Achtsam essen – Das 3-Wochen-Programm: Woche 3

Was wäre eine Yogastunde ohne Achtsamkeit? Nicht viel mehr als Gymnastik. Genauso bringt das ausgeklügeltste Ernährungskonzept nicht viel, wenn wir nicht lernen, den Autopiloten abzuschalten und wirklich achtsam mit unserer Nahrung umzugehen. Unser 3-Wochen-Programm zeigt dir Wege zu einer bewussteren Art zu essen – und zu genießen.

Text: Stephanie Schauenburg / Titelbild: Foxy Forrest Manufacture von Getty Images via Canva

Hast du Woche 1 und 2 verpasst? Hier geht’s zum Hauptartikel und Start des Programms!

3. Woche: Die 7 Arten von Hunger

Die Ärztin, Achtsamkeitslehrerin und Zen-Buddhistin Jan Chozen Bays unterscheidet in ihrem Buch “Achtsam essen” sieben Arten von Hunger. Natürlich vermischen sich diese Motive in der Realität fast ständig. Umso mehr lohnt es sich, jede dieser Hungerarten etwas genauer zu erforschen, um deine individuellen Muster und Essgewohnheiten genauer zu verstehen.

Hinweis: Auch hier empfiehlt es sich, deine Beobachtungen und Erlebnisse schriftlich festzuhalten. Eine Menge weiterer Übungen und Anregungen zu den 7 Arten von Hunger findest du in Jan Chozen Bays Buch “Achtsam essen”.

Tag 1: Augenschmaus

Achtsam essen: Augenschmaus
Foto: nadianb via Canva

Es heißt nicht umsonst: “Da waren die Augen mal wieder größer als der Magen.” Der Augenhunger, also der Appetit, der vom reinen Betrachten kommt, kann die Informationen von Magen und Körper leicht überstimmen. Beobachte diesen Effekt heute aufmerksam: Welche Rolle spielt der Anblick bei der Auswahl deines Essens? Schaue dir Rezeptbücher oder Food-Blogs an: Was spricht dich an? Wie? Warum? Jan Chozen Bay rät außerdem: “Experimentiere damit, den Augenhunger zu befriedigen, ohne etwas zu essen” – zum Beispiel indem du dich bewusst den schönen Dingen und Details in deiner Umgebung widmest, die nichts mit dem Essen zu tun haben.

Tag 2: Schnuppertag

Ein Großteil der Geschmackswahrnehmungen stammt in Wirklichkeit vom Geruchssinn. Und schon der Geruch eines guten Essens kann einem das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen – ganz egal, ob man gerade hungrig ist oder erst vor Kurzem gegessen hat. Heute widmest du dich diesen Mechanismen: Schnuppere intensiv nicht nur an deinem Essen, sondern auch an den einzelnen Zutaten und versuche, deine Eindrücke in Worte zu fassen. Beobachte, wie sich Geruch und Geschmack bedingen, etwa indem du dir beim Essen zeitweise die Nase zuhältst. Erfreue dich an der Feinheit deiner Nase. Welche Gerüche findest du besonders appetitlich? Welche stoßen dich ab?

Tag 3: Gaumenfreude

“Mundhunger ist das Verlangen des Mundes nach angenehmen Dingen”, erklärt Jan Chozen Bay. Heute machst du dir bewusst, was du im Mund als angenehm empfindest: Welche grundsätzlichen Geschmacksrichtungen? Welche speziellen Aromen? Welche Konsistenzen? Was stößt dich im Gegensatz dazu deutlich ab? Versuche dich, so wenig wie möglich davon leiten zu lassen, was du zu wissen glaubst. Experimentiere mit ungewohnten Dingen. Vergleiche: Wie schmeckt beispielsweise eine Nuss, die ich kurz kaue und dann schlucke; wie schmeckt sie, wenn ich sie 5 Minuten lang lutsche; wie, nachdem ich sie gemahlen habe? Was ist angenehmer? Was befriedigender?

Tag 4: Was mag mein Magen?

Mal ganz aus dem Bauch heraus: Kannst du deinen Magenhunger wahrnehmen? Viele Menschen können das nicht. Es fällt ihnen schwer, ihre Empfindungen einzuschätzen: Wann ist der Magen leer? Wann halb voll? Wie äußert sich Magenhunger überhaupt? Indem er sich hohl anfühlt? Oder vielleicht indem er sich zusammenzieht? Knurrt dein Magen? Und zu welchen Zeiten? Lass es heute darauf ankommen: Beobachte nicht nur die Empfindungen des ersten Hungers, sondern warte noch eine Weile bis zum Essen. Was signalisiert der Magen und wie? Wie fühlt er sich während des Essens an? Wie unmittelbar danach? Und wie nach zwei Stunden? Wann setzt wieder Magenhunger ein?

Tag 5: Intelligente Zellen

Achtsam essen: Kochen
Foto: Klaus Nielsen via Canva

Tiere und kleine Kinder haben eine Fähigkeit, die uns Erwachsenen häufig verloren gegangen ist: Sie spüren ihren Zellhunger, das heißt, sie nehmen wahr, welche Nährstoffe der Körper aktuell braucht, und essen entsprechend. Auch zum Ende einer Krankheit oder während Schwangerschaft und Stillzeit hat man häufig eine feinere Antenne für solche elementaren Bedürfnisse. Den Zellhunger wieder deutlicher spüren zu lernen, ist gar nicht so einfach. Versuche heute, dich ein wenig heranzutasten: Erinnere dich an Situationen, in denen dein Körper unmissverständlich ein bestimmtes Nahrungsbedürfnis signalisierte. Wie war das? Frage deinen Körper, worauf er jetzt wirklich Hunger hat. Vielleicht schlägst du ihm Alternativen vor: Auf was spricht dein Zellhunger an?

Tag 6: Gedankenspiele

“Zucker ist Gift”, “Ist das auch wirklich vegan?”, “Bitte nur Rohkost, aber auf keinen Fall nach 18 Uhr” – unzählige solcher Konzepte belegen, dass der Geist in unserer Lebenswelt auch beim Essen eine privilegierte Rolle spielt: Wir mögen, was wir aufgrund bestimmter Informationen für “gut” halten. Beobachte heute etwas genauer, was dein Geist übers Essen sagt. Wozu rät er? Was verbietet er? Wofür rügt er? Gibt es widerstreitende Stimmen? Was sagen deine Sinne dazu, also Augen, Nase, Mund und Magen? Kannst du deinen Geist durch Meditation, Atem und Yoga etwas milder stimmen?

Tag 7: Was das Herz begehrt

“Essen hält Leib und Seele zusammen”, “Liebe geht durch den Magen” – mit anderen Worten: Essen hat immer auch eine emotionale Seite. Man muss sie erkennen und würdigen, um schädigende Essgewohnheiten zu überwinden. Was isst du, wenn du traurig bist? Was tröstet dich wirklich? Wende dich heute ganz bewusst der Gefühlsebene zu: Erinnere dich an ein besonders gutes Lieblingsessen aus der Kindheit und an die Menschen, die es mit Liebe für dich gekocht haben. Koche dir selbst etwas Gutes. Mache dir bewusst, was vom Samenkorn bis zum Supermarkt alles nötig war, damit dieses Essen heute deine Nahrung sein kann. Erkenne auch, dass es andere und machtvollere Arten gibt, den Herzenshunger zu stillen, als in sich hineinzufuttern.

Wie geht es weiter?

Drei intensive Wochen mit vielen neuen Eindrücken und Erkenntnissen liegen hinter dir. Zeit für ein ausführliches Resümee: Was hat dich besonders beeindruckt? An welchen Stellen ist etwas in Bewegung geraten? Wo brauchst du noch mehr Übung? Überlege, wie du die verschiedenen für dich bedeutsamen Elemente dieser drei Wochen so zusammenfügen kannst, dass du weiterhin am Ball bleibst. Dies kann zum Beispiel geschehen, indem du dir selbst ein individuelles Programm für die kommenden Wochen aufstellst.

Vielleicht brauchst du aber auch nur ein Buch zum Thema oder ein paar Erinnerungsstützen, etwa in Form von Post-it-Zetteln an strategisch wichtigen Plätzen wie Essplatz, Küche und Schreibtisch. Wichtig ist vor allem, dass du noch eine ganze Zeit lang bewusst am Thema bleibst, um dein Essverhalten auch nachhaltig achtsamer zu machen. Wenn es mit eigenen Plänen und Remindern nicht so recht klappen will, dann kannst du überlegen, dieses Programm einfach noch zwei Mal zu wiederholen.

Info: Laut einer im European Journal of Social Psychology veröffentlichten Studie dauert es im Schnitt 66 Tage, also fast 10 Wochen, bis man ein neues Verhalten so eingeübt hat, dass es wirklich zur Gewohnheit wird.


Hier findest du die Einleitung zum Thema “Achtsam essen”:

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