6 Lehren aus der Yogapraxis
Yoga basiert immer auf der konkreten Erfahrung: Nicht das, was wir lesen oder lernen, sondern das, was wir auf der Matte und dem Meditationskissen „er-leben“, wird unser Leben und Denken nachhaltig prägen. Und manches davon kann uns vielleicht auch dabei helfen, besser mit den Herausforderungen unserer Zeit umzugehen.
1. Veränderung ist möglich
Dass sich Dinge zum Guten wandeln können, ist die Grundannahme im Yoga. Ohne sie würden wir wohl nicht auf die Matte gehen. Und es stimmt: Auch in Körperregionen, wo ich lange unbeweglich war, kann Mobilität entstehen. Selbst wenn ich in einer Stunde ungeduldig oder im Widerstand bin, kann Hingabe und Freude wachsen. Diese Erfahrung hilft, durch Höhen und Tiefen hindurch Zuversicht zu entwickeln und am Ball zu bleiben.
» Warum also sollten wir uns angesichts der Klimakrise dem Wahn hingeben, das System sei unveränderlich, der Mensch nun mal gierig und egoistisch und die Katastrophe unausweichlich? Auch wenn die globalen Probleme unfassbar viel größer sind als unsere “kleine” Praxis, wir dürfen uns daran erinnern, dass Veränderung das Wesen alles Lebendigen ist und dass der Kern des Guten immer da ist.
2. Wir brauchen fast nichts – aber wir müssen etwas tun.
Einer der großen Vorzüge von Yoga ist, dass es mit so wenig auskommt. Niemand würde ernsthaft annehmen, man bräuchte besondere Klamotten, weite Reisen oder ein extraschickes Studio, um den sprichwörtlichen “Yoga-Bliss” zu erleben. Im Gegenteil: Je weniger uns im Außen bindet, umso besser gelingt Verbindung und wir erleben dankbar: Alles, was ich wirklich brauche, ist da! Was dagegen sehr wohl nötig ist, ist das Tun: Nur wenn wir auf die Matte gehen und uns auf die Praxis einlassen, kann etwas mit uns geschehen.
» Genauso können wir uns auch jenseits der Matte kritisch fragen: Was brauche ich wirklich zu einem guten Leben? Was ist überflüssig und vielleicht sogar schädlich? Wo treibt mich Gier? Und was kann ich konkret tun (bzw. lassen), damit ich selbst und alle anderen Wesen auch in Zukunft gut leben?
3. In Gemeinschaft geht es besser.
Alleine zu üben oder zu meditieren, ist wunderbar, doch gerade in der Gemeinschaft geschehen oftmals kleine Wunder: Wenn wir müde und lustlos sind, kann uns die Energie der Gruppe durch die Stunde tragen. In Beziehung und Resonanz zu anderen Yogi*nis lernen wir Dinge, auf die wir sonst nicht so leicht gestoßen wären. Und wenn sich die Konzentration von vielen Meditierenden im Raum potenziert, dann stoßen wir ganz mühelos in ungeahnte Tiefen vor.
» Gerade wenn du mal wieder zermahlen wirst zwischen dem Gefühl von Hilflosigkeit und dem Versuch, alles jeden Tag ein bisschen umweltfreundlicher und nachhaltiger zu machen: Mache dir bewusst: Niemand muss die Welt im Alleingang retten. Gemeinsam mit Gleichgesinnten fällt es viel leichter, Halt und Orientierung zu finden und sinnvoll zu handeln.
4. Lösung geschieht immer in Hinwendung.
Natürlich kann man ungeliebte Übungen einfach ausklammern, Schmerzen ignorieren, sich durch eine schwierige Sequenz hindurchmogeln oder seinen Körper verfluchen, weil er bestimmte Asanas nicht so hinbekommt, wie man es gerne hätte. In der Yogapraxis lernen wir aber auch immer wieder, was alles möglich ist, wenn wir uns dem, was sich da zeigt, aufmerksam und liebevoll zuwenden: Es verändert sich, wird klarer und irgendwann auch leichter.
» Auch mit Blick auf die Umweltkrise gilt: Sie geht nicht davon weg, dass wir sie verdrängen. Sie wird auch nicht besser, wenn wir ängstlich irgendwie weiterwursteln oder empört mit dem Finger auf andere zeigen. Indem wir aber nicht ausweichen, uns hinwenden und versuchen, die Lage und unser eigenes Verhalten ehrlich zu betrachten, entsteht Raum sich auszurichten und zu handeln.
5. Wir brauchen Stabilität und Offenheit.
Aus der Asana-Praxis kennen wir Patanjalis Prinzip sthira sukham asanam: Die Haltung soll stabil und leicht zugleich sein. Erst in dieser Ausgewogenheit aus Kraft und Öffnung, Tun und Hingabe kommen die Energien in Fluss und wir finden eine Tiefe, die uns trägt und befriedigt.
» Gerade wenn wir großen Herausforderungen gegenüberstehen, hilft uns diese Balance: Wir brauchen Stabilität, um die Situation erst einmal auszuhalten und nicht in Angst, Panik und Lähmung zu verfallen. Und wir brauchen Offenheit, Mitgefühl und eine Verbindung zum Herzen, damit wir die drängenden Probleme nicht von uns abspalten und verdrängen, sondern Klarheit und eine stimmige Haltung zu ihnen entwickeln.
6. Es geht um Verbundenheit.
Der Begriff Yoga kommt aus derselben wortgeschichtlichen Wurzel wie das englische Verb to join und das französische joindre: Es bedeutet verbinden. Und wenn man genauer hinspürt, dann weiß man auch: Das ist es, was wir in der Praxis eigentlich suchen und was uns an ihr so beglückt – das Gefühl, mit unserem Inneren und der Welt um uns herum verbunden und im Reinen zu sein. Alles andere, die Übungen, die Achtsamkeitspraxis, die kleinen und großen Fortschritte, die Auseinandersetzung mit der Lehre, sind nur Hilfsmittel auf dem Weg dorthin.
» Aus diesem Blickwinkel betrachtet wird klar: Auf einer tieferen Ebene ist die Krise unserer Zeit auch eine spirituelle Aufgabe. Könnten wir als Menschheit die Illusion des Getrenntseins überwinden und unsere universelle Verbundenheit deutlicher wahrnehmen, dann würden die Probleme, denen wir gegenüberstehen, an ihre Wurzel zurückgeführt. Tat Twam Asi (das bist du) träte an die Stelle von Raubbau, Zerstörung und Ausbeutung. Eine Utopie? Vielleicht. Aber immerhin eine Richtung, in die wir uns bewegen und zu der wir uns entwickeln können.
Text: Stephanie Schauenburg / Fotos: Susanne Schramke
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