Ayurdveda To Go: Grießbrei & Co. – Frühstück De Luxe

„Frühstücken wie ein Kaiser, Mittagessen wie ein König und Abendessen wie ein Bettler“: Aus meiner ganz persönlichen Ayurveda-Sicht enthält dieser Satz gleich drei Irrtümer auf einmal. Denn…

1.Alle Mahlzeiten sind gleich wichtig.

2.Nicht jeder hat die gleiche Verdauungsleistung.

3.Man sollte zu allen Mahlzeiten gleich viel essen. Als Faustregel – im wahrsten Sinne des Wortes – empfehle ich:

Maximal so viel, wie in die Flächen der geschlossenen Hände passt.
Die meisten von uns frühstücken morgens zwischen 6 und 10 Uhr – eine Zeit, in der unser Organismus noch nicht wirklich auf der Spitze seiner Leistungsfähigkeit angekommen ist. Wenn wir dann ein traditionelles „Kaiser“-Frühstück einnehmen würden – mit ordentlich Wurst, Käse und Wein – würde das den Körper extrem belasten.
Aus Sicht des Ayurveda wir die Zeit am Morgen von den trägen und kalten Eigenschaften des Kapha-Doshas dominiert. Man spürt das vor allem im Winter, wenn man sich erst nach mehrfachem Ignorieren des Weckers aus dem Bett schält. Wenn Sie sich zu dieser Tageszeit etwas Gutes tun wollen, gönnen Sie sich ein warmes, gewürztes und nicht zu umfangreiches Frühstück. Dafür eignen sich vor allem verschiedene Arten von Breien und Suppen ganz hervorragend. Hier zwei Rezepte, die schon einigen Leuten geholfen haben, ihr Grießbrei- oder Linsentrauma zu überwinden.

Ayurvedischer Grießbrei
Für vier Portionen
200 g Basic-Weichweizen-Grieß
700 ml (Soja)Milch
5 EL Rohrzucker
4 EL Ghee oder Kokosfett
1 Prise Salz
1 TL Zimtpulver
50g geröstete Mandelblättchen oder -stifte
Je nach Geschmack 2 EL getrocknete Cranberries, Rosinen oder Aprikosen

und: eine abgeriebene Schale einer Orange und ihren Saft

– Die Mandelblättchen oder -stifte in einer Pfanne ohne Fett anrösten.
– Das Ghee oder Kokosfett in einem Topf erhitzen und darin den Grieß unter Rühren anrösten, bis er goldbraun ist und das Ghee wieder austritt.
Die (Soja)Milch in einem separaten Topf erhitzen und zum Grieß geben.
Es funktioniert auch mit kalter Milch, dann aber Vorsicht: Den Topf unbedingt vom Herd ziehen und die Milch vorsichtig zugießen, da der Grieß anfängt zu spritzen. Das gibt fiese kleine Brandblasen – ich weiß wovon ich rede…!
– Nun Zucker, Zimtpulver, Mandeln, Orangenschale, den Saft und die
getrockneten Früchte zugeben und alles gut vermischen.
– Den Grieß auf kleiner bis mittlerer Hitze ca. 15 Minuten unter Rühren wachsen
und gedeihen lassen.

Süßer Linsen-Dhal mit getrockneten Pflaumen
Für 4 Personen
200 g rote Linsen, z.B. von Basic
700 ml Gemüsebrühe
150g getrocknete Pflaumen ohne Kern
1 geriebener frischer Apfel
Saft von 1 Orange
2 EL Ghee
2 TL mildes Currypulver
4 EL Rohrzucker
2 TL gehackter frischer Ingwer
1 TL Salz
– Die Linsen mindestens dreimal mit klarem Wasser waschen.
– Apfel grob reiben und mit Orangensaft mischen.
– Das Ghee in einem Topf erhitzen. Ingwer, Pflaumen und Apfel zugeben und zwei Minuten darin glasig dünsten.
– Currypulver und Zucker hinzufügen, kurz darauf die Linsen zugeben und alles für drei Minuten gut verrühren.
– Gemüsebrühe zugießen und die Linsen auf mittlerer Hitze für 20-30 Minuten
bis zur gewünschten Konsistenz einkochen lassen.
Vor dem Servieren mit etwas Salz und Zucker abschmecken.


Text und Rezepte von Volker Mehl

Du fühlst dich gut – aber was dann?

Auf der Tabla und mit der Bansuri-Flöte zelebriert Kirtan-Künstler Jason Kalidas die heilende Kraft der Musik. Und zwar jeder Musik. „Mantren nutzen niemandem, der gerade Punk braucht“, so der Musiker aus Brighton, dessen Spiel man leicht als „virtuos“ beschreiben könnte – fände er selbst solche Kategorien nicht absolut unbedeutend.

Jason Kalidas könnte gerade sehr erschöpft sein. Ausgelaugt von einem intensiven Retreat im Seminarhaus Höllbachhof bei Regensburg, wo er in Zusammenarbeit mit der Münchner Yogalehrerin Regina Gambarte 20 Teilnehmer durch einen dreitägigen Detox-Workshop führte. Aber Erfahrungen wie diese sieht Jason als Energiequelle. Mehrere Monate im Jahr ist der Musiker aus Brighton weltweit auf Tour, um Solo-Konzerte zu geben, mit befreundeten Musikern auf Kirtans zu spielen oder mit therapeutischer Musik und „sacred sound“ die Arbeit von Yogalehrern zu unterstützen.
„Jasons Sound ist gleichzeitig fließend und feurig, geerdet und ätherisch“, sagt Dave Stringer über den Percussionisten und Bansuri-Spieler, der mit 20 Jahren nach Indien ging, in klassischer indischer Musik ausgebildet wurde, später mit Bhagavan Das tourte und den Kirtan für sich entdeckte.

YOGA JOURNAL: Diverse Lebensgeschichten gehört, ein paar Krisen miterlebt und  schließlich die positive Wirkung gesehen, die die Gruppe aus deiner Arbeit gezogen hat – all das in drei Tagen. Wie geht es dir am Ende eines Retreats, wenn diese intensive Gemeinschaftserfahrung vorbei ist?
Jason Kalidas: Hervorragend. Ich empfinde diese Situationen als ungemein bereichernd, ihr Effekt geht über die eines Konzerts oder Kirtans hinaus. Bei den Teilnehmern entwickelt sich ein tief gehender Prozess – von außen betrachtet lässt sich das gesamte Ausmaß dieser intensiven Innenschau nur in Ansätzen wahrnehmen.

YJ: Wie stark bringst du dich selbst in diese Entwicklung ein? Gibt es dabei eventuell etwas, wovor du dich schützen musst?
JK: Absolut nicht. Ich bringe immer 100 Prozent von mir ein und wüsste nicht, wovor ich mich schützen müsste. Im Gegenteil – ich hoffe immer, noch mehr geben zu können. Denn umso tiefer ich in die Musik eintauche, desto mehr merke ich, dass es dabei nicht um mich oder den Einzelnen geht. Die Musik passiert einfach, und es ist völlig unerheblich, woher sie kommt.

YJ: Aber du produzierst den Sound, und zwar auf eine ganz besondere Weise mit besonderer Wirkung.
JK: Trotzdem ist das nichts Besonderes. Ich sage nicht, dass da nichts Magisches im Spiel ist, aber ich mag generell diese Gegenüberstellung nicht: Ich, das Genie, spiele, und du sitzt da und staunst ergriffen. Es passiert etwas ganz Spezielles, aber der Ursprung liegt nicht bei mir, höchstens seine Form. Je großartiger meine oder irgendeine Musik ankommt, desto mehr habe ich das Gefühl, dass sie nicht mir gehört, sondern ganz andere Räume einnimmt. Das nimmt ihr nichts von ihrer Besonderheit, aber der Trick ist, sich nicht damit zu identifizieren. Um das zu üben, habe ich habe mir angewöhnt, jedes Mitglied des Publikums als Lehrer zu sehen.

YJ: Der Begriff ist strapaziert, aber trotzdem die Frage: Würdest du deine Musik als „spirituell“ bezeichnen?
JK: In den Ritualen fast aller Kulturen hat Musik schon immer eine wichtige Rolle gespielt, also kann man jede Musik als „spirituell“ bezeichnen. Die Sehnsucht nach Einheit ist ein natürlicher Impuls, der manche auch zu Drogen greifen lässt. In der Sufi-Tradition und anderen Kulturen nutzen die Menschen den Klang, um sich durch Tanzen in Trance zu versetzen und die Grenzen der Persönlichkeit zu überwinden. Das Gleiche passiert allerdings auch beim Punk-Konzert, im Elektro-Club oder wo immer sich Menschen komplett einer Musik überlassen. Du vergisst dein Selbst und gehst mit gleich gesinnten Leuten in dieser Gruppenenergie auf. Das beschließen wir nicht im Sinne von „so, jetzt vergessen wir uns mal alle“, sondern es passiert einfach.

YJ: Welche Rolle spielt dabei der individuelle Musiker?
JK: Ich kann nur für mich sprechen. Je regelmäßiger ich meine Musik übe, je mehr Regelmäßigkeit und Wiederholung es gibt, desto größer wird die Eigendynamik, ähnlich wie das Japa beim Mantrensingen. Die Illusion, dass ich dabei etwas tue, wird durch das Staunen über die unfassbare Schönheit der Musik ersetzt. So seltsam es klingt: Es entsteht etwas Höheres, und der Gedanke, dass du das „machst“, wird langweilig. Der Gedanke an die eigene Großartigkeit ist begrenzt. Klar, er gibt dir eine Zeit lang ein gutes Gefühl, aber was dann? Die Freude an etwas Größerem, das dieses Erlebnis verursacht, ist nachhaltiger.

YJ: Sollte das Ego in der Musik also zurücktreten?
JK: Das macht sie auf jeden Fall offener. Dabei hilft, dass wir das Konzept überwinden, dass uns etwas „gehört“. Musik ist dafür ein gutes Beispiel: Sie gehört niemandem sondern allen. Gleichzeitig ist sie das perfekte Mittel, das Ego aufzubauen – extremerweise in der Identifikation als „Star“. Ein Rock- oder Popstar ist eine öffentliche Figur die bewirkt, dass sich Massen von Leuten gut fühlen. Aus dem Gefühl heraus, dass du persönlich dafür verantwortlich bist, schicken sie dir massenweise Energie und sagen dir, wie großartig du bist. Das kann süchtig machen. Es nährt das Ego, das sich damit immer realer fühlen kann. Denn das ist es, was es braucht: Es möchte fühlen, dass es da ist. Es braucht Input von außen, um sich zu formen. Guten oder schlechten, das ist dem Ego egal, solange es sich manifestieren kann. Deshalb gibt es Yogis, die sich für lange Zeit in Höhlen zurück ziehen – dort gibt es keine Einflüsse, die das Ego strukturieren. Es kann sich an nichts festhalten und demnach immer mehr auflösen.

YJ: Ist Kirtan mit seinem Community-Gedanken für dich die ideale Form der Performance?
JK: Derzeit spiele ich tatsächlich mehr Kirtan als Solokonzerte. Mir gefällt dabei, dass das Publikum unkompliziert teilhaben kann. Singen öffnet sowieso immer das Herz. Dazu das traditionelle Verständnis von Sanskrit: Es gibt die Auffassung, dass man in anderen Sprachen über etwas spricht – im Sanskrit wird man aber zu der Sache, die man ausspricht. Om Namah Shivaya: Hier sprechen wir nicht über Shiva, sondern lassen seine Energie in uns klingen. Diese Verschmelzung von Subjekt und Objekt geht zu uralten Ideen zurück, nach denen alles Klang ist.

YJ: Zusätzlich interessierst du dich sehr für die therapeutische Qualität von Musik.
JK: Ja, und zwar jeder Musik. Seit Jahrtausenden wissen wir, dass Musik heilende Wirkung hat. Auch Heavy Metal und andere vordergründig „dunkle“ Sounds: Musik hilft uns dabei, emotional aufzuräumen. Es macht keinen Sinn, einen Metal-Fan zum Kirtan zu schleppen. Er braucht anderen Input, um damit umzugehen, was in ihm und in seinem Umfeld passiert.

YJ: Auch deine Klangmassagen mit dem Didgeridoo, die du in Workshops und Retreats anbietest, dürften ihn nicht unmittelbar ansprechen…
JK: Vermutlich (lacht). Das ist eine gute Ergänzung zu meiner Arbeit mit Yogalehrern. Elemente einer typischen Stunde wären: Sonnengruß mit Live-Tabla, erholsame Haltungen mit indischen Ragas auf der Flöte, Stimmarbeit mit dem Harmonium und während Savasana individuelle Klangmassagen mit dem Didge. Der durchdringende Sound mit dem Didgeridoo kann tief sitzende Blockaden lösen – und das ist sicher nicht nur für Yogis interessant.

Interview: Christina Raftery

Hörproben und Jasons aktuelle Solo-CD gibt es unter www.jasonkalidas.com

Das Magazin // Juli + August 2009 + CD#1

Liebe Leserinnen und Leser,

 

in dieser Ausgabe widmen wir uns schwerpunktmäßig einem Thema, das durchaus Skepsis erzeugen kann: Bhakti, dem Yoga der Hingabe, und damit verbunden der sogenannten „spirituellen“ Musik. Allein die Worte, die in diesem Zusammenhang immer wieder vorkommen: „Bedingungslose, reine, kosmische Liebe“. „Hingebungsvolle Verbindung mit dem Göttlichen“. „Devotion“. „Essenz des Selbst“. Wie verwendet man sie, um der Feierlichkeits-Falle zu entkommen und das Einfache, Effektive und damit Wunderbare dieses Yogawegs zu betonen? Durch erstaunliche Inhalte.
Jeden Eindruck von „Heiligkeit“ versuchten wir sprachlich durch immer neue Kombination und Interpretation von Worten zu vermeiden, inhaltlich durch alltägliche und besondere Beispiele aus dem Leben. Verbindlichkeiten liegen uns dabei fern, ebenso in Ernährungsfragen: „Wie is(s)t ein Yogi?“ fragten wir zahlreiche Yogalehrer und den Ayurveda-Experten Volker Mehl, der ab sofort jede Ausgabe praktische Alltagstipps aus einer uralten Wissenschaft liefern wird. Die Antwort: ein Spektrum an Konzepten, das vor allem einen Wert ins Zentrum stellt – die Individualität.
Wieder war alles reinstes Yoga. Asanas, Philosophie, Musik, Ernährung, Magazingestaltung – überall scheint es vor allem um eines zu gehen: Aus einer Mischung von Information und Erfahrung das Gefühl entwickeln, was im Moment genau richtig ist. Ein – Achtung! – hingebungsvoller Lernprozess, aus dem nun die zweite Ausgabe des deutschen YOGA JOURNALS entstanden ist.

 

Viel Spaß beim Lesen, die YOGA JOURNAL Redaktion

 

 

TITELTHEMEN der Ausgabe Juli + August 2009:

 

– Herzöffner Musik: Die neue Lust am Chanten

– Donna Karan: Mitgefühl statt Mode. Mit ihrer Urban Zen Foundation bringt Donna Karan mehr Mitgefühl in Krankenhäuser

– Geeta Iyengar – Im Licht des Vaters. Der Blick für das wahrhaft Menschliche: Geeta Iyengar auf der Europäischen Iyengar Yoga Convention in Köln

– Dharma Mittra: Roh zum inneren Glück. Nur vegetarisch zur Erleuchtung?

– Essen wie ein Yogi. Du bist, wie du isst: Yoga-Prinzipien auf dem Teller

– Die Chemie der Erleuchtung. Tanz der Moleküle: Warum Kirtan das bessere Ecstasy ist

– Sommerpicknick: Ayurveda To Go. Warm essen trotz Sommerhitze

– Yoga Basics:  Der rechte Winkel. Utthita Trikonasana (gestreckte Dreieckshaltung) als Fundament für die Yoga-Praxis

– Home Practice: Wie Rückbeugen das Herz öffnen und mehr Energie für den ganzen Tag verleihen

 

Das Leben (um)lernen – Interview mit Mark Whitwells und Patrick Broome

Mark Withwells Yogaworld

Mit einem Versprechen kommt Mark Whitwell zum Interview ins Jivamukti Yogaloft in München. Seine Message ist eine beruhigend Devise für alle Perfektionist*Innen: Die Suche ist vorbei. Mark Whitwells und Patrick Broome, sein erfolgreicher Schüler im Interview.

Im Yoga gibt es weder ein physisches noch ein spirituelles Ziel. Das Ideal ist bereits vorhanden und heißt “Realität”. Die Yogapraxis ermöglicht unmittelbare Verbindung mit dieser Realität, unserem individuellen, komplizierten, erstaunlichen und rundum perfekten Leben.

Dabei lautet Marks Versprechen: “Übe täglich Yoga – entschlossen, natürlich, aber nicht besessen. Dann garantiere ich Frieden, Kraft, Erfüllung – und ein fantastisches Liebesleben.” All dies stellt jeder Moment bereit? Wir sind komplett versorgt und müssen “nur” Verbindung herstellen? Verlockend. Und plausibel, wie sich im Gespräch mit Mark Whitwells und Patrick Broome, einem der wichtigsten Vertreter des Jivamukti Yoga in Deutschland, herausstellt.

Yoga Journal: Mark, du bist auf Einladung des Jivamukti Centers in München zu Gast. Wie entstand deine Freundschaft mit Patrick Broome?

Mark Whitwell: Patrick und ich haben gemeinsam die Straßen von New York unsicher gemacht – das verbindet immens (lacht).

Patrick Broome: Mark und ich begegneten uns 1999 in New York bei Sharon Gannon und David Life. Ich absolvierte gerade mein Teacher Training und arbeitete am Front Desk. Mark unterrichtete wöchentlich im Jivamukti Center. Sein Ansatz interessierte mich, weil Vertreter vieler Stile teilnahmen und offenbar alle profitieren konnten.

MW: Ich stamme ursprünglich aus Neuseeland und tastete mich zu diesem Zeitpunkt langsam an die USA heran. Das Jivamukti Center war sozusagen mein Verknüpfungspunkt zu den USA, ein Ort, an dem ich wirklich ankommen konnte. Meine Yoga-Heimat ist die Lehre Krishnamacharyas, und im Umfeld von Sharon und David verstand man die Prinzipien des “Lehrers unserer Lehrer”, wie ich ihn nenne. Unter anderem unterrichtete Krishnamacharya BKS Iyengar und Patthabi Jois, dessen Prinzipien im Jivamukti System integriert sind. Von Beginn an gab es eine starke Verbindung zwischen Sharon, David, Patrick, mir – und dem “Großvater”.

YJ: Wie hast du Patricks Weg seither wahrgenommen?

MW: Meiner Meinung nach hat Patricks Arbeit in Deutschland einiges bewirkt. Er hat dem Yogaweg eine öffentliche Wirksamkeit gegeben, die es in dieser Form noch nicht gab. Damit steht er in einer großen Tradition: Die ersten europäischen Indologen, die vor etwa 100 Jahren die Sanskrit-Schriften übersetzten, waren Deutsche. Das neue Interesse an der alten Weisheit ist ein wunderbares Phänomen.

PB: Dabei habe ich ein zentrales Element meines Wegs dir zu verdanken. Durch dich habe ich schlicht und ergreifend atmen gelernt. Obwohl ich mich vorher viel mit den extrem atemgesteuerten Ashtanga und Jivamukti Formen beschäftigt habe, hatte ich von Atmung keine Ahnung. Das Prinzip des “Kraft/Empfangens” (ha-tha; strength receiving), wie die Bandhas bei der Ausatmung Stabilität schaffen und wie der Körper dann als festes Gefäß Energie aufnehmen und vor Leben explodieren kann – all das änderte den Schwerpunkt meiner Praxis gewaltig. So wurde aus Körperarbeit Atemarbeit.

MW: Bis dahin hattest du dich sehr intensiv mit den sogenannten “populären” Formen des Yoga beschäftigt und ihnen dann mit den Prinzipen von Krishnamaharya eine neue Tiefe gegeben. Verbindung funktioniert sehr gut im Yoga: Meine Arbeit besteht darin, Krishnamacharyas Lehre mit Iyengar und Asthanga Vinyasa zu kombinieren.

YJ: Dann kann man Yoga nach Krishnamacharya also nicht als “populär” bezeichnen?

Kliff Yoga Bärbel Miessner

MW: Er ist einfach nicht so bekannt und hat nicht die Marketing-Gewichtung erfahren, mit der die Entstehung der heutigen “Yoga-Marken” besonders in den USA begleitet wurde. Aber grundsätzlich ist “Popularität” für mich nicht negativ besetzt. Mein eigener Weg begann, als ich als Jugendlicher mitbekam, dass sich die Beatles nach Rishikesh aufmachten. Unsere Pophelden interessierten sich für authentischen Yoga! Da musste etwas dran sein. Kurze Zeit später reiste auch ich nach Indien, weil mich Alternativen zum Funktionieren in der westlichen Gesellschaft interessierten.

Seither ist es für mich essentiell wichtig, den wissenschaftlichen, überlieferten Yogaweg in den zeitgemäßen Unterricht zu integrieren. Akademische Betrachtung macht Yoga kraftvoll, sicher, effizient – und sehr, sehr saftig.

PB: Wie würdest du aus deiner Erfahrung zusammenfassen, was Krishnamacharya uns anbietet?

MW: Krishnamacharya beschreibt einen Yogaweg, der jedem einzelnen Menschen gerecht werden kann. Absolut jeder kann unmittelbare Intimität mit der Realität erfahren – einer Realität, die nährt und unterstützt. Es gibt für jeden das passende Yoga, und es ist jederzeit erreichbar: Wer atmen kann, kann Yoga üben. Auch wenn es uns nicht immer bewusst ist, ist das Leben ein perfekter, heilender Prozess. Als Gelehrter der Veden erfand Krishnamacharya seine Aussagen nicht selbst, sondern formulierte die wissenschaftliche Erkenntnis: Wir brauchen die Yogapraxis als Werkzeug, um unsere Ideale zu verwirklichen. Sonst bleiben sie unerreichbare Konzepte und optimaler Anlass zur Frustration. Wir unterscheiden immer zwischen Alltag und Spiritualität. Das ist ein intellektuelles Konzept, das die Menschen auf Dauer unglücklich macht. Wir brauchen Yoga, um diesen Dualismus aufzulösen.

PB: Hat dir die von Krishnamacharya vermittelte Praxis geholfen, die Prinzipien deiner anderen Lehrer Nithyananda und U.G. Krishnamurti zum Ausdruck zu bringen?

MW: Absolut. Über die Jahre habe ich in Indien von einer Reihe faszinierender, “erleuchteter” Persönlichkeiten lernen dürfen, “Jivamuktis” (befreite Seelen) im wahrsten Sinne des Wortes. Die Meister Nithyananda und U.G. Krishnamurti beschrieben Yoga als Weg, auf dem das spirituelle Konzept nicht nur Theorie ist. Dieser Weg ist die Befreiung vom Unglück.

Das verzweifelte und vermeintlich vergebliche Streben nach “Erleuchtung” und der ständige Vergleich – “Verdammt! Andere sind erleuchtet und ich nicht” – hat soziale Strukturen erzeugt, die uns von unserer Essenz entfernt haben. Die luftigen Höhen spiritueller Exklusivität haben sich vor allem die großen Religionen zunutze gemacht und den Weg dahin als Kampf beschrieben, den nur die Besten bestehen. Genau hier setzt die Yogapraxis an: Wir können – und die Betonung liegt auf “können” –  in jeder Situation etwas letztendlich sehr Einfaches unternehmen, um uns und die Realität komplett anzunehmen.

YJ: Ihr beide seid international anerkannte Yogalehrer und unterrichtet eine große Zahl von Schülern. Wenn sich jeder jederzeit sein individuelles Yoga aneignen kann, worin liegt dann die Rolle des Lehrers?

MW: Der Lehrer unterweist den Schüler in der Entwicklung seines eigenen Yoga, nicht der Übernahme dessen, was der Lehrer praktiziert. Das wäre Imitation. Jeder kann Yoga üben, allerdings nicht jeden Yoga. Der Schlüssel hierzu liegt im Atem, der Verbindung zur Lebenskraft. Er bedingt die Asana, nicht umgekehrt. Die individuelle Praxis emanzipiert den Schüler vom Lehrer. Ich erinnere ich mich gut an eine Yoga Conference in Köln, auf der Patrick über die Relevanz des Atems sprach – im Publikum waren Sharon Gannon, David Life und ich. Ein schönes Siegel zwischen uns.

PB: Auch die Schriften nehmen Yoga das vordergründig Komplizierte. Sehr oft zitierst du Krishnamacharya in seiner Überzeugung, dass die ersten vier Yoga Sutras von Patanjali den gesamten Yoga erklären.

MW: Ja, es gibt eine “Top 4”. Sie definieren Yoga, der Rest des Buches ist Kommentar. Das zweite und wichtigste Sutra unterliegt einer sehr interessanten Übersetzungsdebatte: Hatha Yoga – chitta (Bewusstsein) – vritti (gerichtet) – nirodha (wahl). Krishnamacharya übersetzt Nirodha mit “Wahl”, aber über hundert andere Wissenschaftler setzten den Begriff mit “Beschränkung” gleich. Der “Lehrer unserer Lehrer” betont die Wahl bzw. Entscheidung, die Gedanken in eine kontinuierliche Richtung zu bringen. Nicht einen Kampf, der uns Bedürfnisse unterdrücken lässt.

Die Redaktion des Bewusstseins, um der Erfahrung auf den Grund gehen zu können, ist ein Thema in vielen Religionen. Nicht so im Yoga.

Hier lebt man im Fluss der alltäglichen Erfahrung, beobachtet sie, verbindet sich mit ihr und kann dadurch zur Essenz kommen. Im Christentum werden Heilige mit einem Heiligenschein über ihrem Kopf dargestellt. Im Yoga strahlt der ganze Körper, und es gibt keinen Konflikt mit der Welt, darunter Sex und der Polarität zwischen Mann und Frau.

PB: Im westlichen Denken ist Dualismus charakteristisch, sogar in Diskussionen über Patanjali. Man muss etwas überwinden, um irgendwo hinzukommen – die Karotte ist immer knapp vor der Nase, nie erreichbar. Rückzug nach innen, transzendieren, Erleuchtung …

Die dualistische Welt sollte ein Auslaufmodell sein. Es geht um Einheit.

MW: Ein linearer Prozess hin zu Gott ist sinnlos, weil Gott nicht abwesend ist. Wie könnte sich eine Quelle jemals von ihrem Ausdruck distanzieren? Wenn wir Asana üben, treiben wir keinen Sport, sondern verschmelzen mit dem, was der Hinduismus shakti nennt – der Lebensenergie, die uns bestens versorgt. Sich anstrengen, irgendwo hinzukommen oder die Welt zugunsten scheinbarer Alternativen zu verneinen, ist ein Hamsterkäfig, den wir schnellstens aufgeben sollten.

YJ: Ein Hamsterkäfig, der sich allerdings hervorragend vermarkten lässt.

MW: Erleuchtung wird tatsächlich als spirituelle Ware gehandhabt, und zwar von in dieser Hinsicht sehr intelligenten Gurus. Auch und gerade in Indien ist Spiritualität ein riesiges Business. Es gibt definitiv einen Unterschied zwischen Authentizität und dem Verkaufen von Hoffnung. Einen echten Guru erkennt man an seinem Desinteresse an einer Gefolgschaft. Er würde seine Schüler niemals sozial oder mental abhängig machen.

YJ: Das moderne Yoga kann sich vieler Kanäle bedienen, um die Menschen zu erreichen. Dabei spielen die Medien eine wichtige Rolle.

MW: Das finde ich im Grunde großartig. Jeder sollte diese Zugang zu dieser Information haben und erfahren, dass Yoga keine heldenhafte, komplizierte Angelegenheit ist, sondern ein einfaches Mittel, sein Leben zu bereichern. Dem steht kein Alter, keine Konsitution oder spezifischer Glaube im Weg. Werner Vogel, mein Verleger in Deutschland, ist beispielsweise 70 Jahre und überzeugter Katholik. Er unterrichtet im Priesterseminar von Fulda Yoga – als eine Art “Körpergebet”, mit dem man der Schöpfung begegenen kann.

Jesus war ein Yogi, ebenso Buddha.

Solche Dinge sollten den Weg in den Mainstream finden. Dazu sind alle Medien geeignet: Mein Unterricht läuft beispielsweise zwei Mal die Woche auf dem Kabelsender Body In Balance. Eine Serie heißt “Real Yoga For Real People – Ten Ancient Secrets To Make Any Yoga Your Yoga.” Fernsehen und Internet sind wichtig. Und dann die Live-Events. Ich denke da an einen Workshop im Münchner Olympiastadion…(lacht)

YJ: Ein früherer Mark Whitwell-Workshop in München hieß “Advanced Yoga for EveryOne”. Was bedeutet im Yoga echter Fortschritt?

MW: Dazu müssen wir mit der Vorstellung von Yoga als einer Gymnastik mit spirituellem Twist aufräumen. Asana bedeutet, Kraft zu empfangen. Fortschritt ist direkter, individueller Kontakt mit der Realität, nicht die perfekte Beherrschung einer Haltung. Ein Workshop, den ich am Esalen Zentrum in Kalifornien unterrichtete, hatte den Titel “Advanced Yoga For Perfect Beginners”. Auch ein Anfänger ist perfekt, weil das Leben perfekt ist, ein Wunder der Natur, das nicht einmal die Wissenschaft komplett begreifen kann. Yoga ist machbar, genau heute – und nicht als Konzentration auf ein zukünftiges Ziel. Und er passt auf jeden Köper (every body) und jede Lebenssituation, nicht nur auf junge weiße Frauen mit Ballett-Erfahrung, die dazu noch die nötige Freizeit haben. Jeder hat die Chance, seine Bewegungen dem Atem anzupassen: So entstehen authentische Yogis, keine Asana-Fans.

YJ: Ist die momentane Welt besonders reif für den Yogaweg?

MW: Alle Krisen und Konflikte entstehen, wenn sich Menschen ungeliebt fühlen. Unsere Aufgabe ist es, Liebe zu verbreiten und allen klarzumachen, dass sie geliebt werden. Aber nicht als Missionare, sondern kreative Impulsgeber. Dazu haben wir ein fantastisches Hilfsmittel – Yoga, die natürliche, unkomplizierte Teilnahme am Wunder des Lebens. Das ganz „normale“ Leben sollte ausgiebig gefeiert werden. Hierzu leben wir gleichzeitig in der schwierigsten und bestmöglichen Zeit.

Interview: Christina Raftery

<br /> ©heartofyoga.comMark Whitwell war lange Jahre persönlicher Schüler von Krishnamacharya und seinem Sohn T.K.V. Desikachar. Sein Yoga versteht er als “Yoga des Herzens” (“Yoga Of Heart”), dessen Prinzipien er in seinem gleichnamigen Buch verdeutlicht. 1996 gründete Mark die Nonprofit-Organisation “The Heart of Yoga Association”, die die Yoga-Ausbildung an ungewöhnlichen Orten, darunter Beirut und der Nahe Osten, unterstützt.

Patrick Broome ist Gründer und Co-Leiter der drei Jivamukti Yoga Center in München. Der promovierte Psychologe und Autor ist Yogalehrer der Deutschen Fußballnationalmannschaft, der TSG 1899 Hoffenheim und des FC Bayern München. Seine Erfahrungen mit den Sportlern inspirierten ihn zu seinem Buch ” Yoga für den Mann“.

Seane Corn über spirituellen Aktivismus

Im Yoga Journal-Interview spricht Yogalehrerin Seane Corn aus Los Angeles, die ihren Weg 1987 als Kellnerin in David Lifes New Yorker “Life Cafe” begann, über Balance, Verbundenheit, Netzwerke und Selbsterforschung als Basis für sinnvollen Aktivismus.

Ihre charakteristische Verbindung aus physisch herausforderndem Vinyasa Flow Yoga und sozialem Engagement empfindet Seane Corn nur als logisch. In dem von ihr mitgegründeten Training “Off The Mat Into The World” zeigt sie Yogis Möglichkeiten, ihrer körperlichen Praxis eine gesellschaftliche Dimension zu geben. Konkrete Unterstützung für Projekte, die Wandel bewirken wollen. Wir haben sie zum Interview getroffen.

YJ: Jeder Yogi weiß um den immensen persönlichen Gewinn, den diese Praxis bewirkt. Dabei kann der Impuls entstehen, diese Inspiration konkret einzusetzen und auf andere zu übertragen.

Seane Corn: “Für mich persönlich gab es nie eine Trennung zwischen dem physisch heilenden Yoga und der Bedeutung für den Geist und Seva, Dienst am Göttlichen. Gerade in der modernen Welt liegt die Herausforderung nicht darin, die Realität zu transzendieren, sondern sie zu erkennen und sich mit ihr zu verbinden. Die Yogapraxis sensibilisiert uns für alle Arten von Ungerechtigkeit in der Welt. Dabei kann es passieren, dass man für eine bestimmte Sache zu brennen beginnt. Mit “Off The Mat Into The World” (OTM) wollen wir Yogis ein paar Strategien an die Hand geben, diese Energie gezielt zu kanalisieren – sie ist zu wertvoll, um zu verpuffen.”

YJ: “Von der Matte in die Welt” – wie sah dieser Schritt bei dir aus?

Seane Corn: “Wie alles war das ein Prozess, der sich allmählich entwickelt hat. Vor etwa zehn Jahren begann ich verstärkt darüber nachzudenken, wie man die Struktur der Yoga Community gezielt für soziale Projekte nutzen könnte. Unter den Yogis gibt es viele gebildete, gutverdienende und großzügige Menschen – ein ideales Umfeld für Spendenaktionen. Laut einer Umfrage des amerikanischen Yoga Journal ist beträgt das jährliche Durchschnittgehalt der US-Yogis 72.000 Dollar. Genau da wollte ich ansetzen.

Mein Fundraising verlief überraschend erfolgreich. So war ich bald in der Lage, unter anderem Obdachlosenheime und die Organisation YouthAids unterstützen zu können. Im Laufe der Arbeit merkte ich aber bald, dass mir ein Burn-Out drohte und viel Enthusiasmus für Dinge verloren ging, die mich überforderten. Die Sache brauchte mehr Struktur. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits gemerkt, dass es mir Spaß machte, spirituellen Aktivismus zu vermitteln. Mit der unschätzbar großen Hilfe des “Engage Network” der Umweltaktivistin Julia Butterfly Hill entwickelten wir OTM zu einer Trainingsorganisation for Yogis, die in ihrem direkten Umfeld eine karitative Führungsrolle übernehmen wollen – sei es beim Tier- und Umweltschutz, im sozialen Bereich oder in der Entwicklungshilfe.

YJ: Welche Aspekte des Yoga klingen hier speziell an?

Seane Corn: Über die Yogapraxis können wir die Verbindung zu allen anderen Lebewesen herstellen. Bereits diese Einsicht der Einheit ist radikal und macht uns zu Aktivisten, zu Vermittlern des Umbruchs. Hierdurch können wir vermeiden, dass wir die, denen wir helfen wollen, als Opfer zu sehen. Vielmehr können auf einer gemeinsamen Ebene Kontakt herstellen. Dabei ist persönliche Authentizität sehr wichtig, auch die Fähigkeit, mit den eigenen Schatten umgehen zu können – besonders in der Arbeit mit Jugendlichen, die einen unfehlbaren Radar für fehlende Authentizität haben. Um Klarheit vermitteln zu können gilt es, die eigene Stimme zu finden. Aktivismus ist ein Spiegel des Ego und kann durchaus heilende Wirkung haben. Es geht nicht um uns – es geht aber auch nicht NICHT um uns.

YJ: Kann man Aktivismus wirklich “lernen”?

Seane CornSC: In unserer Arbeit wollen wir das Rad nicht neu erfinden. Mit OTM wollen wir Resourcen bieten, die das unterstützen, was viele Yogis ohnehin schon auf den Weg gebracht haben. Mit Meditationsübungen begleiten wir die Selbsterforschung im Sinne von “Was bedeutet Engagment für mich?” und geben Anregungen hinsichtlich Netzwerkbildung, Zusammenarbeit, Organisation und Strategie. Es geht darum, das Engagement nachhaltig zu gestalten und inneres Ausbrennen zu vermeiden. Mir selbst hat das Delegieren vieler Bereiche neuen Auftrieb gegeben und auch die Vision vergrößert. Eigentlich war es meine Rettung – sonst hätte ich mich irgendwann als Märtyrerin verstanden.

YJ: Worin bestehen die wichtigsten Stufen bei der Netzwerkbildung?

Seane Corn: Finde Menschen, die du magst, für die du einen Instinkt hast und mit denen du gut zusammen arbeitest. Finde Führungspersönlichkeiten für jeden Bereich, baue Selbstvertrauen auf, werde kreativ. Erweitere den Raum für Aktivitäten und Gruppen, die dich unterstützen. Entwerfe ein konkretes Projekt, wie wir es für unsere “Seva Challenges” tun. 2008 gaben wir folgende Parole aus: Jedes Mitglied der Yoga Community, das 20.000 Dollar Spendengelder sammelt, kann mit uns nach Kambodscha reisen, um in Phnom Penh in Zusammenarbeit mit dem Cambodian Children’s Fund humanitäre Arbeit zu leisten.

YJ: Welche Qualitäten zeichnen in diesem Zusammenhang eine “Führungspersönlichkeit” aus?

Seane Corn: Auf jeden Fall Organisationstalent und die Fähigkeit, Verantwortung abzugeben. Ich bin immer auf der Suche Menschen, die manche Bereiche besser umsetzen als ich es je könnte. Führungspersönlichkeit stellen für mich die richtigen Fragen an sich und andere, schöpfen kreativ aus vorhandenen Resourcen und sind emotional involviert – obwohl die Situationen, denen sie begegnen, roh, brutal und überwältigend sein können. Konfrontationen wie mit den Greueltaten der Roten Khmer in Kambodscha können das individuelle Yoga auf eine harte Probe stellen. Da ist es wichtig, sich in einem sicheren inneren und äußeren Rahmen zu bewegen.

YJ: Welche Rolle spielt im sozialen wie spirituellen Aktivismus das Ego? In manchen Formen des Aktivismus scheint es, als würden ihre Vertreter ihr Engagement vor allem zur Selbstheilung nutzen.

Seane Corn: Hier geht es um innere und äußere Balance. Als ich sehr jung war, war ich eine schlechte, vielleicht sogar nervende Aktivistin. Weil ich keine Methode hatte, um meinen Ärger zu verarbeiten, war ich ständig auf der Suche nach den “Bösen”, denen, die “unrecht” hatten. Jugendlicher Aktivismus ist oft so strukturiert, trotzdem aber auch nicht wirklich “schlecht”, weil er sehr leidenschaftlich ist. Vorsicht aber vor Fanatismus. Im spirituellen Aktivismus gibt es kein “richtig” oder “falsch” und vor allem keine Abgrenzung. Die Auffassung “Ich gegen den Rest der Welt” ist die Wurzel vielen Übels. Man kann also direkt bei sich ansetzen: Inwiefern und von wem lebe ich abgekoppelt und wo kann ich mehr Mitgefühl einsetzen?

YJ: Aktivismus beginnt also bei der Selbsterforschung?

Seane Corn: Selbst-Bewusstsein, Selbstrespekt und Selbstkontrolle sind die Schlüssel zu äußerer Aktivität. Es ist um so vieles einfacher, andere in Ordnung zu bringen als sich selbst. Viele sind geradezu süchtig danach, gebraucht zu werden und für ihre “Selbstlosigkeit” anerkannt zu werden. In der Konfrontation mit den Schwierigkeiten des Lebens gibt es viele Krisen und dadurch eine Palette dunkler Gefühle. Die Yogapraxis hilft, sich ihrer nicht zu schämen, sie nicht zu verurteilen und sie nicht zu verdrängen, sondern als Teil der menschlichen Erfahrung zu betrachten.

YJ: Wie könnte ein “effektiver” Aktivist im Sinne des Yoga aussehen?

Seane Corn: Sinnvoller Aktivismus ist weder besonders dramatisch noch glamourös. Ein “guter” Aktivist hört eher zu als dass er sich äußert. Er nimmt etwas so an, wie es ihm begegnet. Die komplexen Gefühle, die in Krisensituationen in ihm aufsteigen, kann er weiterziehen lassen. Die Motivation für das Engagement ist uneingeschränkte Liebe. Sein Verhalten trägt dazu bei, den Fluss für andere zu verändern. Und er ist offen für die Veränderung, die dieser Einsatz bei ihm selbst bewirken kann. Das bedeutet zwangsläufig Verletzlichkeit, durch die man viel lernen kann. Verabschieden sollte man sich von Perfektionismus und die Tatsache annehmen, dass man allein nicht alles leisten kann.

YJ: Welche Formen kann dieser authentische Aktivismus annehmen?

Seane Corn: Die Möglichkeiten sind unendlich. Sie beginnen bei der Yogapraxis und der Meditation. Auf keinen Fall müssen spektakulären Ausruck finden und radikale Lebensbrüche bedeuten. Eine der komplexesten und wirkungsvollsten aktivistischen Herausforderungen des Lebens besteht meiner Meinung nach in der Kindererziehung. Diese erstreckt sich eben nicht nur auf einen Monat humanitäre Arbeit in einem Entwickungsland. Als Familie zu leben ist Aktivismus pur. Eine bewusste Ernährung ist Aktivismus pur. Bedachter, informierter Konsum – alles radikale Aktionen.

YJ: Diese Haltung kann sich auch in der Asanapraxis wiederspiegeln. Früher warst du für besonders forderndes Vinyasa Flow Yoga bekannt. Teilnehmer deiner frühen Klassen berichten von 16 Dhanurasanas (Bögen) hintereinander – 16!!!

seane_scorpion

Seane Corn: Es kommt noch besser. Manchmal fragte ich einen Schüler nach seinem Geburtstag und richtete die Zahl der Asana-Wiederholungen nach dem Datum. Zu dumm, wenn es der 31. März war… Ich habe damals einfach das Spektakel über die Substanz gestellt. Vielleicht, weil ich zu unsicher war, einen Bogen in 16 Minuten interessant zu erklären – da waren mir 16 Bögen wichtiger. Heute unterrichte ich drei Dhanurasanas hintereinander…

YJ: Ein beliebter Workshop, den du unterrichtest, heißt “Detox Flow”. In welchem Zusammenhang stehen für dich die Entgiftung des Körpers und der spirituelle Aktivismus?

Seane Corn: Yoga ist physisch und mystisch. Über diesen Weg können wir das ganze Leben körperlich, mental und spirituell erfahren. Mit meiner Detox-Yoga Klasse kann ich ein Mainstream-Publikum erreichen, das sich vor allem für die körperlichen Vorteile des Yoga interessiert. Natürlich spielt das eine wichtige Rolle, aber die “Entgiftung” der Gedanken ist ebenso effektiv. Wut, Trauer, Selbstzweifel und ungelöste Probleme setzen sich als Vibrationen in jede Zelle ab, und das ungeeignetste Mittel, sie ruhig zu stellen, sind Abhängigkeiten – sei es von Drogen, Genussmitteln oder sogar Sex. Aber es gibt nie genug Ersatz für die Leere. Abhängigkeit bedeutet Entfremdung, auch das ist Thema im “Detox Flow”. Diese Stunden sollen ein balanciertes Umfeld schaffen, um über die ultimative Verbindung von Körper und Geist sprechen zu können.

YJ: Seane, bist du ein richtig guter Mensch?

Seane Corn: Selbstverständlich! Aber ernsthaft: Für meine Arbeit werde ich oft mit Lob überschüttet. Sich davon nicht beeindrucken und manipulieren zu lassen, ist eine echte Herausforderung. Insgesamt bin ich einfach in der glücklichen Lage, mit der Unterstützung eines grandiosen Netzwerks meine Vision umsetzen zu können. Aber ich habe das niemals komplett selbstlos getan – denn ich bekomme mehr zurück, als ich jemals geben kann.


In ihrer über 25-jährigen “Yogakarriere” lernte Seane Corn unter anderem bei Sharon Gannon und David Life, Pattabhi Jois, Erich Schiffman, Bryan Kest und Patricia Walden. 2005 erhielt sie für ihr Engagement den “Conscious Humanitarian Award”. Mit Hala Khouri und Suzanne Sterling gründete sie 2007 die Organization “Off The Mat, Into The World“, eine Trainingsinitiative für nachhaltigen Aktivismus. Im Herbst 2019 erscheint ihr erstes Buch “Revolution of the Soul”.

Exklusive Gewinnspiele, Yoga-News, Meditationen, Praxisstrecken, leckere Rezepte, Ayurveda und vieles mehr

Melde dich hier für unseren Newsletter an.

Wir halten deine Daten privat und teilen sie nur mit Dritten, die diesen Dienst ermöglichen. Lies unsere Datenschutzerklärung.