Love the Guru, kill the Guru

Durch den YogaKosmos spukt der „Guru“ als Idee, als Wunsch und manchmal auch als leibhaftige Person. Dabei ist nicht klar, ob das Guru-Konzept integraler und wichtiger Teil des Yoga ist oder ohne Verluste auch einfach abgelegt werden kann.

Spirituelles Oberhaupt vs. eigene Wahrheit
Jiddu Krishnamurti, von seinen Anhängern zum spirituellen Wunderkind hochstilisiert, löste 1929 die theosophische Bewegung, bzw. den Sternorden, deren wiedergeborenes Oberhaupt er war, einfach auf. Seine Begründung: Wer einem anderen in spirituellen Fragen folgt, ist nicht mehr auf dem Weg seiner eigenen Wahrheit. Auch der aktuelle Dalai Lama kündigte kürzlich an, dass er auf eine weitere Wiedergeburt vermutlich verzichten wird, wodurch die Institution der geistigen Führung der tibetischen Buddhisten durch einen Lama nach Jahrhunderten einfach aufhören würde.

Erkenntnisse ohne Anhaftung
Um die Tragweite dieser Ereignisse beurteilen zu können, muss man sie auf unseren Kulturkreis übertragen. Im ersten Fall würde das bedeuten, dass der Papst die katholische Kirche auflöst und die Gläubigen mit der Mahnung entlässt, in Zukunft ihre eigene spirituelle Wahrheit zu suchen. Im zweiten Fall würde der Papst das Amt des Papstes ersatzlos streichen. Selbst nichtgläubige Menschen werden das als radikal empfinden.

Begleiter auf dem Weg zur Erleuchtung
Dagegen steht die Idee, dass es so etwas wie ein geistiges Oberhaupt oder eine spirituelle Führung berechtigterweise gibt. Im Yoga gibt es sogar das Ideal eines Gurus, der vom Einzelnen gefunden werden kann und der seinem Gegenüber persönlich auf dem Weg zur Erleuchtung hilft. An dieser Stelle vermischen sich in der westlichen Perspektive zwei Begriffe, nämlich der des Lehrers und der des Gurus.

Den Lehrer achten und loslassen
T. Krishamacharya hat als junger Mann zehn Jahre lang bei seinem Lehrer gelebt und ist bedingungslos dessen Anweisungen gefolgt, bis hin zu der Aufforderung, den Lehrer zu verlassen, eine Familie zu gründen und Yoga zu unterrichten. Dennoch hat er von diesem Lehrer nie als seinem Guru gesprochen. T. K. V. Desikachar wiederum hat 30 Jahre lang mit seinem Vater Krishnamacharya Yoga und alte Schriften studiert und auch er hat ihn nicht als seinen oder überhaupt einen Guru bezeichnet. Dabei gehen diese Lehrer-Schüler-Beziehungen weit über das bei uns übliche Maß hinaus: Die räumliche Enge, die Intensität und das zeitliche Ausmaß, ganz zu schweigen von der Unterordnung und dem Gehorsam des Schülers – all das ist etwas vollkommen anderes. Trotzdem befindet sich der Schüler hier irgendwie noch auf derselben menschlichen Ebene wie der Lehrer.

Hingabe und echtes Berührt-werden
Ganz anders beim Guru. Hier ist aber unter Umständen ein erleuchtetes Wesen gemeint, das seinen „Schülern“ oder eben Anhängern schon ganz schön weit entrückt ist, wenn nicht gar grundsätzlich unerreichbar. Krishna Das schildert diese Art von Beziehung sehr überzeugend und berührend in dem Dokumentarfilm „One Track Heart“. Die Begegnung mit dem Guru wird hier als ein spontanes und bedingungsloses Sich-Verlieben erklärt. Das macht die Sache natürlich intellektuell schwer angreifbar. Es bleibt dann nur folgende Beobachtung: Wo der eine sich begeistert hingibt, fühlt der nächste sich noch nicht einmal angesprochen geschweige denn tiefer berührt. Doch das ändert nichts an der „Tatsache“ des Guru-Phänomens und des „Sich-Verliebens“ an sich.

Wie leuchtend sind Vorbilder?
Gurus gelten aber nicht nur als spirituelle Weltlehrer, sondern meist auch als ethisch/moralische Autoritäten, die Erlösungen verschiedenster Art versprechen. Im besten Fall ist der Guru also ein leuchtendes Vorbild an moralischer Integrität und mit besonderen Kräften ausgestattet. Ob überhaupt (und wenn ja wovon) man erlöst werden möchte, muss der einzelne entscheiden. Ob wir jemandem besondere Kräfte zuschreiben, ist ebenfalls Sache von persönlichen Überzeugungen. Gegen moralische Vorbilder gibt es jedoch einen gewichtigen philosophischen Einspruch: Immanuel Kant sagt, im Sittlichen könne Nachahmung überhaupt nicht stattfinden. Jeder muss sich also selbst prüfen und kann nicht schlicht einem fremden Vorbild folgen, soll sein Verhalten als sittlich reif gelten. Damit wären wir wieder bei Jiddu Krishnamurti, der sein eigenes Gurutum abgelehnt hat.

Kritische Inspiration statt Gefolgschaft
Allerdings geht es nicht unbedingt um blinde Gefolgschaft. Es gibt einen Mittelweg: Interessante und inspirierende Menschen, von denen wir lernen können, denen wir nicht alles glauben müssen, die uns aber durch ihr Leben oder Verhalten dazu anregen, darüber nachzudenken, welches Leben wir führen möchten. Diese Entscheidung kann uns in der Tat kein Guru abnehmen.


Foto: aus dem Film „Der atmende Gott“ ; Verleih: MFA+ Filmdistribution

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