Pimp your Mind! Die 30-Tage-Niyamas-Challenge

Wer A sagt, lässt B folgen. Und auf Yama folgt: Niyama. Nach der Challenge zu den ethischen Lebensregeln laden wir dich jetzt zu einem neuen Abenteuer ein: Hier erfährst du von unserer Gastautorin Sybille Schlegel, wie du in 30 Tagen genauer hinsiehst, dein Ego-Ich besänftigst und so zu mehr Durchblick und neuen Perspektiven über dich selbst und die Welt gelangst – weg vom kleinen “Ich, ich, ich” und hin zum inneren Licht.

Text: Sybille Schlegel

Ihr kennt das von Netflix-Serien: Da das Vorherige in das Aktuelle hineinspielt, gibt es zunächst mal einen kleinen Rückblick, der zugleich eine Einführung ist: Was sind die Niyamas überhaupt, wie hängen sie mit den Yamas zusammen und welche Rolle spielen sie in dem komplexen Setting von Patanjalis Yogasutra und der Yogaphilosophie überhaupt?

Was die Sanskrit-Begriffe Yama und Niyama vereint, ist der Wortteil Yama. Der kommt von der Sanskrit-Verbwurzel yam, welche – wie so oft im Sanskrit – ziemlich verschiedene Bedeutungen haben kann. Am bekanntesten ist das Bedeutungsfeld von: sich zurückhalten, einschränken, kontrollieren oder gar zügeln. Meist wird Yama so übersetzt. Schließlich geht es im Yogasutra darum, das Ego-Ich im Zaum zu halten, bis es freiwillig mal innehält, sich hinsetzt und am inneren Licht erfreut. Bevor man dahin kommt, fühlt man möglicherweise Ängste oder Zweifel seines Ego-Ichs. Man hört es wimmern, ob dieses Zügeln denn wirklich nötig sei. Ob gar eine Peitsche oder Fesseln involviert seien. Denn in der Natur des Ego-Ichs liegt ja: Me first. Da wird Zurückhaltung klein geschrieben.

“Yoga ist radikal. Es eröffnet uns eine Perspektive, aus der wir sonst nur selten auf die Welt blicken.”

Sri Nisargadatta Maharaj

Mein Wörterbuch des Vertrauens zeigt Verständnis mit dem Ego-Ich. Es nimmt es beruhigend in den Arm und flüstert: “Fürchte dich nicht. Es geht darum, dass du über dich hinauswächst und deinen Menschen darin unterstützt, in positivem Verhalten beständig zu werden. Das ist gut, denn es führt dazu, dass der Schmerz weniger wird.” Das Ego-Ich atmet tief ein. Das Wörterbuch wispert aufmunternd: “Es geht darum, dich auf gewisse Dinge zu konzentrieren. Das kannst du doch!” Zaghaft äugt das Ego-Ich auf das Buch und jammert: “Aber hier steht auch: ‘in Flammen aufgehen’!” Das Wörterbuch schmunzelt liebevoll: “Keine Sorge. Das einzig Brennbare hier bin ich. Feuer steht für Reinigung und Veränderung. Flammen transzendieren bildlich das, was dich davon abhält, deine eigene Perfektion zu erkennen.” Das Ego-Ich schnieft und wischt sich nicht sehr ladylike mit dem Handrücken über die Nase.

Siora Photography Unsplash Buch
Foto: © Siora Photography via Unsplash

“Im Begriff Niyam verinnerlicht die Vorsilbe ni das yam“, doziert das Wörterbuch bereitwillig weiter. “Das heißt: Hier geht es darum, das innere Gefühl der Mitte zu erkennen und durch Verhalten zu pflegen. Und bevor du dich aufregst: Einige Übersetzungen werden dir nicht gefallen, weil sie auch etwas mit Einschränkung und Kontrolle zu tun haben. Das liegt aber nur daran, dass man, wenn man etwas Neues in sich etablieren möchte, in diesem Lern- und Übungsprozess Willenskraft, Konzentration und Durchhaltevermögen einsetzen muss. Niyama will dich nicht bestimmen. Ganz im Gegenteil. Es dient dir, dich selbst zu befreien.

Lies auch: “Yamas und Niyamas in der Yoga-Praxis” von Mark Stephens

Das Wörterbuch seufzt. “Ich wünschte, du und deinesgleichen würden das verstehen. Dann würde es euch viel leichter fallen, euch mehr für diese Übungen zu öffnen.” Das Ego-Ich kraust seinen Mund nachdenklich nach links. “Freiheit gefällt mir”, sagt es langsam. “Und die Übungen aus dem Yama-Bootcamp haben mir und meinem Menschen eigentlich auch Spaß gemacht. Wir hatten plötzlich mehr Freude im Alltag, mehr Lächeln.” Das Wörterbuch winkt eine Ausgabe des Yogasutra heran: “Komm, es ist jetzt soweit!”


Hast du Teil 1 bereits gelesen? Hier geht’s zur 30-Tage-Yamas-Challenge:


Passt das Außen, geht’s nach innen

Rücksicht, Umsicht, Vorsicht: Während die Yamas das eigene Verhalten gegenüber anderen Wesen und der Umwelt yogisch modifizieren und so ethische, bewusste und achtsame Handlungen fördern, liegen die Stellschrauben der Niyamas tiefer, nämlich in uns selbst: Reinheit, Zufriedenheit, Disziplin, Eigenstudium und Einheit mit dem Universalen, sind hier die Themen. Und das zeigt: Es geht ans Eingemachte. Yoga ist radikal, sagt Sri Nisargadatta Maharaj in seinem Buch “I am that”. Weil es eine Ebene in uns hervorbringt, die wir sonst nur selten bemerken. Weil es eine Perspektive in uns eröffnet, aus der wir selten auf die Welt blicken.

Wenn man mal darüber nachdenkt, ist schon die Idee vom Stillstellen des Geistes, Citta Vritti Nirodha, radikal! Patanjali sagt in Sutra 1.4, dass wir diesen Zustand normalerweise nicht haben. Stattdessen erfahren wir unsere Umwelt zunächst durch die Sinne. Die wiederum regen den Geist an, die gesammelten Eindrücke auf Basis verschiedener Algorithmen zu bewerten. Solche Berechnungsmethoden haben wir alle in uns entwickelt und zwar auf Basis bisheriger Daten (Gedächtnis), aus Erziehung, Bildung, Kultur, aus persönlichen und epigenen Lebenserfahrungen.

Yoga-Sutras Ylanite Koppens Pexels
Foto: © Ylanite Koppens via Pexels

Dieses innere Team aus Sicherheitsleuten, Abenteurer*innen, Chef*innen, Genießer*innen, Lehrer*innen und Quengler*innen berichtet uns dann in einer Powerpoint-Präsentation die passende Geschichte zur momentanen Sinneserfahrung. Dieses Meeting im Geist kann auch mal länger dauern. Oder von Hölzchen zu Stöckchen führen. Oder komplett in die Irre. Was dabei untergeht, ist die Möglichkeit, dass alle auch mal die Klappe halten können und Platz machen für das Sein im Hier und Jetzt, das Fühlen von Verbundenheit, eine innere Ruhe, die uns erfüllen könnte. Und genau dafür gibt es die Niyamas: Es sind Übungsbereiche, die den Geist klar machen, das Ego im Zaum halten und das Herz weit öffnen für die unmittelbare, lebendige Erfahrung.


Erfahre mehr zu Patanjalis Yogasutras in unserer Podcast-Folge mit Eckard Wolz-Gottwald:


Auf die Plätze, fertig, los geht es mit der Niyamas-Challenge!

Grundlegend für das sich Üben in den Niyamas ist – neben Wunsch und Willen es zu tun – die Fähigkeit zur Selbstbetrachtung, Reflexion. Das bedeutet im ersten Schritt: sehen, was man denkt, wie man sich fühlt, was man gerade sieht. Im zweiten heißt es, supervisorisch zu sehen, also überlegen, ob das, was man denkt, sieht und fühlt, dem angestrebten Ziel der inneren Ruhe dienlich ist. Oder ob es einen aus der Mitte herauskatapultiert. Gut, dass der Geist trainierfähig ist wie ein Bizeps. Bis er irgendwann eine Qualität erlangt, die Sri Nisargadatta Maharaj “Meditative Mind” nennt: einen Geist, der bereitwillig mal schweigt, und ein Ego, dass dem Herzen gerne den Vortritt lässt. Wie schon beim ersten Teil wollen wir uns auch jetzt für jedes Thema 6 Tage Zeit nehmen:

Tag 1 bis 6: SAUCA

Wer putzt, kriegt Durchblick

„Durch Reinigung (entstehen) Distanz zum eigenen Körper und Abstand von anderen. Die Wahrnehmung von Reinheit (mit der Qualität von sattva) macht den Geist klar und fokussiert.“

Patanjali, YS 2.40/41

Das erste der Niyama bedeutet Reinheit. Nähern wir uns der Sache mal bewusst mit Pragmatismus: Was passiert, wenn wir unsere Körper (oder wahlweise die Küche) reinigen? Zuerst setzen wir uns überhaupt mal mit der Notwendigkeit des Reinigens auseinander. Wir akzeptieren das Konzept “Reinheit” als ursprünglichen Zustand und das Konzept “Verschmutzung” als eines, das die Wahrnehmung der ursprünglichen Reinheit verhindert. Dann beginnen wir, die Verschmutzung zu finden und zu entfernen. Hier gilt: Man findet, was man sieht.

Ich reinigte als Teenager mal das Cerankochfeld im Elternhaus und war total zufrieden mit mir. Meine Mutter sah das nicht so. Sie bat mich den Kopf schief zu halten und das Kochfeld von der Seite zu betrachten: überall Fettschlieren. Wenn wir uns mit dem Reinigen beschäftigen, dann lernen wir, genauer hinzusehen, Feinheiten wahrzunehmen. Und wir bemerken, dass es scheinbar endlos ins immer Feinere geht. Und was passiert in diesem Prozess mit unserem Geist? Wir werden auch innerlich aufgeräumter, weil wir beginnen die Ruhe und die Klarheit von Reinem zu mögen und zu wollen. Wir erkennen, dass die Reinheit in all dem, das wir reinigen, nicht von Dauer ist. Und laden damit das in unser Leben ein, was dauerhaft rein ist.

Aktion 1: Wir haben heutzutage eine recht ausgeprägte Körperhygiene. Nimm spielerisch, aber regelmäßig, eine weitere dazu: Zungenschaber, Zahnseide, Nasenspülung, hochbewusste Pediküre – was du willst. Beobachte dich dabei und notiere deine Gedanken.

Mehr über Neti, Zungenschaber & Co…

Aktion 2: Trage ein weißes T-Shirt oder Hemd – Fortgeschrittene gehen ganz in weiß. Wie sieht so ein Kleidungsstück aus, bevor du es anziehst? Wie versuchst du den Zustand der Reinheit zu erhalten?

Aktion 3: Detox. Yeah! Obwohl noch gar nicht Januar ist. Du kannst auch jetzt detoxen, zum Beispiel indem du mal von Zucker, Kaffee, Rauchwaren oder ähnlichem Abstand hältst, von dem du weißt, dass es deinen Körper verunreinigt. Fortgeschrittene verzichten auf Social Media oder Netflix-Serien, noch besser auf Tratsch und Klatsch. Wie fühlst du dich? Notiere.

Lesetipp: “Ordnung meistern: endlich Raum zum Atmen!”

Tag 7 bis 12: SANTOSHA

Emotional öfter in der Mitte

„Aus Zufriedenheit gewinnt man unübertroffenes Glück.“

Patanjali, YS 2.42

Was ist Zufriedenheit eigentlich? Oder was ist es nicht? Es ist kein Aufgeben. Kein Akzeptieren, weil man muss. Kein Gefühl von Enge, Schwere, Bedrückung oder Unsichtbarkeit. Vielmehr ist es buchstäblich das “zu Frieden gekommen sein”: Ruhig, leicht, frei von Wollen, Streben, Müssen & Co. In der Bhagavad Gita Vers 2.55-66 ist etwas ausführlicher die Rede davon: Stetes Wollen kommt aus dem Geist, es wird gefüttert durch die Eindrücke der Sinne. Wenn man dieses Einflusses der Sinne nicht Herr wird (weil man sich dessen gar nicht bewusst ist), bleibt der Fokus hier. Ein Habenwollen ersetzt das andere. Eine ziemlich machtvolle Unruhe-Gewohnheit! Eine Sucht nach Erfüllung durch das Außen – materiell wie emotional.

Aus diesem Getriebensein entsteht Wut. Aus der Wut Verwirrung. Aus dieser der Verlust von Erinnerung. Daraus die Zerstörung aller Klarsicht. “Ab hier ist man verloren”, sagt Krishna. Kultivieren wir dagegen Zufriedenheit – also die Abwesenheit von Verlangen und Ablehnung (Raga und Dvesha) – wächst tiefe Ruhe in uns. Die bleibt, sogar im Alltag. Der Geist legt sich freiwillig in den Liegestuhl und lässt sich einen frisch gepressten Orangensaft servieren. Die Ruhe darf bleiben. Diese Ruhe ist Frieden. Und Frieden ist unübertroffenes Glück.

Lies auch: “Yogaphilosophie: Die vier Arten des Glücks”

Aktion 1: Dieses “Raus aus den Sinnen” funktioniert über den Blick nach innen. (Und was sich reimt, das funktioniert.) Meditiere jeden Tag 5–10 Minuten. Mit klarem Fokus nach innen. Bis du die Stille hörst.

Aktion 2: Das Spiel der ersten Wahl. Beim Einkaufen, im Restaurant und so weiter: Wähle das erste, was dir in die Augen fällt. Denke nicht lange darüber nach, sondern erlaube dir das anzunehmen, was kommt. Betrachte deine Gefühle bei diesem Spiel, mach Notizen: Wie fühlt es sich an, dieses “erste Beste”? Kannst du zufrieden damit sein?

Aktion 3: Notiere, was du magst und was nicht – Marken, Produkte, Gewohnheiten, Routinen. Frage dich, wie es wäre, wenn diese Dinge nicht mehr da wären. Wie gut gehst du damit um, wenn sich dein Plan ändert? Wie ist dein Verhältnis zu Akzeptanz? Schreib auch hierzu auf, was dir begegnet und dir auffällt.

Probiere auch diese Yogapraxis zum Kultivieren von Santosha aus…

Tag 13 bis 18: TAPAS

Damit der Schweinehund Platz macht

„Die feurige Energie, die in Disziplin liegt, verbrennt alles Unreine und lässt Körper, Sinne und Geist strahlen.“

Patanjali, YS 2.43

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