Der weibliche Zyklus – ein Tanz der Göttinnen in uns

Der weibliche Zyklus ist wie eine innere Reise, die uns von einer Phase der Ruhe über kreative Aufbrüche bis hin zu kraftvoller Strahlkraft und wieder zurück zu einer Phase des Loslassens führt. Diese verschiedenen Stationen auf der Reise entsprechen den vier Jahreszeiten und werden jeweils von einer bestimmten Göttin begleitet. Die Schweizer Yogalehrerin Nora Kersten nimmt dich mit auf ihren ganz persönlichen Weg und teilt, was sich für sie verändert hat, seit sie begonnen hat, ihren Zyklus bewusst zu leben.

Text: Nora Kersten, Fotos: Radj Cesar

Ich habe lange Zeit meinen Zyklus nicht wirklich verstanden. Ich dachte, er bestehe einfach nur aus der Periode – die meist unangenehm war und irgendwie weg musste, damit ich “funktionieren” konnte. Schon ab meiner Pubertät habe ich über ein Jahrzehnt lang die Pille genommen. Damit musste ich nicht bluten – und dachte, das sei praktisch. Doch heute weiß ich: Eigentlich habe ich innerlich geblutet. Ich habe mich immer weiter von meinem natürlichen Rhythmus entfernt. Von meiner Weiblichkeit. Von mir selbst.

Niemand hatte mir beigebracht, dass mein Zyklus viel mehr ist als das. Dass er in vier kraftvolle Phasen eingeteilt ist, die jede eine ganz eigene Energie, ein eigenes Geschenk mit sich bringt. Erst als ich Mama wurde, begann ich, mich mehr mit meinem Körper auseinanderzusetzen. Und irgendwann kam der Moment, in dem ich mich fragte: Wie wäre es, wenn ich nicht mehr gegen mich arbeite, sondern mit mir?

So begann meine Reise. Ich fing an, meine Energieverläufe zu beobachten. Und plötzlich ergab alles Sinn. Ich erkannte: Mein Zyklus ist nicht nur mein monatlicher Begleiter – er ist mein innerer Kompass. Er zeigt mir, wann ich loslassen darf, wann ich aufblühe, wann ich strahle und wann ich mich zurückziehen kann. Und vor allem: dass all das dazugehört.

Video: Raja Sababady

Die vier Göttinnen Kali, Sarasvati, Lakshmi und Durga begleiten mich heute durch diese innere Reise. Sie stehen für die vier zyklischen Phasen – für das, was wir oft unbewusst spüren, aber nicht benennen konnten. Durch die Arbeit mit diesen Archetypen und durch die Verbindung zu meiner Gebärmutter (meine Kinder nennen sie liebevoll die Zauberhöhle) habe ich eine tiefe Verbindung zu meinem Frausein gefunden.

Heute möchte ich diese Erfahrungen teilen – in der Hoffnung, dass du dich darin wiedererkennst. Dass du dich gesehen und gehalten fühlst. Denn jede von uns trägt diese vier Göttinnen bereits in sich. Wir müssen sie nicht “werden” – wir dürfen sie erinnern.


KALI – Der Winter in uns (Periode/Menstruation)

Kali steht für das Ende und den Neubeginn. In dieser Phase – wenn wir bluten – lässt unser Körper los. Es ist ein innerlicher Rückzug, wie der Winter. Wir dürfen zur Ruhe kommen, langsamer werden.

Ich sage meinen Kindern in dieser Zeit: “Mamas Zauberhöhle macht sich gerade wieder schön.” Wenn ich blute, reinigt sich mein Körper. Und das kann ganz schön müde machen – da will ich viel schlafen und kuscheln. Wie eine Bärenmama in ihrer Höhle.

Yogapraxis:

Jetzt tut sanftes, erdendes Yoga gut. Kein Power Yoga – stattdessen Restoratives Yoga. Zum Beispiel Supta Baddha Konasana, mit einer Wärmflasche auf dem Bauch, ein Kissen unter dem Rücken, zwei eingerollte Decken unter den Knien, Augenmaske, Kerzenlicht, sanfte Musik. Atmen. Spüren. Mantra singen hilft mir beim Loslassen, oft weine ich dabei und erlaube mir diese innere Reinigung und Klärung.

Hormonwissen:

Progesteron und Östrogen sind niedrig – unser Energielevel ist am tiefsten. Es ist völlig okay, wenn du dich nicht produktiv fühlst. Du bist trotzdem richtig.

Alltagstipp:

Plane in dieser Zeit keine wichtigen Meetings, große Entscheidungen bei der Arbeit, Fotoshootings, große Events oder andere soziale Verpflichtungen. Sag deinem Partner oder deiner Partnerin, wie es dir geht und was du brauchst. Lass dir eine Fußmassage schenken – Füße, Beckenboden und Kiefer sind verbunden und helfen beim Loslassen.


SARASVATI – Der Frühling in uns (Follikelphase)

Nach der Blutung beginnt der innere Frühling. Sarasvati steht für Klarheit, Kreativität, Neubeginn. Die Energie kehrt langsam zurück – Ideen sprießen, wir kommen ins Tun.

Ich liebe diese Phase! Plötzlich habe ich wieder Lust, neue Dinge anzugehen, To-Do-Listen abzuhaken, meine Wohnung umzustellen oder mich in kreative Projekte zu stürzen. Aber Achtung – Brahmacharya, sei liebevoll mit deiner neuen Energie, denn der Zyklus ist lang und du willst nicht alle deine Energie hier zurücklassen, sondern gut haushalten.

Yogapraxis:

Der Körper wird wieder aktiver. Fließende, kreative Sequenzen, Hüftöffner, sanfte Twists, Core-Aktivierung. Auch Pranayama, Journaling und Visualisierungen wirken jetzt besonders kraftvoll.

Hormonwissen:

Östrogen steigt – das macht uns mental klar, emotional stabil und offen. Aber Achtung: nicht gleich alles überladen. Energie ist da, aber sie wächst erst.

Alltagstipp:

Jetzt ist eine tolle Zeit, um neue Gewohnheiten zu etablieren oder ein Coaching zu beginnen. Vielleicht spürst du Lust auf Austausch – teile deine Pläne mit anderen. Und gleichzeitig: Sei gnädig, wenn noch nicht alles sofort klappt.


LAKSHMI – Der Sommer in uns (Eisprungphase)

Lakshmi – Göttin der Fülle, Liebe und Strahlkraft. In dieser Phase stehen uns alle Türen offen. Wir fühlen uns verbunden, attraktiv, kommunikativ. Ein innerer Hochsommer.

Aber: Nicht jede Frau spürt in dieser Phase Euphorie. Und das ist genauso okay. Auch ich kenne Zyklen, in denen ich trotz Eisprung keine Energie hatte. Statt mich falsch zu fühlen, frage ich heute: Was will mein Körper mir sagen? Wenn ich dauerhaft in dieser Phase ausgelaugt bin, ist das ein Hinweis, liebevoll hinzuschauen.

Yogapraxis:

Hier ist Power erlaubt! Dynamische Yoga Flows, herzöffnende Rückbeugen, stehende Haltungen. Alles, was dich strahlen lässt. Und: gemeinsam praktizieren – Sisterhood tut jetzt besonders gut.

Hormonwissen:

Östrogen ist am höchsten – das macht uns stark, klar, verbunden mit anderen. Wir sind belastbar und selbstbewusst. Der Körper sendet “Ich bin bereit”-Signale.

Alltagstipp:

Nutze diese Phase für schwierige Gespräche, Vorstellungsgespräche oder Paarzeit. Auch Intimität fällt jetzt leichter – wenn du dich danach fühlst. Und: Bleib in Verbindung mit dir selbst. Es ist kein “Müssen” – sondern ein “Können”.


DURGA – Der Herbst in uns (Lutealphase)

Durga ist wild, weise und kraftvoll. Aber auch durchdringend ehrlich. In dieser Phase kommt alles ans Licht, was nicht stimmig ist. Die Energie zieht sich langsam zurück – es wird innerlich herbstlich.

Ich kenne diese Tage, an denen ich plötzlich spüre: Alles nervt mich. Ich kann nicht mehr. Früher dachte ich, mit mir stimmt etwas nicht. Heute weiß ich: Durga zeigt mir, wo ich meine Grenzen übergangen habe. Manchmal hilft es, meine Wut auf gesunde Weise zu befreien – durch Bewegung, gezielte Atemübungen oder einfach mal laut zu singen.

Yogapraxis:

Etwas ruhiger, erdend, mit Fokus auf Beckenboden und Nervensystem. Yin-Elemente, sanfte Flows, vielleicht auch mal Wut-Release durch singen, schreien, schreiben oder tanzen. 

Hormonwissen:

Progesteron dominiert – das macht uns empfindsamer, introvertierter, aber auch weise. Der Körper bereitet sich aufs Loslassen vor.

Alltagstipp:

Plane Zeit für dich ein. Sag öfter Nein. Räume auf – innerlich und äußerlich. Vielleicht kommt ein Thema in deiner Beziehung hoch. Sprich es an, aber liebevoll. Und sei sanft mit dir. Es darf auch mal alles zu viel sein.


Erkenne die Göttin in dir

Ich habe gelernt, mit mir selbst in Beziehung zu treten – durch den Zyklus. Und wenn ich das kann, kannst du das auch. Erkenne die Göttin in dir – in deinen vier Jahreszeiten, in deiner Zauberhöhle, in deinen Emotionen, deinem Körper, deiner Kraft.

Und wenn du Mama bist oder in einer Beziehung lebst – sprich darüber. Meine Kinder wissen heute, was in meinem Körper passiert. Das hat so viel Verbindung geschaffen.

Diese innere Reise verändert alles – nicht von heute auf morgen, aber Stück für Stück. Ich bin dankbar, dass ich diesen Weg gehen darf – und dass ich ihn mit dir teilen kann.

Mit Liebe,
Nora


Über Nora Kersten

Nora Kersten, auch als “Yoga Nora” bekannt, lebt und atmet Yoga mit jeder Faser ihres Wesens. Die gebürtige Albanerin ist zweifache Mama und lebt mit ihrer Familie in der Schweiz, wo sie aufgewachsen ist. Sie arbeitet als Yogalehrerin, gibt regelmäßig Retreats und Workshops und bildet seit 2018 auch selbst Yogalehrende aus.

Erfahre mehr über Nora auf ihrer Webseite www.yoganora.ch und auf Insta @yoga_nora

Wir arbeiten immer wieder gerne mit Nora zusammen. Lies zum Beispiel auch dieses Interview, in dem wir mit ihr über ihre transformierende Erfahrung mit Ayahuasca gesprochen haben:

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