Mentale Ausgeglichenheit, – der sogenannte klare Kopf. Wer ihn besitzt ist im Vorteil, erreicht unaufgeregt seine Ziele und meistert Herausforderungen effektiv und gelassen. Klingt verlockend und nach echter Lebensqualität. Wie also können wir diese Ausgeglichenheit erreichen? Eine Frage, die anscheinend schon etwas länger kursiert, denn sinnvolle Antworten dafür gibt es schon sehr, sehr lange.
Eine dieser Antworten heißt Yoga, andere werden als Vedische Astrologie, Āyurveda, Vedānta, Vedisches Handlesen oder Vāstu bezeichnet. Alle zusammen sind verschiedene Disziplinen aus dem reichen Fundus der alten indischen (vedischen) Weisheitstradition, jede einzelne dazu gedacht uns zu helfen sinnvoll und fokussiert zu leben. Die letztgenannte Disziplin, nämlich Vāstu, schauen wir uns jetzt genauer an.
Vāstu ist ein Sanskritbegriff, den wir als Lebensraum übersetzen können. Die Lehre, die dahintersteckt, widmet sich der Gestaltung von Lebensräumen. Ziel ist es dabei, dass die Räume, Formen und Farben, mit denen wir uns umgeben, unsere Lebensweise und -werte mitbestimmen. Vāstu baut dabei, wie alle vedischen Disziplinen, auf klar definierten Gesetzmäßigkeiten auf. Anders als in der modernen Architektur, geht es dabei nicht umTrends, Geschmack oder statische Raffinessen, sondern vielmehr um die subtilen Einflüsse, die unser Denken und Empfinden sinnvoll fördern oder auch boykottieren können. Mit anderen Worten: Gutes Vāstu unterstützt besagten klaren Kopf, die mentale Ausgeglichenheit.
Wie das Sonnenlicht uns beeinflusst
Vāstu handelt primär von Licht, und zwar dem Sonnenlicht. Nicht nur werden Räume, Formen und Farben erst durch Licht erkennbar, sondern sie verändern sich auch je nach Lichteinfall und Lichtstärke. Die tief stehende Sonne im Herbst und Frühling verdeutlicht uns das, wenn lange Schatten die Natur dominieren. Die tägliche Bahn der Sonne übers Firmament hilft einige grundlegende Vāstu Regeln zu verstehen. Die erste dieser Regeln lautet: Der Osten eines Lebensraumes sollte freien Blick gewähren und Leichtigkeit vermitteln. Dies trägt zu Lichtverhältnissen bei, die förderlich sind für einen klaren Verstand, Gesundheit und Erfolg.
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Wer jetzt, leicht verspannt, das eigene Wohnzimmer, Büro, Haus oder die Umgebung analysiert und dabei feststellt, dass der Blick nach Osten verbaut ist und belastet erscheint, kann sich wieder entspannen. Es gibt sehr viele Gesetzmäßigkeiten in Vāstu und wir schauen uns hier nur eine davon an, um ein paar grundsätzliche Dynamiken zu verstehen und unser Verständnis von Vāstu zu bereichern.
Inspiration am östlichen Horizont
Die Erde dreht sich nach Westen und daher scheint für uns jeder Himmelskörper am östlichen Horizont aufzugehen. Im übertragenen Sinne können wir im Osten all das erkennen, was auf uns zukommt. Sehr plastisch zeigt sich das, wenn die Sonne aufgeht. Zum Beginn jeden neuen Tages richtet sich die Natur an diesem Ereignis aus. Mit dem aufkommenden Licht beginnen die Vögel zu singen und mit den ersten östlichen Sonnenstrahlen öffnen sich Blüten und Wind kommt auf.
Die Astrologie nutzt den östlichen Horizont etwas subtiler als Aszendent (das, was aufsteigt) und deutet mit dessen Hilfe kommende Ereignisse. Da wir als Mensch Teil der Natur sind, auch wenn wir das manchmal vergessen, sind unsere Sinne unterbewusst nach Osten ausgerichtet. Ist der Osten frei einsehbar und nicht blockiert, dann sind wir sozusagen auf Sendung und auf der Höhe der Zeit. Als Effekt sind wir inspiriert und können effektiver und weitsichtiger planen. Die Mystik des Ostens als die Quelle der Inspiration findet sich nicht nur in der Metaphysik wieder. So liegt zum Beispiel Mekka im Osten und auch die Altäre von Kirchen und Tempeln sind nach Osten ausgerichtet.
Sicherheit und Rhythmus aus dem Osten
Wenn sich mit der Morgendämmerung die Dunkelheit verabschiedet und die ersten Lichtstrahlen uns die Chance geben die Kaffeemaschine zu finden, geht für tagaktive Wesen eine Phase des Rückzugs und der Regeneration zu Ende. Mit dem Sonnenlicht nimmt alles wieder Gestalt und Form an und das Tageswerk beginnt.
Auch wenn den meisten von uns die Gunst zuteil ist, die Dunkelheit der Nacht in der Sicherheit unserer vier Wände verbringen zu können, sind unsere Instinkte ohne Tageslicht in Habachtstellung. Wir erleben das sehr direkt, wenn wir zum Beispiel bei Nacht in einen Wald gehen. Für unsere auf Sicherheit getrimmte Wahrnehmung ist es daher essenziell, das morgendliche Licht so gut wie möglich registrieren zu können. Zum einen kann sich damit das vegetative Nervensystem zur passenden Zeit auf Aktivität umstellen (sozusagen von Flucht auf Angriff), zum anderen etabliert sich mit der natürlichen Dämmerung ein guter Rhythmus, der uns optimal durch den Tag führt.
Der blockierte Osten
Ist der Osten unserer Lebensräume frei einsehbar und unbelastet, dann ist unser Unterbewusstsein aus besagten Gründen entspannt, wir sind aufnahmefähig, inspiriert und belastbar. Stress hat weniger Chancen. Das ist anders, wenn der Osten unserer Lebensräume blockiert ist. In Vāstu betrachten wir diese Räume vielschichtig. Je nach Fragestellung und Betrachtungswinkel kann das eine ganze Region, die Nachbarschaft, oder auch die Wohnung, das Büro oder das Kinderzimmer sein. Die Blockierung könnte also dementsprechend ein Berg, ein Hochhaus in der Nachbarschaft, die Toilette am falschen Ort oder ein ungünstig stehender Akten- oder Kleiderschrank sein.
Aber nochmal zum Verständnis: Dieser Beitrag stellt nur ein Prinzip aus der reichhaltigen Toolbox von Vāstu vor und ersetzt kein Vāstu Seminar. Was du hier liest soll dein Interesse wecken, dich aber nicht motivieren Haus und Hof zu verkaufen.
Bernd Rößler widmet sich seit 2004 den vedischen Lehren, mit Schwerpunkt Astrologie (Jyotisha). Seit 2009 ist Bernd Rößler hauptberuflicher Astrologe. Neben seiner regen astrologischen Beratungspraxis für Menschen und Unternehmen quer durch die Gesellschaft, hält er Vorträge und gibt Workshops und Seminare in diversen Städten im In- und Ausland.
www.bernd-roessler.com
Titelbild: Darius Bashar via unsplash