Wunderbar, wenn man ganz mühelos ins Gleichgewicht findet, egal ob auf zwei Beinen oder (typisch Yoga) irgendwie andersrum. Aber woran hapert es eigentlich, wenn es mit der Balance in Asanas nicht so recht klappen will? Wir sind der Sache mal auf den Grund gegangen und haben 10 Tipps für mehr Balance in Gleichgewichtshaltungen für dich.
1 Kopfarbeit
Der vielleicht häufigste Fehler ist ein Denkfehler: Gleichgewicht ist nichts Statisches, sondern durch und durch dynamisch, ein Pendeln oder Schwingen um die Mitte – mal mit winzigen und mal mit größeren Bewegungen. Wenn du genau das auch erwartest und jedem Kippeln oder Schwanken so freundlich und entspannt begegnest wie ein Grashalm dem Wind, wird es sofort viel besser klappen.
2 Der Patanjali-Trick
Sthira Sukham Asanam – stabil und zugleich leicht soll die Asana sein. Für Gleichgewichtshaltungen heißt das konkret: die nötige Kraft aufwenden, um ein gutes Alignment zu erreichen, zugleich aber alle unnötige Anspannung loslassen, weich werden, atmen und sich zur Mitte hin sammeln, statt sich krampfhaft zu halten – und dann wachsen.
3 Von unten nach oben
Pflanzen machen es uns vor: Jede Gleichgewichtshaltung (und überhaupt jede Asana) wird von der Basis her aufgebaut. Egal ob das beide Füße, ein Fuß, die Hände oder auch mal die Sitzknochen sind, immer gilt: Die Kontaktpunkte werden präzise aufgesetzt und verwurzeln sich lebendig und kraftvoll am Boden. Von diesem erdenden Halt aus kann sich eine Haltung durch alle Körperteile hindurch nach oben entfalten. Extra-Tipp: Neben exakter Ausrichtung der Standfläche und Verwurzelung nach unten entsteht Stabilität auch durch Hasta Bandha und Pada Bandha, die energetischen Verschlüsse von Hand und Fuß.
4 Im Zentrum
Nicht erschrecken, jetzt geht’s um Physik: Mache dir bewusst, wo der Körperschwerpunkt liegt und was das für die Statik der Haltung bedeutet. Im wahrsten Sinn des Wortes “zentral” ist es, bei Gleichgewichtshaltungen Kraft und Stabilität in der Körpermitte aufzubauen. Rumpf, Arme und Beine werden dann so um diese Mitte herum angeordnet, dass im Spiel mit der Schwerkraft ein Gleichgewicht entstehen kann.
5 Linienführung
Physik Teil 2: Manche Yogastile erheben das Alignment zur Wissenschaft, andere gehen eher intuitiv damit um, doch immer gilt: Es macht einen Unterschied, wie welche Körperteile zueinander ausgerichtet sind. Das Denken in Linien und Achsen kann helfen, ein Gespür für das Spiel der Kräfte zu entwickeln – nicht im Sinn von kalter, geometrischer Mechanik, sondern für eine lebendige, organische Balance.
6 Fokus
Nicht nur Yogis, auch Tänzer und Akrobaten lernen, sich mit Hilfe eines Blickpunktes “festzuhalten” und damit das Gleichgewicht zu unterstützen. “Drishti” nennt man diesen Fixpunkt im Yoga. Aber Vorsicht: Auch für die Augen gilt Sthira Sukham Asanam (siehe Tipp 2). Ist der Blick starr und verkrampft, hilft dir Drishti nicht viel weiter. Also: den Fixpunkt zwar halten, Augen und Gesicht dabei aber entspannen.
7 Innere Bilder
Ein Baum mit tiefen Wurzeln, Kraftlinien, die sich durch den ganzen Körper ziehen oder das Becken als Schale: Solche und ähnliche Bilder sind eine wichtige Hilfe beim Erlernen zunächst schwieriger Asanas. In Gleichgewichtshaltungen können Visualisierungen dich dabei unterstützen, deine innere Achse zu finden, deinem Körper zu vertrauen und vom hektischen Kippeln in ein feines Schwingen überzugehen.
8 Hilfen
Hilfsmittel gibt es, damit wir uns helfen lassen. Doch in Gleichgewichtshaltungen haben sie auch ihre Tücken: Wenn man zum Beispiel den Handstand vor der Wand lernt, kann es sein, dass man nie ein richtiges Gefühl für die Senkrechte und die innere Achse gewinnt. Setze deshalb Wand, Block oder Stuhl eher als mentale Stütze und Orientierungspunkte für deine Raum-Lage-Wahrnehmung ein, aber nicht als Krücke.
9 Spieltrieb
Gleichgewichtshaltungen sind ein wunderbarer Anlass, sich dem eigenen Körper und seinem Verhältnis zu Raum und Schwerkraft wieder so zu nähern, wie zuletzt als Kind: mit ungebremster, spielerischer Neugier. Einfach mal ausprobieren, was geht, schwanken, vielleicht umfallen – und es gleich nochmal versuchen. Spannend dabei: Kein Tag ist wie der andere. An der Balance erkennt man sofort, wie sehr man “in seiner Mitte” ist.
10 Üben, üben, üben
Sogar Ashtanga-Crack Ronald Steiner gibt zu, dass er jahrelang getüftelt hat, bis er den Handstand so richtig “raus” hatte. Das zeigt: Mühelose Balance ist zwar himmlisch, aber diese Mühelosigkeit fällt leider nicht vom Himmel. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als schwierige Gleichgewichtshaltungen immer wieder aufs Neue zu versuchen. Dabei hilft eine andere Art von Balance, nämlich die zwischen Disziplin und spielerischer Freude. Am Ende lernen wir dabei deutlich mehr als eine neue Asana: Geduld.
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Text: Stephanie Schauenburg // Fotos: Yan Krukov von Pexels