Der “Stressmuskel” Psoas in der Ayur Yogatherapie

Der Musculus Psoas major, auch Lenden-Darmbeinmuskel genannt, liegt tief versteckt und genau deshalb solltest du genauer hinsehen – am besten bevor er sich selbst bemerkbar macht. In diesem Artikel erklärt dir Christina Kiehas, mehrfach zertifizierte Yogalehrerin und spezialisiert auf Gesundheitsyoga und Ayur Yogatherapie, was es mit dem Psoas genau auf sich hat.

Text: Christina Kiehas, Fotos: Katrin Schönthaler

Lage und Funktion

Vordergründig ist der Psoas der stärkste Hüftbeuger des menschlichen Körpers und die einzige muskuläre Verbindung zwischen Oberkörper (Wirbelsäule) und den unteren Extremitäten. Er entspringt mit seiner oberflächlichen Schicht am 12. Brustwirbelkörper und den 1. bis 4. Lendenwirbelkörpern mit den zugehörigen Bandscheiben. Seine tiefe Schicht findet den Ursprung an den Querfortsätzen der 1. bis 5. Lendenwirbelkörper. Durch das Becken hindurch setzt der Psoas schließlich am Trochanter minor (kleiner Rollhügel) des Femurs (Oberschenkelknochens) an.

Spannenderweise bildet der Psoas eine funktionelle Einheit mit dem Musculus Iliacus – sie kontrahieren bei der Hüftbeugung gemeinsam. Der Iliacus zieht großflächig von der Fossa iliaca (Knochenmulde an der Innenseite des Hüftbeins) des Iliums ebenfalls zum Trochanter minor. Durch seine Lage im Körper sorgt der Psoas dafür, dass du dich aufrecht halten, stabil stehen und vorwärtsbewegen kannst. Er ist es, der deine Lordose, die Krümmung deiner Lendenwirbelsäule, stabilisiert. Ist er verspannt, kann er dich allerdings ins Hohlkreuz ziehen, was für deine gesamte Körperstatik nicht ideal ist. Zudem ist sein Verspannen auch verantwortlich bei Problemen mit den Bandscheiben.

Ein Tipp also gleich vorab: Wenn du zum Beispiel viel sitzt, solltest du deinen Psoas gleich mal ansteuern, denn Sitzen ist nicht sein Ding, hier wird er stark “verkürzt” und nicht beansprucht. Was der Psoas aber mag, ist, wenn du ihn kräftig und elastisch hältst, sodass er über ein zentriertes Becken seine vielfältigen Funktionen bestmöglich ausführen kann. Richte dich also gleich mal auf und komme in den Ausfallschritt – spürst du den leichten Zug in der Leistengegend? Das ist dein Psoas.

Hinter dem Psoas steckt aber noch mehr:

  • Er spielt eine Schlüsselrolle für deine korrekte Körperhaltung und die Gewichtsverlagerung in Bewegung und Stand.
  • Er hilft dir dabei, deine Wirbelsäule, dein Becken und deine Oberschenkel korrekt zu positionieren.
  • Der Psoas unterstützt im geringen Maß auch die Seitneigung und Drehung deiner Wirbelsäule.
  • Durch seine Nähe zu Organen wie Niere, Harnleiter und Nebenniere werden diese über Bewegung stimuliert.
  • Der Psoasmuskel beeinflusst auch deinen Darm.
  • Er spielt eine zentrale Rolle für dein Nervensystem.
  • Und der Psoas arbeitet nicht nur mit dem Iliacus zusammen, sondern auch mit dem Beckenboden und dem Zwerchfell.

Fasziale Verbindungen

Über bindegewebige Verbindungen zur Lenden-, Darmbein-Schambein-Faszie und dem Zwerchfell wie auch über das lumbale und sakrale Nervennetz ergeben sich weitere interessante Zusammenhänge. Zusammen mit dem Becken wie auch dem Beckenboden bildet der Psoas eine wichtige Organstütze: Neben den Reproduktions-Organen und Hohlorganen wie der Blase sprechen wir hier auch von Darm, Bauchspeicheldrüse, Milz und Leber. Darüber findet der Psoas Betrachtung in der Psychosomatik. Spannungsmuster können nicht nur zu Beeinträchtigungen von Becken, Hüften, Knien und Füßen führen, sondern sprichwörtlich auch das “Bauchgefühl” beeinflussen. Des weiteren beeinflusst er durch diese unmittelbare Nähe die Verdauung, Ausscheidung, Entgiftung und Fortpflanzungsprozesse.

“Was der Psoas mag, ist, wenn du ihn kräftig und elastisch hältst, sodass er über ein zentriertes Becken seine vielfältigen Funktionen bestmöglich ausführen kann.”

Interessant ist auch der Umstand, dass die Aorta einen ähnlichen Verlauf wie der Psoas nimmt, sodass ein Zusammenspiel zwischen Kreislauf und Psoas nahe liegt: Der Psoas unterstützt deine Durchblutung. Auch mit dem Zwerchfell ist der Psoas verbunden: Man spricht hier zum einen vom Solarplexuszentrum, was aus der Sicht der Chakren sehr interessant ist, und zum anderen von der Psoas-Arkade, womit wir wieder auf die faszialen Strukturen zurückkommen: Die Faszie des Psoas bildet die sogenannte Psoasarkade (Arcus lumbocostalis medialis) und damit eine Ursprungsfläche für den Pars lumbalis des Zwerchfells. Ist der Psoas verspannt, führt dies zu einer Beeinträchtigung deines Zwerchfells und somit deiner Atmung. Dieser Umstand kann wiederum dazu beitragen, dass dein Rücken schmerzt.

Der Psoas reagiert sensibel auf Stress

Der Psoas hat viele Beinamen, einer davon ist “Stressmuskel”, denn er ist unmittelbar mit dem Reptiliengehirn, dem ältesten Teil des Hirnstamms und des Rückenmarks, gekoppelt. Dieser Teil des Gehirns ist unter anderem für deinen Überlebensinstinkt verantwortlich – er und die damit einhergehende Reaktion mit Kampf, Flucht oder Einfrieren, werden hier gesteuert. Als Stressmuskel wird der Psoas mittels Cortisol und Adrenalin in die Aktion gerufen – um wegzulaufen oder sich zu verteidigen, sich zu schützen. Aus der archaischen Entwicklung heraus, hat der Psoas (gemeinsam mit anderen Muskeln) die Aufgabe, unsere empfindliche Vorderseite und Körpermitte zu schützen. Er kontrahiert, um den Körper fötal zusammenzuziehen oder eben die Flucht zu ergreifen. Er steht unter Spannung und holt auch gleich das Zwerchfell und den Beckenboden mit ins Boot. Jetzt kann es helfen, mal tief durchzuatmen, durch die Nase in den Bauch ein und lange aus. Anspannung kannst du beim Ausatmen bewusst abgeben.

“Als Stressmuskel wird der Psoas mittels Cortisol und Adrenalin in die Aktion gerufen – um wegzulaufen oder sich zu verteidigen, sich zu schützen.”

Würde deine Stress-Reaktion über längere Zeit anhalten und würdest du Anspannung nicht mit Entspannung begegnen, würde dein Psoas in einem verhärteten Dauerzustand verharren und Körper wie auch Geist dauerhafte Gefahr suggerieren. Hier kannst du die Auswirkungen von chronischem Stress erkennen. Dieser kann zu unerklärlichen Rückenschmerzen, Ischias-Beschwerden, Verdauungsproblemen, erhöhter Atemfrequenz und hormonellen Beschwerden führen. Letztlich werden Nebennieren und Immunsystem in die Erschöpfung getrieben. Also: tief durch die Nase einatmen und lange und bewusst ausatmen.

Lesetipp: “Stress als Vata-Störung” von Christina Kiehas

Der Psoas als “Seelenmuskel”

Auch in der Trauma-Arbeit ist der Psoas wegen seines Zusammenhangs mit Nervensystem und Emotionen relevant. Die Aktivierung und Kontraktion des Psoas geschieht unbewusst bei allen Traumata, unabhängig von der Ursache. Traumatisierung macht sich oftmals durch ein nachfolgendes Zittern bemerkbar, wird allerdings vielfach durch ein Nichtzulassen überlagert. Dabei handelt es sich um einen natürlichen Prozess, der insbesondere im Tierreich zu beobachten ist: Entkommt das Tier einer Gefahr, beginnt das Zittern. Wird es unterdrückt, fehlt die Rückmeldung ans Gehirn, dass die Gefahr vorüber ist. Die Ausschüttung der Stresshormone Cortisol und Adrenalin wird nicht gestoppt. Der Kampf-Flucht-Starre-Modus läuft weiter, mit allen Auswirkungen auf das Nerven- und Hormonsystem, die Muskeln und Faszien. Im Rahmen der Emotional-Release-Therapie kann es zum Muskelzittern kommen, der Körper zeigt damit die Bereitschaft, das Trauma auf Körperebene abzuarbeiten. Das Zittern kann allerdings auch bewusst ausgelöst werden – es wird neurogenes Zittern genannt. Damit gibst du dem Körper die Gelegenheit, die in den Muskeln sitzenden Traumata zu befreien und die Stressreaktion zu beenden.

Lesetipp: “Der Körper als Sprachrohr deiner Seele”

Der Shakti Shake

Kennst du den Shakti Shake? Ich spreche hier von einer Schüttelmethode, die
ich gerne in meinen Unterricht einbaue:

  • Komme in eine aufrechte Körperhaltung.
  • Deine Füße stehen mit sattem Bodenkontakt schulterbreit.
  • Deine Knie sind leicht gebeugt.
  • Lass jetzt all deine Gelenke ganz locker und leicht gebeugt.
  • Öffne deinen Mund ganz leicht.
  • Lass auch deine Schultern und Arme entspannt hängen.
  • Schließe deine Augen.
  • Schüttel dich.
  • Jegliche Form der Anspannung kannst du jetzt von dir abschütteln.
  • Das Loslassen kannst du mit einem befreiendem Haaaa begleiten.
  • Erlaube dir, zur Ruhe zu kommen und spüre nach.
  • Kannst du wahrnehmen, dass du Körper wie auch Geist dabei unterstützt hast, zu entspannen?

Auf diese Weise wird aus dem “Stressmuskel” ein “Mutmuskel”

In der Ayur Yogatherapie leiten wir unsere Klient*innen dazu an, zu erkennen, zu verstehen und zu verändern. Über diesen Ansatz wird Selbstwirksamkeit gepaart mit dem Bewusstsein, dass ich mir selbst helfen kann, erfahrbar. Das ist einer der Grundpfeiler der Ayur Yogatherapie – zu erkennen, dass du Schöpfer*in bist. Darüber, dass du deinem Psoasmuskel die gebührende Aufmerksamkeit schenkst, ihn trainierst, Spannungen löst, trägst du zu einer ausgewogenen Körperstatik bei, kannst dein Nervensystem ausbalancieren und deine Atmung positiv beeinflussen. Dies wirkt sich wunderbar auf Körper und Geist aus: Im besten Fall erfährst du ein Gefühl von Schutz, Stabilität, Vertrauen und Wohlbefinden. Der Psoas bringt uns Vitalität und hält uns sowohl körperlich als auch seelisch im Gleichgewicht. Er verleiht uns Mut und Tatkraft. Ich freue mich, wenn du diesen Qualitäten in dir Raum gibst!

Video: Entspannungs-Übung für den Psoas


Über Christina Kiehas

Mag. CHRISTINA KIEHAS alias YogenaYoga leitet die Ayur Yogatherapie Ausbildung in Österreich und ist Kooperations-Partnerin der Yoga Akademie Austria. Mehr Infos unter www.yogena.at oder du folgst Christina auf Instagram. Noch mehr Videos zum Psoas findest du auf Christinas Youtube-Kanal.

Fotos: © Katrin Schönthaler


Auch hier findest du eine schöne Praxisstrecke mit myofaszialer Selbstmassage, um Spannung im Psoas abzubauen:

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