Schwebend und geerdet – Interview mit Simrit Kaur

Eine Stimme wie ein Engel, exzentrische Kostüme und eine Musik, die zugleich
ätherisch, groovig und tiefgründig ist: Simrit Kaur ist die vermutlich schillerndste Gestalt der Mantra-Musikszene. Wir haben mit ihr in New York gesprochen.

Interview: Angelika Ahrens / Fotos: Simritkaurmusic.com

Um was geht es dir bei deinen Konzerten?

Wir feiern damit das Leben, die Zusammengehörigkeit und die Liebe. Aber manchmal kann es in unserer Musik auch dunkle Elemente geben, denn wir glauben, dass heilsame Musik die gesamte Bandbreite enthalten muss.

Ist das so: Eure Musik heilt?

Sie hilft jedem und jeder einzelnen von uns als Künstler und wir teilen diese Energie gern mit anderen Menschen. Wir hören so oft, dass das funktioniert: Dass Menschen mit unserer Musik leichter durchs Leben gehen, dass sie ihnen in schwierigen Zeiten geholfen hat. Wenn ich so etwas höre, denke ich: “Wow, das ist großartig! Das ist das beste Feedback!” Wir hoffen natürlich, dass unsere Musik mehr Liebe und Bewusstsein in die Welt bringt. Ich glaube, sie motiviert und man spürt, dass sie von Herzen kommt. Sie ist heilend auf verschiedenen Ebenen.

Wissenschaftler können mittlerweile ganz gut erklären, wie Musik uns zum Beispiel helfen kann, zu entspannen oder leistungsfähiger zu sein: Der Hörsinn ist ja direkt mit dem Gefühlszentrum, dem limbischen System, verbunden. Was denkst du, wie funktioniert Musik für dich?

Für mich ist mein Körper ein Resonanzkanal. Und zwar unabhängig davon, ob ich ein Instrument spiele oder singe: Der Klang schwingt durch den Körper. Als Yogi*nis kennen wir Energiekanäle, die Nadis. Und der Klang, also die akustische Schwingung, hat einen großen Einfluss auf diese Kanäle. Er trägt dazu bei, dass sie offen, ausgeglichen und entspannt sind und unsere natürliche Energie frei fließen kann.

Simirit Kaur beim Konzert.

Wie würdest du deine Musik beschreiben?

Sie ist ein Mix aus verschiedenen Quellen: Ich lasse etwas von meiner griechischen Abstammung einfließen. Meine biologische Mutter und Urgroßmutter waren bekannte griechische Sängerinnen. Das habe ich aber erst erfahren, als ich älter war und schon gesungen habe. Aber wie sagt man so schön? Oft tut man Dinge, ohne darüber nachzudenken.

Welche Rolle spielt deine Yogapraxis?

Ich übe seit mehr als 20 Jahren Kundalini-Yoga. Und ich habe mich mit Nada-Yoga beschäftigt, der Wissenschaft des Klangs. Wie er unser Bewusstsein beeinflusst und wie wir ihn bewusst einsetzen können: im Körper, Hals, über den Nabel und die Zungenspitze. Ich habe zudem westlichen und indischen Gesang studiert sowie Koali. Das ist eine ekstatische Sufi- Musik. Ich fühle mich damit sehr verbunden. Das alles hat mir geholfen, meinen eigenen Sound zu formen.

Der wird oft als “mystisch” beschrieben …

Ja. Ich würde keine Musik machen wollen, die sich nicht so anfühlt. Für mich ist das Leben mystisch. Aber man kann auch dazu grooven, ein hypnotischer Groove. Wir wollen das ganze Spektrum.

Woher kommt dieser mystische Teil in deinem Leben?

Ich bin in einer griechischen Kirchengemeinde aufgewachsen. Und die orthodoxe Kirche ist so mystisch, wie es nur geht. Traditionelle griechische Musik und die Musik in der Kirche, in der ich als Kind im Chor gesungen habe, hatten den größten Einfluss auf meine Stimme und meinen Stil.

Die Musikerin liebt die mystischen Klänge.

Was hast du von der byzantinischen Musik gelernt?

Sie geht sehr tief und hat eine Düsternis, die schön und etwas mystisch ist. Wenn ich als Kind meine Augen geschlossen und gesungen habe, dann war ich an einem anderen Ort. Ich habe damals schon gespürt, dass ich eine spezielle Verbindung zum Klang habe, auch wenn ich es nicht so recht verstanden habe. Eigentlich verstehe ich es noch immer nicht ganz. Es fühlt sich leicht an, ätherisch. Fast so, als ob ich im Weltraum schwebe, aber trotzdem geerdet bin. Deshalb liebe ich den Bass und die Trommeln. Sie bringen Balance.

Neben der traditionellen griechischen Musik gibt es auch Einflüsse von Roots und Reggae …

Ja, auch diese Musik hat mich von klein auf sehr berührt und inspiriert. Fast so stark wie die griechische Musik.

Du bist in Griechenland geboren und in den USA bei Adoptiveltern aufgewachsen. Deine leibliche Mutter lebt in Griechenland und du hast sie dort auch getroffen. Wie war das?

Meine wirkliche Mutter ist die Frau, die mich großgezogen hat. Und sie hat mich auch begleitet, als ich meine leibliche Mutter in Griechenland getroffen habe. Das war ein sehr schöner Moment. Meine leibliche Mutter war bei meiner Adoption 16 Jahre alt. Sie wollte mich behalten, aber ihre Familie wollte das nicht, sie hatte keine Unterstützung. Ich habe auch meine Oma getroffen. Mein Uroma starb ein Jahr vor meinem Besuch. Sie war eine sehr berühmte Sängerin und Schauspielerin. Sie hat während der türkischen Besatzung im Untergrund Musik für die Rebellen gemacht.

Hast du mit deiner Mutter gesungen?

Ja, wir haben zusammen gesungen. Keine Show, einfach nur so.

Dein Name Simrit ist keiner, den dir deine leibliche Mutter oder deine Adoptiveltern gegeben haben. Was bedeutet er?

Simrit ist der Name, den mir Yogi Bhajan gegeben hat. Er bedeutet: ständige Erinnerung an Gott, mit jedem Atemzug.

Yogi Bhajan war der Begründer der 3HO-Bewegung und damit des Kundalini-Yoga, wie wir es heute in der westlichen Welt kennen. In den letzten Jahren gab es schwerwiegende Vorwürfe gegen ihn, es ging um Manipulation und Machtmissbrauch. Wie stehst du dazu?

Mein Name Simrit ist nichts, was ich mit Yogi Bhajan in Verbindung bringe, auch wenn er mir den Namen gegeben hat. Ich habe ihn nie persönlich getroffen. Mein Name berührt mich und ich empfinde ihn als natürlich. So einfach ist das für mich.

Um was geht es in deinem letzten Album inhaltlich?

Es geht um Veränderungen im Leben und den Wunsch, das Leben zu genießen. Während der Pandemie ist mir klar geworden, dass ich einige ungute Kompromisse eingegangen bin. Ich war erschöpft, weil ich mir zu wenig zugestanden habe, dass es in Ordnung ist, glücklich zu sein, bestimmte Gefühle zu haben und Dinge zu tun. Die Zeit zu Hause hat mir bewusst gemacht, was wirklich wichtig für mich ist, worin das eigentliche “Gold” liegt.

Und was ist das?

Mich weniger zu sorgen und mich nicht für die Gefühle, das Glück und den Erfolg aller anderen verantwortlich zu fühlen. Ich habe erkannt, dass ich die Last anderer Menschen trage. Es war meine Entscheidung. Aber es war mir nicht bewusst, dass ich das getan habe. Und es hat mir geschadet. Weißt du, was ich meine?

Ging es um deine Familie?

Familie, Freunde … Ich habe erkannt, dass ich mehr auf mich achten muss. Es ist in Ordnung, einfach nur “ich” zu sein. Das war eine große Veränderung im Laufe der Pandemie. Viele Songs stammen aus dieser Zeit. Eines der Lieder heißt “Live fully”. Es handelt davon, dass ich das einfach tun möchte: aus dem Vollen schöpfen, das Leben genießen.

Bisher hast du vor allem Mantras aus der Kundalini-Tradition gesungen, die in Gurmukhi überliefert sind, der alten rituellen Schrift der Sikhs. Was bedeutet das für dich?

Ich singe immer etwas in Gurmukhi, ich liebe es. Wenn ich ein Mantra singe, versetzt es mich in eine andere Stimmung. Mit dem Wiederholen von Worten bekommt man den Kopf frei.

Findest du es wichtig, dass wir in der modernen, westlichen Welt diese alten Techniken üben?

Weißt du, Mantras sind ein wirklich wirksames Mittel, um den denkenden Geist zu umgehen. Sie räumen die Unordnung im Kopf auf, ohne dass wir darüber nachdenken müssen. Mantras helfen, das Gehirn neu zu vernetzen. Wir bleiben dann nicht im Kopf stecken, sondern sind in unserem ganzen Körper, in unserem Herzen. Das allein ist so heilsam. Dann spüren wir, wie Energie und Liebe im Körper fließen.

Welches ist dein Lieblingsmantra?

Oh Gott, ich mag so viele. Sat Narayan ist einer meiner Favoriten. Es wird gechantet, um inneren Frieden herzustellen. Das hilft uns, auch nach außen Frieden zu projizieren.

Du hast auch schon in Yogaklassen gesungen. Welche Musik würdest du Yogalehrenden für ihren Unterricht empfehlen?

Erschaffe eine Atmosphäre, in der Menschen meditieren können, aber spiel dennoch Musik mit einem starken Vibe. In der Yogawelt gibt es viele Songs ohne Ecken und Kanten, oberflächlich und kitschig. Das ist nicht so mein Ding. Für mich braucht es einen “edge”, eine Subs-tanz, Tiefe, Mystik. Du kannst nicht genau sagen, was es ist. Aber es ist gewaltig.

Simrit Kaur

wuchs in einer griechischen Adoptivfamilie in den USA auf.
Die orthodoxe Kirchenmusik hat sie ebenso geprägt wie
Roots und Reggae – doch international bekannt wurde sie mit den
Mantras des Kundalini-Yoga.

Mehr Infos über Simrit Kaur auf ihrer Website simritkaurmusic.com


Angelika Ahrens hat dieses Interview geführt. Als Fernsehjournalistin hat sie in Österreich Karriere gemacht – und sehr viel Stress erlebt. Yoga, Qi-Gong und Meditation haben ihr zurück in die Balance geholfen. Davon handelt ihr Buch “Belastbar und fit”. Sie lebt in New York. Mehr Infos über Angelika Ahrens findest du auf ihrer Website angelikaahrens.com.


Du möchtest mehr über Mantras erfahren? Dann legen wir dir diese Podcast-Folge ans Herz:

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