Was kann Yoga wirklich?

The Science Of Yoga

Dieser Frage geht der Journalist William J. Broad in seinem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch „The Science of Yoga“ nach, das in den USA 2012 eine heftige Kontroverse ausgelöst hat, weil es unter anderem auf die Gefahren des Yoga hinweist. Dieses Werk bringt aber vor allem auf unterhaltsame und lehrreiche Weise Ordnung in die beinah unüberschaubare Anzahl von Theorien über Yoga und seine Wirkungen. Anhand kleiner Anekdoten wird die teils graue Theorie zum leichten und lebendigen Lesevergnügen. Dabei verliert der Autor, der selbst seit Über 40 Jahren regelmäßig Yoga übt, aber nie die Forschung und deren Erkenntnisstand aus dem Blick. Er klärt fundiert über die Vor- und Nachteile auf, wobei die positiven Effekte definitiv Überwiegen. Aber ja, Yoga birgt auch Risiken in sich, die Broad neutral unter die Lupe nimmt. Warum er sich diese Arbeit gemacht hat, für die er so stark kritisiert wird? Weil Yoga „eine zu große Unternehmung ist, um Unachtsamkeit und versehentliche Fehler hinzunehmen.“

Fazit : Ein wichtiges Buch, das viel erklärt und die Augen öffnet – ein Muss für alle wissbegierigen Yogis.

„The Science of Yoga. Was es verspricht – und was es kann“ von William J. Broad (Herder, ca. 22 Euro)

Gute Beziehungen

Für gesunde Beziehungen ist ein direktes Feedback durch das Gegenüber entscheidend,
da man sich selbst meist nicht unvoreingenommen genug sieht.

Der andere muss dabei nicht unbedingt ein Mensch sein – die Götter helfen allerdings nur bedingt weiter, denn die sind entweder ohnehin perfekt und fehlerfrei oder sie antworten nicht. Außerdem taugen sie nicht als Beziehungsvorbild, weil sie unsterblich sind und daher viel zu viel Zeit haben, ihre Angelegenheiten zu klären oder sich ewig zu streiten (wie man von den griechischen und indischen Göttern weiß). Wir Menschen müssen dagagen in relativ kurzer Zeit zu einem guten Ende kommen. Auch unsere beschränkten Kräfte zwingen uns dazu, unsere Beziehungen zur Mitwelt halbwegs in Ordnung zu halten. Aus yogischer Sicht leben wir nicht nur zu unseren Mitmenschen in Beziehung, sondern zur gesamten belebten und unbelebten Natur. Deswegen muss man nicht gleich pauschal behaupten, alles hinge mit allem zusammen, aber wir können beim genauen Hinsehen die Folgen unserer Handlungen (und Unterlassungen) sowie bestimmte Wechselwirkungen beobachten. Unsere Wahrnehmung für die gesamte Mitwelt zu verfeinern, sich zu sensibilisieren und aufnahmefähig für (neue) Erkenntnisse zu werden, ist im Yoga Programm. Aus dem Mehr-Sehen und dem Sich-in-Bezug- Setzen entsteht fast zwangsläufig der Wunsch, etwas leiser aufzutreten, einfacher und behutsamer zu leben. Das Begreifen der Zerstörung unserer natürlichen Umwelt durch die menschliche Zivilisation lehrt Demut. Wer nicht altmodisch von „Demut“ oder „Behutsamkeit“ sprechen möchte, kann diese Idee auch modern „Postwachstumsökonomie“ oder „Sharing Economy“ nennen. Oder man betreibt gleich „Transformationsdesign“ statt die Dinge einfach zu ändern … In jedem Fall ist klar, dass der Mensch in ständiger und enger Beziehung zur Erde steht, egal, ob er das will und weiß.

Mitgefühl und Verantwortung
Was viele von uns offenbar vergessen haben, ist zum Beispiel die schlichte Tatsache, dass menschliches Leben zu hundert Prozent von Pflanzen abhängt. Eine Ecke weiter sieht es nicht besser aus: Unsere Beziehungen zu Tieren sind kaputt. Wir finden nach wie vor bestimmte Tiere süß und haustiertauglich, während andere Tiere mit großer Selbstverständlichkeit gegessen, gejagt oder gequält werden. Die Massentierhaltung ist sicherlich eines der größten Verbrechen, das wir Menschen täglich begehen – von einer guten Beziehung mit Tieren kann jedenfalls nicht die Rede sein. Aus Sicht des Yoga ist eine vegane Lebensweise hier der einfachste und schnellste Ausweg. Dem hilfesuchenden Einspruch, dass das doch nirgends wörtlich in den gängigen Yogaschriften steht – als ob es nur dadurch ein gutes Argument wäre – möchte ich mit der Anregung begegnen, über solch zentrale Yogabegriffe wie Ahimsa (Nichtverletzen), Maitri (Freundlichkeit) und Karuna (Mitgefühl) nachzudenken. Mitgefühl bedeutet nicht, nur manchmal etwas zu fühlen, sondern ist ein Gefühl stetiger Verbundenheit. Das verlangt Verantwortung und die Sensibilität, sich in andere Wesen hineinversetzen zu können. Wer Yoga ernst nimmt, kommt daran nicht vorbei.

Die Pointe der Beziehungsidee im Yoga ist ja gerade, gesunde Beziehungen nicht nur auf Menschen und den engsten Umkreis von Freunden und Familie zu beschränken, sondern umfassend zu verstehen. Aber wie können gesunde Beziehungen zwischen Menschen funktionieren? Wie gesagt, die Kompetenz der Götter ist in dieser Frage begrenzt. Die yogische Tradition kennt dagegen gleich zwei gegensätzliche Wege, sich in Beziehung zu setzen: den Weg des Asketen, des Einsiedlers, auf der einen und den des Haushälters und Familienvaters auf der anderen Seite.

Mitten im Leben
Traditionell wird Yoga eher mit dem keuschen Asketen in Verbindung gebracht. Interessant ist aber, dass praktisch alle wichtigen Lehrer des neuzeitlichen Yoga Familienväter waren oder sind – Rama Mohan Brahmacharya, T. Krishnamacharya, B. K. S. Iyengar, Sri Pattabhi Jois, T. K. V. Desikachar. Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass das Leben und die Beziehungen in der Familie und unter Freunden den Yogi auf seinem Weg nicht behindern. R. Sriram lehrt zum Beispiel, dass die Qualität unserer Beziehungen immer auch die Fortschritte auf dem Yogaweg zeigt. Oder umgekehrt gesagt: Unsere Beziehungen sind Prüfsteine für die Qualität der Yogapraxis. Körper- und Atemübungen sind eben nicht alles im Yoga. Dagegen müssen sich hier die oft zitierten Yamas aus den Yoga-Sutren wirklich bewähren: rücksichtsvoller Umgang mit allen Geschöpfen (Ahimsa), Freisein von Habgier (Asteya), richtige Kommunikation und Aufrichtigkeit (Satya), Mäßigung in all unseren Handlungen (Brahmacharya) sowie Genügsamkeit (Aparigraha). Diese Prinzipien meinen nicht nur das Zwischenmenschliche im kleinen Umfeld; sie haben auch eine gesellschaftliche Dimension.

Die passende Übersetzung auf diese Stufe lautet dann zum Beispiel Toleranz, Kooperation und Solidarität. Besonders beeindruckend lehrte dies der schweigende Eremit Swami Nirmalananda (1925-1997). Obwohl er abgeschieden von der Welt an der südlichen Spitze Indiens in den Bergen unter einem Schweigegelübde lebte, stand er in regem Kontakt zur Außenwelt und schrieb täglich mehrere Stunden Aufrufe zur Gewaltlosigkeit an Politiker aller möglichen Länder oder diskutierte schriftlich mit seinen Schülern. Mit den Tieren und Pflanzen um seinen Ashram herum lebte er sowieso in Frieden, wie David Life in dem Buch „Yoga der Befreiung“ beschreibt: „Swamiji hatte Ahimsa in einem solchen Ausmaß verinnerlicht, dass alle Wesen in seiner Gegenwart sanft und freundlich waren. Die Tiere des Waldes waren seine hingebungsvollen Gefährten. Jeden Tag seines Lebens bezog er reine Freude daraus, die vielen Wildvögel zu füttern, die regelmäßig seinen Ashram besuchten.“

 

 

 

Love-Special: Interview // Veit Lindau

Liebe deinen Nächsten – und dich selbst

Keine Wohlfühlmaßnahme, sondern radikale Lebenskunst: In seinem Buch „Heirate dich selbst“ beschreibt der Autor und Coach Veit Lindau die Selbstliebe als „aktiven Umweltschutz“ und Weg zu wahrer Größe. Denn wie können wir vom Partner etwas erwarten, das wir uns eventuell selbst nicht zugestehen?

Anderen Menschen zu dienen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Um dies erfolgreich tun zu können, muss man allerdings zuerst sich selbst Liebe, Zeit, Aufmerksamkeit und Mitgefühl schenken. Denn ist der eigene Akku leer, ist es kein Egoismus, sondern eine Handlung der Selbstliebe, erst einmal für sich selbst zu sorgen. Ein integraler Ansatz von Selbstliebe, wie ihn Veit Lindau in seinem Buch „Heirate dich selbst“ vertritt, schließt die Integration unserer Schattenseiten mit ein. Dazu gehört, Frieden mit den eigenen Schwächen zu schließen und mit dem Üben von Liebe und Mitgefühl zunächst bei uns selbst zu beginnen. Ansonsten wechseln wir lediglich das Schlachtfeld: An die Stelle des Kampfes um materielle Güter und den beruflichen Aufstieg in der Leistungsgesellschaft tritt ein spirituelles Ideal. Durch Yoga wollen wir immer liebevoller, freier und besser gelaunt werden. In solch einer Welt der Wohlfühl-Spiritualität haben negative Gefühle keinen Platz. Angst, Trauer, Ohnmacht und Schmerz, die uns mehr über uns selbst lehren können als manche angesagte Yogastunde, werden einfach verdrängt. Das kann auf Dauer nicht gutgehen. Die Unfähigkeit, einen authentischen Kontakt zu den eigenen Emotionen herzustellen, bringt uns dazu, unsere eigenen Schattenseiten auf andere zu projizieren. Und wir wundern uns darüber, warum es unserem Beziehungspartner, dem Arbeitskollegen oder Schüler immer wieder so gut gelingt, den Finger in unsere Wunden zu legen. Im Yoga heißt die Fähigkeit der Innenschau „Swadhyaya“. Sie ist die Voraussetzung für echte Selbstliebe. Sie bezeichnet die Fähigkeit, einen aufrichtigen Kontakt zu sich selbst herzustellen, in sich hineinzuspüren und sich zu fragen: Was will ich wirklich? Indem wir Dinge nicht automatisch tun, weil wir es so gewohnt sind, sondern uns bewusst für oder gegen etwas entscheiden, üben wir Selbstliebe. Durch die vielen kleinen Handlungen des Alltags erschaffen wir unser eigenes Leben. Je präsenter wir dabei sind, desto mehr wird dies unseren eigenen Werten und Vorstellungen entsprechen.

YOGA JOURNAL: Was hat dich inspiriert, das Buch „Heirate dich selbst“ zu schreiben?
VEIT LINDAU: Primär meine eigene Erfahrung. Ich habe irgendwann festgestellt, dass zu meinem Glück nichts fehlte. Alles war und ist da. Doch vor dieser Erkenntnis stand mir immer etwas im Weg: ein tiefer, raffiniert verborgener Selbsthass. Der hatte all die schönen Momente, Wege, Methoden vergiftet, die ich bis dahin erlebt habe – Sex, Meditation oder auch Yoga. Ich erfuhr einfach alles, was ich tat, mit einer unglaublichen Härte. Selbst das Backen eines Kuchens wurde zur Bewährungsprobe. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen – das habe ich nie infrage gestellt. Erst das Leid, dann die Erlösung … Bis ich irgendwann feststellte, dass diese Härte im Grunde genommen nichts weiter war als die Abwesenheit von Liebe. Dadurch habe ich es auch meinen Mitmenschen sehr schwer mit mir gemacht, insbesondere denen, mit denen ich nah zusammen war.

Was genau verbirgt sich hinter dem Titel?
Dazu muss ich sagen, dass ich mit Heirat etwas stark Positives assoziiere, weil ich durch die Ehe mit meiner Frau sehr viel Heilung und paradoxerweise auch Freiheit gefunden habe. Heiraten ist für mich nicht an den staatlichen Akt gebunden. Es ist eine Form von heiligem Commitment. Ich finde es unfair, wenn wir mit der Erwartung in eine Beziehung gehen, vom Partner etwas zu bekommen, was wir uns selbst oft nicht geben. Wir lehnen beispielsweise bestimmte Aspekte an uns ab, erwarten aber, dass der andere sie annimmt. Wir verraten uns selbst, lassen uns im Stich und fordern vom anderen ewige Treue. Das ist absurd. Fairer ist es, sich selbst zuerst aufrichtig und bedingungslos zu heiraten – zuerst diese tiefe Verbindung mit sich selbst einzugehen, bevor man sich jemand anderem zumutet.

Welche Missverständnisse treten beim Thema Selbstliebe häufig auf?
Eines der häufigsten Missverständnisse ist, dass Selbstliebe mit Sich-gut-Fühlen gleichgesetzt wird. Dafür werden auch viele spirituelle Konzepte missbraucht. Selbstliebe geht über Wohlfühlambitionen hinaus. Es ist eine radikale Lebenskunst, sich wirklich zu verstehen, sich optimal zu entfalten und der Welt konkret zu schenken. Manche Menschen in der spirituellen Szene werfen gerne mit Plattitüden um sich wie „Alles ist Liebe“, „Alles ist im Fluss“ oder „Alles ist eine Illusion“. Oft haben sie sich jedoch nicht die Zeit genommen, sich intensiv und genau mit bestimmten Kernfragen auseinanderzusetzen: Was ist denn dieses Ego wirklich, auf dem alle so gerne herumhauen und versuchen, es loszuwerden? Oder was sind denn meine genauen Werte – was verstehe ich unter Freiheit, was verstehe ich unter Erleuchtung und praktiziere ich das tatsächlich?

Nehmen wir mal das Ego: Was unterscheidet Egoismus von Selbstliebe?
Ich würde sagen, es ist der Grad der Bewusstheit. Ich halte Egoismus für eine völlig gesunde Phase in unserer Entwicklung. Ich bin überzeugt davon, dass ein Kind, das ungestört die Phase des Egoismus durchleben kann, irgendwann die Phasen der Ethnozentrik, der Weltzentrik und sogar der Transzendenz entwickelt. Gibt es hier Störungen, kann jedoch das passieren, was Ken Wilber als die Prä-/Trans-Verwechslung beschreibt: Wir versuchen etwas zu transzendieren, was wir noch nie hatten. Wenn ich beispielsweise in den frühen Phasen meines Lebens den Wert von Regeln nicht erkannt habe, weil ich nicht natürlich und angemessen an sie herangeführt wurde, kann es sein, dass ich später spirituelle Konzepte benutze, um zu begründen, dass Regeln nichts wert sind. Doch letzten Endes bin ich nichts anderes als ein unreifes Kind in einem erwachsenen Körper, das schlaue Floskeln benutzt, um zu tun, was es will. In dem ich mir vormache, reifer zu sein, als ich bin, blockiere ich meine Entwicklung. Bildhaft gesprochen: Der Erstklässler, der der Meinung ist, er gehöre in die Abiturklasse, schafft jede Menge Konfusion für sich und sein Umfeld. Integrität des Bewusstseins bedeutet für mich, die Schulklasse der Evolution, in die ich wirklich gehöre, in Frieden annehmen zu können. So bedeutet radikale Selbstliebe eben nicht, immer das zu tun, was ich tun will oder was sich gut anfühlt, sondern das Angemessenste.

Wie kann ich Klarheit erlangen, um nicht in diese Falle zu tappen?
Ich glaube, dass jeder seinen eigenen Weg finden muss. Auch ich habe Phasen erlebt, in denen ich mich für erleuchtet gehalten habe, nur weil ich einige gnadenvolle Einblicke in die Vollkommenheit des Lebens geschenkt bekam. Irgendwann musste ich – widerwillig und peinlich berührt – realisieren, dass ich meine irdischen Hausaufgaben noch nicht erledigt hatte. Dieses Erwachen hat wehgetan, aber es hat mir auch Boden unter den geistigen Füßen gegeben. Es waren meine weltlichen Probleme, die mich gnadenlos darauf hinwiesen, dass etwas nicht stimmte: Beziehungsprobleme, finanzielle Schwierigkeiten – die üblichen Zen-Meister! Lange Zeit dachte ich, dass ich all diese Probleme habe, weil die Welt noch nicht so weit ist, wie ich mit meinen Idealen. Das war ein guter Witz. Irgendwann holt dich dein Schatten ein und dir dämmert: All diese nervenden Hindernisse wollen dir nichts Schlechtes. Sie weisen dich auf etwas hin.

Welche Rolle spielten dabei deine Beziehungen?
Eine sehr wichtige. Ich kann nur jedem Menschen empfehlen: Wenn du es ernst meinst mit spiritueller Transformation, mache deine engsten Beziehungen zu Prüfsteinen für deine wahre Reife. In alten Traditionen lief das deshalb so: Wenn du als 25-jähriger Mann zu einem spirituellen Meister kamst, hat er dich nicht unterrichtet, sondern abgewiesen – mit dem freundlichen Ratschlag, erst einen Job zu finden, eine Frau zu heiraten und Kinder großzuziehen. Das ist die Phase, in der wir das Ego klären, festigen, reinigen. Es ist die Phase der Verantwortung. Wenn wir versuchen, das zu überspringen, erinnert uns die Welt bis zu unserem Lebensende schmerzhaft daran, dass etwas nicht stimmt. Ich kenne 60-jährige Männer, die sich immer noch weigern, erwachsen zu werden. Das ist manchmal komisch, aber oft traurig anzusehen.

Was ist unter den praktischen Übungen, die du deinen Lesern in „Heirate dich selbst“ empfiehlst, deine Lieblingsübung zum Thema Selbstliebe?
Bei vielen Indianerstämmen in Nordamerika gab es die Tradition, sich vorzustellen, der Tod säße einem permanent auf der linken Schulter. In jedem Augenblick des Lebens kann man seinen Tod fragen: „Was ist jetzt die beste, kraftvollste Art, diesen Moment zu verbringen?“ Seit ich zwölf war, ist der Tod zu einem kostbaren und vitalen Lebensberater für mich geworden. Wenn ich mich dabei ertappe, dass ich verkrampfe – zum Beispiel, weil ich einen Fehler gemacht habe – dann erinnere ich mich an diese Übung. Ich frage meinen Tod: „Was ist die beste Art, damit umzugehen?“ Und sogleich sehe ich die Dinge aus einer nüchternen und übergeordneten Perspektive. Es wird sofort klar, wie absurd es ist, sich angesichts seines Todes damit zu stressen, nicht vollkommen zu sein, ein paar Pfund zu viel auf den Hüften zu haben oder gerade eine Niederlage eingefahren zu haben. Diese Perspektive führt mich automatisch in einen Zustand von Entspannung und Selbstfreundlichkeit. Das bedeutet nicht, dass angesichts des Todes alles egal wird. Doch es wird absolut klar, um was es wirklich, wirklich geht: auf eine entspannte und freundliche Weise deine beste Version in der Gegenwart zu leben.

Mehr Informationen zu Veit Lindau und seiner Arbeit gibt es unter www.veitlindau.com und
www.heirate-dich-selbst.de.
Sein Buch „Heirate dich selbst“ ist 2013 im Kailash Verlag erschienen.

Ein Paar Verrückte

Befreite Seelen und ein Paar Verrückte

Das Konzept der romantischen Liebe halten Sharon Gannon und David Life für überbewertet. Ihre Beziehung basiert auf Zusammenarbeit und Mitgefühl – für die Gründer des Jivamukti Yoga eines der besten Gefühle überhaupt.

YOGA JOURNAL: Sharon und David, wie lange kennt ihr euch schon?
SHARON GANNON: Wir trafen uns 1983 in New York City das erste Mal.
DAVID LIFE: Dreißig Jahre dieses Lebens sind eigentlich ziemlich schnell vergangen. Als Yogis müssen wir spezifischer benennen, von welchem Leben wir sprechen. Sharon und ich haben zwar keine speziellen Erinnerungen an frühere gemeinsame Leben, aber ein Gefühl, dass wir da weitermachen, wo wir das letzte Mal aufgehört haben.

Wart ihr schon immer ein Paar?
SHARON: Ein Paar [sic] Verrückte – ja. Ein verheiratetes Paar – nein.
DAVID: Der Begriff „Paar“ oder „paar“ kann unterschiedliche Bedeutungen haben. Darum weiß ich nicht so genau, wie ich darauf antworten soll. Lieber definiere ich den Begriff einmal: Es kann sich dabei um eine Mengenangabe handeln und sich auf zwei oder mehrere Einheiten beziehen. Ein paar Äpfel, ein paar Minuten … und dann spricht man noch vom „Paaren“ und meint damit einen sexuellen Akt, der normalerweise nur ein paar Minuten dauert (lacht) …

Versteht ihr euch als Liebespaar?
DAVID: Wir waren uns über die Jahre hinweg immer sehr nah, was uns wichtig ist. Wir finden aber auch, dass die romantische Liebe im Vergleich zu anderen Konzepten wie Zusammenarbeit oder Mitgefühl – eines der besten Gefühle – in unserer Kultur überbewertet wird. Manche Projekte gehen wir zusammen an, sind jedoch auch jeder für sich gleichsam produktiv. Bei gemeinsamen Projekten sind es unsere verschiedenen Ansichten und Meinungen genauso wie unsere Übereinstimmungen, die unsere kreativen Ergebnisse und Lösungen hervorbringen. Vielleicht trifft es die Antwort „ein Paar Verrückte“ wirklich am besten.

Wie integriert ihr yogische Prinzipien in eure Beziehung?
SHARON: Unser Zusammensein basiert auf Yoga. Es ist der Grund, weshalb wir zusammen sind. Wir unterstützen uns gegenseitig in unserer spirituellen Praxis. Wir befinden uns beide in einer äußerst verbindlichen Beziehung – mit Gott.
DAVID: Wir sind beide stark, was unsere spirituelle Praxis angeht, doch diese Praxis ist persönlich und privat. Wir respektieren die Praxiszeiten des anderen und helfen uns gegenseitig dabei, zu dienen. Auch unsere kraftvolle Dharma-Praxis teilen wir miteinander: als Sprecher und Vertreter für Yoga, Veganismus, Umweltschutz und Aktivismus haben wir die Jivamukti-Yogamethode und -schule in New York gegründet und betreuen noch immer unsere Schüler und alle anderen Center weltweit. Wir fühlen beide, dass eine funktionierende Beziehung nur zwischen zwei voneinander unabhängig glücklichen Menschen möglich ist, die
sich dafür entschieden haben, zusammen glücklich zu sein. Wenn eine Person von der anderen abhängig ist oder sich ohne sie nicht vollständig fühlt, steht das der Gleichheit im Weg, die solchen Prinzipien wie Zusammenarbeit oder Mitgefühl innewohnt.

Ihr lebt als Paar, das Brahmacharya [Enthaltung, Anm. d. Red.] als wichtiges Glied von Patanjalis Pfad praktiziert. Könnt ihr bitte etwas über eure Gründe, Erfahrungen, die Vorteile und Schwierigkeiten berichten, die damit in Zusammenhang stehen?
SHARON: Wir leben nicht als „Paar“ zusammen. Wir leben als Menschen zusammen, die Verzicht praktizieren, sich einer spirituellen Praxis verschrieben haben und keine Zeit für das Streben nach anderen Dingen haben. Da tauchen keine Schwierigkeiten auf, da wir uns von den normalen Erwartungen und Enttäuschungen befreit haben, die scheinbar die meisten Menschen in ihren Beziehungen plagen.
DAVID: Lass uns diesen Begriff erneut definieren, um Missverständnissen vorzubeugen. Brahmacharya ist Sanskrit, bestehend aus „Brahma“, dem schöpferischen Aspekt der hinduistischen Trinität Brahma, Vishnu und Shiva, und „Charya“, was unter anderem Fahrzeug oder Pfad bedeutet. Der Begriff bezeichnet also einen Weg, der zu Gott führt, und ein Fahrzeug, das sich dorthin bewegt. Man könnte auch sagen, dass sich das Wort auf den Umgang mit der kreativ-schöpferischen Energie bezieht, um Erleuchtung zu erlangen. Es steht mit allen Arten schöpferischer Partnerschaften in Verbindung und ist keineswegs ausschließlich für die Fortpflanzung unserer Spezies reserviert. Im klassischen Kontext wird als Brahmacharya-Lebensphase die von kleinen Kindern in Ashram-Schulen verstanden – eine Zeit, in der die schöpferische Kraft fürs Lernen und Wachstum verwendet wird. Im Sinne dieser Definition können wir behaupten, dass wir unsere gesamte schöpferische Kraft nutzen, um in diesem Leben Erleuchtung zu erlangen. Dahinter steht die Absicht, das Leid anderer zu mindern. Jeden Tag erfreuen wir uns daran, zu lernen, zu wachsen oder wieder mehr wie Kinder zu werden. Gründe haben wir viele dafür. Ganz besonders geht es uns jedoch darum, das Selbst in uns und im anderen wieder zu erkennen. Außerdem haben wir den Wunsch, das größtmögliche Maß an karmischen Rückständen in nur einem Leben zu verbrennen. Mit der direkten Unterstützung und Hingabe an die Verwirklichung durch den Lebenspartner ist das einfacher als im Rahmen normaler familiärer Pflichten.

Wie verwirklicht ihr diese Prinzipien in eurem Leben?
DAVID: Jedes Jahr verbringen wir einige Zeit zusammen in tiefem Rückzug in unserem „Wild Woodstock Forest Ashram and Sanctuary“. Normalerweise fasten wir dort und intensivieren unsere Sadhana. Wir stöpseln unsere Computer und Telefone aus und benutzen so wenig Elektrizität wie möglich. In dieser Stille versuchen wir, gemeinsam neue Grenzen auszuloten. Ein großer Vorteil ist, dass wir viele der „normalen“ Paar-Probleme umgehen, weil wir sie schlicht für irrelevant halten. Außerdem begegnen uns Spinnern nicht allzu viele „normale“ Probleme. Die Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, entstehen vor allem dadurch, dass viele Leute annehmen, wir seien ein „normales“ Paar und sich nicht für unsere individuellen Bedürfnisse und Sehnsüchte interessieren. Meist sind sie vollkommen auf dem Holzweg, was ihre uns betreffenden Vermutungen angeht. ✤

Love-Special: Die Sprache der Verbindung

Die von dem amerikanischen Psychologen Marshall B. Rosenberg entwickelte Gewaltfreie Kommunikation (GFK) beschäftigt sich mit der Frage, wie wir unsere Sprache nutzen können, um liebevolle Beziehungen zu schaffen. Nicht nur in Bezug auf Empathie, Satya und Ahimsa besteht eine große Verbindung zum Yoga, die der Nürnberger Yogalehrer und Kommunikationstrainer Pierre Boisson für seine Arbeit mit Einzelpersonen, Gruppen und Paaren nutzt.

YOGA JOURNAL: Pierre, was hast du zuerst für dich entdeckt? Yoga oder die Gewaltfreie Kommunikation?
Pierre Boisson: Zuerst habe ich Yoga gefunden und die Yamas und Niyamas als Vorschläge zur Gestaltung von Beziehungen. Da diese sehr offen formuliert sind, gab mir etwas später die GFK Ergänzungen zu Fragen wie „Wie bringe ich Satya in meine Sprache?“ und „Wie kann ich klar verständlich aus einer Position des Ahimsa und der Achtsamkeit sprechen?“. Konkret gesagt: „Wie kann ich meiner/m PartnerIn gegenüber aufrichtig und ehrlich sein ohne sie dabei zu kritisieren, zu bewerten oder zu verurteilen?“ Wir suchen nach sprachlichen Wegen, um in Kontakt und in Verbindung zu kommen, doch stoßen dabei immer wieder auf alte Sprachmuster, die uns daran hindern. Dies hat viel mit Erziehung und gesellschaftlichem Einfluss zu tun.

Die GFK ist im Grunde ein sprachliches Werkzeug, die Yogapraxis hingegen direkt körperlich erfahrbar. Was haben sie dennoch gemeinsam?
Marshall B. Rosenberg stammt aus der humanistischen Psychologie, die wie Yoga davon ausgeht, dass der Mensch alle Selbstheilungskräfte in sich trägt. Beide Systeme arbeiten sehr methodisch und sind in mindestens doppeltem Wortsinn Haltungen. Beide bieten konkrete Techniken in der Umsetzung, die sich ergänzen: Die GFK in den vier Schritten Wahrnehmung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte. Diese helfen mir, Wahrnehmung und Interpretation zu unterscheiden, eine gewaltlose Haltung einzunehmen und eine empathische Verbindung zu meinem Gegenüber herzustellen. Yoga bietet den achtgliedrigen Pfad des Ashtanga, der mir hilft, die Verbindung zwischen Körper, Geist, Seele herzustellen. Vereinfacht zusammengefasst kann man sagen: Yoga hilft mir, die Verbindung zu mir selbst herzustellen, GFK die Verbindung zu den anderen.

Du bietest Seminare zum Thema „GFK und Yoga“ an. Welche Yogahaltungen unterrichtest du in diesem Zusammenhang?
Die GFK ist vor allem eine Haltung zum Leben, in der es darum geht, eine wertschätzende Verbindung aufzubauen. Im Vordergrund steht daher das Herz, die Liebe. In meinen Wochenendseminaren lege ich deshalb den Schwerpunkt auf Mitgefühl und Empathie (Herzchakra) und die Sprache (Kehlchakra). Die zweite Stunde ist achtsamkeitsbasiert: Wir üben, später auch in einer Meditation, die Gefühle hinter den Asanas wahrzunehmen und in Verbindung mit den dahinter stehenden Bedürfnissen zu bringen. Beide Stunden verlaufen eher sanft und meditativ.

Welche Rolle spielen Bedürfnisse in einer Beziehung?
Die Gewaltfreie Kommunikation ist vor allem eine innere Einstellung zum Leben und dadurch auch zu meinen Mitmenschen. Im Vordergrund dieser Haltung steht der Wunsch, Verbindung und tiefes Verständnis füreinander aufzubringen. Diese Verbindung entsteht dann, wenn wir uns auf der Ebene unser Bedürfnisse begegnen und wenn wir Wege finden, die Bedürfnisse aller zu berücksichtigen. Das ist nur dann möglich, wenn beide Personen in ihren Bedürfnissen wirklich gehört, verstanden und ernst genommen werden. Erst dann ist der Boden reif, um nach einer gemeinsamen, für alle befriedigenden Lösung zu suchen. Genau dann entsteht Verbindung und Nähe.

Wie könnte eine solche Situation beispielhaft aussehen?
Nehmen wir an, mein(e) PartnerIn kommt nach einem langen Arbeitstag erschöpft nach Hause und braucht Ruhe. Ich selber hatte mich schon gefreut, sie zu sehen und ihr vorgeschlagen, gemeinsam an den See zu gehen. Doch sie verneint und möchte schlafen. Was ist dann mein Bedürfnis in dieser Situation? Verbindung und Nähe zu meinem Partner. Und was ist das Bedürfnis meiner Partnerin? Ruhe. In der GFK hat die Beziehung Vorrang zur Lösung. Bevor ich also eine Lösung vorschlage („Lass uns an den See gehen“), möchte ich Verbindung herstellen. Und das geht, wenn ich auch ihre Bedürfnisse berücksichtige und wertschätze. Erst dann kann ich nach einer Lösung suchen, die sowohl mein Bedürfnis (nach Verbindung und Nähe) als auch ihr/sein Bedürfnis (nach Ruhe) berücksichtigt. So könnten wir gemeinsam einen Film anschauen, uns eine Massage geben oder eine andere Aktivität wählen. Strategien gibt es etliche, wenn wir uns unserer Bedürfnisse bewusst sind. Das Problem entsteht, wenn wir in Konflikten auf der Strategieebene hängen bleiben, also wenn mein Partner darauf besteht, jetzt schlafen gehen zu müssen und ich unbedingt zum See gehen „muss“.

Im romantischen Ideal braucht die Liebe keine Kommunikation. Vielmehr können sich die Partner ihre Wünsche von den Augen ablesen …
… und wenn dies nicht passiert, sind wir sehr enttäuscht. Das große Problem in Beziehungen scheint mir genau dieses romantische Ideal zu sein. Das „Schlimmste“ daran ist, dass wir selber oft gar nicht genau wissen, was wir wollen, genau dies aber vom anderen erwarten, gerade, wenn es um das Thema „Wertschätzung“ geht. Wir erwarten von unserem Partner, dass er weiß, auf welche Art und Weise ich Wertschätzung erfahren möchte. Hierfür gibt es jedoch zahlreiche Möglichkeiten und Gesten. Jeder Mensch ist unterschiedlich und hat seine individuelle Strategie zur Befriedigung von Bedürfnissen. Es ist also wichtig, unserem Partner klar und in Form einer konkreten Handlungsbitte mitzuteilen, wie wir unsere Bedürfnisse befriedigt haben möchten.

Setzt du in deiner Beziehung die GFK erfolgreich um?
Es ist es nicht immer einfach. Wenn ich in Wut bin – auch wenn ich mein Bedürfnis kenne – habe ich manchmal keine Lust oder schaffe es nicht, in der GFK-Haltung zu bleiben. Dann möchte ich nicht „Ich brauche jetzt Wertschätzung“ sagen, sondern „Es kotzt mich gerade alles an“. Doch genauso wenig, wie ich im Yoga den Anspruch an mich habe, „erleuchtet“ sein zu müssen, erwarte ich nicht von mir, immer in einer GFK-Haltung zu sein. Viel schöner finde ich die kleinen Etappensiege, die mir Yoga und die GFK schenken und mein Leben bereichern. Der Weg ist das Ziel.

Ist es hinderlich, wenn sich ein Partner der GFK verschreibt und der andere nicht?
Es ist immer bereichernd, Prozesse gemeinsam zu erleben und die Erfahrung zu teilen. Verläuft dies sehr unterschiedlich, ist es ebenfalls bereichernd, wenn man die Verbindung trotzdem halten kann. In meinem Bekanntenkreis gibt es ein Paar, in dem sie viel Yoga übt und er Soldat bei einer Spezialeinheit ist. Ahimsa trifft auf Krieg! Bald werden sie heiraten und ich habe großen Respekt davor, dass sie hinter die Kulissen schauen können. Liebe ist mehr als gegenseitige Bestätigung. Die beiden scheinen sich auf der Bedürfnisebene zu treffen: Sie interessiert sich für Entwicklung, Spiritualität und bewusstes Leben, er für Abenteuer, Schutz, Sicherheit und die Verteidigung von Werten. So sehr unterscheidet sich dies im Kern nicht.

Wie schaffen wir es, im Fall einer Trennung noch gewaltfrei zu kommunizieren?
Auch in dieser Situation will die GFK folgende Verbindung halten: Ich will dich hören und gehört werden. Wenn ich also vom anderen höre, dass er Distanz braucht, ist Gewaltlosigkeit, dass ich ihm diese Distanz gebe. Das soll aber nicht heißen, das ich ihm nicht mitteilen sollte, wie es mir damit geht: „Ich bin sehr traurig, weil mir Verbindung und Nähe zu dir wichtig sind.“

Zum Schluss aus deiner Perspektive: Liebe ist …
… für mich durchaus bedingungslos. Alles andere ist ein Abkommen à la „Weil du mir etwas gibst, liebe ich dich“ oder „Solange du mich bestätigst, unterstützt und mir das gibst, was ich vermeintlich brauche, glaube ich, dass ich dich liebe“. Liebe ist für mich übergeordnet und hat göttliche Dimension. ✤

Pierre Boisson leitet Workshop und Weiterbildungen zur „Gewaltfreien Kommunikation mit Yoga“. www.param-yoga.de und www.pierre-boisson.de

Love-Special: Ins Auge des Sturmes

Wege aus dem „Leidenskarussell“: Diese öffnen sich, wenn wir unsere Verhaltensmuster durch bewusste Entscheidungen ersetzen. Autor und Therapeut Matthias Ennenbach über das transformative Potenzial des Buddhismus für unsere Beziehungen.

YOGA JOURNAL: In Ihrem Buch „Befreit – Verbunden“ sprechen Sie von „unheilsamen Emotionen“ in Beziehungen. Welche sind dies und wie können wir uns von ihnen befreien?
MATTHIAS ENNENBACH: Es gibt drei unheilsame Hauptemotionen: Angst, Wut und Trauer. Der Begriff „unheilsame Emotion“ ist allerdings eine gewählte Vereinfachung. Die buddhistische Formulierung „unheilsame Geisteszustände“ trifft es eigentlich besser. Sie meint die Einheit von Emotionen und Gedanken. In anderen Kulturen wird nicht so wie bei uns zwischen Emotionen und Verstand unterschieden. Aber auch die empirisch-psychologische Forschung kann zeigen, dass Emotionen immer mit Kognitionen verbunden sind. Einer der Leitgedanken der Buddhistischen Psychotherapie, die ich praktiziere, lautet: Wir befreien uns nicht von, sondern inmitten von unseren Emotionen. Es ist so, als könnten wir jederzeit einen Schritt zurück, in das ruhige Auge des Sturms treten.

Welche Prinzipien des Buddhismus sind heute besonders wertvoll für unsere Beziehungen?
Für viele von uns sind insbesondere die nicht-religiösen Wurzeln des Buddhismus besonders hilfreich. Sie zeigen uns zum Beispiel, dass wir als Menschen immer wieder Leid erfahren werden. Diese Annahme könnte helfen, unseren Idealismus einzugrenzen und uns zu ein wenig Vorsorge zu motivieren. Der spirituelle Ansatz wird von sehr vielen Menschen als immer bedeutsamer erkannt, denn wir sind als Industriemenschen bereits stark infiltriert vom ökonomischen Denken. Das merken wir auch in unseren Beziehungen: Wie viel bringt die Beziehung, inwieweit zahlt sich meine Mühe aus? Wie ist die Beziehungsbilanz? Was gebe ich dir und was gibst du mir? Wenn wir dieses stark verinnerlichte Konsum- und Geschäftsdenken lockern und auch aufgeben, können wir als Individuen und Paare freier werden.

Welche Rolle kann eine spirituelle Praxis allgemein in unserer Beziehung spielen?
Die spirituelle Praxis des Yoga oder der Meditation sind Wege, die wir erst alleine gehen müssen. Wir können das natürlich auf der Ebene der Termine auch als Paar, aber der Zugang zur Spiritualität ist immer ein sehr persönlicher, selbst bei Partneruübungen. Wenn wir die heilsamen Potenziale, die in uns allen bereits angelegt sind, stärker realisieren konnten, dann tragen wir sie, mit geduldigen Wiederholungsübungen, auch in die Beziehung hinein. Wenn wir das duale Verständnis von hier Übung und dort Alltag langsam lockern, dann können wir auch im alltäglichen Umgang unser Beziehungsyoga oder unsere Beziehungsmeditation praktizieren.

Was ist zu tun, wenn die Partner unterschiedliche Auffassungen von Spiritualität haben oder gar anfangen, sie in ihrer Wertigkeit zu vergleichen?
Wenn wir unserem Partner vermitteln: „Das, was ich tue, ist besser, als das, was du tust“, verweist das auf eine spezielle Vision von exklusiver Spiritualität – unser 18-Uhr-Termin für Spiritualität. Und weil ich den besitze und du nicht, bin ich auf einem besseren Weg. Wir alle haben das duale Denken sehr verinnerlicht. Manchmal hilft es, wenn wir realisieren, dass nicht die einzelnen Aktivitäten entscheidend sind, sondern unser Bewusstsein, mit dem wir dabei sind. Spiritualität findet im Herzen und nicht auf der Yogamatte statt.

Ist auch hier die Achtsamkeit entscheidend?
Sicher ist es schwer, wenn wir vom Yoga oder der Meditation kommen und der Partner uns mit Bierfahne begrüßt, aber genau da dürfen wir dann nicht in alte Automatismen zurückfallen. So eine Situation ist eine sehr mächtige Medizin. Sie schmeckt oft bitter, aber sie könnte uns helfen, weil sie uns Grenzen setzt und konfrontiert. Dafür benötigen wir etwas Wichtiges – Buddha sagt: Die höchste Form der Askese ist die Geduld. Im Buddhismus gibt es aber auch das scharfe Schwert des Mitgefühls. Es bedeutet nicht, dass wir uns passiv alles gefallen lassen. Es ist möglich, gleichzeitig mitfühlend zu sein und dennoch einen Sachverhalt abzulehnen, so wie es auch möglich ist, gleichzeitig angespannt und locker zu sein. Wir erfahren das unter anderem in der Meditation. Dort ist der Rücken angespannt und gleichzeitig ist der Bauch entspannt.

Wie können uns Achtsamkeit und Meditation dabei helfen, bestimmte Beziehungsmuster zu erkennen und aufzulösen?
Sehr viele unserer Probleme haben ihren Ursprung in unseren zu schnellen und damit zu unbewussten Reaktionen. Wir haben in uns unzählige antrainierte Automatismen: die Frühstücks- Automatismen, die Autofahr-Automatismen, die Arbeits-Automatismen, die Ess- und Trink-Automatismen, die Abend-Automatismen und viele mehr. Diese müssen von uns mit Bewusstheit durchdrungen werden, sonst spulen wir nur noch unsere Beziehungs- Automatismen ab und geraten in ein Leidenskarussell aus steten Wiederholungen von Drama oder Langeweile. Achtsamkeitsübungen und Meditation stärken in unserem Nervensystem Strukturen, die unsere Selbstaufmerksamkeit erhöhen und unseren inneren Ruhepol verstärken. So können wir unsere Selbststeuerung wiedererlangen, entschleunigen und treffen eine Wahl statt einem Muster zu folgen. Herzstück dieser Techniken ist das buddhistische Achtsamkeitstraining: Zuerst beginnen wir mit einem Beruhigungs- und Klärungsprozess auf körperlicher Ebene, danach erst auf emotionaler und dann auf gedanklicher Ebene. Achtsamkeit bedeutet, dass wir diese drei Instanzen in uns realisieren und beruhigen lernen. Auf diesem geklärten Fundament, und nur darauf, können wir dann entsprechende Entscheidungen treffen.

Wie erreicht und lebt man eine Liebe, die nicht an Bedingungen geknüpft ist?
Solche Fragen basieren oft auf bestimmten Erwartungen und meist auch auf Idealvorstellungen. Nur zu oft erhöht das noch den Druck auf Paare: „Wenn du mich wirklich liebst, stellst du keine Bedingungen.“ Können wir und wollen wir denn definieren, was Liebe zu sein hat? Manchmal wird es eben schwer. Wir können nicht immer selbstlos sein. Wir haben Bedingungen, einige sind wahrscheinlich auch gut so. Aber wenn wir uns inmitten unserer Bedingungen befreien, müssen wir uns daran nicht festklammern. Es entsteht ein heilsamer kleiner Spielraum, den wir nach und nach ausbauen können. Dafür gibt es im Achtsamkeitstraining viele konkrete Übungen und Hilfen.

Im Yoga üben wir gleichzeitig, das Ego loszulassen und die Selbstliebe zu stärken. Wo befindet sich hier die Grenze und welche Art der Selbstliebe brauche ich, um die Beziehung zu meinem Partner zu nähren?
Sowohl im Rahmen von Yoga- als auch bei buddhistischen Unterweisungen, hören wir oft, dass unser Ego eine Illusion sei und dass wir es loslassen sollen. No ego, no pain. Wenn wir in der Partnerschaft verletzt werden, ist es immer das Ego, das schreit. Aber das „einfache“ Loslassen funktioniert nicht so leicht. Die Strategie lautet: erst Aufbau, dann Abbau. Das bedeutet, dass wir zuerst über ein stabiles, sicheres Ego verfügen müssen, bevor wir damit beginnen, es einzudämmen. Einem armen Obdachlosen können wir auch nicht sagen, das Geld eine Illusion sei, nur bedrucktes Papier.

Geht es hier letztendlich um Sicherheit?
Wir alle benötigen Sicherheit. Nur eine egostarke Frau und nur ein egostarker Mann können sich sicher fühlen. Aber diese Stärkung ist nur der Vorläufer, damit wir loslassen können. Vielleicht ist es zuerst die liebende Güte für uns selbst, die wir kultivieren müssen. Wenn wir das intensivieren, wird sich dieser Prozess auf alles um uns herum ausdehnen. Es wird zwangsläufig Auswirkungen zeigen, aber das darf nicht unsere Motivation für spirituelle Praxis sein. Wenn wir versuchen, eine Form der Liebe zu finden, damit wir etwas beim Partner erreichen, wird uns diese Bedarfsstrategie nur wieder zu weiteren Problemen führen. Heute wissen wir, dass wir uns fundamental ändern können. Buddhisten sprechen von unendlichen Keimen und Neurowissenschaftler von unzähligen Veranlagungen in uns. Es liegt an uns, welchen Keim wir kultivieren. Wir müssen uns immer daran erinnern: Alles, was wir wiederholen, wird sich in uns festigen. Das Unheilsame ebenso wie das Heilsame. Es gibt keine Abkürzungen. Wir benötigen das geduldige Wiederholen des Heilsamen.

Love-Special: “Kommunikation ist sehr, sehr sexy”

Als Systemischer Berater, Mensch und Lehrer für Yoga und Meditation kennt sich Ralf Sturm mit den Aufs und Abs in Beziehungen aus. In seiner Arbeit begleitet er sowohl Singles als auch Beziehungspartner durch „Gefühlsstürme“ und zeigt, dass Liebe nicht von Yoga oder Meditation, sondern von Kommunikation abhängt.

Ralf, ist die Beziehung zum Partner Spiegel der Praxis?
Die Beziehung zu unserem Partner spiegelt unsere Beziehung zum Leben. Da stellt sich die Frage, ob man wirklich am Partner interessiert ist. Denn bei genauem Hinsehen ist man häufig stärker mit sich selbst beschäftigt: Wie man auf den anderen wirkt oder wie man das bekommt, was man möchte. Wir erwarten etwas von unserem Partner, von Gott oder dem Universum und sind sauer, wenn wir es nicht bekommen. Man hat nicht automatisch eine erfüllte Partnerschaft, nur weil man mehr Zeit auf der Yogamatte oder dem Meditationskissen verbringt. Manchmal ist die Praxis auch eine Flucht vor Nähe und Intimität. Wenn es in der Partnerschaft nicht gut läuft, ist das auf jeden Fall ein Hinweis darauf, dass man sich den Umgang mit sich selbst ansehen sollte.

Wie kann man die Paarbeziehung als „yogisches Übungsfeld“ nutzen?
Eine Paarbeziehung ist immer ein Satsang, das heißt eine „Gemeinschaft mit dem Wahren“. Wenn wir die Schönheit in unserem Partner oder unserer Partnerin sehen, werden wir an unseren eigenen wundervollen Kern erinnert – wir sehen uns auch selbst als ganz. Das erhöht unsere Lebensenergie: ein Kuss stärkt das Immunsystem und unser Selbstvertrauen wächst, wenn wir Liebe ausdrücken. Je mehr wir das üben, desto tiefer kommen wir zu unserer wahren Essenz.

Und wenn wir gerade nicht mit dem Partner klarkommen?
Dann kann die Paarbeziehung uns dabei helfen, uns selbst zu studieren. Wir können den negativen Gedanken oder schwierigen Gefühlen auf den Grund gehen. Wenn wir den Ursprung unserer Emotionen berühren, wird die festgehaltene Energie befreit. Dann sind wir nicht mehr so unbewusst von alten Eindrücken und Prägungen bestimmt und können uns besser mit dem Jetzt beschäftigen.

Was kann man tun, wenn man selbst einen spirituellen Weg beschreitet, der Partner dagegen keinerlei Interesse an solch einer Entwicklung zeigt? Hat so eine Beziehung überhaupt eine Chance?
Für eine Partnerschaft ist es oft ein „Schock“, wenn einer von beiden neue Wege ausprobiert, plötzlich mit vielen anderen Menschen in Kontakt ist oder überlegt, seinen bisherigen Beruf an den Nagel zu hängen. Das kann dem anderen Angst machen. Der Nicht-Yogi glaubt dann beispielsweise, der Yogini nicht mehr zu genügen. In der Folge zieht er sich noch mehr zurück. Dann sinkt die Kommunikation auf ein Minimum. Die Yogini ist sauer, dass keine Begegnung mehr stattfindet, und denkt: Jetzt „passt“ es nicht mehr. Dabei hätten beide nur ein wenig positive Bestätigung vom anderen gebraucht. In solchen Fällen kann ein Zwiegespräch sehr heilsam sein. Die Partner können sich gegenseitig sagen, was sie sich bedeuten und was sie brauchen. Liebe ist nicht abhängig von Yoga oder Meditation, sondern von Kommunikation.

Es ist ja auch so: Wenn man sich unter den Yogis umschaut, hat man nicht gerade den Eindruck, dass ihre Beziehungen „besser“ funktionieren. Warum „wirkt“ Yoga im Beziehungsalltag nicht besser?
Das liegt nicht am Yoga, sondern an den Menschen, die sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zum Yoga hingezogen fühlten. Warum haben wir uns im Yogastudio angemeldet? Weil wir mit allen Punkten in unserem Leben hundertprozentig zufrieden waren? Meist nicht. Es war wahrscheinlich oft eine tiefe Sehnsucht, die uns dorthin führt. Und diese ist bei manchem Yogi von einem gewissen Misstrauen gegenüber dem Glück begleitet. Wer viele Verletzungen mitbringt, hat auch eine Menge zu „bearbeiten“, wenn er eine Beziehung halten möchte. Sonst ist die Versuchung groß, negative Emotionen dem Partner in die Schuhe zu schieben und von einer Beziehung zur nächsten zu gehen. Wobei man sich ja immer selber mitnimmt. Wenn man also seinen Partner verlässt, weil man endlich seine(n) Traum- Yogi(ni) gefunden hat, dann scheint auf einmal alles besser. Bis die Flitterwochen vorbei sind, und Machtkampf oder Wüstenzone wieder über einen hereinbrechen, die man dann manchmal aufgrund seiner gesteigerten Wahrnehmung noch empfindlicher erlebt.

Die meisten Menschen, die zum Beziehungs- Coaching zu dir kommen, befinden sich vermutlich in einer Krise. Wie kann die Yogapraxis in solchen Situationen unterstützen?
Das Wichtigste ist, dass erst einmal jemand da ist, der einem hilft, sich aus den alten Trancen zu lösen. Wer sich unglücklich fühlt, braucht einen Ansprechpartner, der ihm sein eigenes Potenzial wieder zeigt. Sonst passiert das, was Patanjali so beschreibt: „Der Sehende identifiziert sich mit dem Gesehenen.“ Wenn wir uns nur auf den Schmerz konzentrieren, bleiben wir darin gefangen. Es braucht jemanden, der einen wieder mit Liebe anschaut. Dann sind Asanas ein wunderbarer Weg, wieder in Kontakt mit dem eigenen Körper und den eigenen Gefühlen zu kommen. Oft ist es nämlich so, dass man „fremdfühlt“ oder die Verantwortung für die Gefühle der anderen übernimmt. In der Yogapraxis lernt man, sich um seinen eigenen Körper zu kümmern. Wir stärken die Wurzeln und bekommen ein Gefühl von Sicherheit. Genug essen, gut schlafen: Dafür brauchen manche Menschen externe Motivation. Ich habe in meiner Trennung auch jemanden gebraucht, der mir mal den Kopf gewaschen und mich nicht mit Samthandschuhen angepackt hat. „Kümmere dich um dich selbst und erwarte es nicht von anderen“, lautet dann die Devise.

Wie steht es in der Krisensituation mit den entsprechenden Gefühlen: Wut, Trauer, Angst?
Im Kontakt mit der Gefühlswelt braucht man manchmal auch Führung. Viele Yogis können sich zwar in Trauer verlieren, möchten sich aber nicht eingestehen, dass sie darüber hinaus auch einfach total wütend sind. Diese Wut möchte erlebt werden. Erst dann können die darunter liegenden Emotionen frei werden, deren Energie zur Transformation führt. Eine Krise in der Beziehung, ob es zur Trennung kommt oder nicht, bietet ja immer die Chance, danach eine ganz neue Ebene in der Partnerschaft zu erreichen. Das Nächste ist das Wahrnehmen der eigenen Kraft. Man wird attraktiv, wenn man seinen Selbstwert im Bauch spürt. So ist der Sonnengruß eine Verneigung vor unserem eigenen Solarplexus. Erst wenn wir selber aus dem Bauch heraus zu uns stehen können, werden wir im Herzen bereit für die Liebe. Vorher kann man sich zwar intellektuell vornehmen, sich „hinzugeben“, man wird sich aber schließlich benutzt oder ausgenutzt fühlen.

Der Markt ist voll von solchen Büchern wie „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“. Mangelt es dem Yogi an Selbstliebe, Toleranz oder Reife, wenn er sich trotzdem irgendwann von seinem Partner trennt?
Dieser Buchtitel hat viel Leid über die Menschheit gebracht (lacht), weil er oft falsch verstanden wurde. Im Kern stimmt das ja. Wenn man sich selbst ohne Wenn und Aber liebt, kann man alle Menschen lieben. Aber das ist in ihrer Absolutheit eine sehr unrealistische Voraussetzung. Wer von uns kann das schon ganz von sich behaupten? Ich jedenfalls nicht. Es mangelt nicht an Toleranz, wenn man sich aus einer destruktiven Beziehung löst. Es mangelt allerdings dann an Reife, wenn man sich in die nächste Beziehung stürzt, ohne die Gründe, die einen in die Beziehung geführt haben, zu bearbeiten. Dann erlebt man mit Sicherheit früher oder später wieder den gleichen Schlamassel. Allerdings verbeißen sich manche Yogis lange in den oben zitierten Spruch, und versuchen mit aller Kraft, es jetzt „endlich“ zu schaffen. Der Grund liegt aber meist nicht beim Partner, sondern bei unseren eigenen Unsicherheiten und Ängsten.

Gibt es „gute“ Gründe für Trennungen?
Ich hasse Trennungen. Die meisten würden sich vermeiden lassen, wenn wir wieder mutiger werden, miteinander zu reden und Intimität zuzulassen. Aber meiner Meinung nach gibt es drei wichtige Gründe, eine Beziehung zu beenden: körperliche Gewalt, andauernde verbale Gewalt und Drogenmissbrauch. Das sind die Fälle, wo es nicht egal ist, mit wem man zusammen ist, weil man sich nicht selbst liebt, wenn man bleibt. Letztlich können alle Formen von Suchttendenzen in einer Beziehung ein Grund sein, die Partnerschaft auf Eis zu legen. Das heißt nicht, dass man sich für immer trennen muss. Aber derjenige, der ein Thema mit Gewalt oder Abhängigkeit hat, muss beiseite treten und sich Hilfe suchen. Das gilt übrigens in der Regel für beide Partner, denn in den seltensten Fällen ist das Problem einseitig. Viele Menschen leben in einer Co-Abhängigkeit, um der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte aus dem Weg zu gehen.

Du beschäftigst dich intensiv mit dem Thema „Mann sein“. Was macht einen Mann in einer Beziehung aus?
In der Shiva-Shakti-Philosophie ist die männliche Polarität die Energie der Konzentration. Der klassische Yoga ist im Grunde ein sehr männlicher Weg. Man sieht das auf dem Bild von Shiva und Kali: Sie ist zornig und er bleibt ruhig. Wenn ein Mann auf Gemütsschwankungen der Frau ebenfalls emotional reagiert, verlässt er seine männliche Präsenz und wird für die Partnerin unattraktiv. Wenn er stattdessen seine Fassung bewahrt und sich – statt sich ängstlich zurückgestoßen zu fühlen – weiter seiner innewohnenden Kraft bewusst ist, kann die weibliche Energie wieder zu ihm hinfließen. Überspitzt gesagt: Ein Mann schmollt nicht und schmeißt nicht mit Geschirr. Eine Frau darf das, es kann sogar ein Ausdruck ihrer Lebendigkeit sein. Eine wilde Frau ist ekstatisch, ein wilder Mann ist fokussiert.

Was sind typisch „männliche“ Beziehungsthemen bzw. -muster?
Männer haben heute leider wenig männliche Bezugspersonen und Vorbilder. Das Erziehungssystem ist weiblich dominiert, und wer hatte schon viel Kontakt zu seinem berufstätigen Vater? In der Folge haben viele Männer eine sehr starke weibliche Polarität entwickelt. Frauen haben es anfangs geschätzt, dass Männer gelernt haben, ihre Emotionen zu zeigen, aber viele Männer versinken nun geradezu darin. Oder es bleibt beim Klassiker: gar keine Emotion zulassen. Der gesunde männliche Weg ist, in Kontakt mit seinen Gefühlen zu sein, aber sich nicht davon überwältigen zu lassen.

Du behauptest: „Es hat noch nie eine Frau einen Mann verlassen, der nicht vorher bereits sich selbst verlassen hat.“ Wie meinst du das?
Als Teenager dachte ich, ein Mann muss sich anstrengen, damit eine Frau ihn begehren kann. Dieser Druck belastet viele Männer. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn eine Frau in Kontakt mit ihrer Weiblichkeit ist, sehnt sie sich in der Regel nach einem Mann. Aber eben nach dieser stillen Kraft, und nicht nach einem Jungen, der sich noch nicht von seiner Mutter gelöst hat. Wenn ein Mann in Kontakt mit sich selbst ist, wird er automatisch anziehend. Wenn die Frau geht, ist das in der Regel ein Signal für den Mann, erwachsen zu werden. ✤

 

Ralf Sturm schreibt sonst die Kolumne Lernen von den Göttern und leite zahlreiche Seminare in ganz Deutschland.

Rohe Köstlichkeiten

Eine knackige Möhre, ein saftiger Apfel oder frisch gepflückte Beeren – von Kindesbeinen an ist Rohkost ein wichtiger und natürlicher Bestandteil unserer Ernährung. Immer mehr Menschen finden Gefallen daran, sich vorwiegend naturbelassen zu ernähren. Auch unter Prominenten erfreut sich Rohkost immer größerer Beliebtheit. So ist zum Beispiel Schalke-Torwart Timo Hildebrand bekennender Rohkost-Liebhaber. YOGA JOURNAL hat er erzählt, wie es dazu kam.

YOGA JOURNAL: Timo, wie bist du auf die Idee gekommen, Rohkost in deinen Speiseplan aufzunehmen?
TIMO HILDEBRAND: Mein Osteopath hat mich auf die Idee gebracht. Im ersten Moment habe ich nur an Kohlrabisticks, Gurkenscheiben und Obstteller gedacht. Wie vielfältig Rohkost aber tatsächlich ist, habe ich erst erfahren, nachdem ich mich eingehend mit dem Thema beschäftigt habe.

Welchen Stellenwert hat Rohkost für dich?
Also Profisportler versuche ich natürlich immer, sehr auf meinen Körper zu achten. Wenn ich zurückdenke, wie ich mich früher ernährt habe, bin ich sehr dankbar für die Entwicklung hin zur Rohkost. Man kann einfach sehr viel Energie aus der Nahrung ziehen. Und umgekehrt kann einem die falsche Ernährung auch sehr viel Energie entziehen – und plötzlich ist man nicht mehr so leistungsfähig, wie man es sein könnte. Deshalb war das ein so wichtiger Prozess für mich.

Was hast du in deinem Leben verändert?
Hauptsächlich kleine Dinge: Ich versuche beispielsweise, morgens weniger Brot zu essen. Stattdessen nehme ich frische Früchte oder einen selbstgemachten Smoothie zu mir. Außerdem versuchen wir, den Konsum von Milchprodukten zu reduzieren – sogar bei unserem Sohn. Darüber haben meine Freundin und ich uns ausführlich informiert und Gedanken gemacht. Warum sollten wir Kindern Kuhmilch geben? Wir Menschen sind die einzige Spezies, die Milch von anderen Lebewesen zu sich nimmt. Kalzium und Magnesium können wunderbar auch anders aufgenommen werden.

Wie schaffst du es, Rohkost in deinen Alltag als Profi-Fußballer zu integrieren?
Natürlich ist es manchmal schwierig, vor allem, wenn ich unterwegs bin. An Flughäfen gibt es nicht unbedingt das beste Essen … Aber ich nehme mir zum Beispiel gerne Feigen und Datteln mit. Das ist besser als jede Schokolade!

INFO: WARUM ROHKOST?
Im Gegensatz zu gekochter Nahrung wird Rohkost nicht über 45 Grad erhitzt, so bleiben die Lebensmittel weitgehend in ihrem Urzustand erhalten und der Erhalt vieler lebenswichtiger Vitamine, Nährstoffe und Enzyme ist gesichert. Das ist nicht nur gesund, sondern schmeckt auch lecker und fördert zudem einen nachhaltigen Umgang mit der Natur. Rohkost kann einfach sein, schnell gehen und schlicht den Verzehr von Obst und Gemüse in Bioqualität bedeuten. In der Gourmet-Rohkost gibt es aber auch ausgefallene Rezepte, bei denen jeder Teller wie ein kleines Kunstwerk aussieht, zum Beispiel rohe Schokolade, selbstgemachtes Fruchteis oder Zucchini-Spaghetti mit Bolognese-Soße aus Sonnenblumenkernen. Innerhalb der Rohkost-Szene gibt es verschiedene Philosophien und Ansätze. Wenn man von Rohkost spricht, ist meist die vegane Rohkost gemeint, bei der ausschließlich Obst, Gemüse, Früchte, Salat, Kräuter und Nüsse verzehrt werden. Die vegetarische Form erlaubt auch Rohmilch und Honig. Nicht-Vegetarier erweitern den Speiseplan um tierische Produkte wie rohen Lachs, Forelle oder Fleisch wie Tartar und Carpaccio. „Rohe Ernährung“ muss auch nicht hundert Prozent Rohkost heißen, meint Rohkostexpertin Kerstin Schulze, die bei der Firma Keimling die Rohkostakademie leitet. Momentan ernährt sie sich zu zwei Dritteln roh und kocht ansonsten vegan. Die Entscheidung zur Rohkost traf sie vor 13 Jahren aus gesundheitlichen Gründen – mit vollem Erfolg. Nicht nur die Beschwerden verschwanden, auch die Pfunde purzelten. „Man fühlt sich fitter, geistig klarer und spürt mehr Lebensfreude“, beschreibt Schulze die Vorteile der Rohkost-Ernährung. In ihren Seminaren führt Kerstin Schulze Teilnehmer an das Thema Rohkost heran und hilft dabei, gängige Vorurteile abzubauen. So hört man immer wieder, dass Rohkost schwer verdaulich sei. „Dabei werden wir von den Gewohnheiten geprägt, die wir von Kindheit an mitbekommen haben“, so Schulze. Kein Tier erwärmt sich seine Mahlzeiten, nur der Mensch macht das. Und das auch erst seit 10 000. Wenn wir im Winter unser Verdauungsfeuer stimulieren wollen, können wir dies auch mit Hilfe bestimmter Gewürze wie Curry, Chili oder Ingwer tun. Auch ein Salat am Abend ist kein Problem, meint Kerstin Schulze. Schwerwiegender sei, dass wir uns heute beim Essen oft nach festen Zeiten richten und nicht nur dann essen, wenn wir tatsächlich Hunger verspüren. Wenn die Zeitabstände zwischen den Mahlzeiten zu kurz sind und man zum Beispiel zwischen Mittagessen und Abendessen am Nachmittag noch isst, stehen nicht genügend Verdauungssäfte zur Verfügung, um die rohe Nahrung am Abend zu verdauen. Außerdem sollte man das Mischen von Rohkost und gekochten Speisen möglichst vermeiden. Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus plädiert Schulze für eine schrittweise Umstellung der Ernährung. Es bringt schon viel, beim Frühstück das Brot durch Obst oder einen Smoothie zu ersetzen. Statt Kaffee kann man mehr Wasser trinken, statt Zucker auf Fruchtsüße umsteigen und Fleisch, Fisch und Milch durch (eingeweichte) Nüsse und Samen ersetzen. Fachliteratur kann auf dem Weg zur Rohkost-Ernährung eine Inspiration sein, letztlich muss aber jeder den richtigen Weg für sich selbst finden: „Wichtig dabei ist, dass man sich wohlfühlt.“

Von Tobias Frank