“Yoga ist Kunst”: Anastasia Shevchenko im Interview

Kosmopolitin Anastasia weiß, was es bedeutet sich immer wieder auf neue Situationen einzustellen. Früher leidenschaftliche Ashtangi geht Anastasia jetzt einen ganz anderen Yoga-Weg, der sie schließlich auch zu ihrem neuen Herzensprojekt führte: der Berlin Yoga Conference.

Die zweifache Mama Anastasia hat in ihrem jungen Leben schon ganz schön viel erlebt: Trennung der Eltern, etliche Umzüge in vier Ländern, ein Snowboard-Unfall indessen Folge ihr Arm teilweise gelähmt war – all das hat die Yogini stets vor neue Herausforderungen gestellt und auch ihre Yoga-Praxis regelmäßig überdenken lassen. Wir haben uns mit der Powerfrau zum Gespräch getroffen und waren erstaunt, wie viel Leben in 33 Jahre passt.

Du wurdest in der Ukraine geboren, hast in Kanada gelebt, in Spanien studiert und bist schließlich in Deutschland gelandet. Mit Yoga begonnen hast du in Spanien. Ganz schön multi-kulti. Hat das deine Praxis beeinflusst?

Auf jeden Fall. Ich wurde 2 Jahre nach der Tschernobyl-Katastrophe in der Ukraine geboren und lebte dort, bis ich 15 Jahre alt wurde. Meine Eltern ließen sich scheiden, als ich 3 Jahre alt war, und meine Mutter zog mich alleine groß. Ich war als Kind ziemlich kränklich und hatte ein schwaches Herz, nachdem ich im Alter von 7 Jahren an rheumatischer Arthritis erkrankt war. Mit 14 entdeckten wir, dass ich eine schlimme Skoliose hatte. Auf Anraten meines Arztes begann ich, einige einfache rückenstärkende Yogaposen wie die Shalabasana zu machen.

Nicht lange danach zog ich nach Kanada zu meinem Vater. Er schlug mir vor, Yoga nach den Büchern des berühmten russischen Yogi Andrei Syderski zu praktizieren. Ich machte jeden Morgen und Abend einige einfache Vinyasa-Flows, bis ich mit 19 Jahren Hot Yoga entdeckte. Es half mir, mich zu öffnen und meinen Körper zu heilen, nachdem ich einen Snowboard-Unfall hatte, der mich mit einem gebrochenen und einem gelähmten Arm zurückließ.

Als ich 2011 für ein Austauschstudium nach Spanien reiste, kam ich mit Ashtanga Yoga in Kontakt. 2013 absolvierte ich zwar eine Yogalehrerausbildung im klassischen Hatha Yoga bei deutschen Lehrern in Thailand, praktizierte bis März 2020 aber hauptsächlich Ashtanga Yoga und erreichte die Advanced A Serien (III & IV neuer Standard). Auch wenn ich aufgrund eines sehr körperbezogenen Problems mit dem Üben begonnen habe, habe ich mich aufgrund all des Leids, dem ich in meinem Leben begegnet bin, wirklich mit dem philosophischen und spirituellen Aspekt des Yoga verbunden. Viele Jahre lang half mir der spirituelle Aspekt des Yoga, einen Sinn für mein Leben und alles, was mir widerfahren ist, zu finden.

Yoga half mir, mich zu öffnen und meinen Körper zu heilen”

Verständlich, dass du deine eigene Yoga-Erfahrung also mit den Worten “self-healing, self-transformation, self-empowerment” beschreibst.

Am Anfang hat mir Yoga geholfen, meinen Körper zu heilen und zu stärken, was mir im Laufe der Jahre ein Gefühl von Selbstvertrauen und Selbstermächtigung gegeben hat. Das das Erreichen bestimmter Posen gibt dir dieses erstaunliche Gefühl, dass man Dinge tun kann, die man nie für möglich gehalten hat. Gleichzeitig bekämpft man dabei seine Ängste und Unsicherheiten. Yoga revitalisiert den Körper und die Sinne und schafft Umstände für mehr Fokus und Energie. Dieser Fokus und diese Energie helfen, die eigenen Lebensziele zu erreichen, die eigenen Träume zu verfolgen und das Leben zu manifestieren, das wir uns immer gewünscht haben. Der ganze Prozess war sehr transformativ, das heißt, es gab viele Veränderungen in meinem Körper, in meinem Geist und in meiner Einstellung zu mir selbst und der Welt um mich herum. Etwas zu haben, das man über Jahre hinweg rituell ausübt, sei es Yoga oder eine andere Disziplin der Selbstentwicklung, die in der körperlichen Praxis verwurzelt ist, hilft dabei, die Herausforderungen zu meistern, die das Leben unweigerlich mit sich bringt. Die Praxis ist wie ein Anker, der einen “geerdet” hält, egal wie hoch oder wie tief man mit dem Fluss des Lebens geht.

Eines dieser Tiefs war auch dein Unfall. Wie hast du danach wieder zu deiner Stärke zurück gefunden?

Ich war 19 ,ein bisschen Punk-Girl war, im Sommer auf dem Skateboard und im Winter mit dem Snowboard unterwegs. Während eines Snowboardtrip mit der Schule brach ich mir den rechten Arm. Die Verschiebung durch den Bruchknochen schnitt in die Hälfte des Nervs, der für die Bewegung der ersten 3 Finger meiner rechten Hand verantwortlich war. Der gesamte Teil für den der Nerv verantwortlich war, blieb gelähmt. Die körperlichen Schmerzen, die die Verletzung und die nachfolgenden Operationen mit sich brachten, führten zu Schlaflosigkeit und einer leichten Depression. Ich brauchte Jahre, um meinen Körper nach diesem Trauma wieder aufzubauen. Mit Yoga verwandte Achtsamkeitstechniken, halfen mir mit den emotionalen Auswirkungen dieses Unfalls umzugehen. Es war zwar ein sehr schwieriger Abschnitt in meinem Leben, aber auf lange Sicht hat er mich stärker gemacht.

Mit Yoga verwandte Achtsamkeitstechniken, halfen mir mit den emotionalen Auswirkungen dieses Unfalls umzugehen.

Wie meinst du das?

Aufgrund all dessen, was vor und während des Unfalls geschah, war ich in meinen 20ern in diesem Kämpfer- und Krieger-Modus. Erst nach der Geburt meines ersten Kindes Liam im Jahr 2015 habe ich gelernt, mich mehr im Leben zu entspannen und mich von anderen unterstützen zu lassen, im Vertrauen darauf, dass auch sie Dinge tun können und sie gut tun können, und vor allem, dass ich ihrer Liebe, Fürsorge und Unterstützung würdig bin.

Die eigene Veränderung und das Theme “Transformation” zieht sich durch dein ganzes Leben, oder? Du bist ja ausgebildete Hatha und Ashtanga Yogalehrerin, hast aber mittlerweile mit Ashtanga aufgehört.

Zuerst liebte ich die sich wiederholende Struktur des Ashtanga Yoga, die wirklich gut für meine Homepraxis war. Aber ich war nicht sicher, ob eine so intensive körperliche Praxis genug Raum für meine philosophischen Studien und Meditation ließ. Mir war aber klar, dass mein Körper und mein Geist diese gewisse Intensität brauchten, die Ashtanga Yoga mit sich bringt. Fast 10 Jahre lang hat mir Ashtanga-Yoga gedient. Doch irgendwann veränderte ich mich zu sehr, um es beizubehalten. Zum Glück war ich mutig genug, etwas loszulassen, in das ich viel Zeit und Mühe investiert hatte. Ich merkte, dass es mir nicht mehr entsprach.

Danach hast du “Inner Core Yoga” entwickelt. Wie kam es dazu?

Nach meiner zweiten Schwangerschaft mit meiner Tochter Anabel. Ich spürte die Trennung meiner Bauchmuskeln, einen Zusammenbruch meines inneren Kerns und eine Dysfunktion in meinem unteren Beckenboden. Ich brauchte ein bisschen Zeit um herauszufinden, was ich tun konnte, um alles wieder aufzubauen. Es war nicht Ashtanga-Yoga – wenn überhaupt – machte Ashtanga es noch schlimmer. Es war eine Kombination aus Core-basierter und den Beckenboden stärkender Yoga-Routine, die ich “Inner Core Yoga” nannte. Ich hatte große Pläne für diese Methode: Ich wollte sie auf verschiedenen europäischen Yogafestivals präsentieren, ich hatte eine Idee für ein E-Book und ein auf Mitgliedschaft basierendes Online-Tutorial. Dann kam 2020 Corona und der Lockdown ohne Kinderbetreuung. Also musste ich meine beruflichen Pläne zurückschrauben und die Kinder übernehmen.

Auch dein Herzensprojekt, die Berlin Yoga Conference wurde abgesagt.

Richtig. 2020 Jahr musste ich auch die zweite Auflage der Berlin Yoga Conference absagen. Die Covid-19-Pandemie brachte mich dazu, mein Leben und meine Karriere zu überdenken, und ich traf die Entscheidung, das weniger Yoga zu unterrichten. Ich unterrichte zwar noch gelegentlich Workshops und Privatstunden, aber mein Hauptaugenmerk hat sich auf die Berlin Yoga Conference verlagert.

Die Covid-19-Pandemie brachte mich dazu, mein Leben und meine Karriere zu überdenken, und ich traf die Entscheidung, das weniger Yoga zu unterrichten.

Wie kam es eigentlich zu der Idee?

Während meiner zweiten Schwangerschaft begann ich mich zu fragen, wohin mein Leben führen sollte? Was für ein Vorbild wollte ich für meine Kinder sein? Ich wollte etwas Wichtiges, etwas Sinnvolles tun – so entstand die Idee für die Berlin Yoga Conference. Nach der Geburt hatte sich viel verändert, nicht nur mein Körper auch mein Geist war ganz woanders. Die Ashtanga-Praxis wurde mir zu viel, vor allem, weil ich zweimal pro Woche sehr fortgeschritten praktizierte. Ich fand Freude an einfachen Routinen, um meinen Körper beweglich, stark und gesund zu halten, ohne es zu übertreiben. Ich fühlte eine enorme Erleichterung, als ich aufhörte, andere zu unterrichten und mich auf meine eigene Praxis konzentrierte. Auf das, was mich gut und ganz fühlen ließ. Ich fühlte nicht den Druck, “neue Asanas zu erreichen” oder “mit Yoga Geld zu verdienen”. Schließlich begann ich, meine Yogapraxis über soziale Medien zu teilen. Meine Instagram-Followerschaft ist seither stark gewachsen, und sie wächst weiter, weil ich gerne Instagram-Challenges und solche lustigen Dinge mache.

Du bist generell sehr medienaffin, bist kreativ und liebst Kunst.

In der High School habe ich gezeichnet, gemalt und meine eigenen Schwarz-Weiß-Fotos entwickelt. Am College habe ich Interdisziplinäre Designstudien studiert und wurde an einer renommierten Kunsthochschule angenommen, um Grafikdesign zu studieren, aber stattdessen bin ich an eine Universität gegangen, um Kommunikation zu studieren.

Ist Yoga für dich auch eine Art Kunst?

Natürlich ist es das. Ein Yogi ist für mich ein Künstler. Der physische Yogi ist ein Körperkünstler, ein Yogalehrer ist ein Schöpfer von Lernerfahrungen, und ein Yogi, der den achtgliedrigen Pfad praktiziert, ist ein Geisteskünstler. Wahre Yogis studieren sich selbst und ihr Bewusstsein. Es erfordert eine Menge Experimente, Selbstreflexion und Kreativität erfordert, sich neue zu erfinden. Ein Künstler hat eine sensible und intelligente Veranlagung: jemand, der die Welt tiefgründig verarbeitet. Er integriert sein Leiden und das der Welt, in der wir leben, in eine Form des kreativen Selbstausdrucks. Ein wahrer Yogi tut genau dasselbe! Sozioökonomisch gesehen befindet sich ein durchschnittlicher Yogalehrer für mich in der gleichen hierarchischen Position wie ein durchschnittlicher Künstler, nämlich – außerhalb des Systems. Es gibt einige sehr clevere Yogis und Künstler, die den geschäftlichen Aspekt der Yoga- oder Kunstindustrie gemeistert haben. Die meisten Yogis und Künstler sind Freiberufler, die gerne einen eher “alternativen” Lebensstil leben, mit weniger Besitz und einfachen Bedürfnissen.

Ein Yogi ist für mich ein Künstler. Der physische Yogi ist ein Körperkünstler, ein Yogalehrer ist ein Schöpfer von Lernerfahrungen, und ein Yogi, der den achtgliedrigen Pfad praktiziert, ist ein Geisteskünstler.

Findest du es okay, wenn manche Yogi*nis Yoga nur als Sport praktizieren?

Yoga kann auch einfach Sport sein. Man kann Yoga nur um der ganzheitlichen körperstärkenden und energiespendenden Wirkung willen praktizieren. Yoga ist ein System, es kann eine Vielzahl von Werkzeugen und Möglichkeiten bieten, sich um spezifische Körper-Geist-Bedürfnisse und Ziele zu kümmern. Ich würde Menschen, die Yoga nur wegen des körperlichen Nutzens praktizieren, nicht herabsetzen – wir alle haben nur eine begrenzte Menge an Zeit, die wir außerhalb von Arbeit, Familie und Hobbys für uns selbst aufwenden können, also müssen wir alle unsere Entscheidungen treffen und Prioritäten setzen. In verschiedenen Perioden unseres Lebens werden verschiedene Aspekte der Yogapraxis relevanter und interessanter. Die Entwicklung der Yoga-Reise eines Individuums ist eine einzigartige für diese Person, ausgerichtet auf die besonderen Umstände ihres Lebens und Timing.

Lass uns nochmal zur Berlin Yoga Conference zurückkommen. Sie entstand ja auch als Teil deiner eigenen Reise. Was macht dieses Event so besonders? 

Sie ist einfach anders, weil ich anders bin. Ich würde sagen, dass die Berlin Yoga Conference im Vergleich zu anderen deutschen Veranstaltungen super international und kosmopolitisch ist. So wie ich es bin. Ich habe in 4 Ländern gelebt und bin um die Welt gereist. Ich spreche 6 Sprachen. Ich liebe es, Menschen mit verschiedenen Hintergründen und aus verschiedenen Lebensbereichen zu treffen. Außerdem ist sie im Vergleich zu anderen internationalen Veranstaltungen eine sehr “geerdete” Veranstaltung. Der Schwerpunkt liegt auf fundierter Wissenschaft, Argumentation, Lernen und darauf, die Dinge so zu sehen, wie sie sind: realistisch und ganzheitlich, ohne sie zu romantisieren.

Dann geht es also weniger um Spiritualität?

Als ich jung war stand ich auf die ganze New-Age-Spiritualität. Aber heute bin ich eine Mutter, eine Geschäftsfrau, eine reife Person, verantwortlich für mich und die, die mir am nächsten stehen, emotional ausgeglichener und mit der Fähigkeit, Dinge besser zu erkennen und zu verstehen. Daher meine Wahl der Lehrer und des Programms – es ist eine Reflexion einer “reiferen” Vision. Letztlich sind es nur Kleinigkeiten, Fragen des persönlichen Geschmacks: Ich bevorzuge klassische Musik anstelle von Kirtan. Ich mag Industrieräume lieber als Grasflächen. Ich mag aufgeschlossene und lockere Menschen anstelle von religiösen Fanatikern. Wer damit etwas anfangen kann, ist willkommen. Wer nicht – auch gut!

“Ich bevorzuge klassische Musik anstelle von Kirtan. Ich mag Industrieräume lieber als Grasflächen. Ich mag aufgeschlossene und lockere Menschen anstelle von religiösen Fanatikern.”

Worauf können sich die Teilnehmer der Berlin Yoga Conference 2021 freuen? 

Die dritte Ausgabe setzt einen großen Schwerpunkt auf Kino MacGregor. Sie wird 6 vertiefende Workshops unterrichten, sowohl zu körperlichen als auch zu philosophischen Aspekten des Yoga. Sie ist eine Yogi, die Respekt und Bewunderung verdient, eine Autorin unzähliger Büchern und Video-Tutorials. Neben Kino bringe ich

Sat Bir Khalsa mit, einen Harvard-Professor und Forscher, der seit mehr als 40 Jahren Yoga praktiziert;
Cathy Madeo, eine in Florida ansässige Lehrerin mit mehr als 20 Jahren Erfahrung;
Yogacharya Lalit, ein Yogalehrer und Studiobesitzer in Goa und Irland, ein sehr besonders Mensch;
Marcus Veda, ein international anerkannter Meister des Rocket Yoga aus Großbritannien;
Dario Calvaruso, ursprünglich aus Italien, der seit 15 Jahren in Indien und Asien reist und unterrichtet;
Dechen Thurman, ursprünglich ein Jivamukti Senior Teacher, jetzt Autor seiner eigenen Methode – Graha Yoga;
und Neval Aras, eine Senior Yogalehrerin und Yogalehrer-Ausbilderin aus der Türkei, eine Expertin auf dem Gebiet der Yoga-Anatomie, sowohl aus physischer als auch aus psychosomatischer Sicht.

Ich bin sehr stolz auf mein Lehrer-Line-up. Es ist mein Privileg, diesen Yogi*nis eine Plattform zu bieten, um ihr Wissen und ihre Expertise mit unserer wachsenden internationalen Community zu teilen. Das Beste an der Berlin Yoga Conference ist, dass sie sowohl in Echtzeit als auch online verfügbar ist: Falls die Veranstaltung wegen Corona nicht stattfinden kann, werden wir online sein. Falls doch, was wir alle sehr hoffen, wird es immer noch einen Live-Stream von der Konferenz in Berlin geben.

Berlin Yoga Conference
Die dritte Berlin Yoga Conference findet vom 9. bis 11.Juli statt.

Mehr Info zu Anastasia und der Berlin Yoga Conference findest du auf anasheyoga.com und auf berlinyogaconference.org. / Fotos: Elad Itzkin Yoga Photography

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