Das Magazin // Mai + Juni 2012

Shavasana

„Die meisten Menschen sind jemand anderes. Ihre Gedanken sind die Meinungen anderer, ihr Leben ist Nachahmung, ihre Leidenschaften sind Zitate“, sagt Oscar Wilde. (Um gleich zu Anfang jemand anderen zu zitieren und dessen Gedanken zur eigenen Meinung zu machen.) Im Yoga dagegen werden wir für Momente authentisch. Beim Atmen kann uns niemand vertreten. Beim Umfallen aus dem Kopfstand auch nicht. Die Entspannung am Ende gehört uns selbst – oder es ist eben keine Entspannung. Das alles kann sehr befreiend sein. Aus dem gleichen Grund wollen die Tibeter das Sterben üben. Im Moment unserer Todes sind wir auf uns allein gestellt, wir können uns nicht mehr vertreten lassen oder ausweichen. Die Buddhisten üben deswegen ein bewusstes und vor allem angstfreies Sterben. Im Yoga eröffnet Shavasana, die „Totenstellung“, zumindest eine Perspektive auf einen körperlosen Zustand. Obwohl wir „tot“ sind und der Körper sich für einige Augenblicke auflöst, ist unser Bewusstsein weiter da. Tulku Lobsang nennt diesen Zustand in unserem Interview Schlaf- oder Traum-Yoga. Die Lehre aus solchen Übungen oder auch tiefer Meditation ist: körperlos = todlos. Wir machen dabei unter Umständen eine ganz direkte Erfahrung. Die Beschäftigung mit dem Tod und dem eigenen Sterben hat viele Aspekte. Wir wollen das Thema niemandem aufdrängen. Wir teilen jedoch die Meinung vieler Philosophen und spiritueller Lehrer, dass die Beschäftigung mit dem Sterben, dem Leben eine besondere Qualität geben kann. Unser Seinsbewusstsein (Karl Jaspers) verändert sich, unsere Lebendigkeit nimmt zu, die Dankbarkeit für das Leben und die Fähigkeit zu lieben.

Om Shanti,
Michi Kern und die YOGA JOURNAL-Redaktion

TITELTHEMEN
– SPECIAL: Loslassen. Yogaphilosophie / Vom Umgang mit dem Sterben / Alles rund um Shavasana
– 3 schmerzfreie Herzöffner
– Interviews: Schauspielerin Hannah Herzsprung, Tibetischer Meister Tulku Lobsang
– Stilserie: Iyengar Yoga
– Reinigungskur – Ayurvedisch entschlacken
– City Trip: Stuttgart
– Gesunde Frühlingsküche statt Diätenwahn

Sie können die Ausgabe 03/2012 bequem und versandkostenfrei in unserem Wellmedia-Shop bestellen.

Verwenden statt verschwenden

Omas Spruch „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.“ müsste in der heutigen Zeit eigentlich anders lauten. In erster Linie sollte das gegessen werden, was anderenfalls in der Tonne landet. Das ist nämlich meistens durchaus noch genießbar. Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner verkündete erst kürzlich, dass laut einer Studie für das Verbraucherschutzministerium in Deutschland jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Etwa zwei Drittel davon kommen aus privaten Haushalten. Hauptsächlich werfen die Menschen Essen weg, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist – dabei sind viele Lebensmittel auch nach diesem Zeitpunkt noch vollkommen in Ordnung. Bis die Nahrungsmittel ihren Weg in unseren Kühlschrank finden, müssen sie erst gewisse ästhetische Kontrollen bestehen. Kartoffeln sollen klein und ebenmäßig sein, Äpfel mit einem Durchmesser von weniger als fünf Zentimetern verlassen den Ursprungsort erst gar nicht. Der Regisseur Valentin Thurn hat den weltweiten Umgang mit Lebensmitteln beobachtet und macht in seinem Film “Taste The Waste” auf die haarsträubenden Ergebnisse aufmerksam. Auf der Suche nach den Ursachen und Verantwortlichen spricht er mit einem Supermarkt-Direktor, einem Bäcker, einem Großmarkt-Inspektor, einem Bauern und einem EU-Politiker. Was er findet, ist ein weltweites System, an dem sich alle beteiligen. Der Filmemacher geht noch einen Schritt weiter und weist nach, dass sich die Verschwendung verheerend auf das Weltklima auswirkt.

Fazit: Ganz ohne erhobenen Zeigefinger zeigt “Taste The Waste”, dass ein weltweites Umdenken stattfindet und dass es viele Menschen gibt, die die irrsinnige Verschwendung zu stoppen versuchen. Erschütternd und doch ermutigend!

Tipp: Auf den OM-Seiten der YOGA JOURNAL-Ausgabe 03/12 stellen wir das Projekt “Dinner Exchange” vor.

 

Slow Sex – Wie Sex glücklich macht

Entschleunigung bitte. Und das nicht nur beim Essen, sondern auch bei der schönsten Nebensache der Welt. Nach der Trendbewegungen Slow Food (im Gegensatz zu Fastfood) greift der Gedanke zum Genießen nun auch auf das Thema Sex über und nennt sich Slow Sex. Als ein Grundbedürfnis des Menschen und wichtiger Teil einer Beziehung ist Sex ein Teil des Lebens, mit dem wir uns immer wieder beschäftigen.

Aber was ist, wenn das schneller-höher-weiter-sensationeller-Prinzip der durchsexualisierten Gesellschaft auch vor dem Bett nicht Halt macht und wir vollkommen überzogene Gedanken, Wünsche und Anforderungen an uns selbst und unseren Partner stellen? Performance alles ist? Gemessen an den stets präsenten Idealbildern kann die Realität nur enttäuschen und es entsteht Frust, Angst, Isolation. Also genau das Gegenteil von intimer Zweisamkeit.

Diana Richardson, Bestsellerautorin und Sexualtherapeutin, kann denjeningen unter uns, die durch zu viel Druck eine gewisse Anti-Haltung und Skepsis zum Thema Sex entwickelt haben mit ihrem Film “Slow Sex – Wie Sex glücklich macht” sanfte Abhilfe schaffen. Nicht nur sie und ihr Mann treten dem Zuschauer absolut ehrlich gegenüber. Auch andere Paare wurden nebeneinandersitzend über die Momente und Gefühle befragt, die sonst lieber unter den Tisch gekehrt werden.

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Die Regisseurin Diana Richardson

Nach ihrem Buch „Slow Sex – Zeit finden für die Liebe“ hat Diana nun ein Verständnis von im Alltag positiv gelebter Sexualität als Alternative zu überhasteter, entindividualisierter, mechanischer Imitation von Erotik und Liebe verfilmt. Die ratgebende Dokumentation richtet sich an alle, die sich mit den Themen Körper, Seele und Geist sowie der Integration ihrer Sexualität im Alltag beschäftigen wollen. Richardsons Analysen rund um das Thema Sex sind keine Heilsphilosophie, sondern praktische pragmatische Lebenshilfe, auch über das Kernthema hinaus.

Der Individualität im Sex, der uninszenierten Erotik und der zwanglosen, nicht vom Wettbewerb überfrachteter Zweisamkeit ist die auf Diana Richardsons erfolgreichen Seminaren und Büchern basierende DVD „Slow Sex“ gewidmet, auf der die Ansätze und Theorien ihrer Methodik kompakt und zugänglich dargestellt werden.

Fazit: Eine Einladung, sich selbst und dem Anderen beim Sex wirklich und authentisch zu begegnen.

“Slow Sex – Wie Sex glücklich macht. Der neue Stil des Liebens” von Diana Richardson, (Innenwelt Verlag, Produktionsfirma: relaxLove Productions / augenschein Filmproduktion), ca. 25 Euro

 

Glücksformeln

„Gibt es einen Schlüssel zum Glück? Nein, denn ein Schlüssel würde nur eine Antwort zulassen“, weiß Glücksforscher Prof. Dr. Ed. In „Glücksfomeln“ beleuchtet Regisseurin Larissa Trüby das Glück von allen Seiten: Neben Glücks-Forschern kommen jene zu Wort, die ihren eigenen Weg gefunden haben: Musiker Phillip ist am glücklichsten, wenn er kreativ arbeitet. Bei Abiturientin Janina wirkt das Joggen; die NLP-Trainer Marc und Wiebke visualisieren ihr Glück. Macht, Geld und Äußerlichkeiten, so wird klar, können nur kurzfristig die Stimmung aufhellen. Der Film zeigt: Wir können selbst für unser Glück sorgen – ohne zu erwarten, dass es uns in den Schoß fällt. Glück wird greifbar, machbar, Eine Glücksformel ist, in sich ehrlich zu fragen: Was macht mich wirklich glücklich? Denn am Ende haben wir nur eines: ein Leben. Das sollte so glücklich wie möglich sein. Und wer im Film keine Glücksformel findet, freut sich an den schönen Bildern.

Fazit: „Glücksformeln“ liefert vielleicht nicht die individuell passenden Formeln zum Glück, bringt uns aber auf den richtigen Weg, diese Gleichung zu lösen.

Laura Hirch

„Glücksformeln“ von Larissa Trüby (Universum Film, ca 15 Euro)

Als Vishnu eine Lotusblüte gebar

Asanas und ihre mythische Bedeutung

Am Anfang seines Yogawegs – und manchmal auch viel später – freut man sich, wenn man sich die Sanskrit-Namen der Asanas merken kann, die der Lehrer einen Atemzüge lang einnehmen lässt. Heldenhaft versuchen wir, uns in Virabhadrasana stark und mutig zu fühlen, in Vrikshasana Wurzeln zu schlagen und in Balasana wie ein kleines Kind zu ruhen. Doch die Wirkung der Asana könnte intensiver erfahren werden, würde man deren Bedeutung besser kennen. Hinter jeder Asana und ihrer Bewegung steht der Name einer Gottheit, eines Weisen, eines Tiers. In dem wunderbaren, liebevoll gestalteten „Als Vishnu eine Lotusblüme gebar“ sind diese Geschichten erstmals gesammelt und verkürzt nacherzählt. Das Autorenpaar hat ihr Buch in die vier Kapitel „Haltungen der Yogis“, „Haltungen der Götter“, „Haltungen der Weisen“ und „Tiere & Erde“ unterteilt. Darin erzählen und erklären sie die Mythen, die tiefere, spirituelle Bedeutung von zwei Mudras und 32 Asanas, von Padmasana, dem Lotussitz, bis Shavasana, der Totenhaltung – wodurch diese ganz neue Kraft und Schönheit entfalten. So erinnert uns Virabhadrasana, dass ein heiter-gelassenes Leben durch Freude, Mitgefühl, Glück und Gleichheit erreicht wird. Die Meditation über die Toleranz der Bäume in Vrikshasana hift, selbst toleranter zu werden und Balasana ermutigt zum kindlichen Gottvertrauen. Shiva Rae hat das Vorwort geschrieben, Manorama das zum Schluss.

Fazit: Ein absolut inspirierendes Buch, dessen tiefe Liebe zu Yoga in der deutschen Übersetzung leider ein bisschen verloren ging. Für Yoga-Übende, Yoga-Lehrer und alle, die sich für Mythen und Legenden interessieren.

Stephanie Schönberger

„Als Vishnu eine Lotosblüte gebar – Legenden und Mythen aus dem Yoga“ von Alanna Kaivalya & Arjuna van der Kooij (Südwest Verlag, ca 15 Euro)

Juwel für Frauen

Ihre Erscheinung und ihre Methode sind das Gegenteil der bekannten, vorzugsweise kalifornischen Vinyasa-Elfen. Ihre Biografie ebenfalls: Gita S. Iyengar übte ihre ersten Asanas in einer Zeit, in der Yoga in Indien nicht einmal für Männer gängige Praxis war. Ihr Guru war B.K.S. Iyengar, ihr eigener und der (Über)Vater des modernen Yoga. 1961 begann sie selbst zu unterrichten. Streng, robust, präzise und respekteinflößend trägt sie die Lehre ihres Vaters bis heute weiter. Durch intensive Studien in Yoga, Philosophie und Ayurveda hat sie sich ihr unabhängiges Renommee geschaffen. In ihrem Unterricht wendet sie sich besonders an Frauen. 1995 erschien ihr Buch „Yoga: A Gem For Women“ (wörtlich: „Ein Juwel für Frauen“), das auch unter dem deutschen Titel „Yoga für die Frau“ bald zum Klassiker avancierte und jetzt in einer neuen Auflage vorliegt.

Ästhetisch ist es kein Wunderwerk. Seine absolute Sachlichkeit und die praktische Illustration haben beim Lesen allerdings bald entspannendere Wirkung als ein Großteil der von Sonnenuntergängen und Wasserfällen durchtränkten Übungsliteratur. Gitas Methodik und ihr Schreibstil gehen keine Kompromisse ein: „So und nicht anders“ lesen sich viele Anleitungen, was „Yoga für die Frau“ ähnlich wie B.K.S. Iyengars „Licht auf Yoga“ zum zuverlässigen Nachschlagewerk macht.

Die Gender-Ausrichtung ihres Buches bezieht Gita Iyengar hauptsächlich auf die weibliche Biologie. Sie beschreibt geeignete Asanas, Pranayama und Meditationstechniken während der Menstruation, als Geburtsvorbereitung und während der Wechseljahre als „Weg zu Gesundheit, Entspannung und innerer Kraft.“ Philosophisch sieht sie im Yoga jedoch keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, wie sie vor zwei Jahren in einem Interview mit YOGA JOURNAL betonte: „Was Patanjali gesagt hat, gilt für Frauen und Männer gleichermaßen.“

Fazit: Ihrer eigenen Aussage nach stand Gita Iyengar nie im Schatten ihres Vaters, „sondern in seinem Licht“. Ihr Klassiker für Yoga in allen Phasen des Frauenlebens, mit dem sie vollends ihre Eigenständigkeit bewies, beweist auch in der Neuauflage seine Relevanz.

„Yoga für die Frau“ von Gita S. Iyengar (O.W. Barth, ca. 23 Euro)

Interview |Bernd Rößler

Bernd Rößler

„Das Horoskop ist ein Spiegel des Lebens“

Der 47-jährige Wahl-Detmolder Bernd Rößler hat sich vor drei Jahren als vedischer Astrologe selbstständig gemacht – ein erfolgreicher, aber lebensverändernder Schritt. Aus astrologischer Sicht musste es so kommen, so das Fazit des gelernten Physiotherapeuten und Osteopathen. Zum Gespräch über die vedische Astrologie Jyotisha trafen wir Bernd Rößler in einem Garten zwischen Detmold und Paderborn.

YOGA JOURNAL: Vor elf Jahren hatten noch Sie zwei erfolgreiche Physiotherapie-Praxen in München und mit Astrologie wenig am Hut. Was ist passiert?

Bernd Rößler: Lange Zeit war ich mit Leib und Seele Physiotherapeut und Osteopath. Ich konnte meinen Patienten helfen. Mit der Zeit fühlte ich aber, dass es tiefer gehende Hilfe geben muss. Gleichzeitig stieß ich immer häufiger auf esoterische Themen und landete schließlich bei der vedischen Astrologie.

Eine ganz ordentliche Kehrtwende.

Für mich war es keine Kehrtwende, eher die logische Weiterentwicklung meines Wunsches, Menschen zu helfen. Und zwar auf eine wirklich ganzheitliche Weise. Ich traf Hart deFouw [bekannter vedischer Astrologe; Anm. d. Red.]. Das war für mich die entscheidende Begegnung, durch die ich mit der alten vedischen Tradition in Kontakt gekommen bin. Er repräsentiert und lehrt wie kein anderer in unserer westlichen Welt das astrologische Wissen der Seher alter Zeiten. Durch seinen Unterricht wurde mir klar: Das ist der Weg, den ich konsequent weiter gehen muss.

Konnten Sie Hart deFouw denn so einfach kontaktieren?

Ja, so erstaunlich das klingt: Damals konnte man einfach seine Seminare belegen. Das habe ich einige Jahre getan. Mehrere Monate im Jahr habe ich dafür in San Francisco gelebt, wo Hart deFouw seinen Unterricht gab. Dann hatte ich das unwahrscheinliche Glück, dass Hart mich zum Einzelunterricht eingeladen hat. Eine Zeit, die ich einfach nur als Geschenk beschreiben kann.

Wie haben Sie diese Ausbildung finanziert?

Meine Praxen in München liefen ja unverändert weiter. Erst später habe ich die Praxen dann verkauft.

Sie sagten, Sie helfen den Menschen jetzt in ganzheitlicher Weise…

Als Physiotherapeut und Osteopath habe ich Menschen mit körperlichen Beschwerden therapiert. Als vedischer Astrologe ist es mir möglich, mit Hilfe von Horoskopen die gesamte Lebenssituation eines Menschen zu erfassen. Ich kann sehen, mit welcher Vorgeschichte ein Klient in seine gegenwärtige Situation gekommen ist und welche Möglichkeiten ihm zukünftig offen stehen. Das ist natürlich ein ganz anderer Zugang, um das Leben eines Menschen bereichern zu können, bringt aber auch viel Verantwortung mit sich.

Inwiefern?

Es ist eine besondere Gunst, mit Hilfe von Horoskopen am Leben eines Menschen teilhaben zu können. Jeder Klient schenkt mir sein Vertrauen, dass ich verantwortungsvoll mit den Informationen umgehe, die ein Horoskop mir offenbart. Die Höhen und Tiefen im Lebensverlauf muss ich so vermitteln, dass der Klient gestärkt aus der Beratung herausgeht. Die Beratung soll helfen, persönliche Erfolge auszubauen und Enttäuschungen abzufedern. Der Klient soll wissen, wie er sein Leben gestalten kann.

Was genau wird beispielsweise im Horoskop repräsentiert?

Das Horoskop ist ein Spiegel des Lebens. Das ganze Leben wird im Horoskop repräsentiert: Elternhaus, Kindheit, Schule, Lehrzeit, Beruf, Partnerschaft, aber auch Gesundheit, Spiritualität und Lebensglück. Kein Thema bleibt ausgegrenzt.

Und das funktioniert?

Ja.

Wie konkret können Sie Menschen helfen, ihr Leben zu gestalten?

Sehr konkret. Es gibt Menschen, die vor einer Geschäftsentscheidung zu mir kommen und mich fragen, wie sie sich in einer konkreten Vertragsangelegenheit verhalten sollen. Andere haben Fragen zu ihrer Familie oder zur Vergangenheitsbewältigung. Wieder andere benötigen Entscheidungshilfen für Beziehungsprobleme. Je gezielter gefragt wird, desto konkreter die Antworten. Was aber nicht heißt, dass es nicht auch viele Klienten gibt, die zunächst einmal einen allgemeinen Überblick über ihr Leben haben wollen. Oft rufen mich dann genau diese Klienten später bei konkreten Anlässen wieder an.

Wofür kann man die vedische Astrologie noch nutzen?

Ein klassischer Anwendungsbereich für Jyotisha ist Muhurta. Das ist das Festlegen von Zeitpunkten für wichtige Handlungen. Zum Beispiel um zu heiraten, ein Haus zu kaufen, eine Reise zu starten oder ein Geschäft zu eröffnen. Ein weiterer Bereich ist Prashna, die Fragen-Astrologie. Mit speziellen Horoskopen finden sich damit Antworten auf jede erdenkliche Frage, völlig unabhängig vom Geburtshoroskop.

Was benötigen Sie für eine astrologische Beratung?

Meistens lasse ich mir vor der Beratung das Geburtsdatum, den Geburtsort und die Geburtszeit des Klienten geben. Mit diesen Daten wird das so genannte Geburtshoroskop erstellt. Das analysiere ich, bevor der Klient zu seinem Termin erscheint. Bevor wir beginnen, nehme ich noch Handabdrücke mit Tinte auf Papier. Das Handlesen ist traditionell Teil der vedischen Astrologie. Hände und Horoskop gemeinsam ergeben einen umfassenden Einblick.

Wie viel können Sie denn konkret in einer Sitzung erzählen?

In jedem Fall so viel, dass der Klient nach der Sitzung zunächst keine offenen Fragen mehr hat.

Was sind denn die beliebtesten Fragen?

Fragen zum Thema Partnerschaft werden am häufigsten gestellt. Jeder Mensch strebt Partnerschaft an. Das liegt in unserer Natur. Und wir erleben dort alles, von Anerkennung bis Ablehnung. In Partnerschaft liegt unser größtes Potenzial, um uns persönlich weiter zu entwickeln. Gleichzeitig aber auch unsere größte Chance, an unsere Grenzen zu stoßen. Kein Wunder also, dass sich so viele Fragen um Partnerschaft drehen. An zweiter Stelle rangieren Fragen zum Thema Beruf und Karriere. Jeder benötigt eine Aufgabe und möchte wissen, wie er diese erfolgreich bewältigen kann. Partnerschaft und Beruf sind die beiden wichtigen Anker für ein stabiles Leben. Aber gerade diese beiden Lebensbereiche stehen in unserer Gesellschaft enorm unter Stress. Noch nie hat es so viele Singles und Scheidungen gegeben. Und noch nie gab es so viele Berufe und Spezialisierungen.

Gibt es bei den Fragen Unterschiede zwischen Männern und Frauen?

Frauen tun sich offensichtlich sehr viel leichter, ihr Leben mit Hilfe der Astrologie zu hinterfragen. Die deutliche Mehrzahl meiner Klienten sind Frauen. Ihr Hauptanliegen ist meistens Partnerschaft und Familie. Erst in zweiter Linie Beruf und Finanzen. Männer sind eher an Beruf und Finanzen interessiert, bevor sie das Thema Beziehung und Familie ansprechen.

Wollen die Menschen eigentlich primär nur Gutes hören?

Die Menschen, die zu einer Beratung kommen, möchten etwas über ihr Leben erfahren. Niemand geht davon aus, dass alles immer nur gut und erfolgreich verläuft. Es gehört auch zu einer Beratung, schwierige Lebensbereiche anzusprechen. Die meisten Klienten kommen ja gerade zu mir, weil sie sich vor eine Herausforderung gestellt sehen. Sie möchten vor allem eine realistische Perspektive und eine Lösung für ihre Probleme.

Was passiert, wenn Sie etwas Negatives sehen?

Ich spreche es an, damit mein Klient sich darauf einstellen kann und entsprechend handelt.

Können Sie ein paar Beispiel geben?

Jemand ist seit Jahren beruflich erfolgreich und plant einen Hausbau. Dafür möchte er einen Kredit aufnehmen. Im Horoskop ist deutlich zu sehen, dass die kommenden zwei Jahre mit beruflichen und finanziellen Schwierigkeiten einhergehen. Danach stabilisiert sich die Situation wieder. Ich rate dazu, den Hausbau und die Kreditaufnahme zwei Jahre zu verschieben, damit die entstehenden finanziellen Probleme nicht unnötig vergrößert werden. In einem anderen Fall ist zu sehen, dass sich die Gesundheit binnen eines Jahres deutlich verschlechtern wird. Meine Empfehlung wird dann sein, ab sofort regelmäßig ärztliche Check-up Untersuchungen durchführen zu lassen. So besteht die Möglichkeit Veränderungen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls zu handeln. Jyotisha gibt jedem die Chance jederzeit das Beste in gegebenen Situationen zu erkennen und adäquat zu handeln.

Inwieweit steht Jyotisha, also vedische Astrologie, denn dem freien Willen entgegen? Ich meine, wenn ich das mit dem Finanzproblem weiß und mich entscheide, trotzdem zwei Jahre vorher den Kredit aufzunehmen…

Jyotisha steht dem freien Willen nicht entgegen. Jyotisha spiegelt wider, was passiert, und gibt den Menschen die Möglichkeit, ihren freien Willen sinnvoll einzusetzen.

Was halten sie von vedischen Horoskopen, die von Computerprogrammen ausgearbeitet wurden?

Computerprogramme arbeiten hundertprozentig exakt. Die reinen Daten stimmen also. Aber erst dann beginnt die eigentliche Astrologie, nämlich die Interpretation der Daten. Wichtiger als die Fakten ist in der Astrologie der inspirierte Umgang mit ihnen. Das kann ein Computer nicht. Die nötige Inspiration für die richtige Interpretation eines Horoskops stellt sich ein, wenn ein geeigneter Lehrer sein Wissen im Sinne der Tradition weitergibt. Dazu gehört neben der Vermittlung von Theorie auch die Einweisung in bestimmte spirituelle Praktiken, Sadhana. Selbst ein Astrologe, der nur über eine Handvoll von Regeln und Gesetzmäßigkeiten seiner Tradition verfügt, diese aber versteht, inspiriert einzusetzen, ist in der Lage, einem Horoskop erstaunliche Wahrheiten zu entlocken. Wahrheiten, die ein Computer niemals erkennen könnte, obwohl er bei seinen Berechnungen viel mehr astrologische Regeln und Gesetzmäßigkeiten zur Anwendung bringt. Was fehlt, ist die Inspiration. Ohne Inspiration keine Astrologie.

Haben Ihre Aussagen denn immer gestimmt?

Ich kann nicht für mich in Anspruch nehmen, zu jeder Sekunde hundertprozentig inspiriert zu sein. Wer kann das schon. Dann kann es zu ungenauen Aussagen bezüglich ganz konkreter Fragestellungen kommen. Manchmal ist auch einfach die Geburtszeit nicht korrekt dokumentiert worden. Dann kommt es aufgrund der falschen Daten eventuell zu falschen Schlussfolgerungen. Sagt mir der Klient, dass er sich in meinen Aussagen nicht wiederfindet, kann ich sehr schnell Rückschlüsse auf die korrekte Geburtszeit ziehen. Und dann ist das Horoskop wieder stimmig und lässt richtige Schlussfolgerungen zu.

Zeitungshoroskope werden von PCs ausgespuckt und trotzdem werden sie von vielen gelesen…

Sogar von sehr vielen. Zeitungshoroskope haben einen Unterhaltungswert. Die Inhalte sind unverbindlich und verheißen weder einen Millionengewinn noch ein Jammertal. Niemand wird sein Leben danach ausrichten.

Richten Sie Ihr Leben eigentlich nach Ihrem eigenen Horoskop aus?

Das Horoskop repräsentiert mein Leben. Es macht mir klar, welche Aufgaben für mich anstehen und welche Themen auf mich zukommen. Für mich ist das enorm hilfreich. Wenn ich wichtige Entscheidungen treffen muss, setze ich regelmäßig Prashna ein. Und bevor ich etwas Neues starte, nutze ich auf jeden Fall Muhurta. Horoskope sind auch für mich persönlich immer wieder erstaunliche Hilfsmittel, um zu verdeutlichen, was möglich und was unvermeidbar ist. Jyotisha zeigt, wo es lang geht.

Geben Sie Ihr Wissen auch weiter?

Ich gebe in verschiedenen Städten in Deutschland Workshops zu unterschiedlichen Themen. Außerdem biete ich regelmäßig Seminare für vedische Astrologie und das vedische Handlesen an.

Sagen Sie uns zum Abschluss noch, was uns im neuen Jahr erwartet?

Jyotisha ist eine sehr individuelle Sache. Pauschale Aussagen sind viel zu oberflächlich und werden den Möglichkeiten der vedischen Astrologie nicht gerecht. Es gilt die persönlichen Erfolgsmöglichkeiten und auch die Probleme eines Menschen wirklich ernst zu nehmen. Der richtige Rahmen dafür ist die Einzelberatung. Aber unabhängig davon wünsche ich Ihnen und allen Ihren Lesern von Herzen alles Gute für das kommende Jahr.

Von Jennifer Bligh

Das Magazin // März + April 2012

Philosophie als Anleitung zum Handeln

„Philosophie ist eine Bewegung, mit deren Hilfe man sich nicht ohne Anstrengung und Zögern, nicht ohne Träume und Illusionen, von dem frei macht, was für wahr gilt, und nach neuen Spielregeln sucht.“ Dieses Zitat des französischen Philosophen Michel Foucault darf man getrost für die Yoga-Philosophie verwenden, die das Schwerpunktthema in unserer aktuellen Ausgabe ist. Ganz im Sinne dieser Definition kombiniert R. Sriram die Lehre der Bhagavad Gita mit praktischen Yoga- und Meditationsübungen – als Weg, um in eigene, originäre Erfahrungen einzutauchen und Abstand zur eigenen Denkweise zu gewinnen (ab Seite 52). Er schlägt vor, ein neues Verhältnis zum Wünschen zu entwickeln, indem man sich frei macht von der Erwartung: Wünsche sollten sich auf eine ganz bestimmte Weise erfüllen. Ziele sind nichts Statisches – und Yoga hat kein Ziel, wohl aber einen Zweck. Sri Tirumalai Krishnamacharya, dessen Kinder Sri Shuba und Sribhashyam wir (ab Seite 24) für dieses Heft interviewt haben, sagte: „Die Schüler sollen ihren Kopf benutzen und unabhängig sein.“ Das ist aus meiner Sicht der Sinn und Zweck der Yoga-Philosophie. Endlich wird in diesem Interview auch das geheimnisvolle Phänomen aufgeklärt, warum so viele Frauen Yoga praktizieren: „Frauen haben keine Angst, Männer haben Angst“, sagt Sribhashyam. Männer haben Angst vor der Stille und davor, gewisse Grenzen zu überwinden. Für beide Geschlechter allerdings bleibt die größte Herausforderung das, was wiederum ein französischer Philosoph, Jacques Derrida, beschrieben hat: „Beharrliches Frei-Sein-Wollen gegenüber den unendlichen, komplexen und vielfältigen Mechanismen der gegenwärtigen Gesellschaft. (Der Intellekt ist Widerstand, wenn er ist.)“ Yoga ist also keine Lehre, sondern eine Handlung. Diese Aussage unterstreichen auch die beiden Autorinnen Sally Kempton und Kate Holcombe in ihren Texten über Wandel und Veränderung (ab Seite 44). Auf ganz besondere Weise hat dies jedoch Krishnamacharya selbst durch sein eigenes Leben und sein unabhängiges Yoga demonstriert.

Om Shanti,
Michi Kern und die YOGA JOURNAL-Redaktion

TITELTHEMEN
– Detox Yoga: Frühjahrsputz im Körper
– 15 Übungen für mehr Willenskraft
– Interviews mit R.Sriram + Krishnamacharyas Kindern Sri Shuba und Sribashyam
– Tiefe Entspannung mit Yoga Nidra
– Neues Ziel, neues Glück: Veränderung mit Ayurveda meistern
– Indische Gewürzküche: Authentische Rezepte für Einsteiger

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