Auf der Matte zu Hause – 12 Tipps für eine regelmäßige Praxis

Zeitmangel, Ablenkung, Energielosigkeit – es gibt viele Gründe, nicht auf die Matte zu gehen. Dabei ist eine regelmäßige persönliche Praxis der eigentliche Kern von Yoga. Was brauchst du, damit dein Schweinehund sich endlich trollt und dem herabschauenden Hund Platz macht? Vielleicht helfen dir diese Tipps dabei, (wieder) in dein Sadhana zu finden.

Text: Stephanie Schauenburg / Titelbild: Studioroman via Canva

Sadhana साधन

Der Sanskrit-Begriff ist abgeleitet von der Wurzel sadh (geradewegs auf ein Ziel zugehen, erfolgreich sein) und bezeichnet eine spirituelle Disziplin. Dazu gibt es in den verschiedenen Traditionen verschiedene Übungen und Regeln, aber im Grunde handelt es sich immer um einen persönlichen Weg. Yogi Bhajan, der Begründer des Kundalini-Yoga, drückte es so aus: “Es ist nicht etwas, das man tut, um jemandem zu gefallen oder um etwas zu erreichen. Sadhana ist ein persönlicher Prozess, in dem du dein Bestes hervorbringst.”

1. Mach dir klar, warum du übst

Es kann jeden Tag ein bisschen anders sein, aber es ist hilfreich, wenn du weißt, warum du auf die Matte gehst. Nicht im Sinn einer Zielsetzung à la “Ich will endlich den Handstand schaffen” oder “Ich muss jeden Tag üben, sonst bin ich keine ernstzunehmende Yogini”.

Es geht eher darum, was dir die Praxis tatsächlich bedeutet, was du an ihr liebst, worin sie dich unterstützt, welche Welt sie dir eröffnet … Wenn du das nicht nur weißt, sondern auch empfindest, wird es dir viel leichter fallen, jeden Tag zu ihr zurückkehren und sie mit Sinn zu erfüllen.

2. Verabrede dich mit dir selbst

Sadhana- Deine Verabredung mit dir
Foto: Andrea Hajdu

Kontinuierlich über einen längeren Zeitraum selbstständig zu üben, erfordert vor allem in der ersten Zeit (oder nach einer längeren Pause) eine Menge Entschlossenheit. Nimm dein Vorhaben deshalb genauso ernst wie einen Geschäftstermin oder ein Treffen mit Freunden: Deine Zeit auf der Matte ist eine feste Verabredung mit dir selbst, die du würdigen und einhalten willst.

Dabei ganz wichtig: Das ist nicht etwas, das du tun sollst oder musst, die Praxis sollte ganz sicher kein zusätzlicher Punkt auf deiner sowieso schon überquellenden To-Do-Liste werden. Mach dir klar: Ich muss nicht üben, aber ich habe mich dafür entschieden, ich will das – ich gönne es mir.

3. Finde heraus, was für dich funktioniert

Gerade zu Anfang sind ein klarer Rahmen und eine Struktur hilfreich, um überhaupt in eine Routine zu finden: Dazu gehören zum Beispiel eine bestimmte Uhrzeit, eine feste Dauer, vielleicht auch ein Ablauf (zum Beispiel: 15 Minuten Meditation, 15 Minuten Pranayama, 30 Minuten Asana) oder das Grundschema einer Sequenz. All das soll aber gut auf dich zugeschnitten sein: Es ist deine Praxis, du legst fest, wie sie aussieht – und das kann sehr verschieden sein und es darf sich auch immer wieder ändern.

4. Sei realistisch

Diesen Tipp kennst du vielleicht auch aus den gängigen Ratgebern für Neujahrsvorsätze, denn nichts lässt Vorhaben so schnell scheitern wie unrealistische Ansprüche an sich selbst: Es hilft nichts, dir an sieben Tagen die Woche 90 Minuten vorzunehmen, wenn du dafür den Wecker auf 4:30 Uhr stellen musst und dich anschließend hundemüde durch den Tag schleppst. Beginne lieber mit weniger und schaffe dafür passende Räume in deinem Alltag.

Dasselbe gilt natürlich auch für dein Übungsprogramm: Deine Praxis soll dich nicht überfordern, sondern bereichern und dich in eine tiefere Verbindung zu dir selbst und dem Leben bringen. Weniger ist meistens mehr.

5. Beseitige die Hindernisse

Gott Ganesha
Ganesha hilft dir, deine Hindernisse zu überwinden. Foto: Nikhil Patea/Getty Images via Canva

Was hält dich davon ab, überhaupt auf die Matte zu gehen? Und dort angekommen: Was lenkt dich ab und führt dazu, dass du schon nach fünf Minuten wieder aufspringst? Was stört deine Konzentration und raubt dir die Lust?

Die inneren Störfaktoren kannst du nur freundlich beobachten und dich darin üben, sie mehr und mehr in ihre Schranken zu weisen. Es gibt aber auch eine Menge äußerer Faktoren, die du ganz leicht beseitigen kannst. Zum Beispiel: Türe zu, Handy aus, Klingel auf lautlos, herumliegenden Kram wegräumen, Blase leeren und die liebe Familie eine Weile auf Abstand halten …

6. Gehe in die Freude

Beobachte umgekehrt auch, was dir das Üben erleichtert, was dich freut und anspornt und kultiviere diese Faktoren. Das beginnt schon mit einem aufgeräumten, schön gestalteten Platz für deine Praxis. Auch Lüften, Räuchern und das Anzünden einer Kerze können dir als kleine Rituale helfen, in eine achtsame, bewusste Stille zu kommen, bevor du beginnst.

Vielleicht gestaltest du dir an deinem Yogaplatz auch einen persönlichen Altar. Oder du beginnst mit einem Mantra oder einem Gebet. Auch während der Praxis gibt es möglicherweise Dinge, die dir helfen, dich wohlzufühlen und zu konzentrieren: zum Beispiel deine Lieblingsasanas, eine schöne Musik, eine gedruckte, gesprochene oder gefilmte Anleitung. Gehe mit deiner gesamten Praxis dahin, wo du Freude empfindest.

7. Lausche nach innen

Sadhana
Zur Ruhe kommen … Foto: Los Muertos Crew/Pexels via Canva

Eines der größten Geschenke beim selbständigen Üben ist es, dass du Zeit und Raum hast, um wirklich deiner eigenen Stimme zu folgen. Spüre in jeder Übung genauer hin: Was empfindest du körperlich? Was geschieht vielleicht auf energetischer Ebene, beim Atem, bei deiner Kraft? Welche Stimmungen oder Gedanken werden wach? Und was folgt daraus? Welche kleine Korrektur wünscht sich dein Körper jetzt vielleicht? Und was wäre die nächste Bewegung? In dieser achtsamen Selbsterforschung entfaltet die Yogapraxis erst ihre eigentliche Tiefe und transformierende Kraft.

8. Aktiviere dein Tapas

Es ist ganz normal, dass du im Lauf der Zeit Ups und Down erlebst und auf Widerstände stößt: Die Praxis ist nicht immer nur wohliger Genuss, manchmal fordert sie uns auch heraus und zwingt uns, die Komfortzone zu verlassen. Was dir dabei laut Yogaphilosophie hilft, ist Tapas, eine Art yogisches Feuer, ein liebevoller Eifer, der dich antreibt, ohne dich zu verbrennen.

Swami Satchidananda hat Tapas definiert als die Bereitschaft, das anzunehmen, was der eigenen Reinigung dient. Kino McGregor meint: “Wenn du normalerweise vor Schwierigkeiten zurückweichst, dann zeigt dir Tapas einen Weg, wie du dich immer wieder aufrappeln und Herausforderungen mit kämpferischer Liebe begegnen kannst.”

9. Sei freundlich mit dir selbst

So wichtig Disziplin und Entschlossenheit sind: Sie dürfen nicht dazu führen, dass du dich selbst verurteilst oder verletzt. Es ist okay, wenn du es an manchen Tagen (oder auch mal länger) nicht auf die Matte schaffst. Oder wenn du nur zwei Sonnengrüße machst. Oder dich einfach in der Mittagspause fünf Minuten auf eine Bank setzt und meditierst.

In dieser freundlichen Flexibilität steckt viel mehr Yoga als in Leistungsdenken und akrobatischen Kunststücken. Alles, was zählt, ist, dass du die Verbindung zu deinem Sadhana hältst – in genau der Form, die jetzt für dich passt. Dabei helfen dir Humor, Akzeptanz und liebevoll eingesetztes Tapas.

10. Bleib offen

Eine regelmäßige Praxis wird viel müheloser, wenn sie erst einmal zur Gewohnheit geworden ist. Psycholog*innen zufolge ist das nach frühestens zwei Monaten der Fall ist. Eine beliebte Challenge im Yoga ist es, 108 Tage am Stück zu üben. Irgendwann kann es sein, dass du so selbstverständlich auf die Matte gehst, wie du dir die Zähne putzt. Allerdings haben solche fest eingeführten Routinen auch entscheidende Nachteile: Sie können sich irgendwann stumpf und öde anfühlen.

An diesem Punkt ist es hilfreich, sich frische Impulse zu holen: Lerne etwas Neues, lass dich inspirieren von neuen Lehrer*innen, Büchern, Filmen, probiere Yoga nochmal ganz anders aus. Genauso kann es auch sein, dass du deiner geliebten Routine allzu verhaftet bist und dann von einer Krankheit oder veränderten Lebensbedingungen dazu gezwungen wird, sie aufzugeben. Auch hier heißt es: offen sein für neue Wege, neue Übungen und darauf vertrauen, dass auch darin ein Segen liegen kann.

11. Vergiss nicht: Es ist ein geistiger Weg

“Die Praxis gewinnt nur festen Boden, wenn sie lange Zeit ohne Unterbrechung hingebungsvoll und in rechter Weise ausgeführt wird.” Mit diesem berühmten Vers aus dem Yogasutra (1.14) mahnt uns Patanjali zu Abhasya (beharrlichem Üben).

Allerdings meinte er damit etwas ganz anderes als stundenlanges Schwitzen auf der Yogamatte: Hier geht es um einen Weg, den Geist zu reinigen und zu beruhigen, es geht um Gelassenheit und innere Freiheit (Vairagya), um spirituelles Wachstum. Dieser geistige Weg ist der eigentliche Yogaweg, den dein Sadhana verfolgen sollte. Er kann viele Formen annehmen – und er reicht sehr viel weiter als der Mattenrand.

12. Roll einfach die Matte aus

Motivation die Yogamatte auszurollen
Foto: Macniak via Canva

“Yoga zeigt sich im Yoga”, schreibt Vyasa, einer der wichtigsten Kommentatoren zum Yogasutra. Und von Swami Sivananda soll der berühmte Spruch stammen, dass ein Gramm Praxis besser ist als eine Tonne Theorie. Will heißen: Tu es einfach! Denk nicht lange drüber nach, was jetzt vielleicht dafür oder dagegen spricht, erlaube deinem Geist keine Ausflüchte und roll gleich jetzt deine Matte aus. Auch wenn es nur für zehn Minuten ist. Und morgen wieder. Und übermorgen …


Stephanie Schauenburg hatte gute Gründe, diesen Artikel zu schreiben: Auf ihrer Yogamatte kampiert hin und wieder ein ausgewachsener Schweinehund, den sie dann freundlich, aber bestimmt dazu auffordert, sich zu trollen.

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