Entlastung der Halswirbelsäule: 4 stabilisierende Übungen

Jalandhara Bandha, das aktive Verschließen der Kehle, kennst du vermutlich nur aus der Atempraxis. Eigentlich schade, findet unser Therapie-Experte Dr. Ronald Steiner. Hier stellt er eine moderne Version für die körperliche Praxis vor. Sie entlastet die Halswirbelsäule und stabilisiert viele Asanas von innen heraus. Dazu zeigt er passende Übungen für die Halswirbelsäule.

Mula Bandha (Beckenbodenaktivität) und Uddiyana Bandha (Bauchspannung) sind in der körperlichen Praxis des modernen Yoga ziemlich geläufig. In diesem Beitrag geht es um die dritte klassische Verschlusstechnik: Jalandhara Bandha. Im Gegensatz zu den beiden anderen Bandhas erhält sie im Kontext der Körperübungen bisher noch wenig Beachtung. Wir kennen sie fast nur aus der yogischen Atemarbeit, dem Pranayama. Dort unterstützt sie in vielen Übungen die Haltephasen nach der Ausatmung. Diese klassische Ausführung von Jalandhara Bandha hilft uns in der körperlichen Praxis nicht weiter. Zum einem würde das dabei stark gesenkte Kinn die Bewegungsmöglichkeiten deutlich einschränken, zum anderen halten wir in Asanas üblicherweise die Luft nicht so stark an. Eine etwas andere Ausführung von Jalandhara Bandha aber kann die körperliche Praxis nicht nur unterstützen, sondern sogar spürbar transformieren. Sie hilft, die Halswirbelsäule vor Überlastung zu schützen und gibt ihr Stabilität für anspruchsvolle Körperhaltungen.

Lies mehr zu Kehlverschluss: Jalandhara Bandha in unserem Asana Finder.

Anatomischer Hintergrund

Die Innenwand unseres Körpers ist mit quer verlaufenden Faszienschichten ausgekleidet. Der Mundboden, das Zwerchfell und der Beckenboden bilden dabei drei Trennebenen (Diaphragmen). Sie untergliedern das Körperinnere in Segmente. Untereinander sind die drei Diaphragmen aber durch senkrechte Faserverläufe an der Vorder- und Rückseite des Innenraumes miteinander verbunden. Daher überträgt sich jede Bewegung eines Diaphragmas auch auf die beiden anderen. Die mittlere Trennebene, das Zwerchfell, reguliert die Atembewegung und gibt dadurch einen Rhythmus vor. Dieser wird vom Beckenboden und Mundboden aufgefangen. Doch auch diese beiden wirken umgekehrt auf das Zwerchfell ein.

Ein weiterer wichtiger anatomischer Faktor im Zusammenhang mit Jalandhara Bandha ist das Zungenbein. Dieser kleine, hufeisenförmige Knochen befindet sich unterhalb des oberen Diaphragma (Mundboden) an der Faszienverbindung zum mittleren Diaphragma (Zwerchfell). Heben wir das Zungenbein bewusst an, so ziehen wir gleichzeitig unseren gesamten innersten Faszienschlauch nach oben. Dieser Effekt ist im gesamten Körper deutlich spürbar: Die Wirbelsäule richtet sich auf, während die Bauchdecke sich strafft und nach innen zieht. Selbst der Beckenboden hebt sich merklich.

Erfahre hier mehr über die 5 Bandhas: Die 5 Bandhas – Im Fluss der Lebensenergie

Physiologische Wirkung

Diesen Effekt können wir in der körperlichen Praxis gut nutzen: Ziehen wir willentlich das Zungenbein nach hinten und oben, dann aktivieren wir die Muskeln, die das Zungenbein mit dem Mundboden verbinden (Suprahyale Muskulatur). Und zusätzlich auch Muskeln, die das Zungenbein nach unten zur Innenseite des Brustbeines verbinden (Infrahyale Muskulatur). Das bewirkt, dass gleichzeitig mit dieser Variante von Jalandhara Bandha auch Mula Bandha und Uddiyana Bandha entstehen. Die Supra- und Infrahyale Muskulatur arbeitet dabei im Teamwork mit der tiefen Halsmuskulatur (Prävertebrale Muskulatur). Gemeinsam wandeln sie Druckkräfte auf die Halswirbelsäule in Zugspannung um. Die Halswirbelsäule kommt dann in eine Schwebespannung und ihre Bandscheiben erfahren Entlastung.

Diese anatomischen und pysiologischen Zusammenhänge machen deutlich, wie sinnvoll diese Form von Jalandhara Bandha in der körperlichen Yogapraxis sein kann. Die leichte Spannung der genannten Muskel-Faszienzüge schützt die Halswirbelsäule vor Überlastung. Und das ist umso wichtiger, je mehr sie durch eine Körperhaltung beansprucht wird. Mit anderen Worten: Gerade in anspruchsvolleren Rückbeugen und armgestützten Haltungen können wir die Stabilität und Integrität der Asana erhöhen und die fragile Halswirbelsäule effektiv schützen.

4 Übungen für eine stabile Halswirbelsäule

Mit der folgenden kleinen Übungsreihe entwickelst du systematisch eine moderne Form von Jalandhara Bandha. Du entlastet und stabilisierst deine Halswirbelsäule, förderst die Aufrichtung und kannst so deine gesamte körperliche Praxis beflügeln.

1. Das Zungenbein heben

A Um zunächst einmal Bekanntschaft mit diesem wenig bekannten Knochen deines Körpers zu schließen, nimm eine aufrechte Körperhaltung ein und ertaste den Kehlkopf. Der vorspringende obere Teil des Kehlkopfes ist der Schildknorpel. Von dort aus wanderst du mit den Fingerspitzen sanft tastend weiter nach oben. Wo der Schildknorpel endet, setzt sich eine Membran nach oben fort. Verfolge diese etwa einen Fingerbreit. Hier stößt du auf einen filigranen hufeisenförmigen Knochenbogen. Du hast dein Zungenbein gefunden! Alternativ kannst du das Tasten auch am Unterkiefer beginnen. Dabei streichelst du an deinem Kinn entlang Richtung Hals. Das Zungenbein findet sich genau am Knick zwischen Unterkiefer und Hals.

B Als nächstes greifst du die zarten Knochenvorsprünge des Zungenbeins von beiden Seiten. Du kannst nun das Zungenbein sanft hin und herschieben. Wenn der Impuls der einen Seite auf der anderen Seite ankommt, kannst du sicher sein, die richtige Struktur ertastet zu haben.

C Nun beginnt die eigentliche Übung: Du versuchst, das Zungenbein nach innen und oben zu ziehen. Was so einfach klingt, wird vermutlich nicht auf Anhieb gelingen. Nimm dir also etwas Zeit und probiere es spielerisch aus: Du kannst zum Beispiel damit beginnen, deine Mundwinkel leicht zu heben. Vielleicht hebt sich dabei auch dein Zungenbein? Alternativ kannst du mit verschiedenen Stellungen der Zunge oder leichten Schluckbewegungen experimentieren. So wirst du mit der Zeit lernen, die Bewegung des Zungenbeins bewusst zu koordinieren.

Effekt: Indem du die aktiven Bewegungsmöglichkeiten des Zungenbeines erforschst, erhältst du bewussten Zugang zu den Muskeln, an denen das Zungenbein zwischen Unterkiefer und Kehlkopf aufgespannt ist (Supra- und Infrahyale Muskulatur). Dabei lernst du, das Zungenbein willentlich anzuheben, was wiederum einen bedeutsamen Effekt auf das Fasziensystem des gesamten Körpers hat. Du ziehst dabei deinen gesamten inneren Faszienschlauch nach oben und richtest dich von innen heraus auf.

2. Jalandhara-Bandha-Atmung: Einatmung

Du beginnst erneut in einer aufrechten Körperhaltung. Verschränke deine beiden Hände und lege die Fingeroberseiten von unten an den Kiefer. Dann atmest du tief durch die Nase tief ein, schiebst die Ellenbogen gegeneinander und hebst den Blick. Dabei erzeugst du mit dem Kinn einen bewussten Gegendruck gegen deine Hände.

Effekt: Das Heben des Kopfes unter Gegenspannung führt zu einer exzentrischen Kontraktion der an der Vorderseite der Halswirbelsäule befindlichen Muskulatur (prävertebrale Muskulatur). Mit anderen Worten: Diese Muskeln spannen an, während sie zugleich in die Länge gezogen werden. Dabei wächst mit der Zeit ihre Kraft, was sie in die Lage versetzt, die Vorderseite der Halswirbelsäule besser nach oben zu ziehen. Dadurch erfahren die empfindlichen Bandscheiben und Facettengelenke der Halswirbelsäule eine Druckentlastung.

3. Jalandhara-Bandha-Atmung: Ausatmung

Direkt im Anschluss an die in Übung 2 beschriebene Einatembewegung atmest du nun wieder kraftvoll aus. Dabei öffnest du deinen Mund so weit wie möglich, streckst die Zunge maximal weit heraus und öffnest weit deine Augen. Gleichzeitig senkst du dein Kinn gegen den Widerstand der Hände und hebst deine Ellenbogen so weit es geht. Wiederhole diese Ein- und Ausatmung (Übung 2 und 3) einige tiefe Atemzüge lang. Dabei wirst du die Aktivierung der für die gesunde Halswirbelsäule so essenziellen Muskulatur schnell beobachten können.

Effekt: Das kraftvolle Öffnen des Mundes gegen Widerstand geschieht durch das Zusammenspiel zweier Muskelgruppen: Dabei wird die den Unterkiefer mit dem Zungenbein verbindende Muskulatur (Suprahyale Muskulatur) und die das Zungenbein mit dem Kehlkopf und Brustbein verbindende Muskulatur (Infrahyale Muskulatur) aktiv und gekräftigt. Diese Muskeln gehören zum innersten Faszienschlauch. Sie verbinden an der Körpervorderseite das obere Diaphragma (Mundboden) mit dem mittleren Diaphragma (Zwerchfell). Dabei lenkt sich ihre Aktivität über den Mundboden auf die Wirbelsäule in einen Zug nach oben um und die gesamte Halswirbelsäule wächst von innen heraus nach oben.

4. Die Anwendung in der Yogapraxis: Kobra

Besonders deutlich kannst du den Effekt von Jalandhara Bandha in der Kobra erleben. Stütze in der Bauchlage deine Hände etwa unter den Schulterblättern auf. Halte die Ellenbogen dicht am Körper, während du die Hände gegen den Widerstand der Matte nach hinten ziehst. Dabei schiebt sich deine Brust nach vorne und du kannst den Oberkörper relativ mühelos anheben. Dein Blick wandert dabei etwa in die Horizontale. Aktiviere nun ganz bewusst Jalandhara Bandha. Lasse einatmend zunächst nur in der Vorstellung, den Hinterkopf nach oben wachsen. Ausatmend ziehst du das Zungenbein nach hinten oben. Du wirst die von innen heraus entstehende Länge in der Halswirbelsäule und den Effekt auf den restlichen Körper leicht beobachten können.

Effekt: Was in der Beschreibung sehr subtil klingt, hat doch einen deutlich spürbaren Effekt auf die Halswirbelsäule und von dort aus auf die gesamte Aufrichtung. Die mit der Atmung verbundene Vorstellung aktiviert die tiefe Halsmuskulatur, die du in den vorherigen Übungen bereits kennengelernt hast. Im Teamwork ziehen die Prävertebrale Muskulatur und die Infrahyale Muskulatur die Halswirbelsäule lang. So kann sie sich trotz der in dieser Haltung stattfindenden Rückbeuge kraftvoll und angenehm aufspannen, anstatt eng zu werden und eventuell abzuknicken.

Zum Vergleich: Das klassische Jalandhar Bandha

Solltest du noch nicht mit der klassischen Technik vertraut sein, dann kannst du diese mit einer einfachen Atemübung kennenlernen: Rechaka Kumbhaka.

Rechaka Kumbhaka

Nimm dafür eine bequeme, aufrechte Sitzhaltung ein und stimme dich eine Weile auf deine Atmung ein. Kultiviere allmählich eine gleich lange Ein- und Ausatmung. Nachdem du das passende Atemtempo gefunden hast, beginne damit, in der Atemleere nach der Ausatmung einen Moment lang inne zu halten. Wähle dafür eine angenehme Dauer, achte aber darauf, dass Ein- und Ausatmung weiterhin gleich lang bleiben. Die Atemleere kann unterschiedlich lang sein. Um dir das Anhalten des Atems zu erleichtern, setze nun zusätzlich Jalandhara Bandha. Dazu hebst du am Ende der Ausatmung das Brustbein kraftvoll an, schiebst dein Kinn etwas nach vorne und drückst es dann nach unten. Je nach Länge des Halses und Form des Brustkorbes senkt sich das Kinn dabei bis in die Kehlgrube hinein. Um wieder einzuatmen, löse Jalandhara Bandha und lasse die Luft wieder sanft und frei in dich hineinströmen.


Dr. Ronald Steiner…

ist Sportmediziner, Wissenschaftler und einer der bekanntesten Ashtanga-Yogis. Die von ihm begründete AYI-Methode steht für traditionelles Ashtanga-Yoga und innovative Yogatherapie. Sein Ziel: Körper und Geist zueinander in eine harmonische Balance führen. Mehr Infos unter AshtangaYoga.info

Fotos: Philipp Wulk

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