. Wenn man dann jemandem hilft, dann hilft nicht mehr das “Ich” dem “Du”. Viel eher helfe “ich” einer anderen Gestalt meiner selbst.
Mitgefühl lernen: Mitfühlend sein ist manchmal leichter gesagt als getan. Wir erklären mit zwei Übungen, wie du Schritt für Schritt täglich mitfühlender wirst.
Die Autorin Sally Kempton unterrichtet weltweit Meditation, sie schreibt regelmäßig für das amerikanische YOGA JOURNAL und hat mehrere Bücher zur Meditation und eines zur Erweckung der Shakti-Kraft verfasst