Wenn wir unsere Yogapraxis wirklich ernst nehmen, dann werden wir uns irgendwann mit der Ethik des Yogaweges auseinandersetzen, die laut Patanjali die Basis jeder Praxis sein muss: Gewaltfreiheit, Wahrhaftigkeit, Genügsamkeit, die meisten in den Yamas und Niyamas dargelegten Prinzipien wirken unmittelbar in das menschliche Miteinander hinein. Aber “müssen” Yoga-Praktizierende ethischer handeln, moralischer denken? Haben sie mehr Verantwortung, weil sie mit dem “großen Ganzen” per Du sind? Ich weiß es nicht – was meinst du?
Eines zumindest kann ich für mich beantworten: Bei der Frage, ob Yoga politisch ist, geht es nicht so sehr darum, ob Yogapraktizierende oder -lehrende für Demokratie und “gegen rechts” aufstehen oder nicht. Das bleibt ihre Sache. Es ist wie in allen Berufssparten und gesellschaftlichen Gruppen – manche tun das, andere tun das nicht. Genau wie aus der Ärzteschaft oder aus der Wissenschaft oder aus den Gewerkschaften heraus aktuell Demonstrationen initiiert, Gesprächsrunden konzipiert und offene Briefe geschrieben werden, so gibt es auch in der Yogawelt Protagonist*innen, die öffentlich für die Werte einstehen, die sie für wichtig und essenziell halten. Für mich hat dieses öffentliche “Haltung zeigen” nicht spezifisch mit Yoga zu tun – eher mit den gesamtgesellschaftlichen Fragen, die sich an uns alle gleichermaßen richten, Yogi*ni oder nicht.
Weniger Meinung – mehr Mensch

Bedeutet politisches Handeln, Position gegen etwas zu beziehen? Dann könnte man einwenden: Yoga ist grundlegend unpolitisch! Widerspricht das Einstehen für eine Seite und gegen eine andere – für Demokratie oder gegen Krieg, für Grün oder gegen Lila – nicht einem wichtigen yogischen Grundgedanken: Geht es im Yoga nicht gerade darum, Polaritäten aufzulösen, das Verbindende zu stärken, die übergeordnete Harmonie zu erkennen? “Jede Art von Spaltung bringt Probleme mit sich“, betont auch R. Sriram, dennoch befürwortet er es, klar Stellung zu beziehen. Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Wir können uns im Namen der Politik mit Einstellungen und Handlungen auseinandersetzen, sollten uns aber nicht gegen Menschen wenden, vor allem nicht nur, weil sie eine andere Meinung vertreten als wir.
Etwas anderes ist vielleicht noch entscheidender: Wir denken und handeln immer aus dem Kosmos der eigenen begrenzten Wahrheit heraus – und es ist essenziell, dass wir um diese Begrenzung wissen. Im Yoga Sutra heißt es, dass Unwissenheit oder eine fehlgeleitete Sicht auf die Dinge wichtige Hindernisse auf dem spirituellen Weg sind. Wir sind also aufgerufen, unser eigenes Richtig und Falsch als genau das erkennen, was es ist – unser eigenes. Das heißt nicht, dass man Ethik beliebig interpretieren kann. Nur sollten wir unsere eigenen Werte und Überzeugungen nicht mit einer universellen Wahrheit verwechseln.
Gerade weil die Zeiten mal wieder so besonders unübersichtlich sind, scheinen viele Menschen die Wahrheit gepachtet zu haben: Sie haben Gewissheit über den Krieg in der Ukraine, äußern sich versiert zu den Geschehnissen in Israel-Palästina, zum Klimawandel, den Revolten in der Sahelzone und zu China sowieso. Dabei scheint es obligatorisch, ein eigenes “Richtig” zu definieren und daraus ein ebenso klares “Falsch” der “Anderen” abzuleiten. Zweifel haben keinen Platz – und entsprechend schwierig wird politischer Konsens. Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Wie kommt das?