Andererseits machen Menschen Politik – und sie machen auch Krieg. Folglich fängt Frieden bei jedem einzelnen Menschen an, der sich weigert, im Krieg zu sein. Und zwar im Großen wie auch im ganz, ganz Kleinen. Wie oft am Tag sind wir im Widerstand, in der Abwehr, wie oft fühlen wir uns im Recht, wie oft kämpfen wir um dieses Recht? Tausend Mal? Mehr? Egal ob es um Partnerschaft, Job, Parkplatz oder Zahnpastatube geht – wir glauben, unseren Platz in der Welt behaupten zu müssen. Was passiert, wenn du diesen Kampf aufgibst? Solange wir in der Abwehr, im Misstrauen sind, tragen wir zum Unfrieden bei. Da brauche ich kein “Gesetz der Anziehung” zu bemühen, das erschließt sich dem gesunden Menschenverstand. Wenn wir beginnen, den reflexhaften Widerstand zugunsten von Freundlichkeit und einer mitfühlenden Neugier aufzugeben, dann praktizieren wir Ahimsa und können viel zum Frieden beitragen.
Der Gutmensch in der Yoga-Shala
“Frieden ist keine Hoffnung, Frieden ist ein Tun”, so oder ähnlich soll es Thich Nhat Hanh gesagt haben. Dazu gehört auch die Einsicht, dass Ahimsa und überhaupt die yogische Ethik kein Automatismus ist. Es gibt Menschen, die üben jahrzehntelang, reisen von Retreat zu Retreat und verbreiten dort Unfrieden, weil sie einem aufgeblasenen Ego verhaftet bleiben. Die eitle Überzeugung, ein Gutmensch zu sein, macht nicht Halt vor der Tür der Yoga-Shala und kann etwas sehr Selbstgerechtes und Überhebliches an sich haben. (Das sage ich durchaus selbstkritisch.) Was wäre, wenn wir aufhören könnten, andere beeindrucken zu wollen, indem wir uns weiser, schlauer oder stärker zeigen? Demut ist eine Haltung, die die prahlerischen Kräfte des Ego neutralisiert. Sie resultiert aus Vertrauen, aus der Bereitschaft zu akzeptieren, was notwendig ist, und aus der Hingabe an das, was unperfekt oder sogar richtig schlimm ist in unserem Leben, in dieser Welt.
Hier öffnet sich eine weitere politische Dimension des Yoga-Weges: das Nicht-Anhaften. Ich kann Erwartungen loslassen und mein Wollen in den Kontext des großen Ganzen, der übergeordneten Harmonie, stellen: Ich verstehe, dass ich vielleicht nur wenig oder nichts beeinflussen kann und handele trotzdem aus dem Verständnis heraus, dass ich sowohl für mein Tun als auch für mein Nicht-Tun vollumfänglich verantwortlich bin. Ich spare mir “man müsste mal” oder “die da oben sollten” und überlege, was mein Beitrag, meine Rolle im großen Ganzen sein könnte. Zugleich verstehe ich, dass ich selbst nicht frei bin von Anhaftungen und Begierden und überprüfe mein Denken und Handeln immer wieder darauf hin. Ich nehme mir Zeit für Ruhe, Raum für Zweifel. Ich weiß: Selbst-Erkenntnis ist meine wichtigste politische Kraft.