Yoga und Politik: bewusst sein, um politisch zu werden?

Zineb Fahsi

“Yoga als eine Form der Sorge für andere”

“Bevor ich in die Geschichte des Yoga eingetaucht bin und mein Buch geschrieben habe (…), war ich sicher, dass ich aus den alten Texten ethische Prinzipien herausziehen könnte, die belegen, dass Yoga politisch ist – und dass es auf einer Linie mit meinem politischen Weltbild liegt: Gewaltlosigkeit, Reinheit, Verbundenheit – es schien mir offensichtlich, dass Yoga seit jeher im Dienst einer kollektiven Emanzipation stehen müsse. Im Laufe meiner Recherchen musste ich dann feststellen, dass die Geschichte sehr viel komplexer ist, und dass meine Suche in hohem Maß von fernöstlichen Klischees geprägt war. (…) Modernes Yoga entfaltet dann eine politische Dimension, wenn es als eine Form der Aufmerksamkeit
und der Sorge für andere unterrichtet wird – und wenn es Momente der Entspannung ermöglicht, in denen man die Vorstellungen von Produktivität, Nützlichkeit, Erfolg und Leistung beiseiteschieben und durchatmen kann. Diese kleinen Inseln des Durchatmens werden zwar nicht die Welt verändern, aber sie können uns willkommene Freiräume des Widerstandes gegen die herrschenden Sichtweisen eröffnen.”

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch der Politologin und Yogalehrerin Zineb Fahsi: Le Yoga, nouvel esprit du capitalisme

Hier findest du unser vollständiges Interview mit Zineb Fahsi:


R. Sriram

“Wir sind gezwungen, uns zu positionieren.”

“Mir wird sehr bange, wenn ich sehe, was weltweit, aber auch speziell in Deutschland, derzeit passiert. Die Grundfrage – was ist meine politische Rolle, was muss ich tun, wie weit soll ich gehen? – zieht sich durch die Yogaphilosophie, sie ist zum Beispiel auch der Kern der Bhagavad Gita. Jede Art von Spaltung bringt Probleme mit sich. Doch ohne gewisse Grundwerte, wie sie in den Yamas beschrieben sind, können wir keine Harmonie finden. Für die Entstehung einer friedlichen Gesellschaft muss ich mich daher verpflichten, Nein zu sagen zu Gewalt, zum Stehlen, zum Horten und Haben-Wollen. Das gilt nicht nur für andere Menschen, sondern für alles, denn Brahmacharya bedeutet: Du siehst Brahman in jedem Lebewesen. Im Sinne von Ahimsa kämpfen wir darum, die Gewaltneigung in uns selbst abzubauen. Das bedeutet aber nicht, dass ich mich immer harmonisch und still verhalte, wir sind gezwungen, uns zu positionieren und in den Konflikt hineinzugehen, denn wir können nicht als stille Zuschauer oder aus einer vermeintlich neutralen Position heraus mit anschauen, wie sich eine problematische Situation verschlimmert. Oder anders gesagt: Innere Harmonie wird nur bewiesen durch äußere Klarheit. Allerdings sind auch Mitgefühl und Vergebung Aspekte von Ahimsa – ich positioniere mich klar gegen Meinungen, aber nie gegen Menschen. Wir dürfen die Kommunikation mit Andersdenkenden nicht kappen und die Risse nicht noch größer werden lassen. Und letztlich muss ich wissen: Es ist alles ein Spiel (Lila). Was auch immer passiert: Die Welt geht weiter. Das schützt uns davor, im Kampf um Veränderung missmutig zu werden.”

Der Text ist ein Auszug aus einem längeren Gespräch zwischen dem Autor und Yogagelehrten R. Sriram und Philipp Strohm von YogaMeHome. Gemeinsam mit seiner Frau Anjali leitet Sriram ein Yogaretreat in Indien, zu dem auch ein Aufforstungsprojekt gehört. Mehr über Srirams Lehrtätigkeit in Deutschland und seine Bücher findest du hier.


Anna Trökes

“Unrecht muss beendet werden.”

“Im Yoga geht es um Bewusstheit: Körperbewusstheit, Atembewusstheit, Bewusstheit für den eigenen Geist, Bewusstheit im Umgang mit anderen und der Welt. Ich finde, das ist alles per se schon politisch: Wenn ich Yoga ernst nehme, lebe ich nicht nur mein Leben, sondern nehme auch ganz bewusst am gesellschaftlichen Leben und damit am politischen teil. Dharma und Yoga gehören eng zusammen. Dharma ist das, was uns als Menschen in dieser Welt und damit in der Gemeinschaft Halt gibt. Er ist auch das Wesen der Demokratie: Jedes Lebewesen in diesem ökologischen System der Erde hat seinen Platz, seine Bedeutung und damit auch eine Verantwortung. In dem symbolisch zu verstehenden Kontext der Bhagavad Gita fordert Krishna daher zu einem klaren Nein auf, denn ‘Unrecht muss beendet werden!’ Er sagt in diesem Zusammenhang sogar: ‘Sei ein Yogi!’ Damit meint er: Arjuna soll herauskommen aus seinen Emotionen und Stellung beziehen. Ich finde, das kann man ganz gut auf heute übertragen: Es geht um Werte, die wir uns erarbeitet haben. Die Demokratie ist nicht vom Himmel gefallen. Das müssen wir jetzt schützen und verteidigen.
Aber ganz wichtig dabei: Wir kommen politisch leider immer tiefer in ein reaktives Gestrüpp hinein. Wenn ich im Stress bin und mir jemand im Nacken sitzt, kann ich nicht mehr abwägen und klar denken. Das ist physiologisch ein Fakt. Nicht umsonst schickt Krishna Arjuna zuerst in Dhyana, die Meditation, und erst danach ins Handeln. Deswegen würde ich mich als Berlinerin zum Beispiel freuen, Yoga im Bundestag zu unterrichten. Das ist natürlich reines Wunschdenken, aber ich bin überzeugt: Gute Entscheidungen brauchen Klarheit und die wiederum braucht immer wieder Freiräume für Ruhe zum Nachdenken!”

Kaum jemand hat bei uns mehr zur Verbreitung und zum Verständnis von Yoga beigetragen als Anna Trökes mit ihren unzähligen Büchern, Lehrerausbildungen und Workshops. Mehr Infos dazu findest du auf ihrer Website.

Hier findest du unser vollständiges Interview mit Anna Trökes:


Ronald Steiner

“Ich empfehle, Politik aus der Yogapraxis herauszuhalten…”

“…und erst recht aus dem Yogaunterricht. Es ist wichtig, in diesem Zusammenhang eine yogische Lebensführung mit ihrer klaren ethischen Haltung von der eigentlichen Yogapraxis zu unterscheiden: Die Yogapraxis nimmt im Gegensatz zur yogischen Lebensführung nur eine begrenzte Zeit unseres Tages ein. In dieser Zeit geht es primär darum, mit sich selbst in Kontakt zu kommen und eine meditative Erfahrung zu erleben. So finden Körper und Geist zueinander. Darauf sollte man den Fokus legen. Beim Yogaunterrichten ist mir diese Empfehlung sogar noch wichtiger, denn der Yogaraum soll ein sicherer Ort sein für alle Menschen – egal welche politische Weltsicht, Religion oder Geschlechtsrolle er oder sie mitbringt. Sobald ich als Yogalehrer eine bestimmte Sichtweise hervorhebe, schließe ich Menschen mit anderen Ansichten aus. Dabei wäre gerade der geklärte Geist nach einer Yogastunde dazu geeignet, dass sich Menschen mit unterschiedlicher Sicht neu begegnen können.”

Der Arzt, Wissenschaftler und Yogalehrer Dr. Ronald Steiner hat sich vor einiger Zeit entschlossen, sein Studio in Ulm über einen freiwilligen Mitgliedsbeitrag zu finanzieren. So soll die Praxis allen Menschen offenstehen.


Cornelia Brammen

“Öffentlich Haltung zeigen.”

“Yoga bedeutet Verbindung. Sofern wir nicht in einer Höhle im Himalaya leben, sind wir verbunden: Mit Friends & Family, mit Geschäftspartner*innen, mit Teilnehmer*innen. Wie wir diese Verbindung leben sollten, dazu gibt Patanjali im Yoga Sutra klare Empfehlungen. Angesichts der aktuellen Angriffe auf freiheitlich-demokratische Grundordnungen durch Populismus, Neo-Faschismus und durch eine als rechtsextremer Verdachtsfall sowie in drei Bundesländern sogar als gesichert rechtsextrem eingestufte Partei sind zwei Yamas zentral: Ahimsa – Nein zur Gewalt: Das ist eine klare Aufforderung, Stellung zu beziehen. Nein zu Diskriminierung. Nein zu Angriffen gegen Zivilbevölkerung und Politiker*innen. Nein zu Massendeportationen von Menschen mit Migrationshintergrund. In unserer Community. Auf Instagram. Auf Demos. Laut. Und Asteya – Begierdelosigkeit: Wir nehmen niemandem etwas weg. Auch nicht dem Planeten. Deshalb fliegen wir nicht von einem Retreat zum nächsten. Wir leben eher vegan und vegetarisch. Und wir vertreten diese Haltung öffentlich. Yoga verlangt mehr von uns als Meditation und Rückbeugen. Yoga ist politisch.”

Cornelia Brammen ist Kundalini-Yogalehrerin und Geschäftsführende Vorständin von Yoga hilft. Der Verein organisiert soziales Yoga und setzt sich dafür ein, dass die Praxis nicht privilegierten Menschen vorbehalten bleibt.

Cornelia Brammen war auch Gast in unserem Podcast. Hier kommst du direkt zu Folge:


Autorin Andrea Goffart

Unsere Autorin Andrea Goffart hatte den Mut, sich der Komplexität dieses wichtigen Themas zu stellen. Als Schreib-Coach sagt sie: “Ich glaube, dass jedes Schreiben politisch ist – auch oder gerade, wenn wir es nur für uns selbst tun.” Mehr über Andrea und ihre Workshops erfährst du auf ihrer Website.


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